Wachstum während der Corona-Krise? Für viele Unternehmen ist das gerade unvorstellbar. Dabei kann es sich gerade jetzt im Marketing lohnen, auf das so genannte "Growth Hacking" zu setzen.
Mit dem Herbst erwarten Experten, dass die Zahl der Unternehmen, die coronabedingt Insolvenz anmelden müssen, drastisch ansteigt. Auch grundsätzlich stabile Betriebe sind wohl weiterhin gezwungen, sich mit Kurzarbeit und Budgetkürzungen über Wasser zu halten. Vor allem im Marketing werden die Zügel seit Monaten angezogen, indem Kampagnen eingestampft und Anzeigengeschäfte auf Sparflamme betrieben werden. Schadensbegrenzung scheint das Gebot der Stunde zu sein. Doch wer jetzt den Kopf in den Sand steckt, verschwindet langfristig vom Radar seiner Zielgruppe.
Unternehmenswachstum sollte daher nicht trotz, sondern gerade wegen der aktuellen Krisenstimmung auf der Agenda stehen. Dass es dafür keine großen Ressourcen braucht, beweist Growth Hacking, das vorrangig als Marketing-Technik bekannt ist. "Zum Growth Hacking gehört, was dem Wachstum dient", erklärt Springer-Autor Stefan Mintert im Buchkapitel "Schaffen Start-ups die Marktforschung ab? Wie Lean Start-up und Growth Hacking die Welt verändern". In diesem Kontext beschreibt der Begriff Hack "eine schnell umzusetzende, kostengünstige, leicht zu testende Maßnahme, die das Ziel verfolgt, mit geringem Aufwand ein Ergebnis zu erreichen" (Seite 204-205).
Interdisziplinär zum Ziel
Welches Ergebnis angestrebt wird, ist von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Meistens steht die Neukundengewinnung im Fokus, aber auch die Umsatzsteigerung oder der Website Traffic können als Kennzahl der Erfolgsmessung zugrunde gelegt werden. Unternehmen, die Growth Hacking betreiben, räumen diesem Ziel oberste Priorität ein. Dazu wird die gesamte Customer Journey, also die Reise des Kunden bis zum Kauf, durchleuchtet und auf Wachstumshebel untersucht. Alle Maßnahmen setzen genau dort an.
"Teams werden interdisziplinär für kurze Zeitabstände zusammengestellt, müssen sich schnell einfinden und produktiv werden; sie müssen zusammen ein festgesetztes Ziel erreichen und sich ständig weiterentwickeln", erklärt Springer-Autor Daniel Walzer im Buchkapitel "Wie ein Unternehmen die Mitarbeiter-Motivation steigert" zu modernen Arbeitstechniken wie dem Growth Hacking (Seite 150). Fahren die Maßnahmen nicht die gewünschten Ergebnisse ein, werden sie ebenso schnell wieder abgesetzt oder modifiziert, wie sie entwickelt wurden. Im Idealfall sind die zuständigen Teams zur Ausführung sämtlicher Arbeitsschritte selbst imstande. Denn lange Abstimmungsschleifen oder Wartezeiten, bis andere Abteilungen aktiv werden, behindern das Growth Hacking.
Digital und automatisiert
Konzeption, Monitoring und Erfolgsauswertung der Wachstumsmaßnahmen verlaufen im Wesentlichen digital. Darin steckt eine große Chance, denn im Prinzip sind nur eine Internetverbindung und ein Laptop erforderlich, um Growth Hacking zu betreiben. Da sich einige Handgriffe durch automatisierte Prozesse ersetzen lassen, wird die Arbeit der Marketer zusätzlich entlastet. Auf diese Weise lassen sich Mini-Kampagnen oder Anpassungen im Content-Marketing besonders unkompliziert abwickeln. Nach einem ähnlichen Prinzip verläuft auch das Performance Marketing.
Als erfolgreiches Beispiel für Growth Hacking führt Springer-Autor Mintert den E-Mail-Anbieter Hotmail an. Dieser platzierte bereits vor einigen Jahren die Aufforderung "Get Your Free Email at Hotmail" als Fußnote in den Mails, die Nutzer verschickten. Dank dem Hack verzeichnete das Unternehmen nach nur sechs Monaten bereits eine Millionen registrierte Nutzer. Mithilfe von Growth Hacking im Marketing gelang es auch Airbnb, zahlreiche Kunden zu gewinnen, so Mintert. Das Online-Marktplatzunternehmen für Ferienwohnungen stellte die Inserate seiner Nutzer automatisch auch beim damals erfolgreichen Kleinanzeigenportal Craiglist ein und schöpfte damit gezielt dessen große Reichweite ab.
Agiles Mindset als Voraussetzung
Ursprünglich machten vor allem Start-ups von Growth Hacking Gebrauch. Da sich diese häufig mit modernen Technologien befassen oder gar ihr Geschäftsmodell darauf ausrichten, sitzen junge Firmengründer gewissermaßen an der Quelle zu Werkzeugen, die das Growth Hacking erleichtern. Angesichts dessen, dass die Digitalisierung nicht zuletzt durch die Corona-Krise an Fahrt aufgenommen hat, sollten sich allerdings auch gestandene Unternehmen für moderne Arbeitsweisen öffnen. Dazu gehören auch Trendthemen wie agiles Arbeiten und New Work.
Unternehmen, die hauptsächlich analog operieren oder in konservativen Organisationsstrukturen verhaftet sind, stoßen bei Growth Hacking und Co. aber rasch an ihre Grenzen.
- Klare, hierarchische Führungsstrukturen,
- zentrale Entscheidungsinstanzen und
- keine Toleranz gegenüber Fehlern
zählen diesbezüglich zu den größten Hindernissen in der Unternehmenskultur, schreibt Springer-Autor Erich R. Unkrig im Buchkapitel "Agilität durch gelebte Prinzipien und Werte" auf Seite 112. Sein Fazit: Ein agiles Mindset muss her. Unternehmen, die auch in Krisenzeiten weiter wachsen wollen, sind also gefragt, die dazu passende Haltung einzunehmen.