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12.02.2015 | Marktforschung | Schwerpunkt | Online-Artikel

So teuer sind Powerpoint-Marketing-Mythen

3:30 Min. Lesedauer

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Sind Digital Natives ein Powerpoint-Marketing-Phantom? Big Data – nur ein schickes Schlagwort? Marketeers sollten kritischer mit ihren Arbeitsmethoden umgehen, findet Unternehmensberater und Springer-Autor Heino Hilbig.

Wie schön war Markenarbeit vor Erfindung der elektronischen Medien! Alles war überschaubar, die Methoden wurden zwar stetig besser, blieben aber im Grunde immer dieselben und jeder hatte im Konzert der Markenkommunikation eine genau definierte, abgrenzbare Rolle. Und dann kam das Internet. Kaum ein Unternehmensbereich hat sich seither so stark verändert wie das Marketing. Immer schneller scheinen die Zyklen zu werden, in denen neue Methoden, neue Klassifizierungen und neue Methoden der Kundenansprache den Weg durch die Marketingmedien machen.

Jedes Jahr eine neue Marketing-Sau, die durchs Dorf getrieben wird

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Seit der Erfindung von Excel und Powerpoint scheint jede noch so banale These in Zahlen und Charts gegossen und im Marketing leider gerne weiterverwendet zu werden. Und dabei sprechen wir keineswegs von den Auswertungen des hauseigenen Praktikanten, sondern von durchaus großen, weit verbreiteten Tools und eigentlich großen Namen in der Anbieterszene.

Mal ehrlich: Wissen Sie aus dem Effeff, wie die Reichweitenquoten im TV erhoben werden oder wie der Begriff 'Reichweite' in der Media-Analyse genau definiert ist? Benutzen Sie ein Markenbewertungssystem und kennen Sie auch die Details dessen Methodik? Grämen Sie sich nicht, diese Fragen kann kaum ein Marketeer wirklich spontan beantworten. Denn wir verlassen uns – häufig blind – im Marketing auf die Richtigkeit dieser Methoden und Analysen und basieren darauf Budgetentscheidungen in Milliardenhöhe: Achtundzwanzig Milliarden Euro wurden laut Nielsen Marktforschung im Jahr 2014 in Deutschland alleine für Mediaspendings ausgegeben. Dazu kommen die nicht erfassten Kosten für Webauftritte, E-Mail-Marketing, POS, Messen etc. Am Anfang solcher Investitionen stehen Markenbewertungssysteme, Zielgruppenbeschreibungen und Affinitätsberechnungen in Mediaplänen, deren Validität jedoch kaum jemand je hinterfragt und kritisch wissenschaftlich prüft.

Dabei ist Zweifel leider häufig sinnvoll. Da präsentieren renommierte Agenturen ein wenig Wahrnehmungspsychologie in schöne Grafiken gegossen als neue Erkenntnisse im Neuromarketing. Aus bekannten Statistikfehlern (Gesetz der kleinen Zahl) werden besondere Affinitäten für Special Interest Medien errechnet. Die Preise für Werbung im Vorabendprogramm ergeben sich gerne auch mal aus ganzen fünfzig gemessenen Haushalten. Und Zahlen darüber, wie vielen Werbekontakten jeder von uns täglich ausgesetzt ist, hat im Marketing jeder schon mal gehört – aber noch nie hat jemand diese Zahlen wirklich berechnet – geschweige denn nachgemessen. Wie sollte das auch funktionieren? Läuft da ein Marktforscher neben dem Konsumenten und filmt dessen Wahrnehmung? Alleine die Vorstellung, wie dieser Forscher abends vor dem PC sitzt und Kontakte auszählt, lässt mich schmunzeln.

Wer im Marketing mit Datenmüll beginnt, produziert Datenmüll

Aber im Ernst. Manchmal wünschte ich mir, man könnte die Erheber und Präsentatoren solchen Datenmülls wie Studenten im Physikpraktikum mit Punktabzug zum Überdenken ihres Angebotes bewegen: Wer dort achtstellige, scheingenaue Zahlen aus dem Taschenrechner als Fakten deklariert, darf gleich noch einmal von vorne beginnen. So lernen junge Physiker gleich am Anfang ihrer Karriere, dass man die wissenschaftlichen Grundlagen der eigenen Arbeit stets gut prüfen sollte. Ein Prinzip, dass auch dem Marketing gut zu Gesicht stünde, denn fehlerbehaftete Methoden stellen hier ein ebenso betriebs- wie volkswirtschaftliches Problem dar: Wer vorne mit Datenmüll anfängt, bei dem kann hinten nun einmal nichts Sinnvolles rauskommen – GIGO – Garbage in Garbage out!

Vielleicht können wir noch etwas von Physikern lernen: Wenn bei denen ein Modell neu vorgestellt wird, wird es öffentlich von allen Seiten geprüft und gerne auch zerrissen. Erst nach dieser Feuerprobe darf dieses Modell von seriösen Wissenschaftlern angewendet und zitiert werden. Und sobald es einen einzigen Fall gibt, bei dem das Modell versagt, wird es zu den Akten gelegt. Die Kollegen dort sind gnadenlos – und eben Wissenschaftler!

Zur Person
Heino Hilbig arbeitete nach seinem Mathematik- und Physik-Studium als Produktmanager in einem Elektronikkonzern. Bald übernahm er die Werbe- und Marketingleitung internationaler Marken wie Casio oder Olympus. Er durchlief sämtliche Funktionen bis zum internationalen Marketing-Direktor. 2011 gründete er die Marketing-Unternehmensberatung Mayflower Concepts in Hamburg, deren Geschäftsführer er ist.

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