Die Marktforschung ist in der Krise: Preisdruck, Automatisierung und Glaubwürdigkeitsverlust bestimmen die Entwicklung. Um die Ergebnisqualität zu sichern, ist menschliche Expertise nötiger denn je.
Onlineumfragen lösen zunehmend den Fragebogen in der Marktforschung ab. Doch die Anonymität des Internets birgt Qualitätsrisiken.
Michael S. | panthermedia.net
Qualität ist ein heiß diskutierter Begriff in der Marktforschung. Und das nicht erst seitdem der "Spiegel" Anfang 2018 einen Bericht über angeblich manipulierte Meinungsumfragen veröffentlichte. Skepsis herrscht auch gegenüber Umfrageergebnissen, die zu großen Teilen auf Antworten von Menschen beruhen, die gleich bei diversen Instituten angemeldet sind und Meinungsumfragen als Heimarbeit verstehen. Diesem Job gehen sie quasi im Akkord nach; die Umfrageinhalte sind dann schnell egal und die Antworten beliebig.
Befragungsteilnehmer, die eindrucksvoll die Klickgeschwindigkeit mit der Maus unter Beweis stellen, statt gewissenhaft den Fragebogen zu beantworten, sind zu identifizieren und aus dem Datenbestand zu eliminieren. Thomas Braun, Seite 295
Saubere Feldarbeit als Basis
Ein Weg, die Qualität der Ergebnisse und die Glaubwürdigkeit zu erhöhen, führt über mehr Transparenz und strenge Qualitätskriterien für die Feldarbeit. Denn "wer bereits in der Feldarbeit unsauber arbeitet, wird letztendlich keine belastbaren Daten produzieren, auf deren Basis Auswertungen oder gar wichtige wirtschaftliche Entscheidungen fußen können", betont Springer-Autor Thomas Braun (Seite 292).
Im Zuge der Qualitätsdebatte plädiert er für das Modell "Markforschung 'tailor-made'". Dabei gehe es wie bei einem guten Herrenausstatter darum, durch ein "Höchstmaß an Kompetenz, Kundenbedürfnisse zu verstehen und mit dem zur Verfügung stehenden umfangreichen Handwerkszeug zielgerichtet diese Bedürfnisse zu erfüllen." (Seite 293) Mit Hilfe einer Toolbox, die eine Vielzahl an Standards und Methoden beinhaltet, kann für die Kunden im Baukastensystem ein individuelles Marktforschungskonzept entwickelt werden, das höchste Qualitätsansprüche erfüllt.
Daten allein reichen nicht
Grundsätzlich ist laut Braun die erste Qualitätsvoraussetzung, dass Erhebungen nicht nur Daten produzieren. Entscheidend sei, Informationen zu erhalten, die zu einem Wissen über Zusammenhänge führen und Handlungsorientierung geben. Hierfür sind quantitative und qualitative Expertise für die passende Methodenauswahl gefragt. Darüber hinaus ist die Aufbereitung und Interpretation der Informationen sowie die Präsentation wichtig. Zudem erfordern die in vielen Branchen zunehmend komplexen Produkte und Geschäftsprozesse auch von Marktforschern spezifische Kenntnisse in den Branchen ihrer Kunden, um die nötige inhaltliche Tiefe zu erzielen. Wenn es um das Erkennen von Kausalzusammenhängen und Gründen geht, sind aber auch statistische Analysen, Sekundärdaten und Softskills wie Neugier und Kreativität erforderlich.
Nischenwissen ist gefragt
So will der "Wissensmarktplatz" von Atheneum Partners, eine Digitalplattform, Businesskunden den Zugang zu einem Netzwerk von Marktspezialisten weltweit vermitteln, die über Fachwissen und Erfahrung in den unterschiedlichsten Bereichen verfügen. Die Experten werden nach Unternehmensangaben nach einem festen Kriterienkatalog geprüft. "Nischenwissen aus Bereichen wie Health Care und Life Science, Immobilien, Technologie, Transport kann heutzutage über Marktforschungsinstitute und Unternehmensberatungen in der benötigten Themenvielfalt nicht mehr abgebildet werden", erklärt Mathias Wengeler, Co-Gründer und CEO von Atheneum. Sein Team habe die Aufgabe, als Kuratoren den richtigen "Match" sicherzustellen. "Manchmal passt ein Professor für technische Fragen, manchmal ein CEO für Top-Level Diskussionen und in einigen Fällen auch eher ein Junior Experte – es kommt ganz individuell auf das Projekt an", so Wengeler.
Persönliches Gespräch besser als künstliche Intelligenz
Auch Marktforschungs- und Beratungsunternehmen nutzen Wengeler zufolge das Experten-Angebot, um tiefere Einblicke in Märkte, Wettbewerb, Wachstum oder Technologien zu erhalten. Er ist überzeugt, dass sich das persönliche Gespräch am besten eignet, um komplexe Sachverhalte zu verstehen. Durch die Interaktion könnten etwa kulturelle Eigenschaften und Feinheiten berücksichtigt und auf sie eingegangen werden. Hierzu seien Technologien wie Künstliche Intelligenz längst noch nicht in der Lage.