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17.03.2022 | Materialentwicklung | Interview | Online-Artikel

„Der Multimaterial-3D-Druck gibt gradierten Materialien Auftrieb“

verfasst von: Thomas Siebel

4:30 Min. Lesedauer

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Mit funktional gradierten Materialien lassen sich Bauteile mit fließenden Eigenschaftsübergängen herstellen. Im Interview erläutert André Stork, welcher Fortschritte es in Fertigung, Modellierung und digitaler Prozesskette noch bedarf.

Springer Professional: Die Forschung an funktional gradierten Materialien, oder kurz FGM, nimmt Fahrt auf. Im Fokus steht dabei insbesondere die Herstellung von Vollmaterialbauteilen mit fließenden Eigenschaftsübergängen.

André Stork: Ja, die additive Fertigung mit multiplen Materialien hat dem Thema FGM in Forschung und Entwicklung offensichtlich wieder Auftrieb gegeben. Gleiches gilt für die Einflussnahme auf Materialeigenschaften durch Variation der Prozessparameter. Zu spüren war das auch auf der letztjährigen Messe Formnext, wo das Thema Multimaterial meiner Einschätzung nach breiter und größer war als in den Jahren zuvor.

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Digitale Prozesskette für funktional gradierte Materialien und Multi-Material-3-D-Druck

Digitale Bauteile mit gradierten Materialinformationen zu versehen, ist mit herkömmlichen Modellierungssystemen nur aufwendig und diskret approximativ umsetzbar. Der Beitrag diskutiert Möglichkeiten und zeigt Lösungen, CAD-Modelle einfach und elegant mit gradierten Materialinformationen anzureichern.

Welche Rolle spielt die additive Fertigung bei der Herstellung?

Funktional gradierte Materialien beziehungsweise Eigenschaften können auf unterschiedliche Art und Weise hergestellt werden, zum Beispiel durch Oberflächenbehandlung eines einzelnen Materials – das Härten wäre hierfür ein Beispiel –, durch Variation von Prozessparametern zum Beispiel beim 3D-Druck eines Materials, durch Anordnung verschiedener Materialien auf kleinem Raum – auch hier insbesondere im 3D-Druck –, oder durch Mischen von Basismaterialien vor dem Ausbringen.

Was macht funktional gradierte Materialien so besonders?

Das Besondere von FGM ist, dass sich Eigenschaften in einem Bauteil realisieren lassen, die sich durch ein Material alleine nicht gleichermaßen erreichen lassen, zum Beispiel Festigkeit, Zähigkeit, Biegsamkeit, Temperaturstabilität und Abriebfestigkeit. Die Möglichkeiten sind aber nicht auf mechanische Eigenschaften begrenzt. Auch eine funktionale Gradierung von Porosität – auch in einem Material – oder elektromagnetischen Eigenschaften ist möglich.  

Handelt es sich bei FGM um eine neue Materialklasse?

Bei FGM könnte man von einer Materialklasse reden, wobei das eventuell die falschen Assoziationen weckt, da doch grundlegend unterschiedliche Materialien miteinander verarbeitet werden können, falls diese und der Prozess das zulassen.

Welche Forschungsfragen müssen noch gelöst werden, damit FGM reif für die industrielle Nutzung werden?

Ich sehe vier Stränge. Der erste betrifft die Fertigungstechnologie. Fertigungsmaschinen und -verfahren müssen lokal variierende Eigenschaften herstellen können, und zwar gezielt und wiederholbar. Aus den Materialwissenschaften und Materialmodellen wissen wir zudem, dass nicht alle Materialien kombiniert werden können. Je nach Verfahren gibt es Materialien, die offensichtlich nicht kombiniert werden können, was zum Beispiel durch die Schmelzpunkte der Materialien bedingt ist. Die Eigenschaften resultierender FGMs müssen bestimmt und in Materialmodelle überführt werden, mit denen die simulative Auslegung durchgeführt werden kann.

Fortschritte braucht es außerdem im Bereich der Schnittstellen, sowohl für den Transport der Information an die Fertigungsmaschine als auch zu deren Ansteuerung, zum Beispiel bei der gezielten Variation beziehungsweise Beeinflussung von Prozessparametern. Und schließlich muss auch die digitale Prozesskette für FGMs weiterentwickelt werden, von der Designsoftware über die Simulation bis hin zur Fertigungsmaschine. Der Prozess ist mit vielen derzeitigen Tools noch verhältnismäßig umständlich, was der Akzeptanz nicht unbedingt zuträglich ist.

Apropos Akzeptanz: Wie steht es um das Know-how bei den potenziellen Anwendern?

Ich würde eher von Bewusstsein als von Know-how reden. Es gibt vielfach noch wenig Bewusstsein für die Möglichkeiten, FGMs mit 3D-Druck herzustellen – das ist ja zugegebenermaßen auch noch relativ neu und bei weitem nicht mit allen Druckern möglich. In der Vergangenheit hat es auch Aufklärung der Anwender, zum Beispiel durch Druckdienstleister bedurft, die Möglichkeiten von 3D-Druck hinsichtlich der größeren Flexibilität bei der Formgestaltung auszunutzen. Wenn in Zukunft auch noch Material lokal variiert und gradiert werden kann, kommt eine zusätzliche Dimension an Komplexität hinzu. Softwaretools müssen dabei helfen, diese beherrschbar zu machen.   

Neue Ansätze, die Sie am Fraunhofer IGD entwickeln, sollen die Modellierung von FGM vereinfachen. Wie machen Sie CAD-Systeme fit für diese Aufgabe?

Wir gehen zwei- oder gar dreigleisig vor. Erstens, wir forschen an neuen Datenstrukturen und Algorithmen, die gleichzeitig inhärent volumetrisch und kontinuierlich sind. Zweitens übertragen wir Erkenntnisse aus der Forschung – soweit möglich – auf herkömmliche Repräsentationsformen von CAD-Modellen und entwickeln visuell-interaktive Werkzeuge. Mit diesen können Konstrukteure und Designer auf einfache Art und Weise CAD-Modelle mit Information zu FGMs anzureichern.

Könnte man die Modellierung automatisieren, ähnlich wie es heute zum Beispiel für topologieoptimierte Bauteile bereits möglich ist?

Ja, das ist unser dritter Ansatz: Wir erforschen und entwickeln Automatismen und Optimierungswerkzeuge, die eine Materialverteilung funktionsgetrieben berechnen. Hier bestehen gewisse Analogien zur Topologieoptimierung.

Welche Branchen oder Anwendungen könnten von FGM profitieren?

Das Spektrum an Fertigungstechnologie für FGM wie auch das der verarbeitbaren Materialien wird immer größer. Es erstreckt sich bereits von bestimmten Kunststoffen über Keramiken und biokompatible Materialien bis hin zu Metallen. Kürzlich sind mehrere Veröffentlichungen erschienen, die einen guten Überblick bieten: eine von Seymur Hasanov und eine weitere unter Mitwirkung des österreichischen Unternehmens Lithoz.

Die Anwendungen beschränken sich wahrscheinlich nicht auf bestimmte Branchen. Es gibt Pilotanwendungen in der Luft- und Raumfahrt, die Medizin und die Medizintechnik haben hohes Potenzial, aber selbst der Betriebsmittelbau, zum Beispiel in der Automobilindustrie, kann von FGMs profitieren, um zum Beispiel durch Gradierung haltbarere Betriebsmittel herzustellen, denn gradierte Materialübergänge neigen weniger zu Rissbildung und Brüchen.

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