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06.01.2020 | Materialentwicklung | Schwerpunkt | Online-Artikel

Paradoxes Gewebe für neuartige Anwendungen

verfasst von: Dieter Beste

2:30 Min. Lesedauer

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Ein Material, das dicker wird, wenn man daran zieht, scheint den Gesetzen der Physik zu widersprechen. Dieser sogenannte auxetische Effekt ist jedoch für eine Vielzahl von Anwendungen interessant, beispielsweise in Membranen.

  

Neben Formgedächtnislegierungen, Formgedächtnispolymeren oder rheologischen Flüssigkeiten zählen auch auxetische Werkstoffe zu den Materialien mit Formgedächtnis. Die Springer-Autoren Hansgeorg Hofmann und Jürgen Spindler beschreiben das smarte Material in "Aktuelle Werkstoffe - Neue Materialien für innovative Produkte": Auxetische Werkstoffe dehnen sich bei einer Streckung quer zur Streckrichtung aus und sind charakterisiert durch eine negative Poissonzahl (Querkontraktionszahl). Der auxetische Effekt "wird erreicht durch eine spezielle Anordnung der atomaren – bzw. molekularen Bausteine" (Seite 77). Beispiele hierfür seien hochverstrecktes Teflon, Wabenkörper, Metallschäume oder Verbunde aus Kohlenstofffasern.

Empfehlung der Redaktion

2015 | Buch

Auxetic Materials and Structures

This book lays down the foundation on the mechanics and design of auxetic solids and structures, solids that possess negative Poisson’s ratio. It will benefit two groups of readers: (a) industry practitioners, such as product and structural designers

Wissenschaftler der zur ETH Zürich gehörenden Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) haben nun im Fachblatt Nature Communications aufgezeigt, wie sich das erstaunliche Materialverhalten etwa für die Behandlung von Verletzungen und Gewebeschäden nutzen lässt: Zur Unterstützung der Geweberegeneration kann beispielsweise ein passendes Gerüst – eine Membran aus Polymerfäden – hilfreich sein, heißt es in einer Mitteilung der Empa. Darin können sich Zellen einnisten und entlang der vorgegebenen Strukturen wachsen. Allerdings würden die Polymerfäden in den bekannten Membranen lediglich winzige Poren von wenigen Mikrometern frei lassen. Eine Gewebezelle, die ein solches Gerüst besiedeln soll, sei mit ihren bis zu 20 Mikrometern jedoch deutlich zu groß, um darin optimal Platz zu finden.

Die Empa-Forscher haben nun mittels Elektrospinning ein Polymernetzwerk für Körperzellen entwickelt. Dazu haben sie gelöste Polymere als hauchdünne Fäden in der Form ähnlich der menschlichen extrazellulären Matrix versponnen. So entstand eine mehrschichtige Membran aus Nanofasern, die über außergewöhnliche auxetische Eigenschaften verfügt. Die Forscher zeigen ihre verblüffende Entwicklung in einem Video. Wenn die Membran sanften Zugkräften ausgesetzt wird, wobei deren Länge um etwa 10 Prozent zunimmt, nimmt auch das Volumen des Materials um das Fünffache, die Dicke gar um das Zehnfache zu. "Ein auxetischer Effekt dieser Grössenordnung ist geradezu weltrekordverdächtig", schwärmt Alexander Ehret vom Experimental Continuum Mechanics-Labor des Empa.

Expand on demand

Ehret und sein Team hatten den auxetischen Effekt zunächst anhand einer mechanischen Modellierung vorhergesagt und am Computer simuliert, bevor sie die Membranproben experimentell analysierten. "Wir haben die Simulationen am Computer mehrmals durchgespielt, weil die Ergebnisse so überraschend waren", berichtet Ehret. Der auxetische Effekt drückt sich in negativen Werten für die Poissonzahl aus. "Bisher wurden Werte um -20 erreicht. Unsere Ergebnisse lagen deutlich unter -100." Neben dem Einsatz in der Biomedizin lasse sich das bereits zum Patent angemeldete Konzept auch in zahlreichen anderen Gebieten anwenden: Durch Zug aktivierbare Membranen, die eingeschlossene Partikel bei Bedarf freigeben, regulierbare Filter oder etwa ein Füllmaterial, das sich erst am Einsatzort nach dem Motto "Expand on demand" auf sein volles Volumen ziehen lasse.
 

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