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27.11.2015 | Medien | Interview | Online-Artikel

"Medien sollten nicht am Ast der Glaubwürdigkeit sägen"

verfasst von: Anja Schüür-Langkau

4 Min. Lesedauer

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Die digitale Transformation verändert die medialen Zielgruppen ebenso wie die Arbeitsweisen von Journalisten. Doch die Einhaltung journalistischer Grundregeln und die Trennung zwischen Redaktion und Anzeigen bleiben auch im Web Voraussetzung für guten Journalismus, sagt Gabriele Hooffacker im Interview.

Springer für Professionals: Die Digitalisierung hat die Gesellschaft und auch die Art der Kommunikation tiefgreifend verändert. Was bedeuten diese Veränderungen für die journalistische Arbeit?

Gabriele Hooffacker: Die technisch ermöglichte Interaktivität hat die Verständigung innerhalb der Gesellschaft und ihrer Teilgesellschaften polarisiert: Zum einen reden vor allem homogene Gruppen miteinander und bestätigen sich gegenseitig. Zum andern ist – wenn eine Gruppe auf eine andere trifft – manchmal kaum mehr Verständigung möglich. Die klassischen Massenmedien stecken in einem Dilemma: Sie haben sich immer als Vermittler gesehen. Bei den sich radikalisierenden Teilgruppen ist ein gemeinsamer Nenner im Rahmen der journalistischen Arbeit aber oft kaum mehr zu finden. Die Folge ist, dass das so genannte "breite Publikum" als Zielgruppe der Massenmedien immer schmaler wird.

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Durch die sozialen Medien kann heute jeder Meinungen und Inhalte publizieren und verbreiten. Professionelle Redaktionen haben durch Blogger, Youtuber etc. Konkurrenz bekommen. Wie viel Meinungsmacht haben Journalisten heute noch?

Warum sollten Journalisten Meinungsmacht haben? Hatten sie das jemals? Möglicherweise haben manche Journalisten ihre Rollen da etwas überinterpretiert. Eine solche Meinungsmacht sehe ich auch bei Bloggern oder You Tubern nicht, eher noch bei organisierten Kampagnen.

Vom politischen Journalismus erwarte ich mir zum einen Information nach den journalistischen Handwerksregeln – gut recherchiert und natürlich faktisch zutreffend und spannend aufbereitet. Darüber hinaus erwarte ich ein Weiterdrehen von Geschichten und eine ausführliche Recherche. Was bedeutet das, was diese Politikerin oder jener Politiker sagt? Was sagt die Gegenseite, – die Betroffenen, die Opposition, die Arbeitnehmer – dazu? Im Anschluss höre oder lese ich dann gern einen – auch polarisierenden – Kommentar. Nach Meinungsmacht muss man da nicht unbedingt streben, scheint mir. Da sehe ich lieber intellektuell anregendes Kabarett wie „Die Anstalt“.

Die klare Trennung von Redaktion und Anzeigen ist auch heute noch die Basis für glaubwürdigen Journalismus und presserechtlich verankert. Doch der wirtschaftliche Druck in den Medien ist nach wie vor hoch. Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung?

Was Google ermöglicht, ist ja dasselbe Geschäftsmodell wie bei jedem Anzeigenblatt und jeder Tageszeitung: Anzeigen passend zum Content schalten. Im Grundsatz hat sich hier nicht viel verändert: Irgendwo muss das Geld herkommen, mit dem guter journalistischer Content bezahlt wird. Es gibt Blogs, die hier vorbildlich für Transparenz sorgen. Wenn ausgerechnet die klassischen Medien anfangen, den Trennungsgrundsatz aufzuweichen, sägen sie an dem Ast der Glaubwürdigkeit, auf dem sie sitzen. Ich würde da zur Vorsicht raten.

Redaktionen sind sich nach wie vor uneinig, ob Print- und Online-Redaktionen getrennt arbeiten oder Redakteure für beide Medienformen zuständig sein sollten. Was halten Sie für besser?

Das würde ich der aktuellen Mode überlassen. Die Büro-Innenausstatter wollen ja ab und zu auch einmal etwas verdienen. Das geht nur, wenn alle paar Jahre umorganisiert wird: vom Einzelbüro zum Großraumbüro, vom Großraumbüro zum Kleingruppen-Büro oder ins Home-Office... Das war die nicht ganz ernst gemeinte Antwort.

Ernsthaft: Das hängt vom Medium und seinen Formaten ab. Eingehende News verteilen sich vom Newsdesk aus hervorragend. Eine Hintergrund-Magazingeschichte schreibt sich im Großraumbüro, in dem gleichzeitig Video und Social Media bearbeitet werden, schlecht. Die große Themen-Doku braucht Social-Media-Begleitung, aber muss deshalb die Fernseh-Redakteurin alles selbst machen? Sie kann der Social-Media-Redaktion zuarbeiten und sich von dort Unterstützung holen, auch bei der anschließenden Diskussion im Netz.

Online und Social Media sind heute stark wachsende Berufsfelder für Journalisten. Haben sich die journalistischen Ausbildungsstätten dieser Entwicklung schon ausreichend angepasst oder besteht hier noch Nachholbedarf?

Nach meinem Eindruck hat sich in der Journalistenausbildung hier schon viel getan. War im Jahr 2000 meine Münchner Journalistenakademie die Einzige, die sich explizit auf Online-Journalismus konzentriert hatte, so sind crossmediale Ausbildungen seit mehreren Jahren in Journalistenschulen die Regel.

Manchmal würde ich mir hier eher mehr Ruhe, mehr Überlegung wünschen: Muss wirklich jede neue Plattform sofort in eigenen Seminarveranstaltungen geschult werden? Vieles kann man sich auch selbst erarbeiten, wenn man eine gute Basisausbildung erhalten hat. Wie Facebook funktioniert, muss ich jungen Leuten nicht erklären. Hier ist eher eine Hintergrund-Diskussion spannend. Damit stellt sich allerdings die grundsätzliche Frage, was eine journalistische Basisausbildung umfassen sollte.

Zur Person
Gabriele Hooffacker hat die Journalistenakademie in München gegründet und ist Professorin für den Lehrbereich "Medienadäquate Inhalteaufbereitung" an der HTWK Leipzig. Ihr Buch "Online-Journalismus" gibt praktische Anregungen für das Texten und Konzipieren von Online-Artikeln und ist in der Reihe Journalistische Praxis erschienen.
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