Skip to main content

27.08.2012 | Medien | Interview | Online-Artikel

Michael Wolffsohn: "Ich weiß, wie es läuft, ich bin ja kein Grünling mehr."

verfasst von: Andrea Amerland

6:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Wenn Historiker Michael Wolffsohn Gast einer Talkshow ist, geht es meistens um heiße Eisen: den Afghanistaneinsatz oder die Folter in der Terrorbekämpfung. Wolffsohn ist auch bei schwierigen Themen meinungsfreudig und im Medienbetrieb entsprechend beliebt.

Beatrice Dernbach: Herr Wolffsohn, Sie werden ja immer wieder gerne eingeladen in Talkshows zu Themen, bei denen sich vielleicht andere Wissenschaftler lieber zurückhalten. Man hat den Eindruck, Sie suchen das fast, um sich klar zu positionieren, sei es zum Irak-Krieg, zum Afghanistan-Krieg, zu Fragen von Integration, Religion und so weiter. Sie nehmen zu Vielem Stellung. Sie sind selbst Autor von Kommentaren in Pressemedien, und auch Fernsehen und Hörfunk sind Ihnen nicht fremd. Wie kam es dazu, dass der Wissenschaftler Michael Wolffsohn – und Sie bezeichnen sich selbst ja auch als Publizisten – auf diese Weise über populäre Massenmedien an die Öffentlichkeit gegangen ist? Erinnern Sie sich an ein Ereignis, von dem Sie sagen, das war die Initialzündung?

Michael Wolffsohn: Ich habe mich immer für Journalismus interessiert, weil ich immer eine Homo Politicus gewesen bin, historisch interessiert. Ich wollte ursprünglich Journalist werden. Ich bin der Enkel eines filmpublizistischen Pioniers; das habe ich also schon sozusagen teilweise mit der Muttermilch eingesogen. Mein Großvater hat sehr eng mit dem Verlagshaus Ullstein, also diesem legendären Ullstein, zusammengearbeitet; das Publizistische war Teil des familiären Ambientes. Ich fand es immer richtig und notwendig, dass erstens gut recherchierte Informationen der Öffentlichkeit zukommen und zweitens, das auch selber mitzugestalten. So dass ich eigentlich zuerst in den Journalismus gehen wollte, dann aber sehr schnell erkannt habe, dass der Journalismus sehr tagesbezogen ist, um es zurückhaltend zu formulieren. Ich wollte den Ereignissen nicht nur nachjagen und nachhecheln, sondern eher, wenn möglich, auf den Grund gehen oder zumindest kein Flachwasserschwimmer sein, sondern doch ein bisschen in die Tiefe tauchen, wie weit auch möglich. Bis zum Ende des Studiums blieb ich diesen beiden Möglichkeiten gegenüber offen, bekam, völlig unverhofft – ich hoffe nicht unverdient –, das Angebot eines von mir sehr geschätzten Hochschullehrers, sein Assistent zu werden, als der ins Saarland wechselte, Jürgen Domes, Chinafachmann, ich hatte mit China nichts zu tun, aber mit Politikwissenschaft. Das Angebot habe ich sofort angenommen. Als Assistent bleibt man ja noch offen, habilitiert man sich, habilitiert man sich nicht, geht man in die Medien, geht man nicht ? Das schien mir aber strukturell attraktiver zu sein, weil es eine feste und sogleich solide Basis ist für sauberes, wissenschaftliches Arbeiten. Mit wissenschaftlich erhärteten und nicht den Zwängen des Tages nachgebenden Ergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen, das fand ich sehr viel sinnvoller – theoretisch. Praktisch wurde es dann rein zufällig, als im Jahre 1977, genauer am 17. Mai 1977, in Israel eine Sensationswahl stattfand. Nämlich erstmals wurde damals die Arbeitspartei abgewählt und von der rechtsnationalistischen Likud-Formation unter Menachem Begin abgelöst. "Ich weiß, wie es läuft, ich bin ja kein Grünling mehr."

Beatrice Dernbach: Und das war Ihr 30. Geburtstag …

Michael Wolffsohn: Ja, genau, das war mein 30. Geburtstag. Ich will nicht sagen, dass das ein Geburtstagsgeschenk war, weil ich, anders als in der deutschen Politik, mit der Sozialdemokratie in Israel nicht nur keine Probleme hatte, sondern sehr viele Sympathien. Jüdisch gesehen bin ich eher ein Linker, auf Israel bezogen. Aber das verstand niemand hier in Deutschland; kein Mensch, auch international, wusste, wer Begin war. Den lernte man später kennen. Ich bin dann interviewt worden vom Saarländischen Rundfunk. Ich war wohl international einer der ganz wenigen, die gesagt haben, die Wahl Begins ist nur nicht kein Weltuntergang, was allgemein erwartet wurde bezogen auf den Nahen Osten, sondern es sei eine realistische Chance für eine Vereinbarung mit Ägypten. Die haben mich für total plemplem gehalten.

Beatrice Dernbach: Können Sie noch nachvollziehen, wie der Saarländische Rundfunk ausgerechnet auf Sie gekommen ist?

Michael Wolffsohn: Ja, das war nun im kleinen Saarland, in Saarbrücken, ein Mini-Sender. Keine Ahnung, das spricht sich rum. Ich war Assistent an der Uni, und dann riefen die an und sagten, so und so. Vielleicht täusche ich mich. Es kann genauso sein, weil ich immer diese journalistische Ader hatte, dass ich von mir aus Kontakt zu den politischen Redaktionen geknüpft habe. Ich kann es Ihnen beim besten Willen nicht beantworten, weil ich hier präsenile Gedächtnislücken habe. Ich hatte einen Artikel geschrieben im Europa-Archiv, das damals sicherlich noch wichtiger war als Zeitschrift für die Analyse tagespolitischer Entwicklungen in wissenschaftlicher Perspektive. Ich habe diese Wahl kommentiert und analysiert, auch in der Politischen Vierteljahresschrift. Nach dem Aufsatz im Europa-Archiv, und das weiß ich nun definitiv, habe ich ganz dreist dem Dieter Kronzucker den Aufsatz mit einem Begleitbrief geschickt. Damals hob er das heute-journal gerade aus der Taufe. Ich schrieb, dass ich von Israel was verstünde, Israel sei doch jetzt in aller Munde und nicht alle Münder seien so informiert von Gehirn und Wissen aus, und bei Bedarf stünde ich gerne zur Verfügung. Eines Nachmittages klingelte in meinem Uni-Büro das Telefon: "Guten Tag, hier Dieter Kronzucker. Ich hab’ Ihren Brief und Ihren Aufsatz gelesen. Gefällt mir, ich melde mich, sobald irgendetwas ist.“ Da hatte Dieter Kronzucker den Mut, ins kalte Wasser zu springen, denn ich war ein absoluter Nobody. Aber ich war selbstsicher genug, dass ich vom Thema etwas verstünde. So bin ich dann medial bekannt geworden. Für mich war es immer entsprechend meinem wissenschaftlichen Verständnis – wohl wissend, dass ich damit dem Stallgeruch und den Erwartungen von Akademikern nicht genügte. Der deutschen Akademiker. Denn meistens, wenn Wissenschaftler in die Medien gehen, wird die Nase gerümpft, und da macht man sich billig. Der Meinung war ich nie. Ich bin immer der Meinung gewesen, bis heute, dass wir auch als Wissenschaftler eine Verpflichtung haben, unsere Kenntnisse der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, schon aus Verantwortlichkeit, auch aus der Kritik an Medien heraus und aufgrund unserer Kompetenz. Das ist ganz klar. Ein Journalist, der heute über den Transport von Pelikanen, Pinguinen und Gynäkologenkongressen schreiben muss und dann über Nahost analysieren, das geht nicht. Insofern habe ich eine Erwartungshaltung in Bezug auf einen seriösen Journalismus. Damals, jung und naiv, hat es mich auch gekitzelt, in der Öffentlichkeit zu sein. Ich fand dieses akademisch dünkelhafte Igitt igitt den Medien gegenüber nie nachvollziehbar Da bin ich sehr geprägt vom angelsächsischen Modell, wo die Grenzziehung zwischen Wissenschaft und Medien bekanntlich längst nicht so streng ist wie hier. Auch in Israel gingen viele der Professoren – damals war ich ja noch keiner – mit der größten Selbstverständlichkeit in die Öffentlichkeit, also profiteri, Professor wörtlich nehmend, und da ist es eigentlich ein traditionelles Selbstverständnis. Dieses dünkelhafte Ich-bin-mir-zu-gut-und-zu-klug-für-die-Öffentlichkeit, das entsprach nie meinem Selbstverständnis. Heute sehe ich das In-die-Medien-gehen anders: vom Inhaltlichen her ja, vom Selbstwertgefühl und der Notwendigkeit und dem persönlichen Gekitzeltsein überhaupt nicht mehr. Es ist eher eine Last als eine Lust.

Zum vollständigen Interview mit Michael Wolffsohn

Serie "Wissenschaftler in den Medien"

Teil 1: Interview mit Mark Benecke
Teil 3: Interview mit Christian Pfeiffer
Teil 4: Interview mit Siegfried Weischenberg

print
DRUCKEN

Die Hintergründe zu diesem Inhalt