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26.01.2022 | Metalle | Schwerpunkt | Online-Artikel

Klimaneutraler Stahl und der steinige Weg zur Direktreduktion

verfasst von: Thomas Siebel

4 Min. Lesedauer

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Die Erzeugung von klimaneutralem Stahl erfordert große Mengen an grünem Wasserstoff und erneuerbaren Energien. Eine weitere Herausforderung ist die Integration von Direktreduktionsanlagen in bestehende Prozesse.

Die deutsche Industrie befindet sich in der größten Transformation der Nachkriegsgeschichte. Und mittendrin: die Stahlindustrie als wichtiger Zulieferer für den Maschinen- und Fahrzeugbau. Knapp ein Viertel der Industrietreibhausgase in Deutschland entstammen der Metallerzeugung. Allein das Thyssenkrupp-Stahlwerk in Duisburg verursacht rund 2,5 % der gesamtdeutschen CO2-Emissionen. Auf dem Weg zu einem treibhausgasneutralen Deutschland im Jahr 2045 steht die Stahlindustrie mit ihren 87.000 direkt Beschäftigten vor einer besonders schwierigen Aufgabe: Sie muss sich von der Stahlerzeugung im Hochofen verabschieden.

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Wasserstoff: Hoffnungsträger für eine klimaneutrale Stahlproduktion

Der Werkstoff Stahl ist aus vielen Technologien und Produkten nicht wegzudenken und vielseitig anwendbar: von Autokarosserien und Waschmaschinen über Brücken und Lebensmitteldosen bis zu Windkraftanlagen und Elektromotoren. Gleichzeitig wird durch die Herstellung von Stahl eine große Menge an CO 2 ausgestoßen. 

Die Erzeugung von Primärstahl in Deutschland muss stattdessen vollständig auf wasserstoffbetriebene Direktreduktionsanlagen umgestellt werden ­– und zwar zügig. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bei der Boston Consulting Group (BCG) in Auftrag gegebene Studie. Bereits bis zum Jahr 2030 sei jeder dritte Hochofen durch Direktreduktionsanlagen zu ersetzen, um dann bereits ein Fünftel des Stahls in Deutschland klimaneutral erzeugen zu können. In einer vollständig klimaneutralen Industrie im Jahr 2045 müssten dann 55 % des produzierten Stahls aus Direktreduktionsanlagen stammen (Primärstahl), während die übrigen 45 % aus Stahlschrott erzeugt würden (Sekundärstahl). – Der Anteil der schrottbasierten Elektrostahlproduktion müsste damit gegenüber heute um die Hälfte zunehmen.

Druck bei der Einführung von Direktreduktionsanlagen

Direktreduktionsanlagen sind der Stahlindustrie nicht unbekannt, wie Marie Jaroni, Leiterin des Center of Decarbonization bei Thyssenkrupp, im Artikel Wasserstoff: Hoffnungsträger für eine klimaneutrale Stahlproduktion in der Zeitschrift Nachhaltige Industrie 1/21 erläutert. Insbesondere in Regionen mit kostengünstig verfügbarem Erdgas ist die Technik verbreitet, mit der im Jahr 2019 bereits etwa 100 Millionen t Eisen hergestellt wurden. In Deutschland betreibt der niederländische Hersteller ArcelorMittal eine Direktreduktionsanlage an seinem Hamburger Standort.

Die Herausforderung für die ansonsten auf die Hochofenroute ausgerichtete deutsche Stahlindustrie ist es aber, Direktinduktionsanlagen in die bestehende Infrastruktur von Stahlwerken und Weiterverarbeitungsprozessen zu integrieren; und die ist auf die Verarbeitung von flüssigem Roheisen angepasst, wie es der Hochofen erzeugt. Damit Stahlunternehmen also ihre seit Jahrzehnten optimierten Prozesse für die Erzeugung einer breiten Palette und hochwertiger Stahlgüten weiternutzen können, muss der Austausch von Hochöfen durch Direktreduktionsanlagen möglichst nahtlos gelingen, wie Thyssenkrupp-CTO Arnd Köfler im Interview mit Springer Professional erläutert.

Stahlschwamm in bestehender Infrastruktur nutzen

Erschwert wird dies allerdings dadurch, dass Direktinduktionsanlagen festes Eisen erzeugen. Dieser sogenannte Eisenschwamm muss vor der Weiterverarbeitung verflüssigt werden, beispielsweise mithilfe eines zusätzlichen Elektrolichtbogenofens. Für die Stahlerzeuger ist dies eine knifflige Aufgabe. Gemeinsam mit Anlagenbauern entwickelt Thyssenkrupp derzeit ein Einschmelzaggregat, das mit der Direktinduktionsanlage verbunden wird und den gerade erzeugten Eisenschwamm mit regenerativ erzeugtem Strom schmelzen soll.

Die Restemissionen aus dem Prozess sollen dann mithilfe von Carbon Capture and Utilization(CCU)-Technologien zu Basischemikalien weiterverarbeitet werden, die in der Produktion von Dünger, Treibstoff oder Kunststoff fossile Rohstoffe ersetzen.

20 % weniger Emissionen im Hochofen

Bis Mitte der 2020er-Jahre will Thyssenkrupp, ähnlich wie der zweitgrößte deutsche Stahlproduzent Salzgitter, eine erste und bis 2030 eine weitere Direktreduktionsanlage in Betrieb nehmen. Bis 2050 soll der Standort in Duisburg, der heute vier Hochöfen umfasst, dann schrittweise auf eine klimaneutrale Produktion umgestellt werden.

Um bereits kurzfristig etwas umweltverträglicher zu produzieren, spritzt der Stahlhersteller Wasserstoff anstelle von Einblaskohle in den Hochofen ein, wodurch sich bis zu 20 % der CO2-Emissionen einsparen lassen. Sollte nach Fertigstellung der ersten Direktreduktionsanlagen noch nicht ausreichend grüner Wasserstoff verfügbar sein, würde sie übergangsweise mit Erdgas betrieben. Gegenüber der Hochofenroute würden damit immerhin auch schon zwei Drittel der Emissionen eingespart.

Grüner Strom und Wasserstoff als knappes Gut

Dass sowohl grüner Wasserstoff als auch Strom aus erneuerbaren Energien knapp werden könnten, ist bereits heute absehbar. Bis zum Jahr 2045 dürften in Deutschland laut der BDI-Studie etwa 1.100 TWh an erneuerbarem Strom erzeugt werden. Demgegenüber steht laut Wirtschaftsvereinigung Stahl ein Bedarf von 130 TWh allein für die CO2-arme Stahlerzeugung, wovon ein Großteil auf die Wasserstoffelektrolyse entfallen wird.

Ähnlich sieht es beim Wasserstoffbedarf aus. Die Nationalen Wasserstoffstrategie verspricht bis 2030 Erzeugungskapazitäten von bis zu 14 TWh, die bis spätestens 2040 noch einmal verdoppelt werden sollen. Für die allein in der Stahlindustrie bis 2030 benötigten 600.000 t an grünem Wasserstoff reicht dies nach Einschätzung der Wirtschaftsvereinigung Stahl bei Weitem nicht aus.

Als Ausweg bleibt Stahlerzeugern damit der übergangsweise Einsatz von Erdgas in Direktreduktionsanlagen und, so sieht es auch die Nationale Wasserstoffstrategie vor, der Import des überwiegenden Teils des benötigten Wasserstoffs.

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