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2020 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Methodik

verfasst von : Henrike Wehrkamp

Erschienen in: Leadership: Eine Frage der Persönlichkeit?

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Nachfolgend werden die methodischen Grundlagen der Arbeit besprochen. Ausführlich thematisiert werden dabei die Herausforderungen qualitativer Leadership-Forschung, dem „academic equivalent of ‘shooting at a moving target’“ (Mushaben 2016: 20, Greenstein 1992). Diese Untersuchung ist als vergleichende Fallstudie angelegt und widmet sich mit Kanzlerin Merkel sowohl einem „crucial case“ der persönlichkeitsbezogenen Forschung als auch einem bislang unterforschten und besonders interessanten Untersuchungssubjekt.

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Fußnoten
1
Wenngleich diese Forschung zu validen und interessanten Ergebnissen kommt, besteht ihr konzeptionelles Problem im Ausschluss von Drittvariablen. Beleuchtet mensch derart abstrakte Konzepte wie die Konfliktorientierung eines Landes, ist diese neben der Führungsperson von einer Vielzahl weiterer Determinanten abhängig. Die individuelle „Handschrift“ des Leader wird von anderen Faktoren überlagert (Elgie 2015: 51, Kaarbo 1997).
 
2
Im Hinblick auf die Fallauswahl und die Generalisierbarkeit qualitativ-vergleichender Analysen ist zudem die „synthetic control method“ einschlägig (Abadie et al. 2015).
 
3
Wenngleich ein solches Design konzeptionell elegant erscheint, erwecken insbesondere sehr lange Zeitspannen Zweifel an der Validität des Vergleichs. Wenn Brummer (2016) der Frage nachgeht, ob außenpolitische Fehlschläge britischer Premierminister mit ihrer Persönlichkeit zusammenhängen, impliziert er, dass es keinen Unterschied macht, ob deren Regierungszeit in die 1930er Jahre (Chamberlain) oder 1990er Jahre (Blair) fällt. Unmittelbar fraglich ist, ob der wesentlich unterschiedliche zeithistorische und gesellschaftliche Kontext und damit einhergehende Erwartungen an politische Führung derart ignoriert werden dürfen.
 
4
Schwieriger zu lösende Interpretationsprobleme ergeben sich bei ähnlichem beobachtbaren Führungshandeln, weil dann nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann, ob im konkreten Fall die Führungspersönlichkeit oder der institutionelle Rahmen größeren Einfluss auf dieses Handeln hat.
 
5
Dass Krisen entgegen der langläufigen Vermutung bisweilen auch machtstabilisierende Effekte haben, belegen Boin und Kollegen mit einem länderübergreifenden Vergleich von Naturkatastrophen sowie terroristischen Anschlägen (2009: 92 f.).
 
6
In einer jüngeren Untersuchung weisen die beiden Autoren über kurzfristiges incumbent punishment hinausgehende, grundlegende Verschiebungen der politischen Arithmetik dieser Länder nach „[in which] the longevity of the governments formed could no longer be assumed“ (2016: 403).
 
7
Premierminister Ansip scheidet als Untersuchungssubjekt aus, da in seine Amtszeiten im Gegensatz zu Kanzlerin Merkel keine wesentlich unterschiedlichen Krisen fallen. Des Weiteren sind der deutsch- und englischsprachige Forschungsstand und damit der empirische Zugang unzureichend.
 
8
Auch die COVID-19-Pandemie in Merkels vierter Amtszeit stellt eine solche Ausnahmesituation dar. Es liegt eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit vor, der mit drastischen Maßnahmen und erheblichen Grundrechtseinschränkungen begegnet wird (Klafki 2020). Durch den exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen besteht akuter Handlungsdruck. Die Unsicherheit in Bezug auf den adäquaten Umgang mit der Krise ist groß, wie sich z. B. an den widersprüchlichen Regierungsaussagen zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes ablesen lässt (Mair 2020). Bei Abgabe dieser Arbeit ist diese Krise in vollem Gange. Das Krisen-Leadership der Kanzlerin kann daher noch nicht systematisch ausgewertet bzw. abschließend beurteilt werden. Erste Beobachtungen legen gleichwohl nahe, dass ihre Führungspersönlichkeit in dieser Krise von Bedeutung ist (Abschn. 6.​2).
 
9
Im Sinne des Plädoyers gegen eine ausufernde Krisendefinition (Abschn. 3.​2.​1) ist die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 aus Sicht dieser Arbeit keine Krise. So können zwar auch immaterielle Güter, wie das atomkraftbezogene Sicherheitsgefühl, durch eine Krise bedroht sein, gleichsam war diese Bedrohungslage im Vergleich zur Finanz-, Währungs- und Migrationskrise weitaus abstrakter und indirekter. Eine unmittelbare Betroffenheit lag mithin nicht vor: So bestimmte die Atompolitik die politische Agenda nur kurzfristig, wurde schnell von anderen Themen überlagert und nicht als wichtigstes politisches Problem wahrgenommen (Politbarometer 2020a).
 
10
Merkels zweite Regierung wies zudem eine überdurchschnittliche Zahl von Rücktritten auf (Abschn. 5.​2.​1). Diese erschwerten die Regierungsarbeit, konstituierten aber keine politische Ausnahmesituation (vgl. Körösenyi 2013: 13 ff.).
 
11
Die Währungskrise wird in der politischen Diskussion häufig als „(Staats-)Schuldenkrise“ adressiert – schließlich ist dies der Ansatzpunkt der Rettungspakete. Damit einher geht die Vorstellung, dass die Verschuldung der öffentlichen Hand Kern des Problems ist, dem mit Austeritätspolitik zu begegnen sei. Systemische Probleme der Währungsunion sowie alternative Wege aus der Krise wurden so rhetorisch unterschlagen „[b]ut this is merely a convenient myth […]. What appears as a sovereign debt crisis is actually a crisis of the European financial system“ (Hall 2012: 365). Pühringer spricht in diesem Zusammenhang von einer „Moralisierung der Debatte […], die „Schulden-Machen“ per se ins Zentrum der Kritik rückte“ (2015: 1, Schieritz 2012). Die „Stabilitätsunion“ und die strengen Sparauflagen wurden als politisch-moralischer Imperativ dargestellt. Das Narrativ der „northern saints and southern sinners“ (Matthijs/Mc Namara 2015) wurde politisch und medial aufgegriffen und reproduziert. Um diese (ordnungs-)politische Deutung nicht unhinterfragt zu übernehmen, wird in dieser Arbeit der unbelastete Begriff der „Währungskrise“ verwendet.
 
12
Wenngleich die Währungskrise in Meinungsumfragen als eines der dringendsten Probleme eingestuft wurde, entfaltete sie im Vergleich zur Migrationskrise nicht dieselbe Dramatik, Salienz und Agenda-Dominanz (Engler et al. 2019). Dies liegt, wie Hübner (2012) ausführt, daran, dass das „Krisengefühl“ abstrakter war. Die Währungskrise wurde eher als „crisis of others“ wahrgenommen, obschon sie als bedrohlich für Staatsfinanzen und Wohlstand angesehen wurde (ebd.: 162, 165).
 
13
Wobei nicht zu bestreiten ist, dass die wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Währungsunion fortbestehen. So mahnen Copelovitch und KollegInnen: „[T]he short-term panic has subsided once again, serious questions remain about both the management and resolution of the ongoing crisis and the future of the monetary union itself“ (2016: 817).
 
14
Diese Arbeit folgt einer konstruktivistisch geprägten Wirklichkeitsanschauung und ist dementsprechend sensibilisiert für den Bedeutungsgehalt von Sprache im Wittgenstein'schen Sinne. Debatten um „Flüchtlinge“ unterliegen in besonderem Maße emotionaler und polarisierender Aufladung (Wehling 2016, Bozay 2019). Vor diesem Hintergrund verbietet sich ein unkritischer sprachlicher Umgang. Die gängige Bezeichnung der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse ab Sommer 2015 lautet „Flüchtlingskrise“. Dieser Begriff ist aus zwei Gründen abzulehnen. So resultieren die mit dem erhöhten Zuzug einhergehenden Probleme nicht nur aus der Zuwanderung selbst. Vielmehr sind Verwaltungskapazitäten seit Jahren massiv zurückgefahren worden (Götz et al. 2016). So konnte die akute (Über)-Auslastung nicht aufgefangen werden. Der Begriff ist also mindestens unscharf, geht es doch um eine Krise politischer Steuerung. Schwerer wiegt allerdings, dass der Begriff aus sprachwissenschaftlicher Perspektive problematisch ist. Der Suffix „-ling“ ist negativ konnotiert. Er schreibt Geflüchteten zudem „homogen das Phänomen einer „Krisengruppe“ zu“ (Bozay/Mangitay 2019: 180, Karakayali 2018: 606 f.). Schon 1943 schrieb Hannah Arendt: „Vor allem mögen wir es nicht, wenn man uns ‚Flüchtlinge‘ nennt. Wir selbst bezeichnen uns als ‚Neuankömmlinge‘ oder als ‚Einwanderer‘“ (2018). Arendt verweist auf die dem Begriff Flüchtling inhärente Passivität und Handlungsunfähigkeit. Entsprechend sensibilisierte AutorInnen sprechen daher von „Flüchtlingskrise“ in Anführungszeichen (Hemmelmann/Wegner 2016, Klemm 2016, Bozay 2019, Weigl 2017) oder der „sogenannten Flüchtlingskrise“ (Greck 2018). Wie Vowe ausführt, kann es keine neutrale Formulierung geben, denn „[j]eder bedient sich aus der Kommunikation mit seines- oder ihresgleichen“ (2016: 434). In dem Versuch zwar keine neutralen, aber zumindest keine negativ konnotierten Begriffe zu verwenden, spricht diese Arbeit von „Migrationskrise“ sowie von MigrantInnen oder Geflüchteten.
 
15
Die Antragszahlen stellen aus unterschiedlichen Gründen nur einen Bruchteil der Zuwanderung dar. Die Behörden waren zwischenzeitlich mit der Registrierung und Antragsbearbeitung massiv überfordert. Die Erfassung ist demnach zwangsläufig unvollständig. So ging das Innenministerium unter Berufung auf das „EASY-System“ zur Verteilung von AntragsstellerInnen auf die Bundesländer von einer Zahl von 1.1 Mio. aus (2016d). Hierbei handelt es sich um eine Schätzgröße, da z. B. nicht jede und jeder Geflüchtete einen solchen Antrag stellt. Außerdem reisen Geflüchtete ggf. in ein anderes EU-Land weiter. Schätzungen von PolitikerInnen und Behörden gehen von mehr als 1.5 Mio. Geflüchteten aus.
 
16
Alle drei Krisen haben einen deutlich längeren Vorlauf und können nicht als abgeschlossen gelten. Die Migrationskrise hat zu einer erheblichen Polarisierung, Politisierung und mit dem Einzug der AfD in Bundestag und Landtage zu einer kurzfristig unumkehrbaren Veränderung von Parteiensystemen Koalitionsoptionen und Debattenkultur geführt. Die Diskurse und Entscheidungen der Migrationspolitik bestimmen die Innenpolitik weit über die eigentliche Krise hinaus. Die symbolisch hochkarätige Tatsache, dass die Kanzlerin aufgrund ungelöster migrationspolitischer Dissense 2017 nicht am CSU-Parteitag teilnahm (o. V. 2017), verdeutlicht dies. Mit Blick auf die Währungskrise sind die entsprechenden Hilfsprogramme inzwischen ausgelaufen (o. V. 2018a). Gleichwohl sind die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise weiterhin präsent. Gleiches gilt für die Auswirkungen der Finanzkrise. Beginn und Ende der Krisen sind folglich analytische Setzungen: Die vorgenommene zeitliche Eingrenzung ergibt sich aus der Krisendefinition (Abschn. 3.​2.​1.​1).
 
17
Noch weiter geht Mushaben (2017b: 250 ff.), die der Kanzlerin nicht nur in der Währungs- und Migrationskrise, sondern auch im Umgang mit der Russland-Ukraine-Konfrontation sowie in Bezug auf die energiepolitische Kurswende im Zuge der japanischen Reaktorkatastrophe, wertegeleitetes Führungshandeln unterstellt.
 
18
Bezogen auf die Währungskrise interessieren sich ForscherInnen zumeist für die (ordoliberale) Verhandlungsführung, die Rolle Deutschlands in der EU sowie demokratietheoretische Fragen der Rettungspolitiken (Crespy/Schmidt 2014, Hillebrand 2015, Matthjis 2016, Schoeller et al. 2017, Price-Thomas/Turnbull 2018, Pottier/Delette 2019, EUP 2019, Hübner 2012, Beichelt 2015, Schoeller 2017, Wimmel 2016). Fragen nach einem migrationspolitischen policy change, parteipolitischen Positionierungen und Konflikten, der kommunikativen und medialen Dimension der Krise sowie den Herausforderungen der Regierungs- und Verwaltungstätigkeit dominieren die Literatur zur Migrationskrise (Laubenthal 2017, Reiners/Tekin 2019, Engler et al. 2019, König 2016, Niedermayer 2016, Wendler 2019; Arslan/Bozay 2019, Haller 2017, Klemm 2016, Greck 2018, Bieber et al. 2017, Bogumil et al. 2019, Saalfeld et al. 2019).
 
19
Wenngleich Helms die Erklärung in dieser Untersuchung nicht bei der Person und den Überzeugungen der Kanzlerin verortet, sondern als „reflect[ing] Germany’s resource crunch at home“ versteht (2011: 99).
 
20
Bekanntermaßen sind die nationale und die europäische Ebene eng verknüpft (Putnam 1988, siehe zur Währungskrise: Bellamy/Weale 2015, siehe zur Migrationskrise: Krumm 2016). Die europäische Politik beeinflusst den nationalen Diskurs und Handlungsrahmen faktisch und häufig auch als argumentatives Feigenblatt. Führungspersonen adressieren auf EU-Ebene „simultaneously the other European decision makers and their own constituencies“ (Crespy/Schmidt 2014: 1085). Wie die AutorInnen anhand der Währungskrise nachzeichnen, spiegeln sich in umgekehrter Logik auch nationale Zwänge in den Argumentationsmustern und Politiken auf europäischer Ebene: Während Merkel mit Blick auf ihre WählerInnenschaft und ParteikollegInnen ordoliberal mit Stabilität und Konditionalität argumentiert (van Esch 2014, Schäfer 2016), legitimiert Frankreichs Präsident Sarkozy die europäischen Rettungsmaßnahmen als Akt solidarischen Beistands.
 
21
Das Bündnis aus Konservativen und Liberalen erwies sich allerdings keineswegs als inhaltlicher oder atmosphärischer Selbstläufer. Besonders die FDP hatte im Laufe der Legislatur mit einer Personal- und Umfragekrise zu kämpfen. Auch die CSU war durch den Verlust der bayerischen Alleinregierung geschwächt (Abschn. 5.​3.​1).
 
22
Wobei fraglich erscheint, ob sich Sprechhandlungen überhaupt sinnvoll von anderen Handlungen unterscheiden lassen, da jede politische Handlung – im Gegensatz zum Verhalten, d. h. der Körperhaltung, Gestik und Mimik einer Person – sprachlich vermittelt wird. Wie Arendt feststellt, ist die „prinzipielle Scheidung von Reden und Handeln nicht statthaft“, denn „[r]eden [müsse] selbst als eine Art Handeln“ begriffen werden (1993: 48; Sarcinelli 2013: 93).
 
23
Die Co-Variational Analysis bzw. fallvergleichende Kausalanalyse ist die dritte Option zur Durchführung von Fallstudien (Blatter 2012, Blatter/Haverland 2012, Blatter et al. 2018). Diese Methode fragt danach, ob eine bestimmte Variable für das outcome of interest einen Unterschied macht. Sie ist im Gegensatz zu Prozess- und Kongruenzanalysen darauf angewiesen, dass mehrere Fälle mit unterschiedlicher Ausprägung dieser Variable zur Verfügung stehen. Da diese Voraussetzung in dieser Arbeit nicht erfüllt werden kann, wird die Methode nicht weiter thematisiert.
 
24
Wenngleich ontologische und epistemologische Unterschiede der Prozess- und Kongruenzanalyse hier zum Zweck der Gegenüberstellung besonders betont werden, bestehen weitreichende Ähnlichkeiten in Bezug auf die Datenerhebung und Durchführung. Folglich können beide Methoden sinnvoll kombiniert werden (George/Bennett 2005: 181 ff.).
 
25
Die Methodendiskussion innerhalb der qualitativen LTA-Forschung ist unterentwickelt. Abgesehen von Backhaus und Stahl (2015), die explizit eine Kongruenzanalyse vornehmen, beschränkt sich die übrige Forschung darauf, ihr Vorgehen als qualitativ zu bezeichnen, ohne dabei das konkrete methodische Vorgehen näher zu spezifizieren.
 
26
Schlussendlich sprechen aus Sicht dieser Arbeit auch die empirischen Anforderungen gegen eine Prozessanalyse zur Prüfung der LTA-Handlungserwartungen, denn diese erfordert „enormous amounts of information“ (George/Bennett 2005: 223). Nicht umsonst beziehen sich viele (gute) Prozessanalysen auf lange, weit in der Vergangenheit liegende Untersuchungszeiträume. Anders sind die Ansprüche an eine Kongruenzanalyse, die im Gegensatz zu Prozessanalysen „not require[s] a great deal of data about the case being studied“ (ebd.: 223, 182). Für eine vergleichende Untersuchung, die sich nicht auf ExpertInneninterviews stützen kann, stellt diese Methode daher den besseren methodischen Angang dar.
 
27
Von untergeordneter Bedeutung ist hier das Handeln der Oppositionsparteien. Krisen sind die „Stunde der Exekutive“ (Lodge/Wegrich 2012: 2). Die Regierung und insbesondere die Kanzlerin sind verantwortlich für das Krisenmanagement. Die Regierung(schefin) hat durch ihre Teilnahme an europäischen Verhandlungen, die Zusammenarbeit mit der (Ministerial-)Verwaltung und ihre Personalressourcen große Informationsvorteile gegenüber der Opposition. Instrumente wie Anfragen, die diesem Defizit Abhilfe schaffen sollen, dienen angesichts der Entscheidungsgeschwindigkeit in Krisen vor allem der rückwirkenden Informationsbeschaffung und Öffentlichkeitsarbeit. Gerade in der Währungskrise sind die Defizite virulent: Zu jener Zeit ist jedes politische Statement dazu angetan, Kursschwankungen auf den Finanzmärkten zu provozieren. Das gezielte Zurückhalten von potentiell marktrelevanten, d. h. „gefährlichen“ Informationen ist Teil des Krisenmanagements (z. B. Sauga/Schult 2011: 64). Darüber hinaus befindet sich die Opposition in Krisen in einer strategisch schwierigen Position. Vermeintlich „überparteiliche“ Notsituationen bieten wenig Angriffsfläche für Kritik, sieht mensch sich doch schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, die Krise für parteipolitische Zwecke zu missbrauchen oder ihre Lösung zu behindern (Kiendl 2017, Hohl 2017, Währungskrise: Kietz 2013: 39 ff., Beichelt 2015: 787 f.).
 
28
Eine Ausnahme ist Dysons Analyse zum Krisen-Leadership von Premierminister Blair (2006). Diese basiert neben Primär- und Sekundärquellen auf Buchpublikationen von zwei ehemaligen Ministern, Berichten aus Untersuchungsausschüssen, einer Ausschussbefragung Blairs und geleakter Kommunikation zwischen Premierminister und Generalstaatsanwalt. Eine solch umfassende Empirie steht ForscherInnen normalerweise offensichtlich nicht zur Verfügung.
 
29
Gleichwohl ist bei der Verwendung dieser Quellen Vorsicht geboten: JournalistInnen suggerieren die persönliche Nähe zu und den intimen Einblick in das Denken und Handeln von SpitzenpolitikerInnen bisweilen. Solche Artikel stellen eine nur „gefühlte“ Nähe zu ihnen her und dar („auktorialer Schreibstil“, Haller 2017: 44 ff.). Bei allem gebotenen wissenschaftlichen Misstrauen sind journalistische Beobachtungen die bestmögliche empirische Annäherung an das Untersuchungssubjekt.
 
30
Da die Migrationskrise eine wesentliche regionale bzw. kommunale Dimension aufweist, findet hier vereinzelt auch die regionale Berichterstattung Eingang in die Prozessrekonstruktion.
 
31
Haller (2017) fragt in seiner Studie, ob der Vorwurf der einseitigen Berichterstattung in Bezug auf die Migrationskrise gerechtfertigt ist. Seine Auswertung von über 35.000 Medientexten weist schon einen beeindruckenden Umfang auf. Selbst er konstatiert allerdings, dass „eine Vollerhebung sämtlicher Medienberichte zu diesem Großthema vom Aufwand her nicht zu leisten“ ist (ebd.: 23).
 
32
Regierungserklärungen sind für die Leadership-Forschung besonders relevant. Sie entwerfen das Regierungsprogramm der kommenden Legislatur und sind damit ein für die Führungsperson probates Instrument, um eine politische Richtung vorzugeben (Korte 2002b, Stüwe 2002, Glaab 2017: 262 ff.).
 
33
Merkels Antworten in den Sommerpressekonferenzen wurden nicht für die LTA-Profile verwendet. Überschneidungen beider Datenkorpusse liegen nicht vor.
 
34
Sowohl bei der LTA als auch bei der Analyse des Krisen-Leadership wird auf Merkels Sprechhandlungen zurückgegriffen. Damit stellt sich das folgende Problem: „[I]sn’t it tautological, or at least an endogeneity problem […]?“, wie Walker und Schafer bezogen auf Operational Code Analysen rhetorisch fragen, um die Frage umgehend zu verneinen (2006: 45 f.): Der Ausweg, den die Autoren sowie die LTA-Forschung für dieses logische Dilemma bereithält, besteht darin „that […] the evidence that is used for the leadership style variables must be independent of the evidence used for the process, output, and outcome variables“ (Kaarbo 1997: 577, Greenstein 1992: 121, Backhaus/Stahl 2015: 146). Dieses Kriterium ist hier erfüllt. Die Antworten der Kanzlerin auf Pressefragen, die für die quantitative Analyse zur Messung der Führungspersönlichkeit herangezogen werden, finden keine Berücksichtigung in den qualitativen Fallstudien. Die Empirie der Fallstudien basiert wiederum nicht ausschließlich auf Sprechakten der Kanzlerin, sondern auch auf „event data“, Sekundärliteratur und medialer Berichterstattung. Nach Walker und Schafer gilt hierbei, dass „both conceptually and in practice, [Leadership Trait Analysis] code data are very different from event data“ (2006: 45), denn letztere Daten sind eine handlungsbezogene Größe. Idealerweise wären die Erhebungszeiträume der LTA-Messung zeitlich vollständig von den Untersuchungszeiträumen der Fallstudien zu trennen. Dies ist nicht möglich, wenn mensch – wie hier – krisenspezifische Profile anwendet, die zwingend während der Krisen erhoben werden müssen. Die Erhebungszeiträume der LTA gehen zeitlich aber weit (+1 Jahr) über die unmittelbare Krise hinaus. Zudem liegt mit dem dritten Profil, das zwei Legislaturen gesamthaft abdeckt, eine Referenz vor, die in ihren Ausprägungen nicht wesentlich von den Krisen-Profilen abweicht.
 
Metadaten
Titel
Methodik
verfasst von
Henrike Wehrkamp
Copyright-Jahr
2020
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32087-4_4