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2022 | Buch

Migration und Flucht

Wirtschaftliche Aspekte - regionale Hot Spots - Dynamiken - Lösungsansätze

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Über dieses Buch

Dieses Fachbuch ordnet die hochaktuelle Fluchtthematik in größere theoretische Zusammenhänge ein. Dabei werden die wichtigsten globalen Fluchtbewegungen und Migrationsrouten und regionale Hot Spots skizziert, und zwar aus europäischer und insbesondere aus schweizerischer Sicht. Für Migration und Flucht gibt es ökonomische Ursachen, aber auch Krieg, Gewalt und Naturkatastrophen führen dazu, dass eine wachsende Zahl von Menschen ihre Heimat verlässt. Neben Fragen des Überlebens sind oft auch der Wunsch nach einem besseren Leben die Motivation dazu. Im Gegensatz zu früheren Darstellungen der Migrationsforschung geht der Schweizer Autor Christian J. Jäggi nicht von linearen Migrationsverläufen, sondern von gleichzeitigen, bilokalen Lebensformen aus. Die ökonomischen Implikationen von Migration und Flucht sowohl für die Migranten als auch für die Herkunfts- und für die Einwanderungsländer werden dargestellt. Zudem werden internationale und globale Strategien und Lösungsansätze analysiert.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einführung: Migration in und nach der Corona-Pandemie
Zusammenfassung
Die Corona-Pandemie hat zu einem temporären Einbruch bei den Migrations- und Flüchtlingszahlen geführt – insbesondere durch die Grenzschliessungen und den zeitweisen Rückgang der Produktion in den Einwanderungsländern.
Christian J. Jäggi

Facts and Figures

Frontmatter
Kapitel 2. Globale Fluchtbewegungen und Migrationsrouten
Zusammenfassung
Der Begriff „Migration“ kommt vom Lateinischen „migrare“, also wandern. Unter Migration verstehen wir eine mehr oder weniger dauerhafte Verlegung des Wohn- und Lebensraums. Laut der International Organization for Migration (World Migration Report 2020 (German): Chapter 2. November 2020. https://​publications.​iom.​int/​books/​world-migration-report-2020-german-chapter-2, 2021) gab es Ende 2020 weltweit rund 272 Mio. Migrantinnen und Migranten, rund 3,5 % der Weltbevölkerung. Heute dürften es gegen 300 Mio. sein. Ende 2020 waren weltweit 82,4 Mio. Menschen vor Verfolgung, Konflikten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen auf der Flucht (vgl. UNO-Flüchtlingshilfe, Flüchtlingszahlen. https://​www.​uno-fluechtlingshilf​e.​de/​informieren/​fluechtlingszahl​en, 2021). Darunter waren 48 Mio. so genannte „displaced people“, also Personen, die innerhalb des eigenen Landes flüchten oder migrieren. Die Migrationsgründe sind vielfältig und werden von den verschiedenen Migrationstheorien unterschiedlich gewichtet. Migration und Flucht sind häufig eine Art „Risiko-Investition“ mit dem Ziel, die eigene Lebenssituation zu verbessern oder ganz einfach um zu überleben. Dabei werden die Kosten der Migration gerade von Migrierenden häufig unterschätzt. Von der Migration profitieren nicht nur viele wandernde Personen, sondern auch die Einwanderungs- und Auswanderungsländer. Aber die Migration führt auch zu negativen Auswirkungen, und zwar ebenfalls sowohl für das Einwanderungsland als auch für die Herkunftsregion. Migrationsgruppen sind in der Regel heterogen und uneinheitlich.
Christian J. Jäggi
Kapitel 3. Regionale Hot Spots
Zusammenfassung
In den einzelnen Weltregionen haben sich die Zahlen der Migrierenden und der Asylsuchenden sehr unterschiedlich entwickelt. Haupteinwanderungsgebiete für Arbeitsuchende sind nach wie vor Europa, die USA und die arabischen Staaten. Auswanderungsländer sind im Prinzip alle Staaten, deren Arbeitsmärkte die vielen Arbeitsuchenden nicht mehr aufnehmen können, oder Länder, die unter einem tiefen Lohnniveau leiden. Ein Teil der Migranten sind aber auch ganz einfach Menschen, welche ihre Lebenssituation oder ihr Einkommen verbessern wollen. Asylsuchende und Flüchtlinge konzentrieren sich auf der einen Seite auf die unmittelbar an Kriegsgebiete angrenzenden Staaten in Zentralasien, im Nahen Osten und in Ostafrika. Auf der anderen Seite suchen viele Asylsuchende und Flüchtlinge eine neue Heimat in west- und mitteleuropäischen Ländern, in den USA und auch in Australien und Neuseeland. Herkunftsländer der Flüchtlinge sind vor allem Kriegsgebiete, so genannte „failed states“ und Staaten, die unter Terrorismus leiden, aber auch Länder, die von Umweltzerstörung und Klimafolgen betroffen sind.
Christian J. Jäggi

Flucht- und Migrations-Gründe

Frontmatter
Kapitel 4. Der Wunsch nach einem besseren Leben
Zusammenfassung
Migration ist eine Überlebensstrategie, aber auch eine Strategie zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation. In der klassischen Migrationsforschung unterschied man zwischen Push- und Pull-Faktoren. Neuere, insbesondere ökonomische Migrationstheorien, stellen wirtschaftliche Faktoren ins Zentrum des Migrationsverständnisses. So etwa die Nachfrage nach Arbeitskräften, individuelle Nutzen-Überlegungen der Migrierenden, soziale oder mikroökonomische Aspekte, Wirkmechanismen der einzelnen Märkte und Wirtschaftsräume untereinander, soziale oder soziokulturelle Netzwerke oder institutionelle Strukturmechanismen. Doch auch fehlende oder schwache nationalstaatliche Strukturen, Kriege oder sich verschlechternde Lebensbedingungen, Gewaltmärkte und der Kampf um lokale Ressourcen können zu Migration führen. Eine wachsende Bedeutung für die internationale Migration hat der Klimawandel. Den Nutzen und die Kosten der Migration teilen sich alle Beteiligten: Aufnahme- wie Sendeländer profitieren von Migration, aber die Migration verursacht auch Kosten im Herkunfts- wie im Einwanderungsland. Auch die Migrierenden selbst und die einheimische Bevölkerung der Einwanderungs- und Auswanderungsländer profitieren, leiden aber auch unter negativen Auswirkungen.
Christian J. Jäggi

Transnationalität als Lebensform

Frontmatter
Kapitel 5. Multilokalität als Lebensform
Zusammenfassung
Jüngste Erkenntnisse der Migrationsforschung haben dazu geführt, die Migration nicht mehr als einmaligen, linearen Vorgang im Sinne eines Vorher und Nachher zu verstehen, sondern als Lebensform, die gleichzeitig mehr als einen regelmäßigen Wohn- und Lebensort beinhaltet. Angehörige der gleichen Migrationsfamilien leben gleichzeitig an mehreren Orten – im Herkunftsland und im Einwanderungsland. Migration zeigt sich nicht nur in multilokalen Lebensformen, häufig ist mit dieser transnationalen Lebensweise auch ein transprofessionaler Berufsalltag verknüpft. Allerdings trifft dies längst nicht für alle Migrantinnen und Migranten zu – es gibt ebenfalls noch die klassische Migration als zeitlich versetzten und mehr oder weniger einmaligen Wechsel des Lebensortes. Dies gilt vor allem für wenig qualifizierte Arbeitsmigranten.
Christian J. Jäggi
Kapitel 6. Integration und Partizipation
Zusammenfassung
In jeder Gesellschaft gibt es integrative – zusammenführende – und desintegrative – zentrifugale – Tendenzen. Es liegt im Interesse der Gesellschaft und des Staates, die Integration aller im Land lebenden Bevölkerungsgruppen zu stärken, auch die der Immigranten und der Flüchtlinge. Weder Separation, Marginalisierung noch Assimilation ausländischer Bevölkerungsgruppen können heute als gangbare Lösungen angesehen werden. Demgegenüber kann Integration – verstanden als „offene[r] und instabile[r] Prozess des Aushandelns von Bedeutungen“ (Wimmer 2015, S. 35) – als gangbarer und langfristig erfolgversprechender Weg für das Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen verstanden werden. Integration kann anhand dreier Indikatoren gemessen werden: Erstens an der vertikalen Integration – also der Verteilung über die soziale Schichtskala –, zweitens an der horizontalen Integration – also dem Aufbau eigener und gruppenspezifischer Netzwerke, Institutionen und Dienstleistungen – und drittens an der Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung. Im Sinne des „Haager Programms“ der EU kann Integration verstanden werden als fortgesetzter, wechselseitiger Aushandlungs- und Institutionalisierungsprozess aller im Land wohnhaften Bevölkerungsgruppen auf der Grundlage der Grundwerte des säkularen Staates, welcher die Partizipation und Teilnahme am interkulturellen Dialog einschließt. Das bedeutet in der Konsequenz auch ein umfassendes Stimm- und Wahlrecht für alle Menschen, also auch für alle Ausländerinnen und Ausländer.
Christian J. Jäggi

Lösungsansätze

Frontmatter
Kapitel 7. Nationale Lösungen greifen zu kurz – für globale Lösungsansätze
Zusammenfassung
Aus dem neuen transnationalen Verständnis von Migration ergibt sich, dass die Migrationsthematik weder nur aus der Sicht der Migrierenden noch einzig aus der Sicht der Aufnahmegesellschaft angegangen werden kann. Damit greifen alle eindimensionalen Lösungsvorschläge zu kurz, auch der Versuch, die „Ausländerproblematik“ über eine vereinfachte Einbürgerung lösen zu wollen. Auch das Ein-Nationalitätenkonzept – etwa im Sinne einer Einbürgerung im Einwanderungsland unter gleichzeitigem Verzicht auf das Bürgerrecht im Herkunftsland ebenso wie eine verstärkte Abschottung des Einwanderungslandes – ist keine Lösung. Das zeigt sich besonders auch am Beispiel der illegalen Einwanderung. Wanderungsbewegungen sind eher die Regel als die Ausnahme. Dabei ist nicht entscheidend, ob es sich um eine Flucht aus politischen oder anderen Gründen handelt oder um die Suche nach einem (besseren) Arbeitsplatz. Ein wichtiger Migrationsgrund sind die weltweit sehr ungleichen Lohnniveaus, auch wenn sich die Löhne in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eher angleichen dürften. Allgemein gilt: Je geringer die Qualifikation der ausländischen Arbeitnehmer und je schlechter ihr Aufenthaltsstatus ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie arbeitslos oder gar sozialhilfeabhängig werden. Dem kann längerfristig nur eine Öffnung der nationalen Arbeitsmärkte und eine Gleichstellung inländischer und ausländischer Arbeitnehmer in allen Bereichen abhelfen – also bei der Stellensuche, bei der freien Wahl des Wohnorts, bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und in Bezug auf das Stimm- und Wahlrecht. Voraussetzung dafür ist die Einführung eines weltweiten Menschenrechts auf Migration und auf freie Niederlassung, das nicht durch nationale Restriktionen eingeschränkt werden darf. Hand in Hand mit der Öffnung und Harmonisierung der nationalen Arbeitsmärkte müssten weltweite Mindestlöhne eingeführt werden, um die Entstehung oder Ausweitung des Tiefstlohnsegments zu verhindern. Parallel dazu sollten alle Staaten, welche in anderen Ländern Kriege führen oder unterstützen, oder die davon zum Beispiel durch den Verkauf von Waffen profitieren, verpflichtet werden, einen angemessenen Beitrag an die von ihnen mit verursachten Schäden zu leisten, etwa durch die Aufnahme eines angemessenen Teils der Flüchtlinge. Gleichzeitig sollte die materielle und immaterielle Existenzsicherung in allen Ländern, besonders auch in Krisen- und Kriegsländern, sukzessive auf- und ausgebaut werden. Kurzfristig sollten auch alle betroffenen Länder stärker im Bereich der Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen zusammenarbeiten. Der Zusammenhang von Migration, Sicherheit und Kriminalität ist und bleibt umstritten. Auf der einen Seite werden etwa in der Schweiz Ausländer von den Gerichten häufiger verurteilt als Schweizer, auf der anderen Seite ist ein Teil der Delikte von Ausländern statusbedingt – so kann ein Schweizer gar nicht gegen das Ausländergesetz verstoßen. Dazu kommt das Problem der einseitigen Wahrnehmung und der Vorurteile. Es scheint, dass die Integrationssituation die Kriminalität beeinflusst. Auch restriktive Ausländer- und Asylgesetzgebungen beeinflussen die Kriminalitätsrate. Auch in Bezug auf die Terrorismusfrage drängt sich eine intensivere Zusammenarbeit aller Zielländer der Flüchtlinge auf. Als Antwort auf die globalen und länderübergreifenden Probleme und besonders auch der Migrations- und Fluchtproblematik sind die unterschiedlichsten überstaatlichen und weltweiten Lösungsvorschläge für die Friedenssicherung gemacht worden. Aufgrund der intensiven Verflechtung der Nationalstaaten und auch infolge der immer noch zunehmenden Globalisierung haben namhafte Wissenschaftler, Politiker und Philosophen in den letzten Jahren wieder verstärkt die Idee eines Weltstaats in die Diskussion gebracht. Die Weltstaatidee geht weit über das Konzept der Global Governance im Sinne einer freiwilligen Zusammenarbeit internationaler Akteure hinaus und wird auch kontrovers diskutiert. Gerade angesichts der Flucht- und Migrationsproblematik und der Schwierigkeiten der Nationalstaaten, Migrations- und Fluchtbewegungen zu steuern, erhält das Konzept eines demokratischen Weltstaates eine neue und brisante Aktualität.
Christian J. Jäggi
Kapitel 8. Fazit und Ausblick
Zusammenfassung
Ganz im Gegensatz zu aktuellen migrationspolitischen Bestrebungen zur Schließung der Grenzen und zu rein nationalstaatlichen Lösungen kann die Migrationsfrage nur sinnvoll angegangen werden, wenn die Migration als globale oder mindestens überregionale Erscheinung verstanden wird.
Christian J. Jäggi
Metadaten
Titel
Migration und Flucht
verfasst von
Dr. Christian J. Jäggi
Copyright-Jahr
2022
Electronic ISBN
978-3-658-37051-0
Print ISBN
978-3-658-37050-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37051-0