Bei der Analyse des Themenfeldes dieses Beitrags sind zwei grundlegende Betrachtungsweisen des Verhältnisses von Militär und Krieg auf der einen Seite und der Ökonomie auf der anderen Seite zu unterscheiden: Erstens können ökonomische Faktoren, wie beispielsweise Nahrungsmittelknappheit, der Kampf um Ressourcen und Rohstoffe oder der Zugang zu Absatzmärkten, Auslöser für die Entstehung und Persistenz von kriegerischen Auseinandersetzungen sein. In diesem Fall leisten ökonomische Erklärungsfaktoren einen Beitrag zur politikwissenschaftlichen und soziologischen Konflikt- und Kriegsursachenforschung sowie zu der Frage, wie Kriege wiederum die ökonomische Verfasstheit der an ihnen beteiligten Akteure und Gesellschaften beeinflussen. Davon zu unterscheiden ist zweitens das Forschungsprogramm der Wirtschaftswissenschaften im engeren Sinne, die mit ihren Theorien, ihrem Instrumentarium und ihrem Begriffsinventar die Phänomene Militär und Krieg zu analysieren versuchen. In diese beiden grundlegende Betrachtungsweisen führt dieser Text ein.
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V. a. die ökonomischen Grundkonstellationen des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) geben den Analyserahmen und die Vergleichsfolie für die Neuen Kriege zu Beginn des 21. Jahrhunderts ab (Münkler 2002: 75 ff.). Herfried Münkler sieht auffällige Parallelen zwischen der ökonomischen Logik des Söldnertums und der Kriegshandwerker der beginnenden Neuzeit und den privaten Kriegs- und Gewaltakteuren heute (siehe auch Abschn. 4).
Der Merkantilismus bezeichnet eine wirtschaftspolitische Lehrmeinung und Praxis, die eng mit dem absolutistischen Frankreich des 17. Jahrhunderts, König Ludwig XIV. und seinem Finanzminister Jean-Baptiste Colbert verbunden ist. Zielsetzung des Merkantilismus sind eine aktive Handelsbilanz mit einer hohen Export- und niedrigen Importquote, die Stärkung der inländischen Produktion und die Schaffung einer den wirtschaftlichen Fortschritt begünstigenden nationalen Infrastruktur – alles Maßnahmen, mit denen letztlich die Kassen für die Kriegsfinanzierung gefüllt werden sollten. Mit dem Aufbau stehender Heere im Absolutismus stiegen zudem nicht nur die kontinuierlichen, direkten Aufwendungen für den Staatshaushalt an. Es entstand zudem unter dem Grundgedanken landesväterlicher Herrschaft ein Fürsorge- und Vorsorgesystem für die Soldaten, das den Militärhaushalt bis heute in Form von Personalnebenkosten charakterisiert (Köllner 1986: 260).
In Deutschland werden die Finanzausstattung der Bundeswehr jährlich detailliert vom Parlament im Bundeshaushalt, Einzelplan 14, festgelegt. Grundlage ist Artikel 87a Abs. 1 Grundgesetz: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.“ Grundsätzlich gilt: Es besteht keine Zweckbindung von Steuern für militärische Aufgaben und geldpolitische Maßnahmen zur Finanzierung des Militärs sind nicht zulässig. Im Jahr 2021 lag der Verteidigungsetat bei rund 46,9 Mrd. EUR. Der Anteil des Verteidigungsetats am Bundeshaushalt belief sich dabei auf 12,1 %. Für investive Aufgaben waren rund 10,72 Mrd. EUR vorgesehen. (Quelle: Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungshaushalt: Online: https://www.bmvg.de/de/themen/verteidigungshaushalt, letzter Zugriff: 25.03.2021).
Dieser Entwicklung wurde auch dadurch Rechnung getragen, dass das führende Fachjournal 1994 von vormals Defence Economics in Defence and Peace Economics umgetauft wurde.
Der homo oeconomicus bezeichnet in der wissenschaftlichen Ökonomie das Modell einesindividuellen oder kollektiven Akteurs, der eigennutzorientiert (Nutzenmaximierung) und rational unter Abwägung zur Verfügung stehender Alternativen agiert (rationale Handlungswahl). Zudem verfügt er über feststehende Präferenzen und ist vollständig über die Nutzenwerte der Handlungsalternativen informiert (vgl. Kirchgässner 2000: 12 ff.). Für die Ökonomie ist insbesondere das Knappheitsproblem von Bedeutung, d. h. die individuellen oder kollektiven Akteure verfügen nur über begrenzte Ressourcen bei der Verfolgung ihrer Interessen.
Einen Überblick über die Breite der Themen der modernen Militärökonomie geben die beiden von Todd Sandler und Keith Hartley herausgegebenen Handbücher (Hartley und Sandler 1995; Sandler und Hartley 2007).
Die Spieltheorie ist eine rationale Entscheidungstheorie, die Handlungssituationen mit zwei oder mehreren individuellen oder kollektiven Akteuren untersucht, in denen das Ergebnis nicht von einem Entscheider allein bestimmt werden kann, sondern nur von mehreren Entscheidern gemeinsam (Handlungsinterdependenz). Für die Praxis sind insbesondere die Forschungsergebnisse relevant, die auf die Differenz von individueller und kollektiver Handlungsrationalität hinweisen. Bekannt geworden über die Konfliktsoziologie hinaus ist das sogenannte Gefangenendilemma (Deutsch 1974: 212). Für eine umfassende Einführung in die Spieltheorie sei verwiesen auf Diekmann (2009).
Die Denkfigur erinnert an den von Robert K. Merton geprägten Begriff der self-fulfilling prophecy. Ausgehend vom bekannten Thomas-Theorem („Wenn Menschen Situationen als real definieren, so haben sie reale Konsequenzen“) weist Merton damit auf die oftmals in Folge von (unbegründeten) Unterstellungen und Erwartungen über das Verhalten und die Moral der Gegenseite sich dynamisch entwickelnden, nichtintendierten Handlungsfolgen hin: „Das Arsenal der Waffen, Rohstoffe und Bewaffneten wird immer größer, und schließlich verhilft die Antizipation des Krieges dem Krieg zu Ausbruch.“ (Merton 1995: 401).
Der Ökonomismus taucht in der Soziologie mindestens in zwei Varianten auf. Als Ökonomismus können erstens solche Sozial- und Gesellschaftstheorien bezeichnet werden, die nicht nur wirtschaftliches Handeln, sondern alle sozialen Phänomene letztlich aus rationalen Entscheidungen und ökonomischen Kalkülen von formal freien Akteuren ableiten und rekonstruieren. Prominente Vertreterin dieses Ökonomismus ist die Rational-Choice-Theorie (Hill 2002). Eine zweite Variante misst dem Sub- bzw. Teilsystem ‚Wirtschaft‘ eine herausragende Stellung gegenüber den anderen gesellschaftlichen Sub- bzw. Teilsystemen, wie etwa Politik und Wissenschaft, zu. Prominenter Vertreterin dieses Ökonomismus ist die marxistische Geschichts- und Gesellschaftstheorie, der zufolge die Entwicklung vom Kapitalismus über den Sozialismus hin zum Kommunismus lediglich das Resultat von ökonomischen Entwicklungsstufen einer Gesellschaft und den Reifestadien ihrer Produktivkräfte ist.
Es ist das Verdienst von Hans Joas und Wolfgang Knöbl (2008), eine umfassende Rekonstruktion von Klassikern der Sozialtheorie und ihren jeweiligen Aussagen über das Verhältnis von Gesellschaft, Krieg und Militär vorgelegt zu haben. Der Buchtitel Kriegsverdrängung jedoch ist insofern etwas irreführend, als sich fast bei jedem Klassiker, die die beiden Autoren heranziehen, umfangreichere Passagen zur Thematik finden.
Ein-Linien-Organisation bezeichnet einen streng hierarchischen Organisationsaufbau, bei dem untergeordnete Stellen Weisungen von nur einer übergeordneten Stelle erhalten. Eine Kommunikation zwischen den Stellen bzw. Abteilungen einer Ebene soll nur über den ‚Umweg‘ der vorgesetzten Stelle stattfinden. Kompetenzen der vorgesetzten Stelle darf die untergeordnete Stelle nicht an sich ziehen. Dieser Organisationsaufbau wird heute nicht nur von Wirtschaftsbetrieben, sondern zunehmend vom Militär selbst nicht mehr in allen Fällen als funktional und als zielführend betrachtet. Zur Organisationsform des Militärs siehe auch den Beitrag von Elbe & Richter in diesem Band.
Die Verwendung der Begriffe ‚Ökonomisierung‘ und ‚Privatisierung‘ in der Debatte um die Neuen Kriege ist dabei streng zu trennen von einer verwaltungswissenschaftlichen Begrifflichkeit, die Prozesse der ökonomischen Modernisierung des öffentlichen Sektors kennzeichnet, die auch in der Bundeswehr als einer staatlichen Organisation in den vergangenen Jahren stattfanden. Wenn die Neuen Kriege – in Anspielung an das bekannte Diktum von Clausewitz, dass der Krieg„die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ sei – die ‚Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln‘ sind, so ist die betriebswirtschaftliche Neuorientierung der Streitkräfte und die Privatisierung von Aufgaben im Servicebereich der Bundeswehr zugespitzt formuliert eher die ‚Fortsetzung der Militärbürokratie mit anderen Mitteln‘. Die Ökonomisierung des Krieges in den Neuen Kriegen wird sekundiert von der Privatisierung des Krieges, d. h. der zunehmenden Bedeutung privater Militär- und Sicherheitsunternehmen in asymmetrischen Konflikten (siehe hierzu Kümmel (2007) und den Beitrag von Deitelhoff & Geis in diesem Band).