Die Analyse und Interpretation der Ergebnisse aus Leitfadengesprächen werden im Folgenden entlang der vier Leitfragen, die sich aus der Literaturdurchsicht ableiten, strukturiert und interpretiert:
3.2.1 FF1: Welche Funktion und Rollen schreiben Kommunikationsfachleute den Mitarbeitenden bei der strategischen Neuausrichtung im Sinne der Nachhaltigkeit zu?
Bei den befragten Expert*innen für interne Nachhaltigkeitskommunikation herrscht Konsens darüber, dass die Mitarbeitenden von essenzieller Bedeutung für den Erfolg einer strategischen Neuausrichtung im Sinne der Nachhaltigkeit sind. Sie bestätigen hiermit die theoriebasierte Annahme, dass Mitarbeitende im Wandel eine wesentliche Rolle spielen. Entsprechend werde die interne Kommunikation im Strategieprozess von Beginn an mitgedacht und eingebunden. „Im Prinzip dreht sich alles um die Mitarbeitenden. Die gesamte Strategie wurde um sie herum entwickelt“, hält ein Kommunikator der Bayer AG (#1) fest.
Sichtbar wird diese besondere Bedeutung der Mitarbeitenden einerseits an der Tatsache, dass eine Einbindung von Mitarbeitenden in den Prozess der Strategieformulierung zu einem frühen Zeitpunkt und über alle Hierarchieebenen hinweg stattfindet, wie Engert und Baumgartner (
2016, S. 830) betonen. Andererseits kommt sie in den differenzierten
Rollen bzw. Funktionen, die den Mitarbeitenden für die strategische Neuausrichtung von Nachhaltigkeitsstrategien zugesprochen wird, zum Ausdruck:
Mitarbeitende können als
Implementoren der Strategie angesehen werden, da sie die Strategie im täglichen Arbeiten mit Leben füllen und umsetzen. Tragen sie in ihrem Verhalten die Nachhaltigkeitsorientierung nicht mit, „wird das Ganze ungleich schwieriger“, wie eine Mitarbeiterin der internen Kommunikation bei Kärcher (#5) betont. Bereits anhand der beschriebenen Bedeutung des Verhaltens der Mitarbeitenden zeichnet sich der von Wagner (
2019, S. 34) herausgearbeitete Stellenwert der internen Kommunikation in diesen spezifischen Wandlungsprozessen ab: Ohne sie ist die Umsetzung kaum möglich.
Mitarbeitende sind zudem interne Multiplikatoren, da sie als Kommunikatoren sowohl auf der formellen als auch auf der informellen Kommunikationsebene Informationen weitergeben sowie Meinungsbildungs- und Adaptionsprozesse auslösen. In der Unternehmenskommunikation zum Thema Nachhaltigkeit des Flughafens München (#3) gilt: „Wenn man möglichst viele Leute für das Thema begeistern kann, hat man schon halb gewonnen“.
Mitarbeitenden wird zudem die Rolle als Botschafter des Wandels nach außen zugeschrieben. Sie sollten z. B. im Kundenkontakt korrekt und umfassend erklären können, wie das nachhaltige und verantwortungsvolle Wirtschaften des Unternehmens angelegt ist, so die Befragten. In dieser externen Rolle beeinflussen sie die Wahrnehmung, das Image und das Nachhaltigkeitsengagement des Unternehmens, was sich u. a. auch in einer höheren Glaubwürdigkeit niederschlagen kann.
Somit bestätigen die befragten Kommunikator*innen, dass Mitarbeitende im Kontext des strategischen Wandels nicht nur umsetzende Instanz sind, sondern als Change Agents, Botschafter und Multiplikatoren fungieren können, die wesentliche Akteure im Wandel sind (vgl. etwa Prexl
2010, S. 374; Carollo und Guerci
2017, S. 637).
3.2.2 FF2: Welche spezifischen Ziele und Aufgaben verfolgt interne Veränderungskommunikation bei der Etablierung neuer Nachhaltigkeitsstrategien?
In den Gesprächen zeigt sich ein weitgehend homogenes Bild: Als zentrale Ziele gelten die Steigerung des Wissensstandes durch Information, die Schaffung von Akzeptanz, Motivation und Handlungsbereitschaft und das Einbinden bzw. Involvieren der Mitarbeitenden. Innerhalb dieser Oberziele werden die Sensibilisierung der Mitarbeitenden für die Relevanz der Nachhaltigkeitsthematik insgesamt, aber auch für die Bedeutung, die dem individuellen Beitrag eines jeden Mitarbeitenden hier zukommt, genannt. Zudem wird betont, dass die Kommunikation der (Hinter‑)Gründe, Rahmenbedingungen, des Zwecks und Sinns sowie der Auswirkungen unternehmerischer Nachhaltigkeit in einem solchen Prozess essenziell sei.
Zwei Befragte (#7, #9) ergänzen als weiteres Ziel die Befähigung der Mitarbeitenden. Es gelte, Mitarbeitende nicht nur ausreichend zu informieren, sondern sie gerade in Zeiten der strategischen Veränderung gezielt in die Veränderung mit einzubinden. Das „Abholen der Mitarbeitenden“ (#8) wird als wesentlich erachtet.. Die Interviews machen deutlich, dass interne Kommunikation in den befragten Unternehmen die emotionale Disposition der Mitarbeitenden aufzunehmen versucht, sie informiert und aktiviert und zur aktiven Teilhabe aufruft. Kommunikative Hebel sind hier der Stolz auf die künftige nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens, der Wunsch, selbst sinnstiftend zu arbeiten und selbst mitgestalten zu können.
Entsprechend gehen die
Aufgaben der internen Kommunikation zu Nachhaltigkeit weit über das reine Informieren hinaus. Damit werden die von Deutinger (
2017, S. 10) identifizierten drei kommunikativen Kernaufgaben im Wandel in der Praxis ganzheitlich bedient. Die bei Nestlé Deutschland (#7) beschäftigte Kommunikationsverantwortliche betont: „Man muss Mitarbeiter abholen, motivieren, sie aber auch aktiv involvieren“. Dabei bilden die Antworten der Befragten eine breite Spanne der Beteiligung ab, von der Möglichkeit zum aktiven Einbringen von Ideen (#2) und Verbesserungsvorschlägen bis hin zur proaktiven Mitarbeit in der Strategieentwicklung (#1).
Zudem wird in den Leitfadengesprächen deutlich, dass Mitarbeitende für die Relevanz der Nachhaltigkeitsthematik und für die Bedeutung eines eigenen Beitrags sensibilisiert werden sollten (#2, #4, #5, #6, #9). Die Kommunikation der Inhalte, der Gründe, des Zweckes und Sinns sowie der Auswirkungen und Rahmenbedingungen der Veränderung gilt als wesentlich für die Schaffung von Verständnis. Jedoch muss das Interesse der Mitarbeitenden, sich mit der Nachhaltigkeitsthematik auseinanderzusetzen, überhaupt erst geweckt werden. Dabei gilt es auch, etwaige „Berührungsängste“ zu überwinden, wie eine Mitarbeiterin der Personalkommunikation der Deutschen Bahn (#2), unterstreicht. Dies deutet darauf hin, dass die Sensibilisierungsphase, wie sie Maon et al. (
2009, S. 76) in ihrem Change Management-Framework ergänzen, im Kontext von Nachhaltigkeitsthemen besondere Bedeutung haben könnte.
Somit bestätigen sich die allgemeinen Grundlagen der Veränderungskommunikation: Über die verschiedenen Ziele und Aufgaben interner Nachhaltigkeitskommunikation vollziehen sich Wissens‑, Einstellungs- und Verhaltensänderungen im Veränderungsprozess in unterschiedlichen Ausmaßen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in Abhängigkeit von der charakterlichen Disposition des Individuums. Mitarbeitende werden bezüglich unterschiedlicher Motivationsfaktoren, die insbes. die emotionale Disposition tangieren, aktiviert und zum Handeln aufgerufen.
In den Interviews wurde auch die Frage der Sinnhaftigkeit (Berner
2012, S. 95) angesprochen, die in der Literatur zur internen Kommunikation im Kontext von Sensemaking sowie -giving (Quirke
2008, S. 29; Schultz und Wehmeier
2011, S. 380) diskutiert wird. Interne Kommunikation, so betonen einige der befragten Kommunikationsexpert*innen (#1, #7, #9, #8, #10), habe im Rahmen von Nachhaltigkeit immer auch den Auftrag, so zu informieren und zu kommunizieren, dass die Mitarbeitenden Sinnhaftigkeit in der strategischen Neuausrichtung erkennen können und der Wunsch gestärkt wird, über die eigene Tätigkeit einen sinnstiftenden Beitrag zu leisten. Damit knüpfen sie unmittelbar an einen Grundsatz der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie an (Hanke und Stark
2009, S. 510): „For CSR strategizing, sensemaking and sensegiving stimulate the creation of new ways […]“. Durch Sensemaking und Sensegiving wird der Weg in eine auf anderen Werten und Grundsätzen basierende Unternehmenszukunft aufgezeigt.
3.2.3 FF3: Wie wird die interne Nachhaltigkeitskommunikation bei der strategischen Neuausrichtung im Sinne der Nachhaltigkeit eingesetzt und ausgestaltet?
Die Frage nach der Wahrnehmung der strategischen Verankerung von Nachhaltigkeit als Veränderungsvorhaben wird mehrheitlich, wenngleich teilweise zögerlich, bejaht. In drei der untersuchten Unternehmen (#1, #8, #10) wird die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit lediglich als Prozess, der mit übergeordneten, eher ökonomisch bedingten Transformationen einhergeht, angesehen. Obwohl die nachhaltigkeitsorientierte, strategische Neuausrichtung in der Praxis nicht als klassischer Veränderungsprozess verstanden wird, wird in ihrem Verlauf Veränderungskommunikation mit dem Ziel der Implementierung des Neuen betrieben. Es lässt sich schlussfolgern, dass die Verbindung zwischen der strategischen Neuausrichtung auf Nachhaltigkeit und Veränderungskommunikation in der Praxis eher operativ als strategisch angelegt ist.
Die von den Befragten genannten
Kommunikationsanlässe gliedern sich in zwei Gruppen: die (1) proaktive (Regel‑)Kommunikation, welche darauf abzielt durch die kontinuierliche Kommunikation begründeter Themen eine ganzheitliche Wissensbasis aufzubauen, sowie die (2) reaktive Kommunikation zu internen wie externen aktuellen Entwicklungen und besonderen Ereignissen (#5). Darunter fallen externe Erwartungen und Forderungen, der öffentliche Diskurs zur Nachhaltigkeitsthematik, Ereignisse wie z. B. der Weltumwelttag oder die Fridays-for-future-Bewegung (#2). Welche Nachhaltigkeitsaspekte aus der großen Vielfalt an potenziellen Gegenständen der internen Kommunikation schließlich zu Themen werden, wird mithilfe einer Priorisierung entschieden. Hierzu werden in den befragten Unternehmen teilweise klassische journalistische Nachrichtenwerte (Galtung und Ruge
1965; Schulz
1990) wie Relevanz, Nähe oder Dauer herangezogen, teils wird die Priorisierung anhand einer Wesentlichkeitsanalyse vorgenommen (#10).
Hinsichtlich des
Medieneinsatzes zeichnet sich die Tendenz ab, dass vorrangig digital und über eine direkte, persönliche Ansprache der Mitarbeitenden und weniger über traditionelle Formate kommuniziert wird. Als Argument für den Einsatz digitaler Medien wird genannt, dass insbes. bei global agierenden Unternehmen einfach und zügig Reichweite generiert werden kann (#5). Zugleich bedarf es der Vertrautheit, d. h. der Möglichkeit, Themen ein Gesicht zu geben, und der Nutzung von Face-to-Face-Kommunikation gerade in Veränderungsprozessen, da Inhalte im Rahmen des persönlichen Austauschs besser im Gedächtnis bleiben. Es gehe darum, „durch eine sehr persönliche Ansprache wirklich auch eine Veränderung im Denken anzustoßen“, so die Kommunikatorin der Deutschen Bahn (#2). Demzufolge stehen wie in der theoretischen Fundierung bereits dargelegt ein offener und bedürfnisgerechter Austausch orientiert an einem hohen Maß an Empathie im Vordergrund (Deutinger
2017, S. 10; Mast und Fiedler
2007, S. 567).
In der Verbindung von persönlicher und medienvermittelter Kommunikation wird das gesamte Set an Kommunikationsmitteln, -kanälen und -plattformen, welches der internen Kommunikation zur Verfügung steht, genutzt – sowohl im Rahmen klassischer Regelformate als auch anlassbezogener, eigens für die interne Kommunikation von Nachhaltigkeitsthemen konzipierter Sonderformate. Als Regelformate werden v. a. Town Halls, Workshops, Trainings und Schulungen sowie Meetings genannt, bei Print- bzw. digitalen Formaten etwa Mitarbeitermagazine oder Flyer sowie (Social‑)Intranet, Mitarbeiter-App, Newsletter und Mitarbeiter-TV. Vereinzelt kommen Blogs, Podcasts, Web-Trainings und Führungskräfte-Plattformen für die Veränderungskommunikation zum Einsatz. Komplettiert wird die Klaviatur durch externe soziale Medien wie Instagram, Facebook und YouTube, die (eher jüngere) Mitarbeiter ebenfalls erreichen.
Ein Fokus liegt in diesem Zusammenhang auf
Kampagnenformaten – ein Ergebnis der Befragung, das im Vergleich mit anderen Strategie- und Veränderungsprozessen gerade bei Nachhaltigkeit besonderes Gewicht zu haben scheint. Kampagnen sind zeitlich befristete, thematisch begrenzte und dramaturgisch angelegte kommunikative Strategien mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu erzeugen (Röttger
2009, S. 9). Sie weisen durch aktuelle, relevante Bezüge eine hohe Sichtbarkeit auf, wie etwa die Bayer-Kampagne „#voranbringen“ (#1) und die „Das ist grün.“-Kampagne der Deutschen Bahn (#2). Ergänzt werden sie durch themenspezifische, aktuelle Sonderformate wie z. B. das interne „Nachhaltigkeitsfrühstück 2020+“ von Kärcher (#5), das als interaktiver und internationaler Workshop mit Vorstandsbeteiligung zum Thema Nachhaltigkeit durchgeführt wurde, oder die „Go-See-Share-Reisen“ von Nestlé, bei denen u. a. auch Mitarbeitende Produktionsstätten oder Herkunftsländer von Rohstoffen besuchen und erleben können, wie das Nachhaltigkeitsengagement vor Ort umgesetzt wird. Ziel dieser Kampagnen ist es, Mitarbeitende zu informieren und sie zu Multiplikatoren werden zu lassen.
Mit Blick auf die
Aufbereitung der Kommunikation unter kommunikationstechnischen, inhaltlichen und sprachlichen Gesichtspunkten stimmen die Befragten überein, dass vornehmlich auf klassische Kommunikationstechniken zurückgegriffen wird. Dazu zählen unter anderen (Erklär‑)Texte, Videos, Kurzfilme, (Experten‑)Interviews, Grafiken und Schaubilder. Die Kommunikationstechnik des Storytellings wird in den Interviews nicht namentlich genannt, aber kommt implizit zum Ausdruck, wenn Personen im Rahmen der internen Kommunikation von ihrem Alltag erzählen und so implizit Nachhaltigkeitsbotschaften vermitteln (#2). Die große Bedeutung, die der emotionalen Change-Story in der Theorie zugeschrieben wird, um Inhalte in die Verstehenswelt der Mitarbeitenden zu transferieren (Wagner
2019, S. 89; Mast
2016, S. 476), lässt sich durch die Interviews somit nur teilweise belegen. In inhaltlicher Hinsicht ist es Kernaufgabe der Kommunikation, komplexe Inhalte verständlich zu erklären, sie auf die unterschiedlichen Unternehmensbereiche und den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden zuzuschneiden und mit Beispielen zu versehen, sodass die Komplexität der Nachhaltigkeitsthematik reduziert wird (#2, #3, #5). Hier bestätigt sich die Annahme, dass Nachhaltigkeit als mehrdimensionales Thema besondere Anforderungen an das Themenmanagement stellt (Mast und Fiedler
2007, S. 569 f.). Dazu gehöre auch eine verständliche, nachvollziehbare sowie prägnante Sprache zum „Sehen und Anfassen“ betont der befragte Kommunikationsexperte des Münchner Flughafens (#3). Hierbei spielt auch der Erlebnis-Faktor, der in Veränderungsprozessen oft empfohlen wird (Mast und Fiedler
2007, S. 567) eine entscheidende Rolle. Jedoch ist diesbezüglich ein minutiöses Austarieren von Unterhaltung und Glaubwürdigkeit notwendig, hält eine Mitarbeiterin der Kommunikation von McDonald’s (#6) fest. Damit nimmt sie Bezug auf unterschiedliche Kommunikationsmodi (Lünenborg
2005, S. 126, 159; Huck-Sandhu
2014, S. 655 f.), deutet aber hinsichtlich der Tonalität auch die Dichotomie zwischen der eher objektiven, informationsorientierten Vermittlung von Fakten und den stärker emotionalen Komponenten im persönlichen Gespräch an. In den sozialen Medien wird auch im Innenverhältnis auf einen „unterhaltsamen“ Stil gesetzt (#6).
Hinsichtlich
Emotionen lässt sich beobachten: Die Befragten stimmen einerseits darin überein, dass die Gesamtdebatte um Nachhaltigkeit nicht emotionalisiert werden dürfe, da Emotionalisierung häufig als „Polarisieren“ wahrgenommen werde. So betont etwa einer der Kommunikatoren (#8), dass ein Spannungsfeld zwischen Emotionalisierung auf der einen Seite und Glaubwürdigkeit auf der anderen Seite bestehen könne. Andererseits ist der Rückgriff auf emotionale Komponenten insbesondere für die Verinnerlichung von Fakten auf der Ebene der Mitarbeitenden essenziell (#6, #9). Gefragt sei somit eine „offene, ehrliche, authentische Kommunikation auf Augenhöhe“ auf einem sachlich-informativen Fundament (#7). Nur auf diesem Wege ist es möglich das in der Literatur umschriebene erfolgskritische Maß an Glaubwürdigkeit zu erzielen (Weder und Karmasin
2015, S. 939).
Die Grundhaltung, die in den Gesprächen deutlich wird, kommt dem theoretischen Konstrukt des Sensegivings (Weick
1995; Zahn et al.
2008) sehr nahe. In operativer Hinsicht spiegeln hierbei, ebenso wie bei der internen Veränderungskommunikation insgesamt, Kommunikationsdichte, -fülle, Stetigkeit und Konstanz sowie Glaubwürdigkeit, Anspruch und Überzeugungskraft eine Rolle. In den Gesprächen (#6, #7, #9) zeigt sich zudem die Notwendigkeit einer Dialogorientierung – eine in der Literatur zur internen Nachhaltigkeitskommunikation vielfach als essenziell gehandelte Eigenschaft der Kommunikation. Die auf die Strategieimplementierung abzielende interne Kommunikation erfolgt zwar in den befragten Unternehmen mehrheitlich nach dem Top-down-Prinzip, jedoch kommt auch der Bottom-up-Kommunikation und dem informellen Austausch im Sinne horizontaler und vertikaler Kommunikation eine wichtige Rolle zu. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Bedeutung und Rolle, die der internen Nachhaltigkeitskommunikation im Rahmen strategischer Transformation in der Literatur zugeschrieben wird, findet ihre Entsprechung in einer ganzheitlich angelegten, breiten internen Kommunikation, die auch Schnittstellen zur externen Kommunikation einbindet und unter kommunikationstechnischen, inhaltlichen und sprachlichen Gesichtspunkten eine große Vielfalt an Ausgestaltungsmöglichkeiten aufweist.
Durchweg wird in den Leitfadeninterviews deutlich: Interne Kommunikation kann Anstöße geben, aber eine Steuerung von Wahrnehmung, Einstellungen und Verhalten ist auch im Bereich der Veränderungskommunikation nicht möglich. Neben der aktiven Kommunikation über interne Medien und Kanäle werden hierfür spezifische Informationsmaterialien für Führungskräfte entwickelt, Trainings und Schulungen eingesetzt und Angebote zur Reflexion des eigenen Verhaltens geboten. Der Idealfall ist die „Verinnerlichung“ der Nachhaltigkeitsthematik (#9). Somit sind die in der Literatur beschriebenen Ziele und Aufgabenfelder von Veränderungskommunikation auch im Bereich der internen Nachhaltigkeitskommunikation wiederzuerkennen.
3.2.4 FF4: Inwiefern tragen kulturelle und institutionelle Parameter zur kognitiven und affektiven Verankerung sowie zur Operationalisierung der Strategie bei?
In der Literatur liegt ein besonderes Augenmerk auf der Institutionalisierung der strategischen Neuausrichtung und der Implementierung von Strategie durch die direkte Wirkung der internen Kommunikation. In den Interviews bestätigt sich, dass die Unternehmenswerte eine erste relevante Größe darstellen. Diese sind in den Unternehmen der Befragten strukturell fest verankert. Was bei Bayer (#1) die Mission ist, findet sich bei Schnellecke (#9) im „Spirit“, bei Unternehmen A (#8) im übergeordneten „Purpose“ und beim Flughafen München (#3) im Markenkern wieder. Darin sind auch die Themen Nachhaltigkeit und unternehmerische Verantwortung als Selbstverpflichtung festgehalten, so dass den Unternehmenswerten auch bei der der strategischen Neuausrichtung und bei der Strategieimplementierung eine wesentliche Rolle zukommt. Sie stellen Basisprinzipien des Handelns dar, die als Eckpfeiler der internen Kommunikationsarbeit wirken und dem Nachhaltigkeitsengagement Glaubwürdigkeit verleihen.
Für das Verhältnis zwischen den Unternehmenswerten und den Mitarbeitenden lassen sich in der Befragung zwei Tendenzen ausmachen: Während die Unternehmenswerte etwa bei der Ford Deutschland Werke GmbH (#4) einen eher normativen Charakter besitzen und als unternehmensweit bekannte Richtlinien für das Verhalten von Mitarbeitenden fungieren und umgesetzt werden müssen (verbindliche Handlungsprinzipien), werden die Werte in den anderen Unternehmen als übergeordnete Orientierungspunkte für Grundhaltungen und Einstellungen der Mitarbeitenden verstanden und haben eher Aufforderungscharakter. Unabhängig von der Verbindlichkeit der beiden Perspektiven: Alle Befragten sehen die Unternehmenswerte als inhärenten Teil der Unternehmenskultur, die von Kulturfaktoren auf fundamentale Art und Weise geprägt werden. Somit lassen sich die Hinweise aus der Literatur bestärken. Auch herrscht Einigkeit darüber, dass die Unternehmenskultur im Rahmen der strategischen Neuausrichtung eine zentrale Rolle spielt. Kultur wird als bestehende „große Struktur“ (#5) beschrieben, in die sich das Nachhaltigkeitsengagement der Mitarbeitenden einbetten muss und innerhalb deren Rahmenvorgaben sich die interne Veränderungskommunikation entfaltet. In der Zusammenschau aller Aussagen der Befragten lässt sich schlussfolgern, dass die Unternehmenskultur eine unterstützende Funktion bei der Vermittlung der Nachhaltigkeitsthematik einnimmt, diese als solche aber noch nicht mehrheitlich wahrgenommen und aktiv genutzt wird. Auch hier lässt sich eine Parallele zur bereits identifizierten impliziten Vermittlung des Wandels über die Werte und die Unternehmenskultur ziehen.
Eine entscheidende Rolle für die strategische Neuausrichtung und die operative Strategieimplementierung haben die
Führungskräfte. Dies geht deutlich aus den Aussagen der Befragten hervor. Auch Führungskräfte hat die interne Kommunikation über die speziell für sie vorgesehenen Kanäle im Veränderungsprozess abzuholen und einzubinden, so die einhellige Überzeugung. Sie müssten die Relevanz der Thematik erkennen, ihr Bewusstsein schärfen und ausreichend informiert sein – kurz gesagt: befähigt werden – über die Informationskaskade den „Nachhaltigkeitsgedanken in die Teams zu tragen“ (#3). Führungskräfte werden auch als „Transmissionsriemen“ zwischen dem Vorstand und der breiten Belegschaft beschrieben. Sie sind lebendiges Vorbild, Meinungsführer, Multiplikator und Dialogpartner – Rollenverständnisse, die sich auch in der Literatur so finden (Mast und Huck
2008; Buchholz und Knorre
2019; Dunphy et al.
2007, S. 217). Zudem sei es Aufgabe der Führungskräfte, Feedback einzuholen und die gewonnenen Informationen an den Vorstand zurückzuspiegeln, also den Bottom-up-Informationsfluss zu sichern (#1).
Bei Nestlé (#7) kommen neben Führungskräften auch interne „Nachhaltigkeits-Champions“ zum Einsatz. Sie vertreten das Thema Nachhaltigkeit für jedes Business und bilden ein Corporate Volunteering‑, CSR- und/oder Nachhaltigkeitsnetzwerk. Durch diese Gruppe von internen Multiplikatoren wird ein schnellerer und umfassenderer Informationsaustausch möglich. Auch die Informationsverarbeitung wird durch das persönliche Gespräch mit einem solchen Experten verbessert. Blickt man zurück in die Literatur, so lassen sich Nestlés „Nachhaltigkeits-Champions“ (#7) als Change Agents bzw. Promotoren im Innovationsprozess bezeichnen (Dunphy et al.
2007; Göll et al.
2019, S. 37; Allen
2016).
3.2.5 FF5: Worin bestehen die zentralen Herausforderungen bei der Strategieimplementierung durch Kommunikation aus Sicht der Kommunikatoren?
Basierend auf den Aussagen der befragten Kommunikationsfachleute kann festgehalten werden, dass die interne Kommunikation bei der Nachhaltigkeitsthematik mit dem Ziel der Strategieimplementierung mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert wird. Nicht nur die Mitarbeitenden selbst, auch die unternehmerischen Rahmenbedingungen und Nachhaltigkeit als besonders fordernder Kommunikationsinhalt können die erfolgreiche Realisation der strategischen Neuausrichtung verhindern. Aus Sicht der Kommunikation liegt die Problematik insbesondere darin, dass nicht alle Herausforderungen kommunikativ überwunden werden können. Die Veränderung anderer Einflussgrößen erscheint unumgänglich.
Am häufigsten wird die Komplexität der Thematik genannt, die durch den Gesamtumfang und den kontextabhängigen Facettenreichtum sowohl die kommunikative Vermittlung als auch den Verstehens- und Sinnbildungsprozess der Mitarbeitenden erschweren (#1, #3, #5, #10). Je heterogener die Kommunikationszielgruppe, je diverser Rezeptionsgewohnheiten und je unterschiedlicher die Erwartungen und Ansprüche an Inhalte und Aufbereitung, desto größer die Herausforderungen gerade im Veränderungsprozess. Auch die Aufrechterhaltung einer effizienten Kommunikationskaskade, insbesondere in der Vermittlung über die Führungskräfte, die inhaltliche Priorisierung und der Umgang mit den Ressourcen Zeit und Aufmerksamkeit werden als Herausforderung angesehen (#7). Hinzu kommt eine in vielen Fällen anfänglich skeptische Grundhaltung der Mitarbeitenden gegenüber der Nachhaltigkeitsthematik, so dass ein erhöhtes Maß an kommunikativer Begleitung solcher Veränderungsprozesse nötig ist. Auch der in der Literatur genannte schwerwiegendste Hinderungsgrund bei der Operationalisierung von Nachhaltigkeitsstrategien tritt in den Interviews zu Tage: der unter Mitarbeitenden weit verbreitete Mangel an Veränderungsbereitschaft (Zahn et al.
2008, S. 25; Krüger
2014, S. 19 f.). Eine Kommunikationsverantwortliche bei McDonald’s (#6) etwa betont: „Menschen sind Gewohnheitstiere: Nur nicht das eigene Verhalten ändern“. Somit wird die Notwendigkeit von Wissens‑, Einstellungs- und Verhaltensänderungen zur Strategieimplementierung (Raps
2017, S. 27) auch vom praktischen Standpunkt bestätigt.