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2024 | Buch

Mit Kolonien Denken

Zur Politischen Epistemologie der Entstehung des ökonomischen Modellierens

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Über dieses Buch

Diese Arbeit analysiert Entstehungspunkte des ökonomischen Modellierens in kolonialen Kontexten zwischen dem frühen 18. und 19. Jahrhundert. In drei Fallstudien rekonstruiert Lukas Helbich die offenkundigen und weniger offensichtlichen Spuren des Kolonialismus in den Verfahren, Formen und Inhalten ökonomischen Modellierens avant la lettre. Ökonomisches Modellieren wurde im kolonialen Kontext eingeübt und erprobt, Kolonien fungierten für die untersuchten Autoren Richard Cantillon, Victor Riquetti de Mirabeau und Thomas Robert Malthus als Proto-Modelle des ökonomischen Modellierens.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung: Mit Kolonien Denken
Zusammenfassung
Die Wirtschaftswissenschaften sind Modellierungswissenschaften. Modelle sind ihre wichtigsten Erkenntnisinstrumente und das Modellieren ist eine ihrer zentralen Erkenntnisweisen. Ökonominnen und Ökonomen denken und forschen, sie lehren Studierende und beraten Politik und Unternehmen mithilfe von Modellen.
Lukas Helbich
Kapitel 2. Built-in Colonization – Richard Cantillons Modellierung des isolierten Staates
Zusammenfassung
Im Dezember 1718 beorderte Richard Cantillon & Compagnie ihren Mitarbeiter Bernard Cantillon, den jüngeren Bruder des Firmeneigentümers, in der Hafenstadt La Rochelle eine Mannschaft für die Kolonisierung eines Stücks Land in Louisiana zu rekrutieren und auszustatten. Das Kapitel verfolgt die Thesen, dass Cantillons Modell auf die dort vorgefundenen kolonialen Situationen zugeschnitten war und koloniale Gewalt rechtfertigte. Es wird gezeigt, dass Cantillons Modellierungen zentraler Zusammenhänge in der Ökonomie immer wieder bei kolonialen Beispielen und Problemstellungen ansetzten und erst im Laufe des Essays vom simplifizierten kolonialen Bezugssystem an kompliziertere ‚europäische‘ Ökonomien angepasst wurden. Immer wieder entwickelte Cantillon sein Modell von wirtschaftlichen Grundzusammenhängen an entscheidenden Stellen entlang kolonialer Frage- und Problemstellungen. Sein Text bezieht sich an diesen Stellen ausdrücklich auf den kolonialen Entstehungskontext. An anderen Stellen lässt sich seinem Modell eine besondere Erklärungskraft für den kolonialen Kontext nachweisen. Brisant ist diese Feststellung auch deswegen, weil anzunehmen ist, dass Cantillon wusste, was in Louisiana geschehen war bevor er sein Modell konstruierte. Cantillon hinterließ nicht nur einige Spuren in der Geschichte des Kolonialismus, der Kolonialismus scheint sich bisweilen auch tief in sein Modell eingeschrieben zu haben.
Lukas Helbich
Kapitel 3. Liberaler Exorzismus – Victor Mirabeaus Modellierung der kolonialen Wirtschaft als System
Zusammenfassung
Im Juni 1758 posaunte der Vorgesetzte von Jean-Antoine Chevalier de Mirabeau auf einer Party in St. Malo herum, dass es sich bei seinem Begleiter, dem 40-Jährigen in der unscheinbaren Uniform eines niedrigen Marineoffiziers, um keinen Geringeren als den Bruder des berühmten Wirtschafts-Bestsellerautors Victor Riquetti Marquis de Mirabeau handelte.
Lukas Helbich
Kapitel 4. Ohne koloniale Notausgänge – Robert Malthus’ Modell des Bevölkerungsprinzips
Zusammenfassung
Ohne Kolonialismus hätte es Thomas Robert Malthus’ folgenreiches Modell der Bevölkerungsökonomie so wohl nicht gegeben. Das erste mathematische Modell in der Vorgeschichte des ökonomischen Modellierens verdankt sich zu großen Teilen dem Kolonialismus. So zumindest lässt sich William Godwins kritische Answer to Mr. Malthus's Essay verstehen.
Lukas Helbich
Kapitel 5. Fazit
Zusammenfassung
Die Entstehung des ökonomischen Modellierens und der europäische Kolonialismus teilen eine anscheinend in Vergessenheit geratene Geschichte. Doch wie diese Studie zeigen konnte, wurden wichtige Themen und Techniken des Modellierens in Anlehnung an Wissen aus und über Kolonien entwickelt. Heute gehören die kleinen mathematischen, statistischen, grafischen, diagrammatischen, selten sogar mechanischen und hydraulischen Modelle in den Normalbetrieb der Wirtschaftswissenschaften. Wirtschaft mit Kolonien zu denken, beschränkt sich in den untersuchten Fällen nicht auf inhaltliche Bezüge der Modelle avant la lettre zu auf kolonialen Problem- und Fragestellungen. Im kolonialen Kontext nahm nicht nur ein Was sondern auch ein Wie des ökonomischen Denkens Gestalt an. Im Hinblick auf Kolonien konnten sich bestimmte, für das Modellieren relevante Denkweisen bewähren. Gerade im Umgang mit dem Wissen aus und über Kolonien erschien es plausibel, über wirtschaftliche und politische Experimente in verkleinerten Welten Einsichten über die Beschaffenheit, Funktionsweise und normative Steuerung der in ihnen zum Ausdruck gebrachten größeren Welten zu gewinnen.
Lukas Helbich
Backmatter
Metadaten
Titel
Mit Kolonien Denken
verfasst von
Lukas Helbich
Copyright-Jahr
2024
Electronic ISBN
978-3-658-46030-3
Print ISBN
978-3-658-46029-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-46030-3