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11.09.2024 | Mitarbeitermotivation | Interview | Online-Artikel

"Flexibilität hat ihren Preis"

verfasst von: Lea Sommerhäuser

5 Min. Lesedauer

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Im Interview warnt Autor und Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm vor der "professionellen Einsamkeit" im Homeoffice. Denn was man dort leicht verliere, sei das Gefühl der Zugehörigkeit, der Gemeinschaft und des gemeinsamen Schaffens mit den Kollegen.

springerprofessional.de: Herr Prof. Dr. Hamm, die Möglichkeit von Homeoffice oder das Einführen einer Vier-Tage-Woche werden oft als Lösung für eine bessere Work-Life-Balance gefeiert. Doch sind die Arbeitnehmer trotz kürzerer und flexibler Arbeitszeiten wirklich zufriedener und motivierter?

Ingo Hamm: Das ist eine Frage, die zurzeit sehr umfangreich und hochemotional diskutiert wird. Zunächst einmal: Flexibilität und Autonomie sind wichtig, keine Frage. Wer seine Arbeitszeiten und seinen Arbeitsort frei gestalten kann, hat mehr Möglichkeiten, Beruf und Privatleben in Einklang zu bringen – und das kann die Zufriedenheit durchaus steigern. Und hierbei geht es nicht nur um Bequemlichkeit und Freizeitgestaltung, sondern auch um problematischere Konstellationen, wie etwa eine junge Familie, wo Vater oder Mutter ihre Arbeitszeiten an die Kita-Öffnungszeiten anpassen müssen. Und jetzt kommt das Aber: Diese Flexibilität hat auch ihren Preis. Denn was wir im Homeoffice leicht verlieren, ist das Gefühl der Zugehörigkeit, der Gemeinschaft, des gemeinsamen Schaffens. Die informelle Kommunikation, der spontane Austausch mit Kollegen, das gemeinsame Mittagessen – all das trägt enorm zum Teamgeist und zur Motivation bei. Wenn ich den ganzen Tag allein vor dem Bildschirm sitze, kann das auf Dauer zu Isolation und Vereinsamung führen – zur "professionellen Einsamkeit", wie ich das nenne, also zu einem vordergründig guten Gefühl der beruflichen Freiheit, aber zu einem schleichenden Verlust von beruflich-sozialen Erfahrungen. Und genau hier müssen wir meiner Meinung nach einen ganz konkreten ersten Schritt machen.

Welcher wäre das?

Raus aus der professionellen Einsamkeit. Denn die Vorteile der physischen Zusammenarbeit gehen im Homeoffice-Alltag oft aus den Augen verloren. Es sind subtile, aber immens wichtige Aspekte der Kooperation, die wir im digitalen Raum nicht in der gleichen Weise erreichen können. Da geht es um so viel mehr, als nur um die reine Aufgabenerledigung. Es geht darum, sich gegenseitig zu motivieren und zu mobilisieren, Beziehungen und Netzwerke aufzubauen. Es geht darum, sich zu präsentieren, sich nicht nur argumentativ durchzusetzen, sondern auch mit der ganzen Körpersprache zu überzeugen. Es geht darum, im direkten Kontakt Kollegen zu helfen und zu unterstützen – und schlichtweg auch mal Leidenschaft, Einsatz und Kompetenz auszustrahlen, Führungswille zu demonstrieren. Zudem sehe ich eine weitere These: Ist Homeoffice vielleicht sogar ein Leistungskiller? Denn mittlerweile ist klar belegt, dass digitale Remote-Arbeit drei zentrale Qualitäten von Arbeit killt: Kreativität, Vertrauen und Teamresilienz. Studien zeigen, dass uns digitale Kachelkommunikation auf neuronaler Ebene anstrengt und ablenkt und uns daran hindert, Gedanken schweifen zu lassen. Zu viel Videokonferenzen können also zu einem echten Kreativitätskiller werden. Auch Vertrauen, das die Basis für jede gute Zusammenarbeit ist, entsteht nur im persönlichen Kontakt. Psychologisch gesehen braucht es dafür ein gegenseitiges Kennenlernen in neuen Situationen, wo man die anderen Menschen in einem anderen, neuen Licht sieht. Vertrauen braucht "Disclosure", das heißt etwas von sich preisgeben, nicht unbedingt Privates, aber Professionelles. Hierfür ist die funktional-digitale Kommunikation zu abstrakt, zu unpersönlich, zu wenig informell. Und dann ist da noch die Teamresilienz, also die psychische Widerstandskraft im Job, die uns hilft, mit Belastungen und Krisen umzugehen. Auch die entsteht nicht durch eine Flucht in stabile private Beziehungen, sondern durch soziale Unterstützung im Kreis der Kollegen, durch das Teilen negativer Erfahrungen, durch informelle Kommunikation. Und das geschieht am besten und am einfachsten in Präsenz.

Wie sollte das Arbeitsumfeld am besten gestaltet sein, damit echte Erfüllung im Job entsteht?

Wir müssen gerade am Arbeitsplatz weg vom reinen Fokus auf Effizienz und Produktivität hin zu einer Arbeitswelt, die die individuellen Bedürfnisse und Talente der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ein Arbeitsumfeld, das echte Erfüllung im Job ermöglicht, sollte meiner Erfahrung nach als erstes die sogenannte Selbstwirksamkeit stärken: Menschen brauchen das Gefühl, mit Arbeit etwas zu bewirken, einen Unterschied zu machen. Das gilt für den Chirurgen im OP-Saal genauso wie für die Kassiererin im Supermarkt. Entscheidend ist, dass wir die Ergebnisse unseres Tuns sehen und erleben können, dass wir Feedback bekommen und Wertschätzung erfahren – und zwar nicht nur von unserem Chef, sondern idealerweise auch von den Menschen, für die wir arbeiten, unseren Kunden. Also: weg von abstrakten Prozessen, hin zu sichtbaren Ergebnissen. Schaffen wir Arbeitsbedingungen, in denen Menschen ihre individuellen Stärken einsetzen und ihre Talente entfalten können! Geben wir ihnen die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen und Projekte eigenverantwortlich zu gestalten! Fördern wir eine Kultur des Experimentierens, in der Fehler nicht als Makel, sondern als Chance zum Lernen gesehen werden! Ein schönes Beispiel dafür sind die Reinigungskräfte in einem amerikanischen Krankenhaus, die in einer Studie mehr Freiräume bei der Gestaltung ihrer Arbeit bekamen. Sie haben zum Beispiel selbst und eigenständig entschieden, dass sie Bilder in den Patientenzimmern auf- und umgehängt haben, um den Patienten den Aufenthalt angenehmer zu gestalten. Das Ergebnis: Diese Reinigungskräfte waren deutlich zufriedener und motivierter, und die Patienten fühlten sich wohler. So einfach kann Selbstwirksamkeit sein. Darüber hinaus geht es immer auch um ein Gemeinschaftsgefühl, denn der Mensch ist ein soziales Wesen, wir brauchen den Austausch mit anderen, das Gefühl der Zugehörigkeit. Ein gutes Arbeitsumfeld sollte daher Raum für Begegnung und Kommunikation schaffen – und zwar nicht nur in Form von Videokonferenzen, sondern in realen Begegnungen, im persönlichen Austausch. Schaffen wir Räume für informelle Begegnungen, für gemeinsame Pausen und Aktivitäten! Denn nur im persönlichen Kontakt entstehen Vertrauen, Zusammenhalt und Teamgeist – und damit auch die Basis für Kreativität und Innovation.

Teil 2 des Interviews mit Autor und Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm lesen Sie in der Print-Ausgabe von IT-Director 10/24 im Schwerpunkt „Lösungen/Work-Life-Balance“. Der Erscheinungstermin ist am 14.10.2024.

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