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03.11.2020 | Mittelstand | Interview | Online-Artikel

"Bei der Digitalisierung geht es nicht um Aktionismus"

verfasst von: Andrea Amerland

4 Min. Lesedauer

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Die Digitalisierung hat auch im Mittelstand an Fahrt gewonnen, so Berater und Springer-Autor Harald R. Fortmann. Allerdings sollten KMU aus Angst, den Zug zu verpassen, nicht in Aktionismus verfallen. Eine langfristige digitale Strategie zahle sich mehr aus. 
 

Springer Professional: Aktuelle Studien bescheinigen dem Mittelstand, bei der Digitalisierung aufgeholt zu haben. In welchen Bereichen ist der Digitalisierungsgrad bei KMU Ihren Erfahrungen nach am weitesten fortgeschritten?

Harald R. Fortmann: In der Tat gab es in den letzten 18 Monaten eine starke Welle im Mittelstand. Die Frage des Ob ist durch des Wie ersetzt worden. Man kann nicht unbedingt eine Branche oder einen Bereich nennen, der weiter ist als andere. Was ich sehe ist, dass vor allem Mittelständler ihre digitale Transformation voranbringen, bei denen das Management oder die Unternehmerfamilie die Dringlichkeit erkannt hat und aus der Führungsetage die Transformation vorlebt. Mein Buch soll genau solche Fälle zeigen und anderen den Mut machen diesen Weg zu gehen; nur so bleibt auch ihr Unternehmen für die Zukunft gut aufgestellt.

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Wo hat der Mittelstand bei der digitalen Transformation noch Nachholbedarf?

Oftmals wird die digitale Transformation mit dem Einsatz von digitalen Tools oder der Modernisierung der IT gleichgesetzt. IT ist ein Hilfsmittel für die digitale Transformation, aber nicht das Gleiche. Aus Sorge, den Zug zu verpassen, verfallen einige Unternehmenslenker in blinden Aktionismus, vor allem in größeren Konzernen. Wir beobachten, dass insbesondere bei Unternehmen in Familienhand mehr auf die Enkelfähigkeit des Unternehmens geschaut wird und eine langfristige digitale Strategie jedweden Aktionen vorangesetzt wird. Ziele – Wege – Maßnahmen sollte hier die Kette lauten, ansonsten kommt die Ernüchterung der schönen neuen digitalen Arbeitswelt schnell und man beendet die digitale Transformation wieder. Das Verständnis für einen kompletten und behutsamen Kulturwechsel ist immens wichtig. Denn nur, wenn sich Arbeits- und Führungskultur verändert, hat das Unternehmen Raum für eine digitale Transformation.

Wie sieht es mir Agilität und Geschwindigkeit aus, wenn es darum geht, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren?

War das 19. Jahrhundert durch die Workability, also die physische Arbeitsfähigkeit gekennzeichnet, so ist das 21. Jahrhundert durch Agilität geprägt. Die wichtigste Kompetenz des 21. Jahrhundert ist und wird auch weiterhin die Anpassungsfähigkeit sein. Das führt zu massiven Änderungen im Unternehmen: von Prozessen bis zur Führungskultur. Geschwindigkeit ist in diesem Kontext auch wichtig – aber nochmals: Bei der Digitalisierung geht es nicht um Aktionismus. Vielmehr geht es darum, Entscheidungen schnell zu treffen und vor allem eine Fehlerkultur zu etablieren, die diese erlaubt und schnelle Korrektive ermöglicht. Die Zeiten, in denen Produkte und Dienstleistungen langfristig geplant und ausgearbeitet wurden, sind vorbei. Wir leben in einer Beta-Welt, in der es darum geht, erst einmal mit Minimum Viable Products, Iterationen eines Produkts auf den Markt zu bringen um mit minimalem Aufwand den Kunden-, Markt- oder Funktionsbedarf zu decken und handlungsrelevantes Feedback zu gewährleisten.

Halten die Fähigkeiten der Mitarbeiter mit den digitalen Entwicklungen Schritt? Welche Kompetenzen müssen ggf. noch aufgebaut werden?

Das ist pauschal nicht zu beantworten. Die Fähigkeit, sich der digitalen Transformation im Unternehmen zu stellen, teilt sich in Wollen- und Können-Ebene. Idealerweise deckt ein Mitarbeiter beide Ebenen ab, jedoch ist die Wollen-Ebene die maßgebliche. Denn hier Widerstand zu überwinden, ist immer schwieriger als Mitarbeiter durch Weiterbildungs- und Personalentwicklungsmaßnahmen zu stärken. Der Begriff des Lebenslangen Lernens war lange eher ein Buzzwort als gelebte Realität. Dies hat sich spätestens jetzt geändert, da die Halbwertzeit von Wissen stetig sinkt. Daher sind Agilität und Neugier aus meiner Sicht die wichtigsten Kompetenzen für die Arbeitswelt von heute und morgen.

Welchen Einfluss hat die Corona-Krise auf Transformationsprozesse in kleineren und mittleren Unternehmen?

Die Corona-Krise hat zweifelsohne viele Maßnahmen beschleunigt und auch Bedenken aus dem Weg geräumt. Wir haben bei mittelständischen Kunden, die lange mit dem Mobile-Office-Thema zurückhaltend waren auf einmal Tendenzen, dass nun überlegt wird, ob es in Zukunft überhaupt noch ein Büro in der derzeitigen Form geben soll. Und auch Prozesse sowie Tools sind viel schneller zum Einsatz gekommen. Bei den meisten meiner Gesprächspartner hat es dazu geführt, dass Widerstände überwunden wurden und heute eher ein positives Fazit gezogen wird. Gelernt wurde hier auch, dass vieles gar nicht weh tut, sondern vielmehr Vorteile für die Mitarbeiter und am Ende auch für die Kunden mit sich bringt. Covid-19 ist aus meiner Sicht nicht entscheidend gewesen für die digitale Transformation, hat aber auf jeden Fall diese bei vielen Mittelständlern deutlich beschleunigt und dazu geführt, dass erst mal gemacht wurde. Perfekt kommt später.

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