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22.12.2015 | Mobilitätskonzepte | Interview | Online-Artikel

"Der Fokus verschiebt sich auf eine neue Definition des Mobilseins"

verfasst von: Christiane Brünglinghaus

5 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Sebastian Wedeniwski

Der Automobilindustrie steht eine grundlegende Transformation bevor. Digitalisierung, Vernetzung, Individualisierung und Datenfokussierung verändern die Mobilität. Springer für Professionals sprach mit Sebastian Wedeniwski über diesen Wandel.

Auf welche Weise und in welche Richtung verändert die Digitalisierung die Automobilwirtschaft? Sie sprechen in Ihrem Buch "Mobilitätsrevolution in der Automobilindustrie" in diesem Zusammenhang von einer Verschiebung vom AUTOmobil zum AutoMOBIL.

Die Verschiebung vom AUTOmobil zum AutoMOBIL soll die durch die Digitalisierung entstehende Veränderung der Wertschöpfungskette in der Automobilwirtschaft verdeutlichen. In der traditionellen Automobilindustrie ist der Fokus auf das Produkt AUTO gerichtet und somit primär auf den Beginn der Wertschöpfungskette mit Forschung & Entwicklung, Beschaffung und Produktion beschränkt. Zusammengefasst konzentrieren sich die Fähigkeiten heutiger Autobauer darauf, ein integriertes Auto vor dem Verkauf herzustellen. Durch die vielen, neuen digitalen Möglichkeiten kann die räumliche Mobilität für Konsumenten dienstleistungsorienterter und kostentransparenter angeboten werden. Dabei ist das Produkt Automobil weiterhin ein fundamentaler Baustein in der Wertschöpfungskette zur Ermöglichung räumlicher Mobilität. Allerdings verschiebt sich der Fokus auf eine neue Definition des MOBIL seins und somit das AutoMOBIL. Damit werden Fähigkeiten notwendig, eine integrierte Mobilität nach dem Verkauf des Produktes zu leisten, was eher dem Ende der heutigen Wertschöpfungskette in der Automobilwirtschaft entspricht.

Fahrzeughersteller, Technologie- und Elektronikunternehmen, die öffentlichen Verkehrsunternehmen und die Mobilitätsdienstleister entwickeln sich zunehmend zu einer Mobilitätsindustrie. Was bedeutet das für die Automobilindustrie?

Durch die digitalen Möglichkeiten in der Mobilitätsindustrie werden die heutigen individuellen "Stehzeuge" effizienter genutzt und dadurch zu tatsächlichen, personalisierten sich bewegenden Fahrzeugen. Vor allem in Ballungsräumen wird zwangsläufig die Anzahl der Fahrzeuge durch eine effizientere Mehrfachnutzung auf etwa ein Zehntel reduziert. Eine sich nicht verändernde Automobilindustrie wird dadurch lediglich ein Zulieferer von Gebrauchsgütern mit einer geringen Verhandlungsstärke in der wachenden Wertschöpfung einer Mobilitätsindustrie, die das AutoMOBIL vorantreibt. Uber ist hier ein Beispiel.

Wie kann sich die Automobilindustrie in einer Mobilitätsindustrie weiterentwickeln?

Zahlreiche Automobilunternehmen haben bereits erkannt, dass der Endkunde mit seinen Erlebnissen mehr im Fokus des Geschäftsmodells stehen muss. Dennoch fällt es allen Fahrzeugherstellern noch sehr schwer, die Geschäftskompetenzen aus Forschung & Entwicklung besser über die gesamte Unternehmensstruktur zu verteilen. Die Autobauer müssen sich von einem einzigen Produktlebenszyklus Design/Entwicklung, Herstellung, Verkauf, Wartung und schließlich der Entsorgung verabschieden und mindestens drei unabhängigere Zyklen weiterentwickeln. Im Buch trenne ich die drei Zyklen in vor, während und nach dem Fahrzeugverkauf.

Würden Sie bitte diese drei Zyklen genauer beschreiben?

Die meist in heutzutage bekannten Strukturen der Forschung & Entwicklung, der Beschaffung und der Produktion sollten nicht ein komplett, abgeschlossen integriertes Produkt erstellen, sondern sich auf die Erstellung einer minimalisierten Fortbewegungskapsel konzentrieren. Dieser erste Zyklus reduziert sich ausschließlich auf ein sicher fahrendes Grundsystem aus Antrieb, Fahrwerk und Karosserie. Es ähnelt einem heutigen Zyklus eines Fahrzeugs, weil auch eine minimalisierte Fortbewegungskapsel ein integriert nutzbares Produkt sein muss und in einigen Märkten durchaus auch nur in dieser Form zum Einsatz kommen mag. Erst in einem zweiten unabhängigen Zyklus entsteht aus dem lagergefertigten Grundsystem eine personalisierte Fortbewegungskapsel. Dieser zweite Zyklus würde im Wesentlichen von einem heutigen Vertrieb für auftragsgefertigte Fahrzeuge stattfinden. Allerdings werden in diesem Zyklus auch Fertigungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel durch einen 3-D-Drucker, für personalisierte Ausstattungen oder austauschbarer Elektronik notwendig. Erst aber der dritte Zyklus würde den Kern der Integration in einen heutigen Kundendienst verschieben. Allerdings wäre dieser Zyklus über die digitale Produktentstehung und somit im Wesentlichen über die Software definiert. Das Produkt würde dann über eine Fertigungsart "Digitale Kopie" zum AutoMOBIL entstehen. Dazu würden beispielsweise heutige Subsysteme Kommunikation und Unterhaltung gehören, die dann nur über Software-Änderungen den gewünschten Erlebnissen eines Nutzers angepasst werden. Neue Geschäftsmodelle entstehen bereits heutzutage über Mehrwertdienste in so einem unabhängigen Zyklus. Das ist aber erst der Anfang der Möglichkeiten in einer Mobilitätsrevolution.

Wer wird welche Rolle im zukünftigen Mobilitätsmarkt spielen?

Es ist kaum möglich die Zukunft vorherzusehen. Als Fahrzeugbesitzer haben wir aber heutzutage oft keine erfreulichen Erlebnisse, wenn es um den Fahrzeugkauf, der Kfz-Versicherung, dem Parken, der Werkstattaufenthalte, dem Fahrzeugverkauf usw. geht. Den Mobilitätsmarkt werden die Unternehmen dominieren, die diese Erlebnisse neu definieren.

Wie beeinflussen Digitalisierung, Vernetzung, Individualisierung und Datenfokussierung die Strategie, das Geschäftsmodell und die Architektur eines Unternehmens der Automobilindustrie?

Ein Unternehmen wird grundlegend durch ihre Strategie, Geschäftsmodell und Architektur bestimmt. Die Digitalisierung und Vernetzung entwickelt sich rasant unabhängig von der Automobilindustrie und verändert maßgeblich unsere Gesellschaft. Dadurch entstehen individualisiertere Ansprüche im Konsum, die bereits andere Industrien, wie beispielsweise die Unterhaltung, komplett verändert haben. Nun machen die Möglichkeiten der Digitalisierung und Vernetzung keinen Halt davor, individuelle, räumlich Mobilität über die Produktgrenzen des Fahrzeugs hinaus weiterzuentwickeln. Die Datenfokussierung muss nicht gleich dem Geschäftsmodell von Google entsprechen. Dennoch werden Daten eine fundamentale Bedeutung des Geldstroms im Absatzmarkt der dienstleitungsorientierten Mobilitätsindustrie haben und somit maßgeblich die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen bestimmen. Daten werden in etwa der profitablen Bedeutung des Öls in der heutigen Automobilindustrie entsprechen.

Wie muss eine Unternehmensarchitektur aussehen und welche Kompetenzen müssen Fahrzeughersteller aufweisen, um bestmöglich für den Mobilitätswandel gerüstet zu sein?

So eine Frage lässt sich nicht in wenigen Sätzen beantworten. Jeder Fahrzeughersteller hat eine Unternehmensarchitektur. Sie wird aber in der Automobilwirtschaft nie ganzheitlich im Zusammenhang mit dem Geschäftsmodell gesehen. Die Fahrzeughersteller konzentrieren sich hier ausschließlich auf die Fahrzeugarchitektur. Durch neue Geschäftsmodelle, die über die Fahrzeuggrenzen hinausgehen, werden weitreichendere Architekturen im Unternehmen notwendig. Beispielsweise werden Fahrzeughersteller nur dann in Zukunft erfolgreiche, wenn eine einheitliche Architektur für die Fahrzeugentwicklung und Finanzdienstleistungen existiert.

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