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21.09.2017 | Mobilitätskonzepte | Schwerpunkt | Online-Artikel

Automobildesign ist Leidenschaft

verfasst von: Christiane Köllner

5:30 Min. Lesedauer

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Was macht gutes und mutiges Fahrzeugdesign aus? Und warum findet man es so selten? Ein Gespräch mit dem Designer Chris Bangle über den Unterschied zwischen "Automobilen" und "Cars“. 

Können Sie sich noch an Ihr erstes Auto erinnern? Wie es in der Sonne geglänzt hat, wie es roch, als Sie einstiegen, wie es sich angefühlt hat, es zu fahren? Ich wette, Sie können sich erinnern. Warum ist das so? Das liegt daran, dass Autos für uns mehr sind als nur Blech und Transportmittel. Sie sind emotionale Käufe und werden Teil unseres Lebens. Besonders zu unserem ersten eigenen Auto ist die Bindung stark. Wir erleben mit diesem Auto das erste Mal Unabhängigkeit und ein Gefühl von Freiheit. 

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Automobildesign – Entwicklung und Formensprache

Das Automobil ist über 125 Jahre alt. Während der ersten vierzig Jahre, vom Benz-Dreirad über den 1891 Panhard Panhard & Levassor, das erste moderne Automobil, bis zu Henry Fords Modell T, dem ersten standardisierten Volkswagen, war dessen Entwicklung weitestgehend technologisch geprägt.

 

Dass wir nicht nur ein rational-pragmatisches Verhältnis zum Auto haben, liegt vor allem am Design. Mögen wir beim Gang durchs Autohaus noch so sehr auf Technik, Höchstgeschwindigkeit oder Sicherheitsausstattung achten – am Ende beeinflusst das Exterieur unsere Kaufentscheidung in hohem Maße. Denn wer kauft sich schon ein Auto, das er hässlich findet? 

Autos repräsentieren den Menschen

Doch wann empfinden wir ein Auto als schön? Was macht also gelungenes Automobildesign aus? "Gutes Automobildesign ist inspirierend und fesselnd", sagt Chris Bangle in einem Gespräch im Vorfeld der IAA in Frankfurt. Bangle muss es wissen. Der gebürtige US-Amerikaner war 17 Jahre lang Designchef der BMW Group, bevor er 2009 sein Design- und Design-Management-Beratungsunternehmen Chris Bangle Associates in der Nähe von Turin gründete. Derzeit arbeitet er an verschiedenen Projekten – unter anderem mit dem Simulationsspezialisten Exa an einem Elektroauto. 

Der Designer ist davon überzeugt, dass man sich in einem Auto selbst wiederfinden muss. Autos sind Avatare, also Projektionen des Selbst in einer anderen Form. Um diese Überzeugung deutlich zu machen, unterscheidet Bangle zwischen "Automobil Design" und "Car Design". Ein Aufzug ist für ihn zum Beispiel ein "Automobil" – etwas, das sich selbst bewegt. Aber wir erinnern uns nicht an den Aufzug, den wir zuletzt benutzt haben, oder an das Taxi, mit dem wir kürzlich gefahren sind. Der Grund ist: Beides sind "Automobile". Wir erinnern uns aber sehr wohl an unser erstes eigenes Auto. Und hier liegt der Unterschied: Ein "Automobil" ist ein Transportmittel, ein "Car" ist das, was ich bin. 

Autos sind zu Form gewordene Liebe. Die Leidenschaft aller, die ihr Talent und ihre Energie ins Schaffen dieses Autos gelegt haben, wird beim Streichen über den Kotflügel sofort spürbar. Geliebt werden sie auch von ihren Besitzern, repräsentieren Autos doch auf wundervolle Weise den Menschen selbst", bringt es Bangle im Artikel Blech Beauty aus der Automotive Agenda 1/2012 auf den Punkt. 

Schaut man sich auf den Straßen um, dann beschleicht einen das Gefühl, dass derzeit mehr "Automobile" und weniger "Cars" unterwegs sind. Zu gleichförmig erscheinen die Fahrzeuge; zu wenig mutig das Design. Woran liegt das? Laut Bangle befinden wir uns in einer kulturellen Phase, die sich einerseits in ihrer expressiven Wiederholung der Stilmittel als manieristisch beschreiben lässt. Und auf der anderen Seite von Angst und Furcht geprägt ist. "Wir leben in einer großen Zeit der Angst", sagt Bangle. 

Keine Angst vorm Scheitern

Was bedeutet dieser Zeitgeist für das Fahrzeugdesign? Die Furcht, etwas falsch zu machen oder das Markenimage zu gefährden, führt zu eher eintönigen und konservativen Designs. Bangle fordert daher mehr Mut, Neues auszuprobieren. Daher möchte er sich bei der Beurteilung von Fahrzeugdesigns auch eher zurückhalten. "Wenn man sagt, dass ein Auto hässlich ist, dann würdigt man es herab. Das bedeutet gleichzeitig, dass man das Andersartige, das Ungewöhnliche und sogar das Scheitern herabwürdigt". Ohne diese Spannung gäbe es aber keine Kultur. "Wenn man Angst davor hat zu scheitern, dann wird man nicht die Reichhaltigkeit kreieren, auf der die Zukunft basiert", so Bangle. Der Design-Professor Paolo Tumminelli bezeichnet diese Herausforderung des Schönheitskanons als "[…] Ermutigung zur […] Designanarchie", wie er im Artikel Car you crazy? aus der Automotive Agenda 1/2012 beschreibt.

Diese Ermutigung zum Neudenken müssen gerade die Designer ernst nehmen. Denn wenn Designer immer nur das machen, was sie mögen, können sie auch nichts Neues ausprobieren. Wie können sie dann zum Beispiel neue Formen jenseits der reinen Funktionalität finden? Oder statt glatter Oberflächen, Neue erschaffen, die zum Beispiel strukturiert, asymmetrisch oder mehrdeutig sind? Für Bangle greift es daher zu kurz, dass Management dafür zu beschuldigen, nicht offen genug für radikale Designexperimente zu sein. Zuerst müsse der Designer bei sich selbst anfangen.

Ein wenig kritisiert Bangle das Management aber doch: Trotz seiner Faszination für moderne Simulationsmethoden werden seiner Meinung nach zu wenig Ressourcen für das Modellieren physischer Modelle bereitgestellt. Diese seien wichtig, damit Designer Raum für Flexibilität und die Möglichkeit erhalten, zum Beispiel neue Oberflächen auszuprobieren. "Ein Designer braucht die Erfahrung der Körperlichkeit", sagt Bangle.   

Formfindung für technische Vorgaben?

Dass Designer kreative Freiräume brauchen, steht außer Frage. Doch sie arbeiten nicht im luftleeren Raum. Das unterscheidet sie auch von Künstlern: "Ein Künstler entscheidet, wann er startet und aufhört. Sobald man einen Kunden hat, ist man Designer", sagt Bangle.

Gerade die Entwicklung eines Fahrzeuges ist ein hoch interdisziplinärer Prozess, "bei dem unterschiedliche Bereiche wie Marketing, Vertrieb, Design, technische Entwicklung und Produktion zusammen arbeiten", wissen auch die Springer-Autoren im Kapitel Formen und neue Konzepte aus dem Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik. Dabei kommen gerade die Designer und Aerodynamik-Ingenieure aus unterschiedlichen Welten. Am Ende müssen Aerodynamik- und Designziele jedoch ausbalanciert werden. "Ich darf die Technik nicht verbiegen, und Frank darf die gestalterische Form nicht verbiegen", sagt zum Beispiel der BMW-Chefdesigner Adrian van Hooydonk im ATZ-Interview über die Zusammenarbeit mit seinem Aerodynamik-Kollegen Frank Weber, Leiter Produktlinie "Große Modellreihe" des Münchener Autobauers. Van Hooydonk hatte die Leitung des BMW Group Design 2009 von Chris Bangle übernommen. 

Für Bangle besteht das Zusammenspiel mit den Ingenieuren aus einem fairen Ringen um die besten Lösungen. Die Aufgabenteilung dabei bringt er so auf den Punkt: "Ingenieure lösen Probleme, Designer kreieren Probleme". Doch Bangle blickt weiter: Er wünscht sich mehr Emanzipation. Spezialisten wie Laien sollten einen Beitrag zum Designprozess leisten. Gemeinsam kommt dann das Auto auf die Straße, was am besten fährt – und am besten aussieht.

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