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20.10.2021 | Mobilitätskonzepte | Interview | Online-Artikel

"Entscheidend ist Flexibilität"

verfasst von: Andreas Burkert

5:30 Min. Lesedauer

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Die IAA Mobility wollte der urbanen Mobilität Tribut zollen. Es gelang, weil manche Zulieferer mit flexiblen Mobilitätsformen überraschten, wie Clement Feltz, Leiter R&D Vehicle Technologies bei Schaeffler, erklärt. 

Springer Professional: Herr Feltz, das Geschäft mit der urbanen Mobilität scheint immer mehr an Fahrt aufzunehmen. Verfügt Schaeffler über eine Abteilung oder aber Arbeitsgruppe, die sich ausschließlich mit dem Thema künftige Mobilitätsformen der urbanen Mobilität befasst?

Feltz: Für die effektive Umsetzung neuer Mobilitätskonzepte wie zum Beispiel Robo-Taxis, Robo-Shuttles oder Logistik-Mover für die Last-Mile-Auslieferungen sind mechatronische Technologien auf Komponenten- und Systemebene erforderlich. In unserer Abteilung "Vehicle Technologies" entwickeln wir zusammen mit Schaeffler Paravan Technologies Lösungen und Produkte, die unser bisheriges Portfolio genau in diese Richtung ergänzen. Das jahrzehntelanges Komponenten- und System-Know-how übertragen wir hier auch auf die Fahrzeugebene.

Dann kennen Sie auch die Trends?

Als Teil der Neuausrichtung unserer Strategie haben wir uns mit der Frage beschäftigt, welche Zukunftstrends für uns relevant sind. Ein identifizierter Zukunftstrend ist die "Neue Mobilität". Maßgebliche Treiber dafür sind der rasante regulatorische und technologische Wandel, die zunehmende Urbanisierung sowie das wachsende gesellschaftliche Bewusstsein für die negativen Umweltauswirkungen der traditionellen Mobilitätskonzepte. 

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Wie aus dem vorangegangenen Kulturkapitel ersichtlich wurde, hat sich das Thema urbane Mobilität mit Ausbruch der Coronakrise deutlich verändert. Die Welt ist nahezu zum Stehen gekommen. Ob es generell zu einer Entschleunigung kommen wird, werden die nächsten Monate zu zeigen haben. Kontaktverbote und damit einhergehend leere Innenstädte und Autobahnen haben einen neuen Lebensrhythmus generiert, die Frage ist, ob und wie lange er anhalten wird. Mobilität konnte den Lebensraum eines jeden Einzelnen erweitern und wird demnach als Schnittstelle zur Stadtentwicklung gesehen, die Arbeit, Wohnen und Leben miteinander verbindet. Verändert sich die Mobilität, verändert sich die Stadt mit ihr. 

Welche Konzepte verfolgt Schaeffler hinsichtlich der Mobilitätsformen der urbanen Mobilität.

Ein Produkt für diese neuen Mobilitätsformen ist das sogenannte Schaeffler Corner Module. Diese Module ermöglichen einen Radeinschlag von bis zu 90 Grad und umfassen den Radnabenmotor, die Radaufhängung inklusive Luftfederung, den Aktor für die elektromechanische Lenkung und eine Bremse. Eine erste Generation davon wurde bereits in unserem Schaeffler Mover 2018 gezeigt. Die Module wurden weiter in Richtung Serienreife und Skalierbarkeit entwickelt, was auf der IAA 2021 in München zu sehen war. Dazu kommt zwingend ein zentrales Steuergerät was einerseits die Befehle des virtuellen Fahrers empfängt und andererseits diese Befehle in ASIL-D gerechte Signale zur Ansteuerung der Module (Lenkung, Antrieb und Bremse) umsetzt. Dabei profitieren wir von der vorhandenen Erfahrung aus dem Space Drive System von Schaeffler Paravan Technologies.  

Haben Sie ein weiteres Beispiel?

Ja. Die nächsthöhere Systemebene ist unser sogenanntes Rolling Chassis. Schaeffler hat eine skalierbare und flexible Rolling-Chassis-Plattform als Konzept definiert. Sie ermöglicht unterschiedliche Antriebsarten – etwa Radnabenmotoren oder E-Achsen – und verschiedene Lenkungslösungen, zum Beispiel Einzelrad- oder Zentrallenkung. Mit diesen Eigenschaften kann unser Rolling Chassis ideal für unterschiedliche Einsatzzwecke wie Personen-Transport, Logistik- oder Service-Anwendungen angepasst werden.

Welche Voraussetzungen müssen seitens der Gesetzgebung erfüllt werden, um zumindest in urbanen Räumen eine Verkehrswende zu initiieren? 

Zum einen begrüßen wir, dass die Bundesregierung im Rahmen des Konjunktur- und Zukunftspakets rund 820 Millionen Euro zur Erprobung von Modellprojekten sogenannter Smart Cities zur Verfügung stellt. Die intelligenten Infrastrukturen sollen den täglichen Alltag erleichtern sowie verbessern. Dies erfolgt über schnelle Funknetze oder innovative Lösungen. Zum anderen wurde durch das Gesetz zum autonomen Fahren ein wesentlicher rechtlicher Rahmen geschaffen. 

Ein wichtiger Schritt, auch weil die künftige Mobilität stark datengetrieben ist?

Ja. Und dafür muss es klare gesetzliche Rahmenbedingungen geben, zum Beispiel zum Datenaustausch zwischen zwei Fahrzeugen oder auch zwischen Fahrzeugen und Dritten beziehungsweise der Umgebung. Ebenso sind klare Rahmenbedingungen hinsichtlich der Datenhoheit, Datenweitergabe und Datenhaftung erforderlich. Auch das vor Kurzem in Deutschland verabschiedete Gesetz zum autonomen Fahren ist eine wesentliche Voraussetzung für die zukünftigen Mobilitätsformen. Es ermöglicht etwa den Betrieb eines People Movers – und das ohne Sicherheitsfahrer im Fahrzeug, was bis dato gefordert war. Nun kann die Sicherheitsüberwachung auch aus einer Zentrale beziehungsweise einem Leitstand heraus gestaltet werden.

Abgesehen von der Antriebsart, welche Anforderungen müssen Ihrer Ansicht nach solche Fahrzeuge künftig vor allem erfüllen?

Entscheidend ist Flexibilität: Die bereits erwähnte Nutzung einer Rolling Chassis Plattform ermöglicht mit unterschiedlichen Aufbauten diverse Anwendungen. Ein weiterer wichtiger Punkt: Fahrerlose Fahrzeuge, die batterieelektrisch angetrieben sein werden, müssen auch autonom geladen werden können. In dem Schaeffler Rolling Chassis ist ein automatisiertes, konduktives Ladesystem vorgesehen, wodurch ein bedienerloses Aufladen der Batterie ermöglicht wird.

Der wesentliche Quantensprung muss jedoch bei dem "virtuellen Fahrer" geschehen. Aktuelle People-Mover-Demonstratoren und Prototypen fahren sehr langsam. Diese Fahrzeuge fahren häufig auf einer vorher genau vermessenen Strecke über einen Soll-/Ist-Vergleich, quasi auf einer virtuellen Schiene. Unvorhergesehenen Hindernissen wie parkende Autos oder neue Vegetation können bereits zum Stillstand dieser Fahrzeuge führen. Die Fahrzeuge selbst sind so ausgelegt, dass sie im heute zugelassenen Betriebsmodus gut operieren können, sind aber in der Regel nicht für höhere Geschwindigkeiten tauglich.

Dann müssen nur noch die Fahrer und Fahrerinnen überzeugt werden.

Um die Akzeptanz bei den Fahrgästen zu steigern und für den Flottenbetreiber einen wirtschaftlichen Betrieb zu ermöglichen, ist also gegenüber heutigen Robo-Shuttles ein Quantensprung beim automatisierten Fahren erforderlich. Aus diesem Grund arbeiten wir mit Mobileye, einem weltweit führenden Anbieter von Systemen für automatisiertes Fahren zusammen, um gemeinsam mit den Schaeffler-Kernkompetenzen, der Entwicklung und Fertigung von mechatronischen Antriebs- und Lenksystemen sowie unserer Industrialisierungsexpertise, eine solche zukunftsfähige Plattform anbieten zu können. Neben der Sicherheit solcher Systeme ist aber auch die Kundenschnittstelle ein entscheidendes Akzeptanzkriterium. Hierzu müssen die Fahrzeuge in das bestehende Mobilitätsnetzwerk eingebunden werden und die Kundenschnittstelle inklusive Bezahlung möglichst einfach gestaltet sein.

Bleibt noch die Frage zur Infrastruktur. Welche Anforderungen müssen da noch erfüllt werden, um die Idee einer idealen urbanen Mobilität zu verwirklichen? 

Bei der Infrastruktur für diese zukünftige Mobilität denken alle sofort an das Thema Vernetzung, 5G sowie zugehörige "Mobility as a Service"-Apps für multimodale, nahtlose Mobilität. Und ja, diese Voraussetzungen müssen auf jeden Fall geschaffen werden.

Fehlt nur noch die Intelligenz dahinter. Oder davor?

Bezogen auf das "Leiten" dieser autonomen Fahrzeuge gibt es zwei unterschiedliche Ansätze: Zum einen kann die "Intelligenz" in die Infrastruktur integriert werden, etwa in Form von intelligenten Ampeln oder sogenannten smart Roads. In diesem Falle müssten die Fahrzeuge nicht sonderlich "intelligent" sein, da sie sozusagen fremdgesteuert bleiben. Ein anderer Weg ist es, die Fahrzeuge wirklich "autonom" zu machen, ohne dass die heutige Infrastruktur entsprechend angepasst werden muss.

Unsere Rolling Chassis Plattform etwa kann sowohl Fahrbefehle verarbeiten, die entweder von der externen Infrastruktur oder dem im Fahrzeug verbauten AD-Modul gegeben werden und ist somit für beide der oben genannten Ansätze einsetzbar. 

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