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Open Access 2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

11. Modellierungsansatz für ein arbeitsplatznahes Beschreibungsmodell der „Arbeitswelt Industrie 4.0“

verfasst von : Wilhelm Bauer, Sebastian Schlund, Tobias Strölin

Erschienen in: Zukunft der Arbeit – Eine praxisnahe Betrachtung

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Die Diskussion über die Ausgestaltung der Arbeitswelt der Zukunft erlebt gerade eine Hochkonjunktur. Prognosen und Szenarien hinsichtlich der Auswirkung von Digitalisierung und Automatisierung auf die Beschäftigung sind notwendig, um heute die richtigen Weichenstellungen zu treffen. Noch unterscheiden sich diese jedoch drastisch und reichen von einem drohenden weitreichenden Jobabbau bis hin zu einem Positivsaldo von bis zu 350.000 neuen Jobs bis 2025. Zur Beschreibung und Bewertung der Veränderung von Produktionsarbeit durch technologieinduzierte Veränderungen aus den Bereichen der Automatisierung und Digitalisierung industrieller Wertschöpfung („Industrie 4.0“) wurde deshalb der folgende arbeitsplatznahe Modellansatz entwickelt. Zielsetzung dafür ist eine Darstellung des Lösungsraums für die Arbeitsgestaltung der Zukunft, die sich möglichst nah und praktikabel an der sichtbaren betrieblichen Realität im verarbeitenden Gewerbe orientiert.

11.1 Ausgangssituation

Unsere Arbeit verändert sich – im Büro, in der Produktion und in den Bereichen dazwischen, die immer mehr zusammenwachsen. Sie wird zunehmend flexibel, mobil und vernetzt. Die Diskussion über die Ausgestaltung der Arbeitswelt der Zukunft erlebt gerade eine Hochkonjunktur. Ganz besonders in der Produktion und den produktionsnahen Bereichen stellt die zunehmende digitale Vernetzung momentan eine zentrale Herausforderung dar. Einige Autoren prognostizieren bereits das Ende großer Bereiche der Arbeit, wie wir sie heute kennen (Brynjolfsson und McAfee 2014). Neue Technologien durchdringen vermehrt unsere Arbeitsprozesse, seien es bekannte aus unserem Alltag wie Smartphones und Tablet-Computer oder mittlerweile industriell einsetzbare wie kollaborative Leichtbauroboter und Datenbrillen. Produktivitätssteigerungen in Milliardenhöhe werden für die nächsten Jahre erwartet (BITKOM/Fraunhofer IAO 2014).
In Kenntnis des Einflusses, den das Ökosystem Internet heute auf unser Leben, unsere Freizeit und unsere Wissensarbeit hat, erzeugt die industrielle Umsetzung des Internets der Dinge eine hohe Erwartungshaltung (Bauer und Schlund 2015; Ganschar et al. 2013; Ingenics/Fraunhofer IAO 2014). An die ausstehende Umsetzung geknüpft sind Potenziale für Produktivitätssteigerungen vom betrieblichen Hallenboden bis zur horizontalen Vernetzung ganzer Wertschöpfungsnetzwerke, wie die folgende Abb. 11.1 zeigt.
Die daraus abgeleiteten Wertschöpfungspotenziale bilden die Basis für die hohe und zuweilen überzogene Erwartungshaltung an die Umsetzung von „Industrie 4.0“. Gespeist wird diese durch die Erfahrungen in anderen Bereichen der Arbeit. Aus unseren Büros sind moderne Hilfsmittel der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) schon heute nicht mehr wegzudenken. Die Übertragung echtzeitnaher Informationsverarbeitung und Mensch-Mensch- sowie Mensch-Maschine-Interaktion in die industrielle Wertschöpfung ist in vollem Gange. Diskutierten wir noch vor fünf Jahren über fehlende technische Infrastruktur, verfügen schon heute 41 % der Produktionsunternehmen über einen Anschluss ans Breitbandnetz und 45 % über zuverlässige WLAN-Verfügbarkeit in der Fabrik (Ingenics/Fraunhofer IAO 2014).
Parallel zu dieser Entwicklung liegen bereits qualitative und auch erste quantitative Abschätzungen zu den Auswirkungen auf die Arbeitswelt vor (Frey and Osborne 2013; Bowles 2015; ING DIBA 2015; Bonin et al. 2015; The Boston Consulting Group 2015; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015; Pfeiffer und Suphan 2015). Die Ergebnisse variieren stark in ihrer Bandbreite und sind in der Ausgewogenheit ihrer Grundannahmen, Datenbasis und Modellierungsparameter nicht vergleichbar. Neben den offensichtlichen Schwierigkeiten der Vergleichbarkeit bilden sämtliche Studien abgeleitete Gesamtaussagen ab. Diese bestehen aus Experteneinschätzungen der Substitution von Arbeit durch ausgewählte Automatisierungs- und Digitalisierungstechnologien sowie der Anwendung dieser Substitutionsfaktoren auf die Grundgesamtheit bestehender Beschäftigter im Bezugsland. Teilweise wird diesem Negativsaldo die Erwartungshaltung neu entstehender Beschäftigung entgegengestellt. Diese speist sich aus:
  • Beschäftigungseffekten einer gestiegenen Wettbewerbsfähigkeit, die sich in Form einer Mehrproduktion günstigerer Produkte widerspiegelt
  • Auswirkungen neuer technologie-induzierter Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten
  • Wachstum neu entstehender und i. d. R. IT-affiner Berufe und Berufsgruppen, wie beispielsweise Data Scientists, Produktionsinformatikern und Cloud-Service-Spezialisten
  • Beschäftigungseffekten, die durch vermehrte Investitionen in Industrie 4.0-fähige Anlagen, Betriebsmittel, Schulung und Qualifizierung entstehen
So sind beispielsweise durch die Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitstätigkeiten bzw. Berufen je nach Studie in Deutschland über die nächsten 20 Jahre 18 Millionen Arbeitsplätze stark gefährdet (ING DIBA 2015) oder werden mehr als 600.000 Arbeitsplätze aufgebaut (The Boston Consulting Group 2015).
Neben der schwierigen bis unmöglichen Vergleichbarkeit der bestehenden Studien, sind die Ergebnisse für die Umsetzung und Gestaltung betrieblicher Prozesse nur begrenzt anwendbar und nicht durchgängig handlungsleitend. Zudem bilden die aufgeführten Studien jeweils genau eine Ausprägung erwarteter Veränderungen ab und nicht den Gestaltungsraum, der durch ein integriertes Zusammenspiel von Maßnahmen in den arbeitswissenschaftlichen Kernbereichen Mensch, Technik und Organisation aufgespannt wird.

11.2 Notwendigkeit für ein arbeitsplatznahes Beschreibungsmodell der „Arbeitswelt Industrie 4.0“

Notwendig gemacht wird die Prognose zukünftiger Veränderungen von Arbeit durch die verstärkte Umsetzung technologiegestützter Arbeitsprozesse in Produktionsunternehmen und deren konkrete Ausgestaltung. Basis dafür bildet die Grundannahme, dass Arbeit auch vor dem Hintergrund neuer Formen der Automatisierung und Digitalisierung gestaltbar bleibt und nicht komplett technikdeterminiert stattfindet (vgl. Ittermann und Niehaus 2015).
Dies gilt gerade vor dem Hintergrund zahlreicher paralleler Technologien und Anwendungen (Plattform Industrie 4.0 2015; Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg 2015), deren dominierende Lösungen heute noch nicht absehbar sind und betrifft Unternehmen genauso wie die Gesellschaft bezogen auf die Schaffung dafür förderlicher politischer Rahmenbedingungen. Dies trifft zusammen mit unterschiedlichen Einschätzungen hinsichtlich der Nutzung neuer Lösungen in der Organisation. Gleichwohl wird für Unternehmen die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen der Organisation und Qualifikation der Mitarbeiter neben dem Bereich sicherer und zukunftsfester Hard- und Software-Infrastruktur zur entscheidenden Investitionsfrage bei der Schaffung erster Umsetzungsprojekte.
Grundsätzlich existiert heute eine Vielfalt von Modellen zur Beschreibung von Arbeit. Diese unterscheiden sich grob nach ihrem Betrachtungsfokus und ihrem Detaillierungsgrad. Abhängig von der erwarteten Aussage werden unterschiedlich hohe Detaillierungsgrade zugrunde gelegt (volkswirtschaftliche Modellierungsansätze vs. Arbeitsprozessbeschreibungen) bzw. bezieht sich die Struktur der Modellierung auf unterschiedliche Schwerpunkte. So stellt im Gegensatz zu den aufgeführten Modellen (Frey und Osborne 2013; Bowles 2015; ING DIBA 2015; Bonin et al. 2015; The Boston Consulting Group 2015; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015; Pfeiffer und Suphan 2015) das Arbeitssystem der DIN EN ISO 6385 (2014) eine stark prozessual orientierte Modellierung in den Vordergrund und orientiert sich an arbeitsphysiologischen Grundsätzen der ergonomischen Arbeitsgestaltung. Jedoch lassen sich die beiden vor dem Hintergrund der momentanen Industrie-4.0-Debatte diskutierten möglichen Entwicklungsrichtungen der polarisierten Organisation bzw. der Schwarm-Organisation hier nicht eindeutig voneinander abgrenzen. Die Prognose der Schwarm-Organisation (Ittermann und Niehaus 2015) geht davon aus, dass der durchgängige Einsatz neuer Vernetzungslösungen vorrangig hochqualifiziertes und spezialisiertes Personal mit hohen Handlungsspielräumen benötigt und eine Aufwertung der erforderlichen Kompetenzen stattfindet. Dem gegenüber wird in der polarisierten Organisation zusätzlich ein Bereich abgewerteter Fachkräfte Rest-Tätigkeiten auf ausführenden Ebenen übernehmen. Beide Entwicklungsrichtungen scheinen vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen möglich, ihre betriebs- und volkswirtschaftliche Ausgestaltung bzw. der dafür wünschenswerte Rahmen unterscheiden sich jedoch grundsätzlich.
Schwierig gestaltet sich die Beschreibung von Veränderungen von Arbeit heute zudem durch die Komplexität der Fragestellung. Diese liegen zum einen in den grundsätzlichen Einschränkungen von Prognosen begründet, zum anderen in der:
1.
Abhängigkeit von der Validität von Eingangsdaten, Modell und Modellparametern
 
2.
mangelnden Prognostizierbarkeit von Strukturbrüchen
 
3.
Scheingenauigkeit, insbesondere quantitativer, bezifferbarer Ergebnisse
 
Im konkreten Fall der Prognose von Arbeit und Beschäftigung kommen weitere Schwierigkeiten hinzu:
4.
fehlende Prognostizierbarkeit veränderter Arbeitsprozesse aufgrund entstehender Anwendungsfälle der Digitalisierung und Automatisierung
 
5.
Abhängigkeit von einzelnen Experteneinschätzungen und -meinungen
 
6.
Diskrepanz zwischen technischer Umsetzbarkeit neuer Lösungen und Einführung in bestehende und neue Arbeitsprozesse
 
7.
Schwierigkeiten in der Umsetzungsgeschwindigkeit neuer Technologien und der Realisierung der abgeleiteten Auswirkungen und daraus resultierende hohe Unsicherheiten bezüglich des Bezugszeitpunkts von Prognoseaussagen
 
8.
Arbeit als komplexes Konstrukt verändert sich in einer Reihe von Dimensionen, die mitnichten nur technologiezentriert sind, sondern Ergebnisse organisationaler, gesellschaftlicher und weiterer Einflüsse darstellen
 
Von einem arbeitsplatznahen Beschreibungsmodell der „Arbeitswelt Industrie 4.0“ wird deshalb erwartet, die bestehenden Ansätze um eine genauere Beschreibung der Auswirkungen neuer Anwendungen der Automatisierung und Digitalisierung auf der Mikroebene zu ergänzen und gleichzeitig Ansatzpunkte für Veränderungstendenzen der Arbeitsorganisation zu geben.

11.3 Modellansatz

Zur Beschreibung und Bewertung der Veränderung von Arbeit durch technologieinduzierte Veränderungen aus den Bereichen der Automatisierung und Digitalisierung industrieller Wertschöpfung wurde der folgende arbeitsplatznahe Modellansatz entwickelt. Es handelt sich hierbei um einen Entwurf, dessen Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, auf dessen Basis jedoch die Grundtheorie eines arbeitsplatznahen Beschreibungsmodells der „Arbeitswelt Industrie 4.0“ entwickelt wird.
Zielsetzung für den Modellansatz war eine Darstellung des Lösungsraums für die Arbeitsgestaltung der Zukunft, die sich möglichst nah und praktikabel an der sichtbaren betrieblichen Realität im verarbeitenden Gewerbe orientiert. Zudem sollte das Beschreibungsmodell anschlussfähig bleiben für übergeordnete Fragestellungen, bspw. die Auswirkungen auf physische und psychische Belastungen, grundsätzliche Veränderungsprozesse von Organisationen sowie Aussagen zu Beschäftigung und Qualifizierungsbedarf.
Im Kern des Ansatzes werden Industrie-4.0-induzierte Veränderungen von Arbeitstätigkeiten in 14 Beschreibungsdimensionen aufgetragen und interpretiert. Diese basieren auf den Auswirkungen von Technologieanwendungen aus den Bereichen Automatisierung und/oder Digitalisierung in der Produktion. Als Beschreibungsdimensionen wurden Kriterien ausgewählt, die einerseits die Veränderungen grundsätzlicher Arbeitstätigkeiten beschreiben und andererseits am Beispiel heutiger Pilotprojekte bewertbar sind.
Im Kern des Modellansatzes stehen die in Tab. 11.1 aufgeführten 14 arbeitsplatznahen Beschreibungsdimensionen.
Tab. 11.1
Beschreibungsdimensionen des Modellansatzes
Modelldimension
Leitfrage(n)
Bedarf
Werden mehr oder weniger Mitarbeiter mit dieser betrieblichen Funktion benötigt?
Problemlösung
Steigen oder sinken die Anforderungen hinsichtlich der eigenständigen Lösung nicht vorhersagbarer Probleme?
Monotone Aufgaben
Steigt oder sinkt der Anteil monotoner, sich wiederholender Tätigkeiten?
Komplexe Aufgaben
Steigt oder sinkt der Anteil komplexer Arbeitsinhalte (wenig Wiederholung, relativ hohe kognitive Beanspruchung)?
Planen
Steigt oder sinkt der Anteil planerischer Aktivitäten?
Kontrolle
Steigt oder sinkt der Anteil kontrollierender/überwachender Tätigkeiten?
Lernen, informell
Erhöht oder verringert sich die Möglichkeit/Notwendigkeit des Lernens im Prozess der Arbeit?
Lernen, formell
Erhöht oder verringert sich die Möglichkeit/Notwendigkeit des formellen Lernens (bspw. durch Weiterbildungsmaßnahmen, neue Ausbildungsmodule, neue Studiengänge etc.)?
Selbstbestimmung
Steigt oder sinkt der Grad der Selbstbestimmung der betroffenen Mitarbeiter hinsichtlich:
Bestimmung der Reihenfolge der auszuführenden Tätigkeiten, Auswahl der Arbeitsmethoden und/oder -mittel, Arbeitsgeschwindigkeit, Auswahl der Mitarbeiter, mit denen zusammengearbeitet wird?
Optimierung
Steigt oder sinkt die Möglichkeit der Optimierung der eigenen Arbeit (hinsichtlich der Prozesse aber auch der Organisation)?
Kooperation
Wird die Tätigkeit mehr oder weniger in Team-Strukturen eingebunden und entstehen damit höhere/niedrigere Anforderungen an kooperative Fähigkeiten der Mitarbeiter?
Kommunikation
Steigen oder sinken die Anforderungen hinsichtlich kommunikativer Fähigkeiten (bspw. durch verstärkte Team-Arbeit, stärkere vertikale/horizontale Vernetzung im Betrieb)?
Interdisziplinarität
Steigen oder sinken die Anforderungen hinsichtlich interdisziplinären Wissens, das über die Kenntnisse im eigenen Fachbereich hinausgeht?
IT-Kenntnis
Steigen oder sinken die Anforderungen an die betroffenen Mitarbeiter hinsichtlich ihrer IT-Kompetenzen?
Jeder dieser Dimensionen liegen die in der Tabelle abgebildeten Fragen zugrunde, welche die Veränderung für einen betrieblichen Funktionsträger beschreibt. Als solche werden Rollen und Jobprofile zusammengefasst, die typischerweise in Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes vorkommen bzw. aktuell in der Herausbildung sind und von einer Veränderung in den Modelldimensionen betroffen sind. Die im Folgenden abgebildete Liste ist erweiterbar. Nach Rücksprache mit Beteiligten aus zahlreichen Umsetzungsprojekten stellen die aufgeführten Funktionsträger jedoch die im ersten Schritt relevantesten im Umfeld der Digitalisierung und Automatisierung der Produktion und produktionsnaher Bereiche dar.
Für die Bewertung der Veränderung von Arbeit für die betrieblichen Funktionsträger in den aufgeführten Beschreibungsdimensionen werden bestehende und geplante Umsetzungsprojekte (‚Anwendungsfälle Industrie 4.0‘) herangezogen. In einem ersten Schritt wird ein solches Projekt erläutert und hinsichtlich des zu lösenden Problems, der Erwartungen hinsichtlich des Nutzens und der Änderungen des Arbeitsprozesses beschrieben (Schritt 1).
Anschließend werden die betroffenen betrieblichen Funktionsträger ausgewählt (Schritt 2, Abb. 11.2). Dies betrifft neben den heute am ausgewählten Arbeitsprozess beteiligten auch erwartete neue Tätigkeiten bzw. neu entstehende betriebliche Funktionsträger. Auf dieser Grundlage erfolgt die Bewertung der Veränderung des Arbeitsprozesses gemäß der Beschreibungsdimensionen (Schritt 3). Dazu wird auf einer fünfstufigen Likert-Skala zwischen den Ausprägungen ‚starker Anstieg‘; ‚Anstieg‘; gleichbleibend‘‚ Rückgang‘ und ‚starker Rückgang‘ unterschieden. Im Ergebnis liegt für jeden betrieblichen Funktionsträger eine Profillinie für die aufgrund des betrachteten Technologieeinsatzes ausgelösten Veränderungen seiner Arbeit vor. Das Gesamtvorgehen gibt die folgende Abb. 11.3 schematisch wieder.
Der Modellansatz basiert auf der Prämisse, dass durch die Aggregation der individuellen Veränderungen für mehrere Anwendungsfälle und betriebliche Funktionsträger allgemeingültige Aussagen für die Arbeitswelt in Industrie 4.0 bestimmt werden können. In ersten Pilotprojekten und bereits stark arbeitsteiligen und global verknüpften Wertschöpfungsnetzwerken sehen wir bereits heute die Auswirkungen dieses technologischen Fortschritts auf die Arbeit. Die praktische Anwendbarkeit an konkreten Umsetzungslösungen stand bei der Entwicklung des Ansatzes im Vordergrund. Getestet wurde der Modellansatz gemeinsam mit der VDI/VDE-IT und den Projekten des aktuellen AUTONOMIK-Programms des BMWi. Die Anwendung zeigt, dass der beschriebene Modellierungsansatz für die Einordnung der Auswirkungen einzelner Umsetzungsprojekte der Automatisierung und Digitalisierung auf Arbeit in Produktion und produktionsnahen Bereichen anwendbar ist. Insbesondere ist zu erkennen, dass durch das beschriebene Modell qualitative Veränderungen der Arbeitstätigkeiten sehr gut arbeitsplatznah beschrieben werden können. Über einzelne Umsetzungsprojekte hinaus lassen sich zusätzlich mögliche Entwicklungsrichtungen der Arbeitsgestaltung darstellen und als Referenz mit den Anwendungsergebnissen vergleichen. Beispielsweise lassen sich die beiden Grundszenarien der Automatisierung bzw. der Spezialisierung einordnen (Windelband und Dworschak 2015) Abb. 11.4. Ersteres Szenario beschreibt eine Ausprägung der Arbeitsgestaltung, in der technische Systeme Mitarbeiter lenken und deren Arbeit durch die eingesetzte Technik bestimmt wird. In Folge einer eingeschränkten Autonomie der Mitarbeiter entsteht eine Kompetenzlücke, aufgrund der bspw. im Falle des Auftretens ungeplanter Ereignisse (Störungen u. Ä.) das benötigte Fachwissen nicht mehr direkt von den Mitarbeitern vor Ort eingebracht werden kann. Demgegenüber lenken im Spezialisierungsszenario (auch „Werkzeugszenario“) Fachkräfte die eingesetzten technischen Systeme und beherrschen die für den Arbeitsprozess notwendigen Kompetenzen ganzheitlich. Bezogen auf das vorgestellte Beschreibungsmodell zeigt die folgende Abbildung eine erste Einordnung der jeweiligen Ausprägungen der einzelnen Dimensionen für die beiden Szenarien auf der Grundlage bisheriger Erfahrungen mit Industrie-4.0-Umsetzungsprojekten der Autoren.

11.4 Weiterentwicklung und Ausblick

Der vorgestellte Modellierungsansatz für ein arbeitsplatznahes Beschreibungsmodell der „Arbeitswelt Industrie 4.0“ stellt den ersten Schritt dar, ein möglichst praktikables Hilfsmittel zu schaffen, welches sich stark an der betrieblichen Realität in deutschen Unternehmen orientiert. Es bildet bottom-up die Veränderungen der Arbeitswelt ab, welche durch die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung in Form konkreter Umsetzungsprojekte bzw. Anwendungsfälle ausgelöst werden. Der Modellansatz orientiert sich an der erwarteten Veränderung der Tätigkeiten und Tätigkeitsausprägungen an Arbeitsplätzen betrieblicher Funktionsträger und beschreibt somit die Mikroebene der Arbeitsgestaltung. Er stellt damit eine Auswahl der Beschreibungsdimensionen bestehender Modelle von Arbeit dar sowie eine Ergänzung zu aggregierten Prognosen hinsichtlich der Zukunft von Arbeit und Beschäftigung. In einem ersten Schritt wurden für die Arbeit in der Produktion und in produktionsnahen Bereichen Veränderungsprofile aufgenommen, die momentan ausgewertet werden. Schon jetzt ist sichtbar, dass die Auswertung von aktuell bestehenden 22 Veränderungsprofilen plausible Rückschlüsse auf die erwartete Entwicklung der „Arbeitswelt Industrie 4.0“ ziehen lassen. Vor allem erlaubt die arbeitsplatznahe Einschätzung der Auswirkungen technologiezentrierter Umsetzungen durch Fachexperten unterschiedlicher Fachdomänen, Unternehmens- und Mitarbeitervertreter eine Darstellung des Gestaltungsbereichs zwischen Extrempositionen der Erwartungshaltung. Für die Zukunft ist geplant, die methodische Basis eingeordneter Veränderungsprofile erheblich zu erweitern. Des Weiteren wird der Ansatz in folgende Richtungen weiterentwickelt:
  • Klärung und Diskussion der Beschreibungsdimensionen in Abwägung der Vollständigkeit des Modells mit dessen praktikabler Anwendbarkeit
  • Prüfung auf Plausibilität durch Vergleich der Ergebnisse gleicher betrieblicher Funktionsträger in unterschiedlichen Unternehmen und Umsetzungsprojekten
  • Untersuchung der Veränderungsprofile im Vergleich der betrieblichen Funktionsträger mit dem Ziel der Identifikation von Mustern neuer Arbeitsprofile
  • Aggregation der Ergebnisse zum Abgleich mit Beschreibungsmodellen der Arbeitsgestaltung auf Meso- und Makroebene
  • Ableitung von Handlungsempfehlungen und Strukturierung des Diskurses „gewünschter“ Gestaltungsrichtungen für Unternehmen, Mitarbeiter und Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Automatisierungs- und Spezialisierungsszenario
Ein arbeitsplatznahes Beschreibungsmodell der „Arbeitswelt Industrie 4.0“ bietet die Möglichkeit, Auswirkungen von Automatisierung und Digitalisierung auf Arbeitstätigkeiten, Arbeitsplätze und Arbeitsorganisation frühzeitig zu identifizieren und bereits bei der Implementierung erster Pilotumsetzungen praktikable Handlungsempfehlungen für eine leistungsförderliche und mitarbeitergerechte Gestaltung der Arbeit zu geben. Es erweitert bestehende Modellansätze der Meso- und Makro-Ebene, ergänzt bereits bestehende Erwartungshaltungen der zukünftigen Arbeitsgestaltung und bildet eine Grundlage für die zukunftsfeste Gestaltung der „Arbeitswelt Industrie 4.0“ in Abwägung der Interessen der beteiligten Stakeholder.

11.5 Danksagung

Die Autoren danken dem Fachausschuss „Arbeitswelt Industrie 4.0“ des VDI für die Unterstützung bei der Durchführung der Arbeiten.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Modellierungsansatz für ein arbeitsplatznahes Beschreibungsmodell der „Arbeitswelt Industrie 4.0“
verfasst von
Wilhelm Bauer
Sebastian Schlund
Tobias Strölin
Copyright-Jahr
2018
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-49266-6_11

    Marktübersichten

    Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.