Europa benötigt einen Neustart im öffentlichen Diskurs um die Antriebstechnik der Zukunft, sagt Professor Dr.-Ing. Peter Gutzmer, wissenschaftlicher Leiter des Internationalen Motorkongresses.
Peter Gutzmer, Herausgeber der Zeitschriften der ATZ|MTZ-Gruppe ist der wissenschaftliche Leiter des Internationalen Motorenkongresses.
Uli Regenscheit
Die Green-Deal-Vorgaben für die europäische Automobilindustrie für die Zeiträume 2025 bis 2030 und 2035 stoßen derzeit auf heftige Kritik. Führende Verbände der Fahrzeughersteller (ACEA), der Zulieferer (CLEPA), des VDA, Wissenschaftler sowie Politiker aus Deutschland (Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen) und Europa (EVP) stellen diese Vorgaben öffentlich massiv in Frage. Sie befürchten, dass die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pkw- und Nfz-Industrie im neuen geopolitischen Spannungsfeld der führenden Industrieregionen nachhaltig geschädigt wird. Das langfristige Ziel der Defossilisierung des Verkehrssektors bis 2050 bleibt dabei in all diesen Beiträgen unbestritten.
Die Kritik richtet sich vor allem gegen die umfassend und detailliert definierten Zwischenziele für den Zeitraum 2025–2030, die sich zunehmend als unrealistisch erweisen. Insbesondere die einseitige und kurzfristige Fokussierung auf die E-Mobilität und das Verbot der verbrennungsmotorischen Technologie ohne ausreichende Berücksichtigung nichtfossiler Kraftstoffe wird bemängelt. Zehntausende Jobs sind gefährdet, Insolvenzen vor allem in der mittelständischen Zulieferindustrie an der Tagesordnung.
EU-Politik sollte die Pläne korrigieren
Europa benötigt einen Neustart im öffentlichen Diskurs zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zur Zukunft der Antriebstechnologie im Verkehrsbereich. Politische Rahmenbedingungen müssen sich an der Marktrealität und der Umsetzbarkeit verbesserter und neuer Technologien orientieren. Technologieoffenheit, -vielfalt und -wettbewerb müssen gefördert werden, um Innovationen und Planungssicherheit zu gewährleisten, auch im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele.
Technologischer Fortschritt umfasst sowohl die Weiterentwicklung bestehender Technologien als auch die Einführung neuer Technologiefelder mit Potenzial zu deren Ablösung. Eine umfassende ökologische und ökonomische Bewertung aller beteiligten Sektoren, Rohstoffketten und Wertschöpfungsstrukturen (Cradle-to-Cradle, Kreislaufwirtschaft) muss kurzfristig eingeleitet werden. Eine Überarbeitung des geltenden EU-Rechtsrahmens ist unerläßlich!
Die Gesamtwirtschaftlichkeit der Unternehmen muss stärker in Balance mit den Umweltaspekten gebracht werden, um mittel- und langfristig Arbeits- und Ausbildungsplätze zu sichern. Überhöhte Strafzahlungen dürfen nicht zur Schwächung der unternehmerischen Substanz und Innovationskraft führen. Geeignete Übergangsszenarien, die auch die Bestandsflotten einbeziehen, sind erforderlich, um zukünftig erfolgreich zu sein. Realitätssinn in der Wirtschafts- und Innovationspolitik ist angesagt auch für wettbewerbsfähige Energie- und Arbeitskosten. Erfreulicherweise hat die Kommission jetzt reagiert und zum Start eines strategischen Dialogs Ende Januar Vertreter von Autoindustrie, Zulieferer und Gewerkschaften eingeladen.
Über den Internationalen Motorenkongress
Der Internationale Motorenkongress von VDI Wissensforum und ATZlive in Baden-Baden ist in seiner Form einzigartig und fokussiert auf die globale technologische Entwicklung der Verbrennungsmotoren bei Pkw und Nfz in Verbindung mit nichtfossilen Kraftstoffen. Er bringt zum 12. Mal führende Vertreter aus Politik, Fahrzeug- und Mineralölindustrie, Verbänden und Wissenschaft zusammen und bietet ein einzigartiges Podium für Dialog und Wissensaustausch. In Anbetracht der beschriebenen bedeutsamen inhaltlichen und strategischen Diskussionen hätte es keinen aktuelleren Zeitpunkt für den Besuch dieser Veranstaltung geben können. Seien Sie am 25. und 26. Februar 2025 in Baden-Baden herzlich willkommen.