Skip to main content

05.12.2013 | Motorentechnik | Interview | Online-Artikel

"Der neue Zertifizierungszyklus macht die Entwicklungsaufgabe noch einmal anspruchsvoller"

verfasst von: Richard Backhaus

8:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Auf dem Internationalen Motorenkongress, den unser Konferenzzweig ATZlive zusammen mit dem VDI Wissensforum am 18. und 19. Februar 2014 in Baden-Baden veranstaltet, suchen wir Antworten auf die Frage, welche Entwicklungsrichtungen wegweisend für Verbrennungsmotoren mit weniger Kraftstoffverbrauch und geringeren Schadstoffemissionen sein werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Gebiete Grundmotor, Ladungswechsel, Verbrennung, Abgasnachbehandlung, Motormanagement und Thermomanagement, also die "klassischen" Inhalte der Verbrennungsmotoren-Entwicklung.

Professor Stefan Pischinger, President und CEO der FEV-Gruppe, wird in seiner Keynote am 19. Februar aufzeigen, welche Potenziale zur Erreichung künftiger CO2-Ziele der Verbrennungsmotor noch bietet. Im Interview mit Springer für Professionals gab er schon vorab einen ersten Einblick in diese Thematik.

Wie viel Potenzial zur CO2-Einsparung steckt noch im Verbrennungsmotor?

Trotz der enormen Fortschritte in den letzten Jahren stecken im Verbrennungsmotor immer noch bemerkenswerte CO2-Reduzierungspotenziale. Beim Ottomotor sehe ich rund 20 Prozent und beim Dieselmotor eine Größenordnung von 15 bis 20 Prozent, die durch konventionelle Techniken zu heben sind. Der wesentliche Treiber ist das Thema Downsizing. Downsizing wird sich weiter im Markt als Mainstream durchsetzen und die Aufladegrade werden noch weiter steigen. Auch die Anwendung variabler Ventiltriebe wird weiter zunehmen. Zudem sehe ich noch erhebliches Potenzial in der Konstruktion der Motoren. Hier geht es insbesondere um die Reibungsreduktion, etwa durch Wälzlagerung der Nockenwellen, aber auch durch einfache Maßnahmen wie optimale Gestaltung der Rundheit der Zylinder, Verringerung der Lagerdurchmesser und grenzwertigere Auslegung der Bauteile. Diese Verbesserungen greifen im gesamten Kennfeld, aber besonders in der Teillast. Als nächsten fundamentalen Schritt sehe ich dann die Einführung einer variablen Verdichtung, welche in Verbindung mit mehrstufiger Aufladung sowohl beim Ottomotor als auch beim Diesel nochmals höhere Downsizingraten ermöglicht.

Warum werden manche einfache Maßnahmen mit großem Potenzial erst jetzt gehoben?

Vielfach müssen erst die technologischen Voraussetzungen geschaffen werden. Der Markt verträgt nur zuverlässige und auch bezahlbare Lösungen. Diese müssen reifen und die gesamte Lieferkette muss darauf vorbereitet sein. Manche Innovation entfalten aber auch erst in Kombination mit anderen Technologien ihre Potenziale. So erlaubt erst die Direkteinspritzung das Ausspülen von Restgas, im Englischen "Scavenging" genannt, um das Low-end-Torque beim Ottomotor zu verbessern. Ein anderes Beispiel sind die Aufladeaggregate. Erst ihre Optimierung machte es möglich, die notwendigen hohen Leistungsdichten für das Downsizing zu erreichen. Oder nehmen wir das Miller-Verfahren, also die Verlagerung der Verdichtung aus dem Motor in das Aufladeaggregat, welches erst zusammen mit dem variablen Ventiltrieb realisierbar wird. Die meisten dieser Ideen sind im Einzelnen lange bekannt, aber man schafft es erst jetzt, diese Technologien marktgerecht umzusetzen.

Welche Maßnahmen sind wirtschaftlich umsetzbar, Zielkosten von 95 Euro/g CO2 vorausgesetzt?

Im Segment der kleinen Fahrzeuge wird es auch zukünftig noch Saugmotoren ohne Downsizing geben, womit vor allem in Schwellenländern Mobilität bezahlbar bleibt. Technologisch anspruchsvoller ist das natürlich bei den größeren Fahrzeugen. In jedem Fall es ist sinnvoll, die Maßnahmen nach den Kosten, bezogen auf ihren CO2-Vorteil, zu bewerten. Die kostengünstigsten werden zunächst umgesetzt, danach die teureren. Diesen Trend konnte man schon in der Vergangenheit gut beobachten, übrigens nicht nur bei der Motorentechnik, sondern auch beim Getriebe. Wie das dann in der Praxis stattfindet, hat natürlich auch etwas mit Baukastensystemen und technologischen Strategien in den einzelnen Unternehmen zu tun.

Downsizing von Pkw-Motoren ist zwar aktuell Mainstream, es gibt aber auch noch andere Lösungen.

Saug-Ottomotoren, auch solche mit größerem Hubraum, können nach wie vor Sinn machen, wenn man dabei auf Innenwirkungsgrad und Reibungsreduktion setzt. Allerdings wird zwangsläufig für eine gegebene Leistungsanforderung ein größeres Hubvolumen benötigt, was dann im unteren Teillastbereich zu hohen Drosselverlusten und zu Verbrauchsnachteilen führt. Im Zusammenwirken mit einer Hybridisierung lassen sich diese Nachteile jedoch weitgehend vermeiden. Die Kunst ist es also, den Verbrennungsmotor in einem elektrifizierten Antriebsstrang so zu optimieren, dass mit minimiertem Aufwand eine gute Gesamtlösung darstellbar wird.

Dann kann man aber beim Verbrennungsmotor Kosten einsparen?

Ja, unter Umständen reicht dafür schon eine milde Hybridisierung aus, mit der man Funktionen wie das "Segeln", also das Abschalten des Motors bei Lastwegnahme, nutzen kann. Auch damit fällt der Nachteil des großen Hubraums weniger ins Gewicht.

Vereinzelt wird wieder eine Reduzierung der Gangstufen für Hybridgetriebe diskutiert. Wie viele Gänge halten Sie für sinnvoll?

Wenn man einmal Range-Extender-Fahrzeuge ausklammert, insbesondere die ohne mechanischen Durchtrieb des Verbrennungsmotors, sondern sich rein auf Hybridfahrzeuge bezieht, sehe ich derzeit keinen Trend hin zu weniger Gängen. Ein Hybridfahrzeug muss auch bei entladener Batterie volle Fahrleistung erzielen. Es gibt aber sicherlich nach oben hin eine Grenze der noch sinnvollen Gangzahl. Die Gangzahl wird ja im Wesentlichen von der notwendigen Spreizung, also dem Verhältnis der Übersetzungen vom ersten zum letzten Gang, vorgegeben. Gerade bei Downsizingkonzepten ist der erste Gang meist sehr kurz übersetzt, um das Anfahrverhalten zu verbessern. Bei gleichzeitiger Nutzung von lang übersetzten Schongängen ergeben sich heute Spreizungen von über zehn. Darüber hinaus sind nach unseren Untersuchungen keine spürbaren Vorteile mehr zu finden. Mehr als neun oder zehn Gänge sind damit eher emotional als rational zu argumentieren.

Wird es künftig noch kleine Dieselmotoren geben?

Je größer die Leistungsanforderung an den Dieselmotor ist, desto größer ist auch sein Verbrauchsvorteil gegenüber dem Ottomotor. Das heißt aber nicht, dass sich der Diesel nicht auch in kleinen Fahrzeugen für Vielfahrer rechnet. Insofern wird der Dieselmotor auch künftig in diesem Segment eine Rolle spielen, auch wenn er dort, vorwiegend aus Kostengründen, weniger stark vertreten sein wird als in großen Fahrzeugen. Letztlich konzentriert sich dies auf die Frage, wie die Euro-6-Abgasnorm kostengünstig umgesetzt werden kann. Der Partikelfilter ist beim Dieselmotor mittlerweile obligatorisch, aber ansonsten kann der Aufwand für die Abgasnachbehandlung sehr stark variieren. Das wird auch in der Zukunft ein wesentliches Arbeitsfeld der Entwicklung bleiben. Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass das auch für den Ottomotor ein Thema bleibt, insbesondere wenn wir über RDE reden.

Wie beeinflussen RDE und neue Zertifizierungszyklen denn die Motorenentwicklung?

Der neue Zertifizierungszyklus macht die Entwicklungsaufgabe noch einmal anspruchsvoller, weil die verbrauchsenkenden Maßnahmen auch in den höheren Lastbereichen greifen müssen. Hinzu kommt, dass der Einfluss der Nebenverbraucher von der neuen Norm stärker berücksichtigt wird, und der neue Zyklus auch weniger Stillstandphasen aufweist. Das heißt zum Beispiel, dass das Potenzial der Start-Stopp-Funktion deutlich geringer ins Gewicht fällt. Dagegen werden wir die Segelfunktion zukünftig stärker verfolgen müssen. Im Testergebnis wird man vermutlich nur geringe Unterschiede in den CO2-Emissionen sehen, da der neue Zyklus länger ist und somit die hohen Verbrauchsanteile aus dem Kaltstart und Warmlauf weniger in das Gesamtergebnis einfließen.

Welche Entwicklungen können wir bei Kraftstoffen im Bezug auf den Motor erwarten?

Zunächst weisen auch fossile Kraftstoffe erhebliches Weiterentwicklungspotential auf. Wir bei der FEV forschen beispielsweise daran, wie man die Kraftstoffe für Downsizingkonzepte besser komponieren kann, um Klopfen und Vorentflammung zu verhindern. Bei den alternativen Kraftstoffen ist insbesondere Erdgas höchst attraktiv, schon allein aufgrund der CO2-Reduktion von 25 Prozent, die einfach aus seiner chemischen Zusammensetzung resultiert. Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass die Emission von unverbranntem Methan mit einem gegenüber CO2 etwa 20-fach höheren Treibhauspotenzial besonderer Beachtung bedarf. Was Erdgas ebenso wie Ethanol besonders attraktiv macht ist die perfekte Eignung für Downsizingmotoren, da sie eine höhere Klopffestigkeit haben als konventionelle Kraftstoffe. Damit wird eine höhere Verdichtung ermöglicht, die zu besseren Wirkungsgraden bei hoher Motorlast führt. Zu guter Letzt kann auch Wasserstoff an Bedeutung gewinnen, wenn denn die Fragen von Verfügbarkeit und Infrastruktur nachhaltig geklärt werden.

Was bedeutet die "Rückbesinnung" auf den Verbrennungsmotor für die FEV?

Trotz aller neuen Aktivitäten auf dem Gebiet der Elektrifizierung des Antriebsstrangs haben wir die konsequente Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors nie aus den Augen verloren. In der Tat ist aber zu bemerken, dass die Anstrengungen auf diesem Gebiet auch in der Öffentlichkeit wieder auf größeres Interesse stoßen. Bei FEV merken wir das ganz konkret auch daran, dass wir in allen Segmenten, also bei Pkw-, Nutzfahrzeug- und Industriemotoren, wachsen. Dabei verstärkt sich der Trend zu immer mehr interdisziplinär vernetzten Projektstrukturen. Es wird zwar wieder mehr auf den Verbrennungsmotor gesetzt, aber gleichzeitig erfolgt der breite Einstieg in die Elektrifizierung, zum Beispiel durch Technologien wie milde Hybridisierung oder elektrisch unterstützte Aufladung. Daraus haben sich viele neue Aufgabengebiete für FEV entwickelt. Das hat uns schon vor einigen Jahren dazu bewogen, uns breiter aufzustellen und unsere vom Motor ausgehende Kernkompetenz zunächst auf das Getriebe und letztlich auf den ganzen Antriebsstrang auszuweiten. Natürlich geht das auch nicht ohne Elektronik, wo wir heute auch bis hin zur Fahrerassistenz und Car-to-X-Kommunikation unserem Anspruch als Innovationstreiber gerecht werden. Wenn es um Verbrauchsreduzierung geht, dann muss dieses Spektrum insgesamt bedient werden.

Wie beeinflusst das Ihre Investitionstätigkeit?

Als Dienstleister investieren wir zuallererst in unsere Mitarbeiter. In einem zunehmend von Fachkräftemangel geprägten Markt ist das herausfordernd. Zudem investieren wir zunehmend in Testeinrichtungen. Als ein Beispiel möchte ich unsere Dauerlauftesteinrichtungen nennen, die wir flächendeckend zur Untersuchung von Vollhybridanwendungen aufgerüstet haben. Und aufgrund der neuen RDE-Anforderungen werden zusätzliche Rollenprüfstandskapazitäten erforderlich.

Herr Professor Pischinger, herzlichen Dank für das Gespräch.

Zur Person

Professor Dr.-Ing. Stefan Pischinger wurde am 21. Mai 1961 in Graz, Österreich, geboren. Er beendete im August 1985 sein Studium (Fachrichtung Maschinenbau) an der RWTH Aachen University. Von 1985 bis 1989 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Sloan Automotive Laboratory, M.I.T. 1989 promovierte er mit dem Thema "Untersuchung des Einflusses der Zündkerzengestaltung auf die Flammenkernbildung und Verbrennung im Ottomotor". Von 1989 bis 1997 war er in diversen Bereichen sowohl im Diesel- als auch im Ottomotorbereich bei Daimler-Benz (heute Daimler) tätig. Seit 1997 ist er Direktor des Instituts für Thermodynamik der RWTH Aachen University und Leiter des Lehrstuhls für Verbrennungskraftmaschinen. Gleichzeitig wurde Pischinger 1997 in die Geschäftsführung der FEV GmbH, Aachen berufen; seit April 2003 bekleidet er dort die Position des Vorsitzenden der Geschäftsführung. Seit 2010 ist er Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

    Premium Partner