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2020 | Buch

Mutterschaft und Wissenschaft

Die (Un-)Vereinbarkeit von Mutterbild und wissenschaftlicher Tätigkeit

herausgegeben von: Dr. Sarah Czerney, Dr. Lena Eckert, Dr. Silke Martin

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

​Dieses Buch versammelt Stimmen von Wissenschaftlerin*innen, die sich in sehr persönlichen Texten mit dem Thema „Kinder haben oder nicht haben (wollen)“ auseinandersetzen. Dabei kreuzen sich Identitätspositionen verschiedener Herrschaftsverhältnisse und führen zu Kollisionen im Privaten und Öffentlichen: Die Autor*innen schreiben über ihre Erfahrungen als Selbstoptimierer*innen, Professor*innen, Aktivist*innen, Haushälter*innen, Partner*innen, Pendler*innen, Töchter, Lebenskünstler*innen, Jongleur*innen und Feminist*innen und über die (Un)Möglichkeiten, all das auf einmal zu sein. Darüber hinaus thematisieren und hinterfragen sie auf vielfältige Art das noch immer vorherrschende Mutterbild in Deutschland. Die Texte kommen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen – aus MINT-Fächern ebenso wie aus Geistes- und Sozialwissenschaften sowie aus der Kunst. Die drei Herausgeberinnen sind in der Wissenschaft tätige Mütter.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Mutterschaft und Wissenschaft – eine Einführung
Zusammenfassung
In diesem Beitrag berichten die Herausgeberinnen, wie das vorliegende Buch entstanden ist. Sie legen dar, worum es ihnen mit diesem Buch geht und verorten es im bereits existierenden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs zu Mutterschaft und Wissenschaft. Im Anschluss geben sie einen Überblick über die einzelnen Beiträge.
Sarah Czerney, Lena Eckert, Silke Martin
2. Mutter_Wissen_schaftler*in – ein paradoxes Phänomen?
Zusammenfassung
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den zwei materiell-diskursiv choreografierten Existenzweisen, die die Mutter_Wissen_schaftler*in vereinen muss. Die lange Geschichte der Ideologisierung von Mutterschaft steht der sehr jungen Existenz der Wissenschaftler*in gegenüber. Es ist immer noch „der Wissenschaftler“, der traditionellerweise den Ursprungsmythos intellektueller Wissengenerierung besetzt, und „die Mutter“, die die nicht entlohnte, reproduktive Sorgearbeit leistet. Der Beitrag geht diesen beiden diskursiven Strängen nach und verwebt sie miteinander, um zu zeigen, dass sich die beiden Existenzweisen der Mutter_Wissen_schaftler*in diametral gegenüber stehen. Die Mutter_Wissen_schaftlerin wird als Grenzgänger*in an den ambivalent besetzten Diskursen von Autonomie und Bindung beschrieben.
Lena Eckert

Mutterschaft, Körperlichkeit und Sorgearbeit

Frontmatter
3. CARE-Theorie aus der Küche
Oder: Das Verdampfen feministischer Utopien und die Borretsch-Revolution
Zusammenfassung
Feministische Theorie zu Care-Arbeit ist immer auch ein wenig Utopie. Denn Care-Arbeit, also nicht produktive Tätigkeiten zur Um- und Versorgung von Menschen, ist als Arbeit gering geschätzt. Im professionellen Bereich wird sie daher prekär entlohnt, familiäre Reproduktionstätigkeiten werden in der Regel unbezahlt und meist von Frauen erledigt. Ausgangspunkte der feministischen Care-Theorie sind daher immer Defizite in der Anerkennung und Gleichberechtigung, doch ihr Ziel ist seit jeher, mit guten Ideen aktiv gegen diese Missstände anzuarbeiten. Einige der Forderungen, die im Rahmen der so genannten zweiten Frauenbewegung entwickelt wurden, sind umgesetzt. Aber insbesondere im Care-Bereich sind derzeit Rückschritte zu erkennen. Sich als Feministin damit wissenschaftlich auseinanderzusetzen, bedeutet daher ein ständiges Schwanken zwischen Faszination, Desillusion und Willen zur Veränderung. Sich als Mutter mit Theorie zur Familienarbeit zu beschäftigen, heißt zudem, persönlich im Alltag darüber zu reflektieren. Und es heißt auch zu lernen, mit Wut umzugehen – oder auch nicht.
Der Text ist ein autoethnografischer Abgleich zwischen feministischer Theorie zur Care-Arbeit und der Praxis als alleinerziehende Mutter in einer Gesellschaft, die von konservativen Frauen- und Familienbildern und dem Stereotyp der Care-Arbeit als ‚weibliche Arbeit‘ geprägt ist.
Christine Braunersreuther
4. Wie ich ein Körper wurde: Mutter werden als Wissenschaftlerin und Feministin
Zusammenfassung
Nach der Geburt meines ersten Sohnes fühlte ich mich lange Zeit vollkommen entkoppelt von meinem vorherigen Leben. Hatte ich mich vorher vor allem als selbstbestimmte, unabhängige, emanzipierte Wissenschaftlerin und Feministin verstanden, konnte ich das Mutterwerden nicht in dieses Selbstbild integrieren – im Gegenteil: Es erschien als totaler Gegensatz. Woher kommt dieses Gefühl eines radikalen Bruchs, eines klaren Vorher und Nachher? Was hat es mit der Sozialisation als Wissenschaftlerin und akademisch geprägte Feministin zu tun? Und was könnte die Wissenschaft von der Erfahrung des Mutterwerdens lernen?
Sarah Czerney
5. „Das hat ja nichts mit mir zu tun“
Warum auch Nicht-Mütter über körperliche Grenzen, Abhängigkeiten und Sorgegemeinschaften nachdenken sollten
Zusammenfassung
Für Frauen ist es der wissenschaftlichen Karriere zuträglich, keine Kinder zu bekommen. Klar im Vorteil scheinen also all jene zu sein, die gar keinen Kinderwunsch haben. Die Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie betreffen sie ja nicht. Somit gibt es nichts, was sie im Voranbringen ihrer Karriere hindert. Dieser Beitrag zeigt auf, dass sich kinderlose Akademiker*innen mit dieser Auffassung einen Bärendienst erweisen, und legt nahe, sich stattdessen mit Eltern zu solidarisieren und von ihren Erfahrungen zu lernen. Grund dafür sind strukturelle Bedingungen des wissenschaftlichen Berufsweges, die nicht nur Eltern, sondern auch Kinderlose früher oder später benachteiligen können: struktureller Ableismus und die Marginalisierung von Sorgearbeit.
Christiane Lewe

Entmystifizierung von Mutter- und Schwangerschaft: Langeweile, Erschöpfung und Behinderung

Frontmatter
6. Oh, Baby, Baby, it’s a Boring World
Mutterschaft und Langeweile
Zusammenfassung
Die Pflege eines Säuglings ist anstrengend und kräftezehrend, jeder Tag eine neue Herausforderung. Sobald diese Aufgaben Routine geworden sind, passiert im Kopf allerdings recht wenig. Mütter, welche das erste Lebensjahr (oder länger) ihres ersten Kindes zu Hause bleiben, fühlen sich teils isoliert und gelangweilt. In diesem Beitrag werden Aspekte der Mutterschaft betrachtet, die üblicherweise lieber ausgespart werden. Es geht um die erste Zeit mit Baby und um Langeweile. Es geht um das Fehlen von Kraft, Unterhaltung, Räumen und Menschen sowie persönlichen Strategien gegen diesen Mangel. Die beschriebenen Phänomene betreffen nicht nur Mütter, sondern alle Menschen, welche die Hauptverantwortung für einen Säugling übernehmen. In Deutschland sind dies noch immer in großer Mehrheit Frauen. Da dieser Beitrag eine Mischung aus gesellschaftlicher Analyse und den ganz persönlichen Erfahrungen als Mutter ist, gibt es einen expliziten Fokus auf Mutterschaft.
Madita Pims
7. Die Repräsentation von Erschöpfung und Überforderung in der Mutterschaft: Ein Vergleich von Printmagazinen und ‚Mommy Blogs‘
Zusammenfassung
Mit der Geburt meines Sohnes änderte sich schlagartig mein Leben. Obwohl ich der Meinung war, gut darauf vorbereitet zu sein, hob es meine gesamte Welt aus den Angeln. Meine Gedanken in dieser Zeit des Mutterseins waren grundlegend für die Wahl des Themas meiner Abschlussarbeit zum Lehramtsstudium für die Unterrichtsfächer Englisch und Geschichte. Im Folgenden berichte ich über meine Erwartungen ans Muttersein, die Ergebnisse meiner Abschlussarbeit sowie meine Erfahrungen als Mutter beim Verfassen der Diplomarbeit.
Angelika Pratl
8. Ich, Mutter?!
Zusammenfassung
Franziska Appel ist eine Grenzgängerin mit Leidenschaft, die für sich die Mutterrolle im herkömmlichen Sinn als zu eng empfindet, als Wissenschaftlerin auch Bilder malt und in deren Familie zudem noch etwas mit den Genen nicht passt. Ihr Text ist ein Plädoyer für die Vielfalt und Lebendigkeit und dafür, sich auch hin und wieder auf ein Glücksspiel einzulassen.
Franziska Appel

Kinderwunsch, (gewollte) Kinderfreiheit und Abtreibung

Frontmatter
9. „Willst du eigentlich Kinder?“ Warum ich mir wünsche, diese Frage gestellt zu bekommen
Zusammenfassung
Die Antwort auf die einfache Frage „Willst du eigentlich Kinder?“ ist (für mich) keinesfalls einfach. Denn verknüpft mit der Antwort sind zahlreiche Vorstellungen über Lebenskonzepte und gesellschaftliche Normen. Diese mit auszuführen oder auch nur auf genug Zeit zu hoffen, die Hintergründe zu erklären, ist nicht immer möglich. In diesem Beitrag werde ich beschreiben, wie es mir mit der Frage nach eigenen Kindern geht.
Christin Sirtl
10. Mutterschaft – Freundschaft – Wissenschaft
Zusammenfassung
Immer, wenn eine Freundin schwanger wird, möchte ich mich gerne unbändig mit ihr freuen. Doch ich kann nicht. Ich bemühe mich, die Fassade nach außen hin zu wahren, doch innerlich spüre ich Trauer, Verlust und Neid. Das Mutterwerden meiner Freundin ist bedrohlich für mich. Zukünftig werde ich kaum noch Platz in ihrem Leben finden. Stattdessen werden wir uns auseinanderleben. Das geschieht dadurch, dass sich die Ziele, Interessen und Aktivitäten der zukünftigen Mutter so stark verändern, dass wir kaum noch gemeinsame Gesprächsgrundlagen oder gemeinsamen Zeitfenster finden werden.
Im Zentrum dieses Beitrags steht das Unbehagen, das mich befällt, wenn eine gute Freundin schwanger wird; ein Unbehagen, das ich nicht verstehe und nur schwer aushalte. Für dieses Gefühl spielt mein eigenes Nichtmuttersein eine entscheidende Rolle. Ich bin Mitte dreißig und Wissenschaftlerin. Ich fliege um die Welt, kein Tag gleicht dem anderen. Viele Abende verbringe ich mit Arbeit oder Freund*innen. Sie sind meine engsten Vertrauten und treuen Wegbegleiter. Im Kontrast dazu habe ich zu meinen Eltern lediglich ein distanziert freundliches Verhältnis. Ob ich Kinder möchte oder nicht, weiß ich nicht.
Darüber hinaus gibt es noch andere Aspekte, die in das komplexe Gefühl des Unbehagens über Mutterschaft hineinspielen. Was genau macht dieses Unbehagen aus und wo kommt es her? Und wie verstärkt die Wissenschaft als patriarchales System solche emotionalen Verschiebungen? Um diesen Fragen nachzugehen, verbinde ich in diesem Beitrag Beschreibungen von Alltagssituationen mit Introspektiven, die nach Ursachen und Wirkungen forschen.
Nicole Baron
11. (Auch) die Sprache ist das Problem: Zum öffentlichen Diskurs über Schwangerschaft und Mutterschaft
Zusammenfassung
Dieser Beitrag analysiert anhand von ausgewählten Beispielen die Art und Weise, wie in der Öffentlichkeit über Schwangerschaft und Mutterschaft gesprochen wird, und stellt fest, dass schwangere Frauen und junge Mütter oft mit paternalistischer und bevormundender Rhetorik konfrontiert sind. Ein bevormundender Sprachgestus ist dabei auch mit infantilisierender Sprache verbunden, die den betroffenen Frauen eine Kommunikation auf Augenhöhe verweigert und ihren Status als rationale Akteurin untergräbt. Zugleich weist der Text darauf hin, dass die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Kommunikation bei Themen wie Schwangerschaft und Mutterschaft aufgeweicht werden. Gegen diese Tendenz betont der Beitrag, dass eine Trennung zwischen öffentlichem und privatem Sprachgebrauch gerade bei derartigen Themen (und nicht nur bei diesen) essenziell ist. Darüber hinaus greift der Text den Erlebenshorizont von Frauen auf, die in Wissenschaft und Forschung tätig sind und die Spannung zwischen der öffentlichen Rhetorik über Schwangerschaft und Mutterschaft und den im Wissenschaftsdiskurs geltenden objektiven Sprachnormen besonders intensiv wahrnehmen.
Daniela Ringkamp

Deutschland Ost-West und europäische Perspektiven

Frontmatter
12. Mutterschaft oder Wissenschaft
Zusammenfassung
Der spezifische Blick auf Mutterschaft im Zusammenhang mit einer wissenschaftlichen Karriere oder einem Dasein als Wissenschaftlerin in universitärer/hochschulischer oder Freelancer-Tätigkeit ist sehr spannend. Wir möchten uns diesem Thema aus Sicht unserer persönlichen Lebenserfahrungen als Mütter von einem 9-jährigen Mädchen bzw. einem 7-jährigen Jungen und als Frauen und Feministinnen widmen. Wir haben gemeinsam das Fach Politikwissenschaft studiert und sind danach unterschiedliche berufliche Wege gegangen. Gleichzeitig haben wir die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Politik(wissenschaft) beibehalten und die Mutterschaft fortlaufend gemeinsam reflektiert.
Wir nehmen als Feministinnen und Wissenschaftlerinnen auch die Unterschiedlichkeit unserer Herkunft in Bezug auf soziale Schicht (Reflexion von „class“) und unsere Ost- bzw. Westberliner Sozialisation (Reflexion von Ost-West-Widersprüchen bzw. der These der Ostdeutschen als Migrantinnen (vgl. Foroutan et al. 2019)) in den Blick. Bezüglich Mutterschaft möchten wir die historische Perspektive auf Kaiserreich, Mutterbild im Nationalsozialismus, Familienbild der Wirtschaftswunderjahre und zweite Frauenbewegung bzw. sozialistisches Familienbild nicht vergessen. Wir gestalten diesen Text dialogisch. Es geht uns um die spezifische Sichtweise zweier Frauen, die die gleiche Wissenschaft betreiben, dabei Mütter von einem Jungen bzw. einem Mädchen und gleichzeitig Personen sind, die in ihrer Jugend jeweils in Ost- oder Westberlin die Transformation nach der friedlichen Revolution erlebt haben.
Antonia Ehrenburg, Kathi Geiger
13. Gestohlene Zeit
Zusammenfassung
Gestohlene Zeit: Es sind Textfragmente, oft nachts geschrieben, in jeder freien Minute – kostbare Zeit, die dann an einer anderen Stelle fehlt. Dieses Text-Mosaik ist eine deutsch-französische Collage mit Auszügen aus meinem Tagebuch und aus den Gedichten, die ich geschrieben habe, seitdem meine Kinder auf der Welt sind. Das kreative Schreiben hilft mir, etwas innezuhalten und dem ständigen Spagat, dem ich mein Leben als Mutter und Wissenschaftlerin bisher unterworfen habe, nachzuspüren. Ich bin Französin, zweifache Mutter, mit einem ostdeutschen Mann verheiratet, Wissenschaftlerin, Hochschulmanagerin. Aber auch: Klavierspielerin, leidenschaftliche Zeitungsleserin und Kinogängerin, mit einem Faible für Yoga und Ayurveda.
In Frankreich geboren und aufgewachsen, bin ich mit rund 20 Jahren nach (Ost-)Deutschland gekommen. Nach einer Promotion über die ostdeutsche Frauenliteratur in Leipzig habe ich in Stuttgart meine beiden Kinder zur Welt gebracht. Nach einer kurzen Zwischenstation im Ruhrgebiet arbeite ich jetzt im „Osten“. Meine Kinder, in Deutschland großgeworden, sind ein Jahr lang in Frankreich zur Grundschule gegangen.
Diese Textfragmente sind auch der Versuch, diesen Spagat produktiv zu machen. Wie drückt Sprache interkulturelle Unterschiede aus? „Rabenmutter, Schlüsselkinder und Feierabend“ – Wörter, die es auf Französisch nicht gibt. Ich gehe auf französische und deutsche Erziehungsstile ein, auf das Frau- und Muttersein in Frankreich und Deutschland, sowie auf Rollenbilder von Müttern in Ost- und Westdeutschland. Es sind vielschichtige Perspektiven, die sich zum Teil überlagern und auch Vergleiche ermöglichen.
Anne Lequy
14. Die Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Wissenschaft als notwendiges biografisches Projekt
Eine persönliche Aufarbeitung zwischen Selbstreflexion, Orientierungssuche und dem Blick über den Tellerrand nach Schweden
Zusammenfassung
Wissenschaftlerinnen mit Kind(ern) stehen vor einer paradoxen Vereinbarkeitsproblematik. Gegensätzliche Erwartungshaltungen und Idealvorstellungen, die strukturell verankert und darum von ihnen nicht aufzulösen sind, werden an sie herangetragen und beeinflussen ihre Karrierewege, ihre Paarbeziehungen und nicht zuletzt ihr Selbstverständnis als Mutter und als Wissenschaftlerin. Um sich an dieser paradoxen Vereinbarkeitsproblematik nicht aufzureiben, gar zu scheitern, müssen Frauen dazu in biografischen Reflexionsprozessen notwendigerweise eine innere Haltung entwickeln, um ganz selbstverständlich beides leben zu können. Welchen Einfluss ein internationaler Perspektivenwechsel für die Distanzierung von verinnerlichten Erwartungshaltungen und Idealvorstellungen hat und welches Potenzial sich daraus für neue biografische und berufsrelevante Orientierungsfiguren ergeben kann, wird anhand der biografischen Auseinandersetzung zum Vereinbarkeitsparadox einer deutschen Mutter im schwedischen Wissenschaftssystem nachgezeichnet.
Anmerkung der Autorinnen: Der Text hat seinen Ursprung in den biografischen Reflexionen zum Thema Mutterschaft und Wissenschaft der deutschen Forscherin Silke Kassebaum, die maßgeblich durch den fachlichen und persönlichen Austausch mit der schwedischen Wissenschaftlerin Magdalena Granell bereichert wurden. Darum wird aus der Ich-Perspektive erzählt, auch wenn es sich um ein deutsch-schwedisches Kooperationsprojekt handelt.
Silke Kassebaum, Magdalena Granell

Intergenerationelle Gespräche von Wissenschaftler*innen mit kleinen und großen Kindern

Frontmatter
15. „Man hat nicht nur einen wackeligen Boden unter sich, sondern zwei. Auf diesen Böden steht man im Spagat.“
Ein Interview mit Rose Marie Beck von Lena Eckert
Zusammenfassung
Das Interview dokumentiert ein Gespräch zwischen zwei Wissenschaftler*innen in unterschiedlichen Lebensphasen, die sich über die ständig auszuführenden Balanceakte in ihrem Leben unterhalten. Das Gespräch dreht sich um die Erfahrungen als Mutter während des Aufwachsens der Kinder und um die verschiedenen Stadien, die währenddessen in der Wissenschaft durchlaufen werden. Rose Marie Beck beschreibt ihr Verhältnis zu ihren Kindern, ihrem Partner, ihrer Gesundheit, ihrem Körper und zu anderen Wissenschaftler*innen. Die beiden Gesprächspartner*innen thematisieren zudem ihren Umgang mit Zeit, mit Interdisziplinarität, mit Verzweiflung und mit Ehrgeiz. Zum Schluss geht es um einen Pragmatismus, den sich feministische Mütter in der Wissenschaft auch manchmal leisten müssen.
Rose Marie Beck, Lena Eckert
16. „Wie war das für dich als Wissenschaftlerin und Mutter?“ Ein intergenerationales Gespräch über das wissenschaftliche Arbeiten als Mutter
Zusammenfassung
Der Beitrag dokumentiert ein intergenerationales Gespräch zwischen einer Tochter und ihrer Mutter über ihre jeweiligen Erfahrungen als Mütter in der Wissenschaft. Das Gespräch ist als dialogische Reflexion angelegt, in der es um die Vereinbarkeit des wissenschaftlichen Arbeitens und Mutterschaft und um Veränderungen im persönlichen Erleben der wissenschaftlichen Tätigkeit als Mutter geht. Die persönlichen Erinnerungen werden von einer inhärent feministischen Perspektive begleitet, sie verweisen auf Unterschiede und Kontinuitäten in den Situationen von Müttern in Wissenschaft und Gesellschaft.
Johanna Hess, Doris Hess-Diebäcker
17. Das Scheitern an der feministischen Realität
Zusammenfassung
Die eigenen feministischen Ansprüche sind hoch: Erwerbsarbeit, Weiterbildung, Mutterschaft, Partnerschaft, Ehrenamt, Freizeit und Alltagsverpflichtungen. Jungen Familien und insbesondere Frauen wird vermittelt, alles sei schaffbar, denn es sei nur eine Frage der Organisation. Doch was passiert in diesem Raum zwischen feministischen Ansprüchen und gelebter Realität? Verena Renneke erzählt in ihrem sehr persönlichen Beitrag ihre Geschichte und wie sie gelernt hat, mit den Anforderungen umzugehen. Jolanda Spirig fragt nach.
Verena Renneke, Jolanda Spirig

Mutterschaft als Retraditionalisierungsbewegung, Armutsrisiko und Ausschlusskriterium aus der Wissenschaft

Frontmatter
18. Ambivalente Suchbewegungen – Feminismus, Wissenschaftsalltag und Muttersein
Zusammenfassung
Der Beitrag befasst sich aus einer feministischen Perspektive mit Fragen der (Un-)Vereinbarkeit von Mutterschaft und Wissenschaft. Dies zum einen im Hinblick auf Anforderungen an eine wissenschaftliche Laufbahn in Widerspruch zu in Phasen der Familiengründung erhöhten Betreuungserfordernissen und -wünschen, zum anderen in Bezug auf den Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung selbst: Was bedeutet es, als Feministin und Geschlechterforscherin Mutter zu werden – sowohl in Bezug auf die partnerschaftliche Aufgabenteilung und Betreuungsentscheidungen, als auch für die Wahrnehmung des eigenen wissenschaftlichen Gegenstandsbereichs? Innerhalb der Ausführungen wird dabei eine kritische Perspektive auf das Wissenschaftssystem eingenommen und danach gefragt, inwiefern dieses traditionelle partnerschaftliche Arrangement im Zuge von Elternschaft trotz Gleichstellungsinstrumenten strukturell begünstigen kann, und damit Geschlechterungleichheiten verstärkt. Zugleich werden aber auch Vorteile des teilweise flexiblen Einsatzes der eigenen Arbeitskraft in Bezug auf Arbeitszeiten und -orte benannt. An zeitsoziologische Überlegungen anknüpfend wird diskutiert, welche Folgen entsprechende ‚Entgrenzungsprozesse‘ für Geschlechterverhältnisse haben, wobei eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Leitbildern von Mütterlichkeit und Weiblichkeit erfolgt. Die wissenschaftlichen Ausführungen werden in Beziehung gesetzt zu eigenen Erfahrungen der Autorin als Mutter, Wissenschaftlerin und Feministin, die kritisch hinterfragt werden.
Anne-Dorothee Warmuth
19. Geschichten einer Studentin mit Kind aus dem Epizentrum von Blümchenthemen und Gedöns
Zusammenfassung
Den eigenen Werten treu zu bleiben, bedeutet in einer Welt, die diese permanent mit den Füßen tritt, ständiges Scheitern. Dieser Text handelt von eigenen Versuchen, dem Scheitern mit Humor zu begegnen, also vielleicht ein kleines bisschen schöner zu scheitern. Und sich nicht unterkriegen zu lassen. Als Person, die die ständige Beschäftigung mit dem Theoretischen braucht, ebenso sehr wie als Mensch, der die Bindung zu seinen Kindern niemals missen wollte. Und beides irgendwie zusammenorganisiert zu bekommen.
Louisa Kamrath
20. Die Uni, vier Kinder und ein Abschied
Zusammenfassung
Die Arbeit an der Universität bietet viel Raum für Familienfreundlichkeit. Leider wird dieser nicht genutzt. Die wissenschaftliche Leistung verschwindet hinter dem Marker „Mutter“, egal wie oft bewiesen wird, dass beides möglich ist. Statt neuer Wege werden angestaubte Konzepte im Innern weitergetragen. Mütter im Vorlesungssaal? Aber gerne! Mütter in der Professur? Lieber nicht …
Eva-Maria Obermann
21. Mutter werden (können)
Über die Marginalisierung von Frauen und Müttern in der Architektur (insbesondere in der Architekturlehre)
Zusammenfassung
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf das Berufsfeld Architektur beeinflusst. Es werden die Schwierigkeiten erläutert, auf die Frauen stoßen, wenn sie in diesem Bereich tätig sind und gleichzeitig Mutter sein wollen. Denn alleine die Frage „Will ich Kinder oder nicht?“ ist, speziell für Frauen, die im Berufsfeld Architektur tätig sind, lebensverändernd.
Unter dem Begriff Mutter bzw. Mütter sind daher in diesem Text auch werdende Mütter und Frauen mit Kinderwunsch mitgemeint. Denn die mütterliche Care-Arbeit beginnt in der Regel schon lange vor der Geburt und wirkt sich damit auf den Alltag von Frauen aus.
Der Text beschreibt darüber hinaus, wie die Schwierigkeiten der Vereinbarkeit zu einer Marginalisierung der Frauen aus dem Architekturberuf führen. Mit den Müttern, den Personen, die der Care-Arbeit nachgehen – sich also kümmern –, verschwindet auch die Haltung, die die Care-Arbeit trägt. Insofern wird auch die Tätigkeit des Kümmerns selbst in den Fokus genommen. Damit sollen die Werte, die hinter der Care-Arbeit liegen, für die Architektur sichtbar gemacht werden.
Matthäa Ritter-Wurnig
Backmatter
Metadaten
Titel
Mutterschaft und Wissenschaft
herausgegeben von
Dr. Sarah Czerney
Dr. Lena Eckert
Dr. Silke Martin
Copyright-Jahr
2020
Electronic ISBN
978-3-658-30932-9
Print ISBN
978-3-658-30931-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-30932-9