Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind Megatrends des 21. Jahrhunderts mit hoher transformativer Kraft, die sich potenziell gegenseitig verstärken können. Bisher wurden beide Themen meist nur separat diskutiert und keine Strategien erarbeitet, die sich auf die inhaltliche Schnittmenge beziehen. Der Beitrag strukturiert die Korrelation beider Themen aus einer Unternehmensperspektive in eine nachhaltige Gestaltung der Digitalisierung (Stichwort „Green IT“ als Ressourceneffizienz, Energiesparsamkeit, etc.) sowie in den Einsatz der Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit (Stichwort „Green through IT“ in Form von Smart Services, Prozesseffizienz, Ressourcenschonung, etc.). Auf Basis der Auswertung von Unternehmensbeispielen aus verschiedensten Branchen im deutschen Raum wird in einem induktiven Ansatz ein praxisnahes Modell mit vier strategischen Handlungsoptionen mit Bezug auf die Twin Transformation für Unternehmen entwickelt (Corporate Digital Responsibility, Digitale Sozialprojekte, Geschäftsmodelle für eine nachhaltigere Digitalisierung, Digitale Geschäftsmodelle für mehr Nachhaltigkeit).
1 Digitalisierung und Nachhaltigkeit als organisationale Herausforderungen
Befasst man sich mit den beiden Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit, so kommt man um den Begriff „Megatrend“ nicht herum. Geprägt wurde dieser Begriff in einem Bestseller-Buch von John Naisbitt aus dem Jahr 1982 mit einer Millionenauflage und Übersetzung in 50 Sprachen (Naisbitt 1982). Nachhaltigkeit wird grob verstanden als der schonende Umgang mit Ressourcen aus ökologischer, ökonomischer, und sozialer Sicht (Deutscher Bundestag 1998); Digitalisierung wird verstanden als zunehmende Vernetzung und Algorithmisierung von Prozessen, Produkten und Geschäftsmodellen.
Ohne Zweifel erhalten sowohl Digitalisierung als auch Nachhaltigkeit mindestens seit den letzten ein bis zwei Jahrzehnten große Aufmerksamkeit in der Gesellschaft. Gleichzeitig wird immer stärker deutlich, dass man ihre transformative Kraft für den weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts kaum unterschätzen kann. Während sich der Einfluss des Themas Nachhaltigkeit auf das gesellschaftliche und unternehmerische Leben trotz hoher medialer Aufmerksamkeit aber noch in einer frühen Phase befindet, hatte und hat die Digitalisierung bereits starke Auswirkungen.
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Die Zielsetzungen von Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind sehr unterschiedlich. Im Unternehmensumfeld birgt die Digitalisierung eine Reihe an Potenzialen, u. a. aufgrund der (intelligenten) Vernetzung von Menschen, Maschinen und Prozessabläufen. Hierzu gehören etwa eine effizientere Prozesssteuerung, ein effizienterer Ressourceneinsatz, ein geringerer Energieverbrauch sowie eine höhere (Produkt‑) Qualität (Rüter und Fink 2021). Meist ist dies mit einem Effizienzgewinn und daher mit Kostenreduzierungen und Gewinnsteigerungen verbunden. Eine Erlangung eines konkreten Zielzustands der Digitalisierung ist dabei selten primäres Ziel. Stattdessen ist Digitalisierung Teil und andauernder Motor eines technologischen Fortschritts, der relativ unaufhaltsam voranschreitet. Für Arbeitnehmer brachte die Digitalisierung spürbare Veränderungen durch die Nutzung von Computern und des Internets hin zu einem „papierlosen Büro“. Dabei nutzten noch im Jahr 2001 63 % der Menschen in Deutschland kein Internet (Statista 2023). Automatisierung und Verbesserungen von Prozessabläufen durch Informations- und Kommunikationstechnik führten beispielsweise zu klaren Effizienzsteigerungen und der Reduktion von Fehlern. Digitale Abbilder realer Abläufe ersparen heute Material, Energie und Ressourcen durch die Möglichkeit digital durchgeführter Tests (Frondel 2021).
Mit Nachhaltigkeit auf der anderen Seite wird heute oft ein notwendiges Gebot für das 21. Jahrhundert verbunden, das von Institutionen wie der UN, G20 und verschiedenen wissenschaftlichen Organisationen unterstützt wird (Kiron und Unruh 2018). Der Begriff Nachhaltigkeit an sich enthält dabei verschiedene Facetten, die im Wesentlichen dafür stehen, im Kontext von endlichen Ressourcen nicht auf Kosten zukünftiger Generationen zu leben. Bereits 1972 wies der Club of Rome in einer bekannten und aufrüttelnden Studie auf die Grenzen des Wachstums hin (Meadows et al. 1972).
Nachhaltigkeit und Digitalisierung bieten ein umfangreiches Themengebiet mit beträchtlichen Herausforderungen und ebenso großen Chancen. In den allermeisten Fällen wird die Aufmerksamkeit aber jeweils nur einem der beiden Themen zuteil. Selten werden die Eigenschaften beider Bereiche analysiert und Strategien erarbeitet, die sich auf die inhaltliche Schnittmenge beziehen (Del Río Castro et al. 2021). Dabei verdienen Nutzeraktivitäten wie beispielsweise Online-Shopping oder Videokonferenzen durchaus die Abwägung, ob die Möglichkeiten der Digitalisierung eher positive oder eher schädliche Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft haben. Dabei ist es zur Erzielung eines nachhaltigen Wettbewerbsvorsprungs, der Bewältigung der Herausforderungen des globalen Klimawandels und der Verknappung natürlicher Ressourcen empfehlenswert, beide transformatorischen Kräfte in einem koordinierten Prozess zusammenzuführen, um hierdurch eine Wertsteigerung zu erzielen (Posch 2021).
Der vorliegende Beitrag stellt die Thematik der so genannten „Twin Transformation“ im Überblick dar. Hierfür werden zuerst die Themen Nachhaltigkeit sowie Digitalisierung dargestellt, gefolgt von einer Zusammenführung der beiden Themen. Anhand von Praxisbeispielen wird anschließend ein Modell strategischer Handlungsoptionen für die Twin Transformation im Unternehmen von Unternehmen entwickelt. Der Beitrag schließt mit einer Betrachtung dazu, wie der Übergang in die neue Arbeitswelt gestaltet werden sollte.
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2 Inhaltliche Grundlagen zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit
2.1 Digitalisierung
Trotz der enormen Bedeutung und intensiven Diskussionen zum Thema Digitalisierung gibt es keine einheitliche begriffliche Grundlage. Heute wird mit Digitalisierung oder digitaler Transformation der durch die Informationstechnik hervorgerufene Wandel bezeichnet, welcher in den meisten Lebensbereichen zu beobachten ist (Jacob 2019). In manchen Publikationen wird deswegen auch von einer soziotechnischen Transformation gesprochen (Sühlmann-Faul und Rammler 2018).
Die Corona-Pandemie hat über die vergangenen drei Jahre die Bedeutung der Digitalisierung weiter verstärkt. Für die Art wie wir arbeiten, kommunizieren, konsumieren und leben wurden für zahlreiche Einsätze in kürzester Zeit digitale Ersatzwerte geschaffen. Die Krise hat hierbei bereits zahlreiche Branchen nachhaltig verändert und neue Geschäftsmodelle hervorgebracht.
Dabei bringt die Digitalisierung aber keineswegs nur positive Effekte mit sich: Je nach Sichtweise gefährdet das Internet vorhandene Geschäftsmodelle, langfristig aufgebaute Kundenbeziehungen und etablierte Wertschöpfungsprozesse. Ein weitere, oft unberücksichtigte Herausforderung sind Umweltaspekte. Für jede digitale Aktivität wird Energie benötigt. Die Durchführung einer simplen Google-Suche erzeugt CO2 durch den notwendigen Energieeinsatz der Datenzentren. Bis 2030 könnten digitale Technologien bis zu 5 % der globalen CO2-Emissionen verursachen (Andrae 2020).
Eine Begriffsdefinition für Digitalisierung liefert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: „Digitalisierung bedeutet die Verwendung von Daten und algorithmischen Systemen für neue oder verbesserte Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle.“ (BMWK 2022). Um als Unternehmen somit aktiv die digitale Transformation voranzutreiben, bieten sich im Wesentlichen vier Dimensionen an: die Digitalisierung von Geschäftsmodellen, die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und sowie Auswirkungen auf funktionale Bereiche in Unternehmen, wie beispielsweise die Digitalisierung von Produkten, sowie eine Management-Perspektive, die den organisationalen Umgang, Gestaltung und die Steuerung der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Organisation beschäftigt (Fend und Hofmann 2022).
Nach Appelfeller und Feldmann (2018) kommt dabei der Technologie eine zentrale Rolle zu, da sie in der Regel Ausgangspunkt für organisationale aber ebenso weitere technische Innovationen darstellt. Zum einen transformieren IT-Systeme analoge Daten zu digitalen Daten und verarbeiten und speichern diese. Zum anderen verbindet die digitale Vernetzung digitale Elemente und schafft die Voraussetzung für digitale Prozesse, so dass IT-Systeme (auch unternehmensübergreifend) miteinander kommunizieren und Daten austauschen können.
Leimeister (2021) nennt weitere Punkte, wobei auch hier beachtet werden muss, dass diese sowohl Treiber der Digitalisierung sind als auch durch diese vorangetrieben werden:
Daten sind die Grundlage für die meisten Verbesserungen, sei es, um Kunden zielgerichteter ansprechen zu können, oder um Prozesse analysieren und verbessern zu können. Während es vor einigen Jahren noch darum ging, möglichst viele Daten zu sammeln, geht es heute eher darum, die unendlichen Fluten an Daten systematisch und sinnvoll auszuwerten und zusammenzufassen.
Der Ausbau der digitalen Infrastruktur, etwa die Breitbandkapazität durch Glasfaserkabel, ermöglicht, dass Maschinen zuverlässig miteinander kommunizieren können („Internet of Things“) und die Steuerung ganzer Produktionsstraßen hierauf aufgebaut werden kann.
Die Zahl genutzter mobiler Endgeräte steigt stetig an – hierdurch werden gleichzeitig auch mehr Daten produziert und konsumiert.
Das Nutzungsverhalten hat sich stark verändert – digitale Nutzer sind nie offline und erwarten überall digitale Services in Anspruch nehmen zu können.
Die Miniaturisierung von IT-Hardware ermöglicht mehr Leistungsfähigkeit von Servern, Notebooks und Smartphones bei gleicher Größe. Hierfür wurde jahrelang das so genannte Moore’sche Gesetz herangezogen, nach dem sich die Transistoren je Fläche auf einem Halbleiterelement alle 1–2 Jahre verdoppelt. Dies erwies sich zwar lange Zeit als richtig – seit etwa 2015 jedoch kann dies nicht mehr erreicht werden.
2.2 Nachhaltigkeit
Die erste globale Aufmerksamkeit für die menschenverursachten Umweltauswirkungen gab es vor rund 50 Jahren, als der Club of Rome in einer in Auftrag gegebenen Studie erstmalig die Grenzen des Wachstums definierte (Meadows et al. 1972). Basierend auf einer Computersimulation am „System Erde“ wurde aufgezeigt, dass durch die nicht-nachhaltige Nutzung von Ressourcen Auswirkungen entstehen, die einen selbst zwar nicht unmittelbar betreffen, aber globale und langfristige Auswirkungen auf folgende Generationen haben würden. In der Wissenschaft war diese Erkenntnis revolutionär – jedoch in Politik und Wirtschaft ergab sich keine Kehrtwende.
Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ wurde von der UN im so genannten Brundtland-Bericht bereits 1987 in ein Konzept einer „Nachhaltigen Entwicklung“ umdefiniert (Hansen et al. 2014). Eine der heute gängigsten Definitionen hierfür lautet: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihren [sic!] eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ (Deutscher Bundestag 2017).
Nachhaltigkeit basiert nach heutigem Verständnis auf drei Säulen (Deutscher Bundestag 1998):
Die ökologische Nachhaltigkeit adressiert die Schonung und den Erhalt der natürlichen Ressourcen und der menschlichen Lebensgrundlagen.
Die ökonomische Nachhaltigkeit adressiert die Verfolgung langfristiger Strategien (gegenüber kurzfristigem Gewinnstreben) um zukunftsfähiges Wirtschaften von Unternehmen in den Mittelpunkt zu stellen. Ziel ist es dabei Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen und einer gerechten Verteilung von Unternehmensgewinnen.
Die soziale Nachhaltigkeit hat zum Ziel die Auswirkungen auf die Gesellschaft zu gestalten und freie persönliche und berufliche Entfaltung von Menschen zu ermöglichen.
International anerkannt sind in diesem Zusammenhang die Sustainable Development Goals (SDG) der UN, die im Jahr 2015 als Ableitung aus den Millennium-Entwicklungszielen entstanden sind (United Nations 2015). In 17 Themenbereichen werden verschiedene Nachhaltigkeitsziele zum Zieldatum 2030 definiert, von der Armutsbekämpfung über den Schutz der Meere bis zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Konsum und Produktion. Zur Messung und Überwachung wurden 232 globale Indikatoren festgelegt. Leider hat der Sustainable Development Goals Report der letzten Jahre jedoch für Ernüchterung gesorgt, da die bisher erreichten Ziele nicht annähernd ausreichend sind, um die 2030-Ziele zu erreichen (Marquardt 2020).
Auch wenn verschiedene Definitionen von Nachhaltigkeit vorhanden sind, beziehen sich die meisten Modelle auf drei Aspekte: die Natur/Umwelt (Environment), die Wirtschaft (Economy) sowie den Gleichheitsaspekt (Equity bzw. Social Equality) (Cardona 2014). Trotzdem haben sich mittlerweile nicht diese „E“, sondern zwei andere, recht ähnliche Abkürzungen in der Unternehmenswelt deutlich stärker etabliert: CSR auf der einen Seite und ESG auf der anderen Seite. Unter CSR – kurz für Corporate Social Responsibility – ist primär die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens oder einer Organisation für ein nachhaltiges Wirtschaften zu verstehen (Porter und Kramer 2012). Verbunden ist CSR eher mit einem Eigenbild, d. h. ein Unternehmen prüft sich selbst, ob es seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird und vor allem im Nachhaltigkeitskontext die richtigen Dinge unternimmt.
Die Abkürzung ESG beinhaltet die drei wesentlichen Komponenten von Nachhaltigkeit, die von Unternehmen berücksichtigt werden müssen. Der Umweltaspekt (Environmental) beinhaltet dabei etwa das Klima, Umweltschutz oder Ressourceneinsatz. Der soziale Aspekt (Social) bezieht sich auf die Mitarbeiter eines Unternehmens und damit auch auf die Gesundheit, Sicherheit und den demografischen Wandel aber auch auf die Menschenrechte allgemein. Der Governmental-Aspekt schließlich bezieht sich auf die strukturelle Verankerung von Nachhaltigkeitsthemen in einem Unternehmen – beispielsweise durch Risikomanagement, Compliance und transparentes Handeln (Schanzenbach und Sitkoff 2020). ESG ist dem CSR-Konzept zeitlich nachgelagert und wird von manchen Autoren (vor allem in der Finanzwelt) als Weiterentwicklung dessen angesehen (MacNeil und Esser 2022). Durch die seit einigen Jahren deutlich besser vorhandenen Daten, wird versucht, mit Hilfe von ESG aus einer Marktsicht heraus systematisch Kriterien zu erheben, um eine Mess- und Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen herzustellen, beispielsweise um auch nicht-finanzielle Kennzahlen in Investment-Entscheidungen einfließen zu lassen. Für 79 % der in einer Umfrage von 2021 befragten Investoren ist ESG relevant bei ihren Investment-Entscheidungen (PWC 2021a).
3 Twin Transformation – Das Zusammenspiel von Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Aus einer Management-Perspektive ist Digitalisierung in erster Linie eine Möglichkeit, Prozesse maschinengestützt durchzuführen und somit Fehler zu vermeiden, die Durchlaufgeschwindigkeit zu erhöhen und die Effizienz zu erhöhen. Es kann also im Produktionsprozess für eine Erhöhung des Outputs sorgen. Nachhaltigkeit dagegen ist zunächst ein weiterer Faktor im Prozess, der beachtet werden muss: Woher stammen die Produktionsmaterialien? Wie nachhaltig ist unsere Supply Chain? Bieten wir faire Arbeitsbedingungen? „Nachhaltigkeit muss man sich leisten können“, ist somit immer noch ein Leitsatz für viele. Aus beiden Beispielen wird der Kontrast deutlich. Digitalisierung kann für eine Erhöhung des Unternehmensgewinns sorgen. Nachhaltigkeit dagegen wurde bisher eher als zusätzlicher Kostenfaktor angesehen, obwohl Nachhaltigkeit auch Chancen für die Unternehmen mit sich bringt.
Umso wichtiger ist es daher, eine Brücke zu bauen und Digitalisierung und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Es zeigt sich jedoch, dass es bisher vergleichsweise wenige Veröffentlichungen und wenig Forschungsbemühungen in diesem Gebiet gibt. Zu den wenigen Publikationen gehören eher Bücher, die einen Gesamtüberblick geben als Studien, welche datengestützte Hypothesen oder möglichen Vorgehensmodelle und Frameworks entwickeln. Zu den Autoren, die die Schnittmenge von Digitalisierung und Nachhaltigkeit allgemein beleuchten gehören im deutschsprachigen Raum Sühlmann-Faul und Rammler (2018), Jacob (2019), Marquardt (2020), Leal Filho (2021) sowie Biedermann et al. (2021). Sühlmann-Faul und Rammler (2018) nehmen dabei eine volkswirtschaftliche Perspektive ein und erörtern gesellschaftliche Themen sowie die Rolle der Politik. Jacob (2019) diskutiert beide Themen aus einer unternehmerischen Perspektive. Die Sammelwerke von Leal Filho (2021) sowie Biedermann et al. (2021) beinhalten tiefere Einblicke in einzelne Branchen wie etwa Bildung, Wassermanagement oder Geothermie. Marquardt (2020) gibt einen Gesamtüberblick über beide Themen sowie über politische Förderprogramme und entwickelt ein Modell für nachhaltige Service-Qualität. Weitere Publikationen spezialisieren sich auf den Beitrag der Digitalisierung zur Erfüllung der Sustainable Development Goals (Lange und Santarius 2018; Höfner und Frick 2019; Fromhold-Eisebith et al. 2019).
3.1 Nachhaltige Digitalisierung
Die Digitalisierung schreitet in den meisten Unternehmen voran. Rückschritte sind selten, die Umstellung von digitalisierten Prozessen zurück auf analoge Prozesse sind in der aktuellen Zeit weder vorgesehen noch systematisch angewandt. Dabei sind digitale Ergebnisse keineswegs von Umweltkosten befreit (Greenwood 2021). Während die unternehmensspezifischen Gründe für Digitalisierung – Gewinnung von Daten, Erhöhung der Produktions- und Prozesseffizienz, kundenindividuellere Ansprache, neue Vertriebskanäle, verbesserte Information und Kommunikation, u. a. – im Regelfall auf Gewinn oder Wachstum aus sind, war das Thema Nachhaltigkeit bisher kein Treiber, der Unternehmen zu mehr Digitalisierung bewegt hat. Positive umweltbezogene Aspekte der Digitalisierung wie beispielsweise das „papierlose Büro“ sind gleichwohl willkommene Nebenprodukte. Dabei verläuft die Digitalisierung an sich alles andere als nachhaltig. Die folgende Auflistung kann nur beispielhaft aufzeigen, welche Einflüsse bekannt sind:
Informations- und Kommunikationstechnologien verursachen durch ihren Stromverbrauch rund 4 % der weltweiten Treibhausgase (The Shift Project 2019) – Tendenz deutlich steigend. Diese Emissionen sind absolut gesehen höher als die des internationalen Flugverkehrs (EON 2022).
Rund 300 Mio. Tonnen CO2 jährlich fallen für die Nutzung von Videoinhalten an (The Shift Project 2019).
Der Hauptenergiebedarf fällt bei Rechenzentren an. In einem Ländervergleich wären Rechenzentren der sechstgrößte Stromkonsument auf dem Planeten (EON 2022). Alleine in Deutschland werden hierbei 13 Mrd. kWh Strom in Wärme umgewandelt und weitgehend ungenutzt an die Umgebung abgegeben (Höfer et al. 2019)
Technische Entwicklungen durch den 5G-Standard, Edge Computing, KI, intelligente vernetzte Geräte (Internet of Things), oder die Vernetzung im Verkehrsbereich werden zu weiteren signifikanten Anstiegen des Stromverbrauchs und einem Ausbau von Rechenzentren führen (Hintemann 2019).
Eine einzige Bitcoin-Transaktion benötigt aufgrund der komplexen Hash-Verschlüsselung eine Strommenge von über 1000 kWh. Je nach Ort des Mining und Art der Energieerzeugung entspricht dies einem CO2-Emissionsvolumen, das bei einer Autofahrt von rund 2000 km Fahrt entstehen würde. Bei rund 250.000 Bitcoin Transaktionen pro Tag entspricht dies in Summe dem Energiebedarf eines Landes wie Österreich (de Vries 2018).
Digitalisierung benötigt Energie und verursacht somit auch schädliche Emissionen. Höhere Rechenleistungen und Internetgeschwindigkeiten verleiten Software-Entwickler und Webdesigner sogar dazu, immer stromhungrigere Websites zu erstellen (Greenwood 2021). Es gibt jedoch einige Ansätze für Energieeinsparungen bei der Erstellung und Nutzung digitaler Services:
Über die letzten fünf Jahre ist die Größe einer Website um 40 % gestiegen (HTTP Archive 2023). Dabei ließen sich viele digitale Produkte schlanker gestalten, wenn beispielsweise Assets wie Bilder passend skaliert, Videos niemals per Autostart beginnen und Schriftarten einfach gehalten würden.
„Clean Code“ bei der Website-Erstellung reduziert ebenfalls den Energiebedarf – je einfacher der Code geschrieben ist, desto weniger Rechenleistung wird benötigt. Unnötige Skripts sollten entfernt werden.
Der Einsatz von Caching reduziert ebenfalls die benötigte Rechenleistung, dadurch dass Elemente zwischengespeichert werden und wiederverwendet werden können, so dass für den Aufruf einer verwandten Website weniger Bandbreite benötigt wird.
Funktionierende Suchfunktionen können helfen, dass weniger Zeit und somit weniger Energie für eine Suche notwendig sind.
Einige Konfigurationsmöglichkeiten benötigen weniger Energie, wie beispielsweise der Dark Mode auf dem Smartphone.
Offenheit über Quellcodes (Open Source) fördern die Transparenz, so dass etwa eine energiesparendere Programmierung einer Website von anderen abgeschaut werden kann. Bei einem Test des Umweltbundesamt zu ressourceneffizienter Software schnitten Open-Source-Angebote am besten ab (Gröger et al. 2018).
Über den Zusammenhang von Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu sprechen kann helfen, Innovationsdenken zu entwickeln. BBC Future veröffentlicht auf vielen ihrer Webpages die geschätzten CO2-Emissionen, die das Publizieren eines Online Artikel verursacht hat (Henriques 2020).
Als Hosting-Anbieter sollten Unternehmen gewählt werden, die für ihre Rechenzentren auf 100 % erneuerbare Energien setzen.
3.2 Nachhaltigkeit durch Digitalisierung
Noch facettenreicher ist der zweite Teil der Schnittmenge. Hierbei wird Digitalisierung auf seine nachhaltigkeitsbezogenen Implikationen bemessen. Die Frage hier ist also nicht mehr, wie nachhaltig die Digitalisierung verlaufen kann, sondern welchen (positiven) Einfluss die Digitalisierung auf Nachhaltigkeit in verschiedenen Bereichen hat.
Im globalen Kontext und im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wird Digitalisierung als Enabler gesehen, um die Sustainable Development Goals bzw. die Agenda 2030 erfüllen zu können (BMZ 2019). So kann durch digitale Technologien der Zugang zu Basisdienstleistungen erleichtert, die Effizienz in der Verwaltung erhöht oder die Planung und Kommunikation verbessert werden. Informations- und Kommunikationstechnologien kommt sogar eine Schlüsselrolle zu, wenn es um einige SDGs im Einzelnen geht: beim Thema Bildung (SDG 4), Geschlechtergerechtigkeit (SDG 5), Infrastruktur, Industrialisierung und Innovation (SDG 9) und zu den globalen Partnerschaften (SDG 17).
Lange und Santarius (2018) verweisen auf die wachsenden Herausforderungen weltweit – insbesondere den Klimawandel, aber auch soziale Katastrophen, wie bspw. Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern für Konsumgüter, oder die begrenzten Ressourcen des Planeten – und fordern eine „sozialökologische Transformation“, um die „Gesellschaft(en) zukunftsfähig zu machen“. Der Digitalisierung weisen sie hierbei die Chance zu, durch ihren disruptiven Charakter der Ermöglicher einer solchen umfassenden Veränderung zu sein. Gleichzeitig bedauern sie, dass die Digitalisierung aus ihrer Sicht bisher keine zentrale Rolle bei den Diskussionen zur Erfüllung der SDGs gespielt hat.
Der jährliche Digital-Gipfel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz stand 2020 unter dem Motto „Digital nachhaltiger leben“. Auch hier wurden digitale Technologien klar als Enabler verstanden, um neue Innovationen voranzutreiben, welche auf das Thema Nachhaltigkeit einzahlen. Insbesondere im Bereich Ressourceneinsparung, Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft sowie in der Landwirtschaft bergen digitale Technologien neben Risiken auch Chancen. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU) erstellte bereits ein Jahr zuvor ein Konzept einer gemeinsamen digitalen Zukunft (WBGU 2020). Im Bewusstsein der Dringlichkeit für entschiedenes Handeln zur Begrenzung des anthropogenen Klimawandels wird hierin eine Charta vorgestellt, welche Digitalisierung im Sinne der Nachhaltigkeitsziele sieht. Hierzu gehören (1) der Einsatz von Digitalisierung zur Erreichung der gesetzten Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, (2) die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Auswirkungen und planetarer Grenzen bei der Entwicklung digitaler Technologien und Infrastrukturen, (3) der Einsatz von Digitalisierung für das Monitoring der UN-Nachhaltigkeitsziele, sowie (4) die länderübergreifende, gemeinschaftliche Entwicklung digitaler Gemeingüter etwa zur Wissensentwicklung mit allgemeiner Zugänglichkeit.
4 Vorstellung aktueller Praxisanwendungen im Bereich Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Digitale Technologien verändern die Unternehmenslandschaft bereits seit Jahren – und das weltweit. Ein Großteil aller neuen Geschäftsmodelle fußt auf digitalen Geschäftsaktivitäten – sei es durch den Einsatz von Big Data, künstlicher Intelligenz oder durch digitale Prozessverbesserungen und -automatisierung. Stand Juni 2022 sind die zehn wertvollsten Unternehmen der Welt Apple, Microsoft, Saudi Aramco, Alphabet, Amazon, Tesla, Berkshire Hathaway, Nvidia, Meta und Taiwan Semiconductor Manufacturing (PWC 2021b). Acht dieser zehn Konzerne basieren auf einem überwiegend digitalen Geschäftsmodell, wobei die Unternehmen erst in den letzten zwei Jahrzehnten an die Spitze gelangten. Gleichzeitig gewinnt das Thema Nachhaltigkeit immer stärker an Bedeutung, wie auch im vorigen Kapitel gezeigt wurde. In Deutschland suchen beispielsweise 70 % aller Verbraucher gezielt nachhaltige Produkte und erwarten Transparenz über die CO2-Bilanz (Steimel 2022). Beide Themen sind also von hoher Relevanz für Unternehmen.
In den nächsten Abschnitten werden praktische Anwendungsfälle von Unternehmen aus der Schnittmenge von Nachhaltigkeit und Digitalisierung vorgestellt. Diese sind aus dem deutschen Raum über verschiedene Branchen hinweg gewählt, um ein möglichst breites betriebliches Bild zu repräsentieren. Einige der aufgeführten Beispiele sind für die Aktivitäten bekannt oder haben dies als Kernleistungen in ihrem Portfolio. Andere Unternehmen haben sich auf eine subtilere Art der Schnittmenge von Digitalisierung und Nachhaltigkeit angenähert und sind dort in geringerem Maße aktiv. Beinahe aus allen Branchen ließen sich weitere Beispiele ergänzen.
Als Leitfragen dienen zur Beschreibung der Fallbeispiele:
Wie können sich Digitalisierung und Nachhaltigkeit gegenseitig beeinflussen?
In welchen Geschäftsmodelle sind beispielhaft Schnittmengen von Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu finden?
Die Auswahl der dargestellten Praxisanwendungen erfolgt dabei entlang der zuvor vorgestellten Entwicklungslinien: Nachhaltige Digitalisierung, Nachhaltigkeit durch Digitalisierung sowie damit verbundener Maßnahmen im Zusammenhang zu ESG und CSR (s. Kap 2.2) anhand möglichst unterschiedlicher Branchen und Anwendungsfälle. Zielstellung ist es dabei nicht Vollständigkeit hinsichtlich möglicher Geschäftsmodelle herzustellen, sondern prinzipielle Zusammenhänge zwischen den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung aus betrieblicher Perspektive offenzulegen, ein breites Spektrum an Anwendungsfällen zu gewinnen und diese anschließend systematisiert zusammenzuführen.
4.1 Beispiel 1: Rechenzentren
Die zunehmende Digitalisierung führt zu einem deutlich ansteigenden Bedarf an Rechen- und Speicherleistung und damit zu einem verstärkten Ausbau der Rechenzentrumsinfrastruktur. Dieser Ausbau erfolgt sowohl in großen zentralen Cloud- und Co-Location-Rechenzentren als auch dezentral in Hybridrechenzentren oder Edge-Rechenzentren (Hintemann 2019). In Deutschland gibt es mehr als 53.000 Rechenzentren mit über 2 Mio. Servern. Allein in Frankfurt würde die durch Rechner entstehende Abwärme ausreichen, um die gesamte Stadt zu beheizen (Gerhard 2021). Derzeit nutzen jedoch rund 19 % der Rechenzentren in Deutschland mehr als 10 % ihrer Abwärme (Höfer et al. 2019).
Ein Positivbeispiel der Branche ist das „Lefdal Mine Datacenter“ in den Fjorden Norwegens, das sich selbst als eines der „Greenest Data Center on the Planet“ bezeichnet. Hauptbetreiber der Schaltschränke ist das deutsche Unternehmen Rittal. Über ein „Data Center as a Service“ (DCaaS) Angebot werden u. a. die so genannten High-Performance-Computing-Workloads (HPC) verwaltet, etwa von Daimler zur Entwicklung von Fahrzeugen und automatisierten Fahrzeugtechnologien. Die natürliche Umgebung des Rechenzentrums sorgt für einen drastisch niedrigeren Energie- und Wasserverbrauch bei der Kühlung, wobei die Energiebereitstellung vor Ort durch erneuerbare Energien mittels Wasserkraft erfolgt.
4.2 Beispiel 2: Software-Entwicklung
Software ist das Werkzeug für die Digitalisierung und daher ihre wohl wichtigste Grundlage. Durch Anpassungen von Software und Algorithmen lassen sich nicht nur die Effizienz der Rechenoperationen steigern, sondern auch der Energiebedarf drastisch senken. Somit hat Software einen erheblichen Einfluss auf die Nutzungsdauer von Hardware wie auch auf die Energieeffizienz (GI 2022). Während früher die knappen Ressourcen die Rechnergeschwindigkeit und der Speicherplatz waren, so ist es heute der Energie (De Villa Suárez et al. 2021).
Eine umweltfreundlichere Programmierung der Software wird auch als Green Coding bezeichnet. Damit gemeint ist etwa, dass Websites so programmiert werden, dass Bilder automatisch skaliert werden oder dass Endgeräte nur in sinnvollen Zeitabständen eine Anfrage an Datenbanken nach einem Update schicken. Das Unternehmen GFT, ein IT-Dienstleistungsunternehmen, sieht drei Hauptbestandteile: Eine grünere Logik mit optimierter Programmierung und „Zero-Waste-Code“, eine grünere Methodik mit agilen Methoden und wiederverwendbaren Ergebnissen sowie eine grünere Plattform mit optimaler Auslastung.
Bisher verknüpfen nur sehr wenige Unternehmen im Bereich Software-Entwicklung ihr Geschäftsmodell mit dem Thema Nachhaltigkeit. Eine Ausnahme ist das Start-up Lionizers, das eine nachhaltige Entwicklung digitaler Produkte offeriert. Hierzu zählen nach Aussage des Unternehmens eine hohe Qualität der Entwicklung durch sorgfältige Tests, welche Folgekosten vermeidet, ein sensibler Umgang mit Daten unter dem Credo einer Datensparsamkeit sowie eine sorgfältige Auswahl von Hard- und Software zur Schonung von Material und Energieverbrauch.
4.3 Beispiel 3: Nachhaltige IT-Services
Das deutsche IT-Systemhaus Green IT bringt mit dem Thema Nachhaltigkeit eine zusätzliche Facette in das eigene Produktportfolio. IT-Services werden unter besonderer Berücksichtigung ressourcenschonender Technologien, eines minimalen Material- und Energieverbrauchs, effizienter Prozesse und der Nutzung von erneuerbaren Energien erbracht. So werden etwa bei „Managed Print Services“ nicht nur die Anschaffungskosten, sondern auch die durchschnittliche Lebenszeit und der Energieverbrauch eines Druckers einkalkuliert, um neben den Betriebskosten auch die Umweltbelastung gering zu halten. Zum Leistungsportfolio des Geschäftsmodells gehören zahlreiche weitere Produkte wie etwa smarte Solarlösungen. Mit seinem Geschäftsmodell, das die ESG-Kriterien im IT-Leistungsportfolio in besonderer Weise berücksichtigt, wurde der Green IT im Jahr 2021 der Deutsche Nachhaltigkeitspreis verliehen.
4.4 Beispiel 4: Digitalisiertes Nachhaltigkeitsreporting für Unternehmen
Bereits vor über 20 Jahren forderten verschiedene Autoren Umwelt-bezogene Kennzahlen in ERP-Systemen einzusetzen, um die Zahlen standardisiert zu erfassen und um keine Insellösungen durch separate Softwares zu erzeugen (Krcmar et al. 2000). Heute jedoch stehen viele Unternehmen noch vor der gleichen Herausforderung. SAP bietet hier mit seinem Sustainability Control Tower ein Reporting-Tool für das Nachhaltigkeitsmanagement (SAP 2023). Als Datengrundlage können sowohl die Daten aus dem angeschlossenen ERP-System verwendet werden als auch externe Daten importiert und als Dashboard aufbereitet werden. Das Tool unterstützt die gängigen Reporting-Standards wie GRI oder SASB, um gegenüber den Stakeholdern die Transparenz zum ökologischen Fußabdruck des Unternehmens zu gewähren.
Ein weiterer Anbieter mit GRI-Zertifizierung ist Quentic aus dem Bereich Arbeitssicherheit und Umweltschutz (Quentic 2023). Auch Quentic bietet mittels Cloud-Software die Möglichkeit, Analysen und Dashboards zum Thema Nachhaltigkeit zu generieren. Im Unterschied zu SAP liegt der Fokus vor allem auf Ressourcennutzung, Energiebedarf, Abfallmanagement, Umweltzertifizierungen, Umgang mit Gefahrstoffen sowie dem Transportmanagement. In der Handelsbranche ist das Software-Produkt ecozoom der natureOffice GmbH eine Lösung, um eine Klimabilanzierung für Produkte und Unternehmen zu erstellen, gemäß den Vorgaben des GHG (Greenhouse Gas) Protocols. Ein Ziel von ecozoom ist es, Transparenz zur Klimabilanz von Produkten zu schaffen und diese einfach darzustellen (NatureOffice 2023).
Das Zusammenführen von Nachhaltigkeit und Digitalisierung führt in diesem Beispiel zu einer besseren und kontinuierlichen Entscheidungsgrundlage für Nachhaltige Initiativen und bietet gleichzeitig spezialisierten IT-Unternehmen die Chance Unternehmen auf diesem Weg durch entsprechende Anwendungen zu unterstützen.
4.5 Beispiel 5: Digital-gestützte Nachhaltigkeitsberechnung für Nutzer und Konsumenten
Verschiedene Unternehmen bieten Berechnungen, um den CO2-Ausstoß eines Produkts oder einer Aktivität zu vergleichen. Die Intentionen für die vorgestellten Beispiele sind dabei völlig unterschiedlich. Unter dem Hashtag #cleanupforgood bietet Vodafone einen Rechner für private Nutzer, um das CO2-Einsparpotential zu berechnen, das sich durch das Löschen von nicht (mehr) benötigten Apps, Fotos, Videos, E‑Mails, etc. ergibt. Hintergrund hierbei ist, dass allein die Speicherung von großen Datenmengen für einen erhöhten Strombedarf sorgt. Vodafone gibt an, dass hierdurch bereits rund 222 t CO2 eingespart wurde (Vodafone 2023). Praktisch umgesetzt wird dies auch von der Otto Group, die regelmäßig zum „Digitalen Frühjahrsputz“ aufrufen. Neben dem Energieeinsparpotential möchte Otto ein Bewusstsein für den Einfluss von digitalen Tools und des exponentiellen Datenwachstums für die Umwelt schaffen (Otto Group 2022).
Das Unternehmen Fristads bietet funktionelle Arbeitskleidung für verschiedene Branchen an. Der USP von Fristads ist hierbei die Qualität, wobei Fristads einen besonderen Wert auf die Messung der Umweltauswirkungen eines Kleidungsstücks legt. In Zusammenarbeit mit einem Forschungsinstitut entstand hierbei eine neue Umweltwertdeklaration für Kleidung (EPD – Environmental Product Declaration). Die Vorzüge der eigenen Fristads Green Kollektion zeigen sich online bei der Verwendung des „Green Calculator“, bei dem Nutzern transparent aufgezeigt wird, welche CO2- und Wassermengen für die Kleidungsproduktion benötigt werden (Fristads 2022).
Ein internationales Beispiel liefert die britische öffentliche Medienanstalt BBC (Henriques 2020). Unter jedem Artikel, der im Bereich BBC Future auf der Website veröffentlicht wird, ist aufgeführt, welche CO2-Menge ein einzelner Seitenaufruf verursacht. BBC erwähnt, dass die zugrunde liegende Kalkulation komplex ist und auf vielen Parametern beruht. Die Hauptintention ist ein erhöhtes Bewusstsein der Nutzer, dass auch Internetdienste Energie benötigen und somit zulasten der Umwelt gehen.
Auch in diesen Beispielen führt das Zusammenführen von Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu einer besseren Bewertung unternehmerischer Aktivitäten in Bezug auf Nachhaltigkeit. Das Reporting entfaltet damit mittelbar eine Steuerungswirkung. Ebenso werden hier spezialisierten IT-Unternehmen die Chance durch entsprechende Anwendungen neue Geschäftsmodelle zu finden.
4.6 Beispiel 6: Home-Office
Ohne Zweifel hat die Corona-Pandemie zu einem Digitalisierungsschub in vielen Unternehmen geführt (Erdsieg 2022). In vielen Dienstleistungsbereichen mussten die Mitarbeiter dabei zeitweise von zuhause arbeiten. Mittlerweile haben sich viele Unternehmen mit einer hybriden Arbeitsform (d. h. einer Mischung aus dem Arbeiten zuhause und dem Arbeiten im Büro) abgefunden und Mitarbeiter fordern dies sogar ein (Kunze 2022). Beispiele für die zunehmende Flexibilisierung von Arbeitsplatz und auch Arbeitszeit sind etwa SAP oder die Allianz. Wenn Unternehmen ihren Mitarbeitern mehr Flexibilität beim Arbeitsort gestatten, könnten viele Arbeitswege eingespart werden und die Digitalisierung hätte hier einen positiven Effekt auf das Klima. Dies gilt auch dann, wenn eine vermehrte Teilnahme an Videokonferenzen einberechnet wird. So verursacht eine einstündige Videokonferenz mit dem Notebook laut Umweltbundesamt etwa 55 g CO2, was einer Pkw-Fahrt von rund 260 Metern entspricht (Gröger et al. 2018). Unter Annahme einer Erhöhung des Homeoffice-Anteils um ein bis zwei Tage pro Woche und einer Schätzung der Homeoffice-Möglichkeiten berechnet das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung ein beträchtliches CO2-Einsparpotential zwischen 1,6 und 5,4 Mio. Tonnen pro Jahr (Thomas 2021).
4.7 Beispiel 7: Ausbildung
Mit Blick auf eine bestmögliche und praxisnahe Aus- und Weiterbildung bieten auch Universitäten Studienmöglichkeiten an der Schnittstelle von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. So bietet etwa die Hamburg School of Business Administration (HSBA) seit wenigen Jahren den berufsbegleitenden Studiengang „Digital Transformation & Sustainability“ mit dem Abschluss eines Master of Science. Ziel des Studiengangs ist es insbesondere, dass die Absolventen proaktiv die Themen im Bereich dieser beiden Megatrends angehen und als Impulsgeber in Unternehmen und der Gesellschaft agieren. Das zugrunde liegende „Agile Lernen“ beinhaltet thematisch etwa die Einbindung der Sustainable Development Goals in unternehmerische Entscheidungen, die Nutzung der Chancen des New Work Ansatzes für Unternehmen oder die Konzeptionierung innovativer nachhaltiger Geschäftsmodelle in unterschiedlichen Branchen (HSBA 2023).
Die ReDi School of Digital Integration wurde erst 2016 gegründet und bietet seinen über 6500 Studenten freie Kurse und individuelle Karriere- und Mentorenberatung an (ReDI 2023). Die ReDi School ist hierbei eine Non-Profit-Organisation, die von freiwilligen Helfern lebt und sich von Spenden finanziert. Mit dem umfangreichen Kursangebot etwa für Data Science, Cloud Computing, Programmierung oder Cybersecurity zielt die ReDi School insbesondere auf Migranten und Menschen, die sich ein kostenpflichtiges Studium nicht leisten könnten.
Zusammenfassend lassen sich aus den aufgeführten Fallstudien verschiedene Felder identifizieren, in denen sich Digitalisierung und Nachhaltigkeit in Unternehmen gegenseitig beeinflussen: Unternehmen beschäftigen sich mit der Frage, wie ihre digitalen Aktivitäten – angesichts des Ressourcenverbrauchs und in vielen Bereich weiter steigendem Einsatz von IT-Technologie – nachhaltiger gestaltet werden können. Gleichzeitig ist diese zunehmende Digitalisierung Ausgangspunkt für gezielte Überlegungen, wie die eigesetzte Technologie zu Nachhaltigkeit in fachlichen Vorgängen beitragen kann, insbesondere dort wo bisher ungenutzte Potenziale der Digitalisierung identifiziert und gehoben werden können. Darüber hinaus trägt die Digitalisierung zur Erfassung und Bewertung solcher nachhaltiger Digitalisierungsvorgänge aus Sicht des Unternehmens aber auch aus Sicht des Kunden bei.
5 Ableitung von organisationalen Handlungsfelder für die Twin Transformation
In den vorigen Kapiteln wurde dargestellt, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammenhängen und anschließend Beispiele und Geschäftsmodelle in dieser Schnittmenge vorgestellt, die derzeit von Unternehmen im Markt betrieben werden. Im Folgenden wird nun ein Modell vorgestellt, mit dessen Hilfe Unternehmen aktiv werden können, um das potenziell noch unbearbeitete Feld der Schnittmenge beider Megatrends zu besetzen. Wie zuvor erwähnt empfiehlt sich zunächst eine Unterscheidung der Schnittmenge in zwei Themenbereiche: Zum einen stellt sich die Frage, wie die Digitalisierung selbst nachhaltiger gestaltet werden kann. Und zum anderen, wie Digitalisierung Unternehmen und der Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit verhelfen kann. Als zweite Dimension ist eine Zieldefinition des Unternehmens notwendig. Soll ein neues Geschäftsmodell erstellt werden und das Unternehmensportfolio neu ausgerichtet werden? Oder fühlt sich ein Unternehmen in einer gesellschaftlichen Verantwortung, um das Thema Nachhaltigkeit mit all seinen Facetten stärker anzugehen? Über diese zwei Dimensionen ergibt sich eine 4‑Felder-Matrix, die Unternehmen dabei hilft, systematisch ein zielgerichtetes Vorgehen zu entwickeln (Abb. 1).
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Wie erwähnt empfiehlt sich zunächst eine Unterscheidung der Schnittmenge in zwei Themenbereiche: Zum einen stellt sich die Frage, wie die Digitalisierung selbst nachhaltiger gestaltet werden kann. Dem gegenüber steht die Fragestellung, wie Digitalisierung Unternehmen und der Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit verhelfen kann. Für die zweite Dimension des Modells ist eine Zieldefinition des Unternehmens notwendig. Soll ein neues Geschäftsmodell erstellt werden und das Unternehmensportfolio neu ausgerichtet werden? Oder fühlt sich ein Unternehmen in einer gesellschaftlichen Verantwortung, um das Thema Nachhaltigkeit mit all seinen Facetten stärker anzugehen? Über diese zwei Dimensionen ergibt sich eine 4‑Felder-Matrix, die Unternehmen dabei hilft, systematisch ein zielgerichtetes Vorgehen zu entwickeln.
5.1 Feld 1: Corporate Digital Responsibility
Matrixfeld 1 zielt insbesondere auf Unternehmen, die Digitalisierung aktiv gestalten und hierbei eine gesellschaftliche Verantwortung im Sinne von Nachhaltigkeit verstärkt wahrnehmen wollen. Corporate Digital Responsibility ist ein wesentlicher Baustein, um eine Strategie in diesem Bereich zu entwickeln. Als konkretes Beispiel könnte sich ein IT-Unternehmen, das Hosting-Leistungen als Portfoliobestandteil anbietet, vornehmen, den entsprechenden Energiebedarf nur noch aus erneuerbaren Energien zu beziehen, die Abwärme der Rechenzentren stärker zu nutzen und das Thema Nachhaltigkeit bei der Anschaffung neuer Server als Entscheidungskriterium mitaufzunehmen (z. B. die Lebensdauer und Recycling-Möglichkeit der Hardware). Das Beratungsunternehmen Deloitte sieht hierbei drei Ebenen, auf denen CDR angewandt werden kann (Andersen et al. 2022): Auf der Unternehmensebene finden sich Mitarbeiter-bezogene Aspekte (z. B. Digitale Inklusion) aber auch die digitale Ausstattung der Arbeitsplätze. Auf der Geschäftsbeziehungsebene geht es um Themen wie Datenschutz, Bestandteile des eigenen Leistungsportfolios, aber auch um Allianzen mit anderen Unternehmen. Auf der Gesellschaftsebene schließlich ist die Verantwortung gegenüber der Umwelt angesiedelt (z. B. Emissionen) sowie die digitale Zugänglichkeit von Informationen für die Allgemeinheit. Beispielsweise rief der Energiekonzern e.on 2019 den #GreenInternetDay ins Leben, um eine Debatte anzustoßen, dass das Internet „grüner“ wird und Rechenzentren mit Ökostrom beliefert werden (EON 2022). Die Praxisbeispiele von Daimler, Vodafone, Otto Group und BBC Future gehören zu Feld 1.
5.2 Feld 2: Digitale Sozialprojekte
Matrixfeld 2 bezieht sich insbesondere auf IT-Unternehmen, die durch ihre Kompetenz im Bereich der Digitalisierung aktiv einen Beitrag für nachhaltige Themen leisten. Dabei steht auch hier weniger die Monetarisierung des Ganzen im Vordergrund als vielmehr die Verantwortung, die ein Unternehmen empfindet. Digitalisierung wird dabei in den Dienst der Nachhaltigkeit gestellt. Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten kommen hierbei in Frage. Eine zentrale Leistung der Digitalisierung ist ein verbesserter und effizienterer Informations- und Kommunikationsfluss in verschiedensten Bereichen. Angewandt auf Unternehmen ergeben sich hierdurch Beispiele wie digitale Plattformen, Communities oder smarte Services. Hierdurch kann Digitalisierung einen starken Beitrag für Nachhaltigkeit leisten. Eine gute Orientierung für Unternehmen bieten die SDGs, so dass sich Unternehmen auf einzelne Teilaspekte fokussieren können. Während der Corona-Pandemie gab es etwa die von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Hackathons #wirvsvirus oder #wirfürschule, an denen sich zahlreiche Unternehmen und Privatpersonen mit IT-Expertise unentgeltlich beteiligten. Vorab in dieser Arbeit vorgestellt wurde das Unternehmen Lionizers, das sich auch durch soziale Projekte wie ein smartes Notrufsystem oder smarte und wartungsfreundliche Laternen auszeichnet. Veranstaltungen wie Bits & Bäume oder die Hamburger Klimawoche sind vergleichsweise neu und fördern digitale Innovationen zu Gunsten der weltweiten Nachhaltigkeitsziele („Digitizing the Global Goals“). Die Praxisbeispiele von Lioniziers (teilweise) und der ReDi School gehören zu Feld 2.
5.3 Feld 3: Geschäftsmodelle für eine nachhaltigere Digitalisierung
Der hohe und kontinuierlich steigende Energiebedarf der Digitalisierung sowie die dafür notwendigen Ressourcen zeigen einen hohen Bedarf einer nachhaltigeren Gestaltung. Ein Großteil des Energiebedarfs fällt bei Rechenzentren an und der Bedarf steigt laufend an. Gleichzeitig wurde aber auch die Effizienz der Energiebereitstellung deutlich besser und hat sich in Deutschland von 2010 bis 2020 versechsfacht (Hintemann 2019). Für andere Bereiche wie die Nutzung der Abwärme ist in den letzten Jahren jedoch noch zu wenig Verbesserung erzielt worden. Im Umfeld der Internetnutzung gibt es verschiedene Möglichkeiten, um sowohl beim Nutzer als auch beim Server den Energiebedarf zu reduzieren. Hierzu gehören etwa die schlanke Gestaltung von Websites mit automatisch skalierten Bildern und Quellcodes, die sich auf das Wesentliche beschränken ohne unnötige Skripte zu laden (Greenwood 2021). Auch Open Source Anwendungen schneiden beim Thema Nachhaltigkeit im Durchschnitt besser ab als proprietäre Software-Lösungen (Gröger et al. 2018). Einige Unternehmen, insbesondere im Start-up-Bereich, bewerben ihr Geschäftsmodell im Software-Bereich mit „Green Coding“ oder „Green IT“ und stellen dies als USP dar1. Die zu erwartenden technischen Entwicklungen in den Bereichen intelligenter vernetzter Geräte (IoT), künstliche Intelligenz, Vernetzung im Verkehrsbereich sowie der Ausbau des 5G-Netzes werden zu weiteren Steigerungen des Energieverbrauchs führen. In Verbindung mit den gestiegenen Energiepreisen kann in den Folgejahren mit einer steigenden Nachfrage für nachhaltigere Digitalisierungsmodelle gerechnet werden. Zu Matrixfeld 3 gehören die aufgeführten Praxisbeispiele von Rittal, GFT, Lionizers, Green IT, Fristads, SAP und Allianz.
5.4 Feld 4: Digitale Geschäftsmodelle für mehr Nachhaltigkeit
Technologische Entwicklungen können einen starken Beitrag leisten, um die Einhaltung der gesetzten Klimaziele zu erfüllen. Die Digitalisierung kann hierbei auf vielerlei Arten unterstützen: Stärkere Prozessoren und bessere Datengrundlagen verbessern die Modellierung von Klimamodellen, um aktuelle Entwicklungen und mögliche Kippeffekte besser zu verstehen. Verbesserungen im Bereich Mobilität können helfen, den Energiebedarf zu reduzieren, etwa durch intelligente Logistiklösungen und eine effizientere Verkehrssteuerung. Auch ein digitales Mobilitätsbudget für Mitarbeiter kann dazu beitragen, dass umweltfreundlichere Services wie z. B. der öffentliche Personennahverkehr gegenüber dem eigenen Auto stärker gefördert werden. In der Agrarwirtschaft kann durch den Einsatz künstlicher Intelligenz die Nachhaltigkeit in verschiedenen Bereichen gesteigert werden, etwa beim Pflanzenschutz, der Unkrautkontrolle oder der Lebensmittelsicherheit. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat diese Wichtigkeit bereits erkannt und fördert entsprechende Projekte im Bereich smarter Sensortechnik, Robotik oder maschinellen Lernens (BMEL 2023). Digitale Zwillinge als Abbild der analogen Welt können in allen Branchen, insbesondere im Baubereich, dafür sorgen, dass Kommunikation und Prozessabläufe effizienter erfolgen und Material, Energie und Ressourcen dadurch gespart werden, dass die Verfahren zunächst digital getestet werden (Frondel 2021). Auch dies hat positive Auswirkungen im Kontext der Nachhaltigkeit, etwa durch eine Erhöhung von Qualität und Beständigkeit, Transparenz über die verwendeten Wertstoffe oder die sozialen Aspekte von Nachhaltigkeit. Ähnlich wie Digitale Twins können auch Smart Services in einer Vielzahl an Branchen für Verbesserungen im Kontext der Nachhaltigkeit sorgen, sei es durch eine effizientere Kommunikation im Medizinbereich zwischen Ärzten und Patienten, eine effizientere Energienutzung von Kraftwerken oder Optimierungen im Logistikbereich durch den Einsatz künstlicher Intelligenz für Zustelldienste (Bruhn und Hadwich 2022). Die Praxisbeispiele von SAP (Reporting), Quentic, nature Office und HSBA sind in Feld 4 einzuordnen.
6 Diskussion und Fazit
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Schnittmenge der beiden großen Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit, zeigt konkrete Unternehmensbeispiele aus diesem Bereich auf und erarbeitet ein Modell, um Unternehmen mögliche Handlungsoptionen aufzuzeigen. Vorgegangen wurden in einem induktiven Ansatz, bei dem Anhand von Fallstudien mögliche Handlungsfelder in Form einer Matrix aufgezeigt werden. Insgesamt zeigen sich über alle Branchen hinweg verschiedenste Anwendungsmöglichkeiten. Viele von den Unternehmen verfolgten Ansätze scheinen sich (immer) noch in einer frühen Phase zu befinden. Die Arbeit diskutiert die Schnittmenge von Digitalisierung und Nachhaltigkeit mit dem Fokus auf Unternehmen einerseits und den deutschen Raum andererseits. Als praktische Implikationen zu nennen ist die Vorstellung und Erörterung von zahlreichen Geschäftsfeldern in dieser Schnittmenge über verschiedene Branchen hinweg. Als Implikationen von theoretischem wie auch praktischem Nutzen dient die methodische Hilfestellung für Unternehmen, um das Thema mithilfe der entwickelten Matrix oder einer der vorgestellten Modelle als Chance für sich zu begreifen.
Bezüglich Anwendung und Einsatz der erarbeiteten Matrix bleibt festzuhalten, dass Überschneidungen und Abdeckungen mehrerer Felder möglich sind. Die Anwendung der Praxisbeispiele aus dem vorigen Kapitel zeigt aber, dass in den meisten Fällen jeweils ein Feld dominiert. Für die meisten Unternehmen in Deutschland gilt zudem, dass sie sich noch gänzlich außerhalb der Matrix bewegen und das Themengebiet der Schnittmenge von Digitalisierung und Nachhaltigkeit noch nicht für sich gewonnen haben (Sühlmann-Faul und Rammler 2018; Marquardt 2020). Hier kann die Matrix als Entscheidungshilfe dienen.
Ist sich ein Unternehmen bei der strategischen Entscheidung, in welchem der vier Felder es aktiv werden möchte, noch unsicher, bietet sich ein zweistufiges Vorgehen an. Als erstes sollte anhand der Branche des eigenen Geschäftsmodells geprüft werden, welcher Bezug zu digitalen Dienstleistungen vorhanden ist. Sind digitale Dienstleistungen Teil des Unternehmensportfolios? Oder werden diese weitgehend eingekauft und IT-Services sogar outgesourct? Um in den Feldern 2 und 4, also im rechten Bereich der Matrix, aktiv zu werden, ist eine hohe digitale Expertise des eigenen Unternehmens erforderlich. Als Hilfestellung zur Einschätzung der eigenen digitalen Expertise sollte ein Bewusstsein über den eigenen digitalen Reifegrad erlangt werden. Hierfür eignen sich besonders die etablierten Reifegradmodelle von Bitkom (Britze et al. 2020) oder gemäß Appelfeller und Feldmann (2018). Beide Modelle analysieren die interne Ablauforganisation, so dass anhand der eingesetzten Daten, Technologien, Qualitätsprozesse und dem Organisationsetup (Bsp. Bitkom) bzw. anhand der Produktionsprozesse, unter Berücksichtigung der Lieferantenanbindung, der IT-Systeme und dem Kundenkontakt (Bsp. Appelfeller und Feldmann) eine solide Einschätzung des digitalen Reifegrads erfolgen kann.
Die zweite Fragestellung betrifft das, was Sinek (2011) als „Start with why“ bezeichnet. Es geht darum zu definieren, warum eine Veränderung erfolgen soll. In der Matrix werden – mit Bezug auf die Schnittmenge von Digitalisierung und Nachhaltigkeit – zwei Antwortmöglichkeiten vorgeschlagen: aus Gründen der Verantwortung des Unternehmens oder zur Monetarisierung eines möglichen neuen Geschäftsfeldes. Bei der Beantwortung dieser Frage geht es auch darum, dass bei einer möglichen Strategieanpassung eine operative Umsetzung durch die Mitarbeiter erfolgen wird. Um die Mitarbeiter hierfür zu gewinnen, sollte eine transparente Begründung erfolgen, welche Beweggründe das Unternehmen dazu geführt haben.
Die Limitierungen dieser Arbeit beziehen sich einerseits auf den qualitativen Charakter, so dass keine datengestützte Überprüfung der erstellten Hypothesen erfolgen kann. Andererseits fokussiert sich die Arbeit auf den deutschen Markt und blendet internationale Entwicklungen weitgehend aus, trotz der globalen Relevanz und grenzüberschreitenden gesellschaftlichen Durchdringung beider Megatrends.
Es bieten sich weitere gezielte Forschungsintensitäten an, um den Bedarf von Unternehmen nach einer methodischen Orientierungshilfe, möglichen Lösungsansätzen und empirischen Ergebnissen zu decken (nachhaltig.digital 2020; Rüter und Fink 2021). Hierbei besonders zu empfehlen sind (1) die Anwendung von quantitativen Forschungsmethoden (z. B. Befragung von C‑Level-Management in Konzernen), (2) der Fokus auf bestimmte Branchen2 sowie (3) die Analyse internationaler Ansätze in einer weiteren Arbeit.
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