Trotz globaler Herausforderungen bleibt Europa Vorreiter bei ESG im Finanzsektor. Während die USA und China ihren Kurs ändern, schaffen strenge Regulierungen wie die EU-Taxonomie klare Standards, fördern Transparenz und locken Investoren. Eine Chance für die Branche.
Europa hat mit seiner Taxonomie und dem Grean Deal eine im internationalen Vergleich strenge Regulierung.
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Viele Produkte mit ESG-Fokus (Environment, Social, Governance) konnten an den Finanzmärkten zuletzt kaum überzeugen. So fahren große Vermögensverwalter ihren Aktionismus vergangener Jahre merklich zurück. Absehbar ist bereits heute: Europa befindet sich in einer besonderen Position. Während die USA unter Trump ESG-Richtlinien zurückschrauben und nicht zuletzt den Boom fossiler Energien priorisieren, verstärkt die EU ihre Anstrengungen zur nachhaltigen Transformation. Das bringt sowohl Risiken als auch erhebliche Chancen mit sich.
EU-Taxonomie spielt eine zentrale Rolle
Die Nachfrage nach ESG-Investitionen ist in Europa dennoch ungebrochen. Laut Daten der Europäischen Investitionsbank (EIB) wurden im vergangenen Jahr über 400 Milliarden Euro in grüne Anleihen und nachhaltige Finanzierungsprojekte investiert. Das ist ein Plus von rund 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Diese Dynamik zeigt, dass es eine starke Basis für nachhaltige Investitionen gibt, die trotz internationaler Unsicherheiten weiterhin wächst.
Der EU-Rahmen für nachhaltige Finanzierungen, insbesondere die EU-Taxonomie, spielt hierbei eine zentrale Rolle. Seit Januar 2022 ist sie für Finanzinstitute verpflichtend und legt eindeutige Standards fest, die Greenwashing vorbeugen und klare Kriterien für Nachhaltigkeit definieren. Die Taxonomie klassifiziert wirtschaftliche Aktivitäten und legt fest, welche als ökologisch nachhaltig gelten. Die Umsetzung ist zwar nicht immer einfach, aber sie zwingt Banken, ihre Investitionen präzise auszurichten und Transparenz zu schaffen. Führende Institute haben bereits über zehn Milliarden Euro in Projekte wie Offshore-Windkraft investiert - ein klares Zeichen für Europas Entschlossenheit, eine nachhaltige Wirtschaft aufzubauen.
Performance vieler ESG-Produkte schreckt Anleger ab
Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass viele ESG-Produkte in den letzten Jahren durch eine unterdurchschnittliche Performance auffielen. Equities aus dem Bereich Clean Energy etwa gehören derzeit allzu oft zu den Sorgenkindern an den internationalen Börsen. Dabei gehört jedoch auch zur Wahrheit, dass insbesondere die rasanten Zinserhöhungen Treiber der negativen Entwicklung waren, weil viele ESG-Projekte besonders kapitalintensiv sind.
Die regulatorischen Anforderungen in Europa sind im internationalen Vergleich streng. Seit Inkrafttreten der EU-Verordnung zur Nachhaltigkeitstransparenz (SFDR) im März 2021 sind Finanzinstitute verpflichtet, ESG-bezogene Risiken und Auswirkungen offenzulegen. Produkte, die als nachhaltig bezeichnet werden, unterliegen strengen Offenlegungspflichten gemäß Artikel 9 der SFDR. Wer hier gegen die Regeln verstößt, riskiert nicht nur Strafen, sondern auch erheblichen Reputationsverlust. Aus der Vergangenheit ließen sich bereits einige Fälle von Greenwashing anführen. Das rigorose Vorgehen der Aufsicht sendet jedoch eine klare Botschaft an die Branche: ESG darf kein Lippenbekenntnis sein, sondern muss durch echte Maßnahmen und eine transparente Berichterstattung untermauert werden.
ESG-Vorgaben im Visier der US-Republikaner
Die ESG-konforme Geldanlage gehört für die republikanische Partei in den USA schon seit Jahren zu den liebsten Streitthemen im Wahlkampf. Verschiedene Maßnahmen zur Lockerung der Nachhaltigkeitspflichten stehen im Raum. In der Kritik steht etwa die Securities and Exchange Commission (SEC), diese hat unter der Biden-Administration Regeln eingeführt, die Unternehmen verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen und klimabezogenen Risiken offenzulegen. Eine Rücknahme dieser Vorschriften würde die Transparenz verringern und gleichzeitig die Eigenverantwortung von Unternehmen schmälern.
Ferner ist auch die Fiduciary Rule des Arbeitsministeriums umstritten. Dieses hat Regeln erlassen, die es Pensionsfonds ermöglichen, ESG-Faktoren bei Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen. Eine Aufhebung würde eine Rückbesinnung auf ausschließlich finanzielle Kennzahlen bedeuten. Auch die Aktionärsrechte beim Einbringen ESG-bezogener Vorschläge könnten wieder zurückgedrängt werden.
Green Deal Industrial Plan fördert grüne Technologien
Klar ist aber eindeutig, während die USA unter Trump den Fokus wieder auf fossile Energien legen, verfolgt Europa eine entgegengesetzte Strategie. Der kürzlich beschlossene Green Deal Industrial Plan der EU ist ein starkes Signal. Mit einer Investition von 500 Milliarden Euro bis 2030 schafft Europa Anreize, um grüne Technologien und nachhaltige Industrien zu fördern. Dieser Plan zeigt, dass Europa entschlossen ist, eine nachhaltige Wirtschaft zu schaffen - selbst wenn das bedeutet, dass es in bestimmten Bereichen Autonomie von den USA gewinnen muss.
Diese regulatorische Trennung könnte Europa sogar zum bevorzugten Markt für ESG-Investoren machen, die auf Stabilität und klare Standards setzen. Europas Banken werden mit ihrem Know-how, welches sie zwangsläufig gewinnen werden, als Partner für viele Unternehmen an Bedeutung gewinnen: US-Unternehmen mit großen Niederlassungen in Europa, wie Google und Microsoft, haben bereits begonnen, ihre ESG-Berichterstattung an die strengen europäischen Anforderungen anzupassen. Hier zeigt sich, dass Europa durch seinen ESG-Kurs sogar globale Standards prägen könnte. Ein Ziel, das vor wenigen Jahren noch als utopisch galt.
Europa als langfristiger Gewinner im ESG-Bereich?
Fazit: Europa scheint auf dem besten Weg, seine Führungsrolle im Bereich ESG zu festigen. Die klaren regulatorischen Standards der EU, wie die SFDR und die EU-Taxonomie, schaffen ein stabiles Umfeld für nachhaltige Investitionen und fordern Finanzinstitute und Unternehmen heraus, ESG ganzheitlich zu integrieren. In den kommenden Jahren wird es entscheidend sein, dass europäische Finanzinstitute nicht nur gesetzliche Vorgaben erfüllen, sondern proaktiv in nachhaltige Projekte investieren. Eine nachhaltige Entfremdung US-amerikanischer Institute vom Thema scheint jedoch ebenfalls fraglich, der globale Trend hin zu einer nachhaltigeren Ausrichtung der Wirtschaft ist nicht zu leugnen. Es scheint somit mehr als fraglich, ob die USA trotz des lauten Machtwechsels tatsächlich riskieren wollen, den moralischen "High Ground" beim Thema Nachhaltigkeit an den systemischen Rivalen China in Gänze abzutreten.