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28.10.2020 | Nachhaltigkeit | Interview | Online-Artikel

"Führungskräfte sind Katalysatoren nachhaltiger Entwicklung"

verfasst von: Andrea Amerland

4:30 Min. Lesedauer

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Nachhaltige Entwicklung wird oft auf Umweltaspekte reduziert, so Peter Kinne. Dabei ist die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse die Essenz nachhaltiger Entwicklung, sagt der Springer-Autor im Interview und erklärt, welche Rolle Organisationen dabei spielen.

Springer Professional: Nachhaltigkeit ist ein fast schon inflationär gebrauchter Begriff. Und Menschen verstehen unterschiedliche Dinge darunter. Was heißt Nachhaltigkeit für Sie?

Peter Kinne: Nachhaltigkeit bedeutet Beständigkeit oder Dauerhaftigkeit. Das kann sich auf Merkmale oder Zustände von Dingen, Lebewesen oder Systemen beziehen, aber auch auf Abläufe. Man muss also definieren, was genau man sich nachhaltig wünscht. Viele assoziieren mit dem Begriff prinzipiell den Zustand unserer natürlichen Umwelt. Damit schränken sie den Nutzungsspielraum erheblich ein.

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Sie rücken Organisationen als Treiber für Nachhaltigkeit in den Fokus. Wie können Unternehmen zu Akteuren nachhaltiger Entwicklung werden?

Unternehmen befriedigen, wie alle Organisationen, bestimmte Bedürfnisse, sonst bräuchte man sie nicht. Nach dem Leitsatz der Brundtland-Kommission* ist Befriedigung menschlicher Bedürfnisse die Essenz nachhaltiger Entwicklung. Mehr als die Hälfte der Deutschen ist in Organisationen beschäftigt. Organisationen sichern Existenzen. Sie vermitteln aber auch Orientierung, Sinn und Arbeitsfreude, bieten soziales Miteinander, ermöglichen Identifikation und können, was oft übersehen wird, demokratische Überzeugungen stärken. 

Wie sieht es mit anderen Stakeholder-Beziehungen aus?

Unternehmen befriedigen auch die Bedürfnisse ihrer Kunden. Krankenhäuser befriedigen Bedürfnisse von Patienten, Schulen Bedürfnisse von Schülern, Behörden Bedürfnisse von Bürgern etc. Um ihren Bestand sichern und Bedürfnisse möglichst dauerhaft befriedigen zu können, müssen Organisationen produktives Kapital erzeugen und nutzen. Das kann Finanz- und Sachkapital sein. In jedem Fall aber ist es Kapital, das in den Beschäftigten steckt, das sich durch Interaktion entfaltet und durch Kooperation vermehrt. Ressourcen dieser Art sind erneuerbar. Auf ihrer Basis entstehen Kompetenzen, die in neue Produkte und Dienstleistungen, aber auch in sinnvolle Strukturen und Regelungen fließen.

Warum ist produktives Kapital so wichtig?

Produktives Kapital wird für die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft und das Wohlergehen seiner Mitglieder benötigt. Wenn Unternehmen wettbewerbsfähig sind, für empowerte Beschäftigte sorgen, beides bedingt sich gegenseitig, und Umweltstandards einhalten, sind sie ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltiger als andere, und damit zukunftsfähiger. Diese Eigenschaft wirkt über die Beschäftigten in die Zivilgesellschaft hinein. Wenn sie dann noch Organisationen ihres Netzwerkes von ihrem Know-how profitieren lassen, was meist auch zum eigenen Vorteil ist, entsteht über positive Außenwirkungen ein viraler Effekt. Nachhaltigkeit kann so buchstäblich entfesselt werden.  

Welche Rolle spielt dabei die Kooperation mit Wissenschaft und NGOs?

Nachhaltige Entwicklung ist hochkomplex, weil viele verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Zwischen der ökonomischen, der ökologischen und der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit existieren Ursache-Wirkungsbeziehungen, die keineswegs offensichtlich oder gar messbar sind. Unsere Wissenschaftslandschaft wiederum wird immer differenzierter, Wissensgebiete werden immer enger. Viele Experten agieren in fachlichen Silos, die sie ungern verlassen, weil da ihre Komfortzonen liegen. 

Warum sind fachliche Silos für nachhaltige Entwicklung ein Problem?

Wirkungszusammenhänge nachhaltiger Entwicklung lassen sich so nicht entdecken. Lösungen, die nachhaltig sind, weil Wissen integriert und Handlungsspielräume erweitert werden, sind ausgeschlossen. Barrierefreie Interaktion und Kooperation zwischen Vertretern unterschiedlicher Wissenschaftsgebiete, aber auch zwischen Theoretikern und Praktikern ist deshalb für nachhaltige Entwicklung unerlässlich. So werden Lösungen möglich, die nicht nur Organisationen zugutekommen, sondern auch unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft stärken. NGOs können Entwicklungen vorantreiben und Öffentlichkeit erzeugen, wie zum Beispiel. Greenpeace und Fridays for Future. Der Organisationsgrad dieser beiden dürfte allerdings unterschiedlich sein.

Welche Möglichkeiten bietet die digitale Transformation, um Gesellschaft und Unternehmen nachhaltiger zu machen?

Digitalisierung beschleunigt Prozesse und erleichtert die Bewältigung komplexer, berechenbarer beziehungsweise wiederkehrender Herausforderungen. Zoom-Meetings sind einfacher zu organisieren und deutlich preiswerter als klassische Konferenzen. Künstliche Intelligenz kann ein wertvolles Instrument nachhaltiger Entwicklung sein. Die entscheidende Frage bei der digitalen Transformation ist, wer die Bedürfnisse definiert, die damit befriedigt werden sollen. Die Entscheider in den IT-Giganten im Silicon Valley meinen zu wissen, wie eine bessere Welt aussieht. Ihre Vorstellung von nachhaltiger Entwicklung könnte eine fundamental andere sein als die im Brundtland-Leitsatz formulierte.   

Führungskräfte sind wichtige Treiber für Nachhaltigkeit, betonen Sie. Inwiefern?

Gute Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie Verantwortung übernehmen, ausgewogene Entscheidungen treffen, Orientierung bieten, Potenziale erkennen und nutzen. Sie sind Katalysatoren nachhaltiger Entwicklung, weil sie entsprechende Gestaltungsprozesse in Gang setzen und steuern. Damit steuern sie die Bestandsfähigkeit ihrer Organisation ebenso wie deren Einfluss auf die Zivilgesellschaft und die natürliche Umwelt. Durch ihr persönliches Vorbild und die Entscheidungen, die sie treffen, erleichtern sie es ihren Mitarbeitern, Sinn in ihrem Tun zu erkennen. Auch das ist ein Kernelement nachhaltiger Entwicklung.

*Anmerkung der Redaktion:

Der Brundtland-Bericht von 1987 gilt als der Beginn des weltweiten Diskurses über Nachhaltigkeit. Er wurde unter dem Titel "Our Common Future" von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen, der Brundtland-Kommission, veröffentlicht. Darin wird der Nachhaltigkeitsbegriff wie folgt definiert: "Nachhaltige Entwicklung befriedigt die Bedürfnisse der Gegenwart, ohne die Möglichkeit zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen." ("Ethische Theorien und Corporate Social Responsibility (CSR)", Seite 24.)

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