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21.08.2024 | Nachhaltigkeit | Interview | Online-Artikel

"Einkaufsmacht entscheidend für Reduzierung von Scope-3-Emissionen"

verfasst von: Frank Urbansky

6:30 Min. Lesedauer

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Das Lieferkettengesetz ist – stark umkämpft – vor eineinhalb Jahren in Kraft getreten. Unternehmen können sich durch den Nachweis von Emissionsreduktionen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Natalie Milde, Investment Associate und ESG & Impact Lead bei Future Energy Ventures, erläutert im Interview, wie insbesondere Treibhausgasemissionen effektiv reduziert werden können.

Springerpfofessional.de: Welche Möglichkeiten gibt es denn überhaupt, die Scope-3-Emissionen in der Lieferkette zu reduzieren?

Natalie Milde: Erstmal erfordert das eine Zusammenarbeit mit Lieferanten, Kunden und anderen Interessengruppen aufgrund ihrer komplexen Natur. Erfolg erfordert einen Ansatz, der Innovation und Zusammenarbeit kombiniert. Unternehmen im Bereich Ingenieurwesen und Fertigung, deren Produkte möglicherweise jahrzehntelange Umweltauswirkungen haben, müssen angebotene Produkte und Lösungen anpassen. Beispiele hierfür sind Automobilhersteller, die ihre Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren auf Elektrofahrzeuge umstellen.
Dies sollte über Autos hinausgehen.

Wenn wir unsere Maschinen elektrifizieren und die Energie dekarbonisieren, lösen wir einen großen Teil des Rätsels. Ein weiterer Schlüsselbereich zur Reduzierung von Scope-3-Emissionen ist die Anforderung von Emissionsdaten von Lieferanten und die Priorisierung des Einkaufs bei denen mit geringeren Kohlenstoff-Fußabdrücken. Die Einkaufsmacht ist entscheidend für die Reduzierung von Scope-3-Emissionen.

Wo ein Einkäufer die Möglichkeit hat, Kriterien für Lieferanten festzulegen und potenziell bei der Suche nach guten Lösungen zusammenzuarbeiten, sollte er dies tun. Für Unternehmen, die auf globale Lieferketten angewiesen sind, gibt es Gewinne durch die Optimierung von Transportrouten, den Einsatz intelligenter Technologien zur Verfolgung von Produkten, das Management der Temperatur in der Kühlkette, den Wechsel zu Elektrofahrzeugen und die Konsolidierung von Sendungen.

Das könnte aber gerade in diesen Branchen beliebte Just-in-Time-Lieferungen behindern…

Ja, diese und die Option "Lieferung am nächsten Tag" wären aufzugeben.

Und das kann zu mehr Nachhaltigkeit führen?

Auch, aber nicht nur. Bestimmte Sektoren können dazu direkt in Emissionsminderungsprojekte innerhalb ihrer Lieferketten investieren, um Kohlenstoffemissionen an ihrer Quelle zu mildern, bekannt als Insetting. Lebensmitteleinzelhändler könnten die Umstellung auf regenerative Landwirtschaft für die Bauern unterstützen, von denen sie ihre Produkte beziehen. Lösungen dafür gibt es von Unternehmen wie Klim und Agreena. Möbelhändler könnten nachhaltigere Forstwirtschaftspraktiken durch Unternehmen wie Ocell und andere unterstützen.

Wie kann das umgesetzt werden?

Alles ist möglich, erfordert jedoch Willen oder Zwang sowie Zusammenarbeit und Unterstützung. Regulierung hilft, Verbraucherdruck hilft und Druck von Unternehmen hilft.

Welche zusätzlichen Vorteile würde diese Reduzierung bringen?

Etwa Energieeffizienz und Emissionsreduktion. Die gehen oft Hand in Hand, da bei geringerem Energieverbrauch weniger Emissionen entstehen. Aber die Vorteile gehen darüber hinaus. Die Reduzierung von Scope-3-Emissionen bringt eine Vielzahl zusätzlicher Vorteile: Nachhaltigere Lieferanten werden wahrscheinlich eine erhöhte Nachfrage erleben, da Käufer unter größerem Druck stehen, ihre Lieferketten zu dekarbonisieren. Dies schafft ein günstiges Umfeld für Unternehmen, die Nachhaltigkeit betonen, und führt zu einem marktgetriebenen Druck hin zu grüneren Praktiken.

Eine verbesserte Zusammenarbeit mit Lieferanten in Umweltfragen kann auch positive Auswirkungen in anderen Bereichen wie Arbeitsrechten, Bezahlung und Mitarbeiterzufriedenheit haben. Dieser umfassendere Ansatz fördert ethischere und sozial verantwortlichere Geschäftspraktiken in der gesamten Lieferkette. Beim schon erwähnten Insetting für Landwirte, die regenerative Praktiken anwenden, fördert das nicht nur die Bodengesundheit und die Kohlenstoffspeicherung, sondern auch die Biodiversität und die Nahrungsmittelresilienz.

Danone und Kaufland arbeiten dafür mit Startups wie Klim zusammen, um Emissionen innerhalb ihrer eigenen Lieferketten durch Insetting-Initiativen zu reduzieren. Sie unterstützen Landwirte bei der Umstellung auf regenerative Landwirtschaft.

Wo sehen Sie die Haupthindernisse für die Verbesserung der CO2-Bilanzen in Lieferketten?

Zum einen ist da der Mangel an Zusammenarbeit. Scope-3-Emissionen sind über zahlreiche Lieferanten verteilt, was es herausfordernd macht, sie umfassend zu verfolgen und zu verwalten. Kleinere Lieferanten verfügen oft nicht über die Ressourcen oder Motivation, in Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu investieren, wie die Messung ihrer Emissionen, geschweige denn Maßnahmen zu deren Reduzierung. Zusätzlich werden Lieferanten häufig mit einem Flickenteppich unterschiedlicher Prioritäten, Erwartungen und Zeitrahmen von verschiedenen Kunden konfrontiert.

Kann hier Digitalisierung helfen?

Definitiv. Denn ein weiteres bedeutendes Hindernis ist der Mangel an Daten. In jeder Branche beginnt die effektive Verbesserung der CO2-Bilanz mit Daten. In der heutigen Unternehmensumgebung hat sich die Berechnung von Scope-3-Emissionen von einem "nice to have" zu einem Muss entwickelt. Die genaue Berechnung der Emissionen aus gekauften Gütern und Dienstleistungen ist ein entscheidender Teil der Emissionsreduktionsstrategien vieler Unternehmen, stellt jedoch auch eine knifflige Aufgabe dar. Chief Sustainability Officers (CSO), die mit der Reduzierung von Emissionen über alle Scopes hinweg beauftragt sind, sehen sich oft enormen Herausforderungen gegenüber. Es gibt nur wenige schnelle Erfolge, und die Bemühungen beruhen auf mehreren internen Funktionen, die nicht direkt an den CSO berichten.

Darüber hinaus häufen sich Vorschriften und Standards, was die Belastung erhöht. Diese Situation wird sich wahrscheinlich nicht ändern. Es gibt jedoch Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen können, um den CSO zu unterstützen und somit ihre Fähigkeit zur Erreichung von Emissionszielen zu stärken. Zum Beispiel die Einrichtung einer direkten Berichtslinie vom CSO an den CEO, die Sicherstellung, dass der CFO für Nachhaltigkeitskennzahlen verantwortlich ist, anstatt der Marketingabteilung, und die Festlegung von Nachhaltigkeits-KPIs (Key Performance Indicators, Anm. d. Red.) für alle Top-Manager mit Verknüpfungen zu ihrer Vergütung. Dies kann zu effektiveren Bemühungen zur Emissionsreduktion beitragen.

Gerade Mobilität und die Logistikbranche tun sich ja aufgrund der hohen fossilen Treibstoffmengen ja schwer, solche Konzepte umzusetzen…

Hier haben schon mehrere Unternehmen erfolgreich solche Konzepte implementiert. Zum Beispiel hat sich Kuehne+Nagel verpflichtet, die Emissionen bis 2030 um 33 % zu reduzieren. Sie erreichen dies, indem sie Transparenz über den CO2-Fußabdruck entlang der Lieferkette bieten, was Kunden ermöglicht, Routen zu optimieren und emissionsarme Dienste auszuwählen.

Dieser Ansatz kann nicht nur Kuehne+Nagel helfen, ihre Emissionen zu reduzieren, sondern auch ihren Kunden helfen, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen. Ein weiteres Beispiel ist Maersk, das 2020 eine Klimapakt-Initiative eingeführt hat, mit dem Ziel, die Scope-3-Emissionen bis 2030 um 60 % zu reduzieren. Maersk arbeitet eng mit Lieferanten und Kunden zusammen, um Dekarbonisierung und kreislaufwirtschaftliche Praktiken entlang seiner Wertschöpfungskette zu fördern. Solche Partnerschaften können signifikante Fortschritte bei der Reduzierung von Emissionen in der Lieferkette bewirken.

Gibt es schon so etwas wie eine klimaneutrale Fabrik?

Ja. Da wäre zum Beispiel Innocent Drinks in Rotterdam. Das Unternehmen hat eine bahnbrechende Fabrik errichtet, die als "The Blender" bekannt ist. Diese Fabrik ist eine der weltweit ersten CO₂-neutralen und vollständig elektrischen Getränkefabriken und zeigt, dass großflächige CO₂-neutrale Herstellungsprozesse mit den derzeit verfügbaren Technologien möglich sind.

Die Entwicklung dieser Fabrik wurde durch Innocents Bemühungen vorangetrieben, ihre Umweltziele zu erreichen, da sie zuvor auf ausgelagerte Produktion und eine fragmentierte Lieferantenbasis angewiesen waren. Durch die Umstellung auf eine vollständig interne Produktion konnte das Unternehmen Geld sparen, den Transport zwischen den Einrichtungen optimieren und eine vollständig elektrische Maschinenflotte sowie zahlreiche andere intelligente Technologien installieren. Dieser Schritt hat es Innocent ermöglicht, die Umweltbelastung besser zu kontrollieren und die gesamte Nachhaltigkeit zu verbessern.

Vita

Die Norwegerin Natalie Milde ist Expertin im Bereich Klimaschutztechnologien und Impact-Investing. Sie ist Teil des Investmentteams bei Future Energy Ventures und leitet dort den Bereich Impact & ESG. Ihr Fokus liegt auf der Identifizierung von und Investition in Unternehmen mit skalierbaren Technologien zur Bekämpfung des Klimawandels. Sie hat Erfahrungen mit NGOs, Start-ups und Regierungseinrichtungen in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika gesammelt. Sie hat einen Masterabschluss in Wirtschaft und Betriebswirtschaft von der Norwegian School of Economics (NHH) sowie einen Bachelorabschluss in Vergleichender Politikwissenschaft von der Universität Bergen.

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