Im Interview erklärt Digitalexpertin Antonina Skrypnyk, warum ESG-Ratings oft eine Verzerrung zugunsten größerer Unternehmen aufweisen, und damit zu unfairen Ergebnissen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) führen.
Antonina Skrypnyk ist Vice President für FSI Solutions und Consulting EMEA bei Softserve. Sie verfügt über umfangreiche Expertise unter anderem im Finanzsektor.
SoftServe Inc.
Springerprofessional.de: Frau Skrypnyk, viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) empfinden ihre ESG-Ratings als ungenau und nicht repräsentativ. Was ist der konkrete Grund dafür?
Antonina Skrypnyk: Environmental-Social-and-Governance-Ratings (ESG) basieren oft auf standardisierten Daten, die für große, börsennotierte Unternehmen entwickelt wurden, und berücksichtigen daher nicht die spezifischen Bedürfnisse von KMUs. Da KMUs in der Regel keine umfassenden Berichts- und Offenlegungspflichten haben, fehlen oft die detaillierten Informationen, die für eine präzise ESG-Bewertung erforderlich sind. Stattdessen stützen sich die Ratings häufig auf fragmentierte, externe Daten, die das tatsächliche ESG-Profil eines KMUs nur unvollständig abbilden. Die Bewertungsrahmen konzentrieren sich zudem häufig auf die globalen Auswirkungen großer Unternehmen, während KMUs meist lokal agieren und in den Bereichen soziale Verantwortung und Governance oft besser abschneiden. Diese Leistungen werden in den standardisierten Bewertungsmodellen jedoch oft nicht angemessen berücksichtigt. Daher ist eine individuelle und präzisere Herangehensweise an die Datenerfassung und -bewertung erforderlich, um auch die ESG-Bemühungen von KMUs realistisch abzubilden. Um jedoch ein faires ESG-Rating zu ermöglichen, ist es notwendig, auf verschiedene Datentypen zuzugreifen – sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Daten sowie auf Open-Source-Informationen. Gleichzeitig muss die Möglichkeit bestehen, spezifische, auf das Unternehmen zugeschnittene Datenquellen einzubeziehen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, bietet eine Lösung, die Daten aus verschiedenen Quellen sammelt, nahezu in Echtzeit verarbeitet und den ESG-Bewertungsprozess durch maßgeschneiderte Datenelemente verbessert, die Lösung. Wir können eine solche Plattform, basierend auf Erfahrungswerten von diversen ESG-Verantwortlichen in KMUs und intensiven Gesprächen mit Unternehmen unterschiedlicher Größen, entwickeln. Diese Lösung wird es ermöglichen, strukturierte und unstrukturierte Daten aus offenen sowie unternehmensspezifischen Quellen einzubeziehen, um eine präzisere und individuelle ESG-Bewertung zu gewährleisten. Dieser flexible Ansatz passt sich den individuellen Datenanforderungen der Unternehmen an und führt zu faireren und realistischen ESG-Ratings.
Welchen Aufwand bedeutet es für Unternehmen, ihre ESG-Ratings zu verbessern?
Ein entscheidender Bereich für Unternehmen ist die Einhaltung von Vorschriften und das Risikomanagement. Besonders im Hinblick auf soziale und ökologische Risiken spielt die Orientierung der internen Governance-Standards an globalen Best Practices eine wichtige Rolle. Die sich schnell verändernde regulatorische Landschaft, vor allem im Finanzsektor und in der EMEA-Region, stellt KMUs vor die Herausforderung, zahlreiche neue Vorschriften zu überwachen und umzusetzen. Oft gibt es dabei noch Grauzonen, die sich weiterentwickeln und präzisiert werden müssen. Dieser fortlaufende Anpassungsprozess erfordert nicht nur viel Zeit, sondern auch hohe technische und personelle Ressourcen. Ein Großteil der KMUs setzt noch auf manuelle Prozesse – in dem Fall kommen auch noch hohe Investitionskosten hinzu. Eine auf generativer KI basierende Lösung kann KMUs dabei unterstützen, ihre Richtlinien in Echtzeit mit geltenden Vorschriften abzugleichen und automatisierte Vorschläge zur Anpassung zu liefern. Die von uns entwickelte Lösung unterstützt zahlreiche KMUs dabei, ihre bestehenden Richtlinien und Berichte effizient zu überprüfen und auf neue Vorschriften abzustimmen. Dadurch können KMUs nicht nur die Transparenz und Vorhersehbarkeit ihrer ESG-Ratings verbessern, sondern auch das Risiko von Bußgeldern deutlich eingrenzen.
Was schlagen Sie als Lösung vor, um faire und verlässliche ESG-Ratings zu ermöglichen?
Wie oben beschrieben, ist eines der größten Probleme bei aktuellen ESG-Ratings der Mangel an vollständigen und kohärenten Daten. Technologielösungen wie Generative KI, die Streaming-Daten verarbeiten oder in Echtzeit auf Open-Source-Daten zugreifen, sollten auch genutzt werden, um ESG-Daten kontinuierlich zu verfolgen und zu überprüfen. Dadurch würden die Ratings dynamischer ausfallen und könnten die tatsächlichen Praktiken eines Unternehmens widerspiegeln, anstatt sich auf historische oder veraltete Daten zu stützen. Statt eines standardisierten Einheitsmodells sollten ESG-Ratings zudem eher sektorspezifische Ansätze verfolgen, die eine differenziertere Bewertung der verschiedenen Branchen ermöglichen und die individuellen Risiken und Chancen der jeweiligen Branche berücksichtigen. Langfristig tragen solche Technologien nicht nur zu einer präziseren ESG-Bewertung bei, sondern helfen Unternehmen auch, sich frühzeitig an neue Standards anzupassen – auch im Bereich "Compliance" oder "IT-Security".
Welche Vorteile können die Unternehmen daraus ziehen?
Verbesserte ESG-Ratings ermöglichen es Unternehmen, Risiken in den Bereichen "Umwelt", "Soziales" und "Governance" frühzeitig zu erkennen und gezielt zu managen. Besonders KMUs können so, regulatorische Widersprüche, Störungen in der Lieferkette oder Reputationsverluste frühzeitig erkennen, um größere Schäden vermeiden. Und ein solides und realistisches ESG-Rating stärkt die Wettbewerbsfähigkeit. Investoren und Kunden legen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit und ethisches Handeln. Unternehmen mit guten ESG-Ratings sind demnach besser positioniert, um neue Geschäftsmöglichkeiten und Investitionspartner anzuziehen. Dies ist besonders in Branchen wichtig, in denen ökologische und soziale Verantwortung im Fokus stehen. Unternehmen, die ihre ESG-Strategien erfolgreich umsetzen, profitieren nicht nur von einer höheren Stabilität, sondern auch von einer langfristigen Risikominimierung und verbesserten Beziehungen zu Stakeholdern. Sie sind allgemein besser gerüstet, um zukünftige Herausforderungen auch abseits von ESG-Anforderungen zu meistern und wettbewerbsfähig zu bleiben.