4.1 Vorgehen
Ergänzend zu den Arbeiten zu der exemplarischen Bewertung sozioökonomischer Effekte von Kleinwasserkraftanlagen wurde in Anlehnung an (Sartorius et al.
2019) ein Abgleich der Ziele der Vereinten Nationen (UN) für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals; SDG) mit der chinesischen Nachhaltigkeitsstrategie und landesspezifischen Nachhaltigkeitsindikatoren sowie mit den Zielen des SHSF-Programms durchgeführt.
Die insgesamt 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN sind in der sogenannten Agenda 2030 festgehalten (UN
2015b), Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Resolution der Generalversammlung,verabschiedet am 25. September 2015). Es handelt sich dabei um politische Zielsetzungen, die der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen. Die Ziele wurden in Anlehnung an den Entwicklungsprozess der Millennium Development Goals (MDG) entworfen, bauen auf diesen auf und traten Anfang 2016 mit einer Laufzeit von 15 Jahren (bis 2030) in Kraft. Im Unterschied zu den MDG, die insbesondere auf Veränderungen in Entwicklungsländern abzielten, gelten die SDG für alle Staaten. Die SDG wurden in einem breiten, zweijährigen Konsultationsprozess entwickelt, bei dem nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft aller UN-Länder die Möglichkeit hatten, sich einzubringen. Sie werden bspw. laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung als Meilenstein in der jüngeren Geschichte der Vereinten Nationen bezeichnet (BMZ
2019).
Zur Konkretisierung der 17 Ziele wurde ein Katalog von 169 Zielvorgaben verabschiedet, darunter u. a. das Auslaufen der Subventionen für fossile Energien (UN, Resolution der Generalversammlung, 69/315.
2015a). Die Umsetzung der Agenda 2030 liegt in der Verantwortung der Länder. Mittels eines Überprüfungsmechanismus unter dem Dach des High Level Political Forums on Sustainable Development der UN (HLPF) (BMZ
2019) sollen die Fortschritte anhand von Indikatoren nachverfolgt werden.
In China wurde 1994 im Zusammenhang mit der World Commission on Environment and Development (UN WCED) in Rio, Brasilien, der erste Meilenstein zur nachhaltigen Entwicklung mit der Veröffentlichung der ersten nationalen Nachhaltigkeits-Strategie „Chinas Agenda 21 – White Paper on China’s Population, Environment and Development in the 21st Century“ gelegt. Das Strategiepapier hält fest, dass Bevölkerung, Ressourcen und Umwelt drei Eckpfeiler sind, die die Volkswirtschaft, die soziale Sicherheit und den Lebensstandard stützen. Angesichts der großen Bevölkerung, der Ressourcenknappheit und dem fragilen ökologischen Umfeld werden Wissenschaft und Technologie eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Strategie für nachhaltige Entwicklung und bei der Integration in die wirtschaftliche Entwicklung zugeschrieben.
Zu den Zielen der chinesischen Agenda 21 gehören die Verbesserung der Infrastruktur, die umfassende Förderung der sozialen Entwicklung, die Schaffung nationaler politischer und rechtlicher Systeme für nachhaltige Entwicklung sowie die Verbesserung der Umwelt. Auf diese Weise wird ein Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklung des Landes angestrebt.
Eine stufenweise Konkretisierung der chinesischen Agenda 21 erfolgte auf nationaler Ebene vor allem über die regelmäßig erstellten Fünfjahrespläne (FYP), in denen die landesweiten Entwicklungsinitiativen von Wirtschaft und Gesellschaft definiert werden, und über die nationalen Maßnahmen und die Entwicklung der chinesischen Politik vorangetrieben werden. Auch wenn die Veröffentlichung der chinesischen Agenda 21 im Laufe des 8. FYP (1991–1995) erfolgte, thematisierte erstmalig der 10. FYP (2000–2005) das Thema Umweltschutz im Rahmen der nationalen Zielsetzung als eines der Hauptziele. Ein weiterer Schritt der chinesischen Regierung zum Aufbau einer nationalen Strategie für nachhaltige Entwicklung erfolgte mit der Initiierung des „Aktionsprogramms für nachhaltige Entwicklung in China im frühen 21. Jahrhundert“. Das Programm wurde in der späteren Phase des 10. FYP veröffentlicht. Es spiegelt daher dessen Ziele wider und beeinflusste die Erstellung des 11. (2006–2010) und 12. FYP (2011–2015). Mit den allgemeinen Zielen und Leitlinien des Programms wurde nicht nur weiterhin das Ziel verfolgt, das Gleichgewicht zwischen sozioökonomischer Entwicklung, Bevölkerung, Ressourcen und Umwelt zu fördern, sondern auch der Aufbau von Kapazitäten für nachhaltige Entwicklung als eines der obersten Ziele genannt.
4.2 Teilergebnis Aggregierte Betrachtung der Ziele von Nachhaltigkeitsstrategien
Von den 169 SDG-Zielvorgaben lassen sich bei 63 Unterzielen Verbindungen mit den Zielen des SHSF-Programms und mit den Zielen der chinesischen Nachhaltigkeitsstrategie knüpfen. Zum Teil sind diese sehr genau passend, bspw. bei den Unterzielen von SDG 7 „Nachhaltige und moderne Energie für alle – Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern“.
Grundsätzlich und auf qualitativer Ebene zeigt sich, dass sich über die Ziele des SHSF-Programms Verbesserungen bzgl. der SDG ergeben, die bspw. über den erarbeiteten multikriteriellen Bewertungsansatz erfasst werden können. Absolute Aussagen hinsichtlich des Zielerreichungsgrades sind aus verschiedenen Gründen aber nicht möglich:
So beziehen sich viele der SDG auf die Gesamtbevölkerung. Das SHSF-Programm hingegen wurde zu dem Zweck aufgesetzt, die Energieversorgung in bestimmten Gebieten des zu entwickelnden ländlichen Raums unter den dort herrschenden spezifischen Randbedingungen zu verbessern. Dabei ist es grundsätzlich zwar möglich, die Systemgrenzen der Bewertung zur Erfassung der Zielerreichung so zu erweitern, dass eine Aussage bzgl. einer Region oder eines Land getroffen werden kann. Voraussetzung für diese Erweiterung ist aber u. a., dass für das Bewertungsgebiet ein einheitlicher Rahmen gilt, da die Teilnutzen auf der Grundlage gesetzlich oder politisch festgelegter Grenz- bzw. Zielwerte erreicht werden. Gleichzeitig bedeutet die Ausweitung der Systemgrenzen, dass der Gesamtzustand des vorhandenen Systems anhand von öffentlich verfügbaren Statistiken beurteilt werden muss, die i. d. R. Durchschnittswerte darstellen. Besondere Umstände, die für die Errichtung einer Anlage an einem bestimmten Ort sprechen, können nicht berücksichtigt werden und die Vorteile der Alternative kämen dadurch in vielen Fällen nicht zum Tragen.
In anderen Fällen ist die durchschnittliche Ausprägung eines Indikators innerhalb eines Referenzgebietes Grundlage für die Bestimmung der Teilnutzwerte. Da in diesem Fall zusätzlich der gesetzliche Rahmen als „gemeinsamer Faktor“ eines Untersuchungsgebietes wegfällt, trifft das Argument, dass lokale Besonderheiten durch die Ausweitung der Systemgrenzen und die Verwendung von Durchschnittswerten für die Indikatoren nivelliert werden, umso mehr zu. Selbst wenn die erforderlichen Daten verfügbar wären, wäre eine Bewertung auf dieser aggregierten Ebene somit nicht sinnvoll.
Durch den entwickelten Bewertungsansatz ist außerdem auch nur deshalb eine relative Gegenüberstellung von Veränderungen möglich, weil die Energieinfrastrukturen zu allen SDG außer SDG 7 nur Teilbeiträge zur Zielerreichung leisten können. Bei einem Abgleich mit den Kriterien, die bei der vergleichenden Bewertung von alternativen Energieinfrastrukturmaßnahmen mit dem entwickelten Bewertungsansatz zur Anwendung kommen, zeigt sich, dass neben den SDG 7.1, 7.2 und 7.a vor allem SDG 9.1 „Aufbau einer hochwertigen, verlässlichen, nachhaltigen, widerstandsfähigen und für alle erschwinglichen Infrastruktur“ betroffen ist. Die Energieinfrastruktur ist in diesem Zusammenhang allerdings nur ein Teil der gesamten Infrastruktur, es werden aber auch übergeordnete Aspekte, wie Verlässlichkeit und Widerstandsfähigkeit, angesprochen, die nur eingeschränkt für einen Infrastrukturbereich alleine behandelt werden können. Daneben kommen in den weiteren SDG Wirkungen der Energieinfrastruktur auf andere Schutzgüter zum Tragen, die eigenständige Ziele darstellen. Im Falle der SDG 3.2, 3.3 und 3.9 ist das Schutzgut Gesundheit betroffen, bei den SDG 2.4, 7.3 und 8.4 die Schonung der natürlichen Ressourcen einschließlich der Rohstoffbasis und bei SDG 7.2 sowie 13.2 der Klimaschutz.
Durch die Anwendung des entwickelten Bewertungsansatzes kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob und zu welchen SDG die Veränderung der Energieinfrastruktur bspw. durch die Einführung einer innovativen und nachhaltigen Energiegewinnung einen Beitrag leistet und ob dieser Beitrag jeweils positiv oder negativ ist. Auf die Frage, ob die Einführung einer alternativen Energieinfrastruktur insgesamt zu einer nachhaltigen Entwicklung führt, liefert dieses Vorgehen nur dann eine eindeutige Antwort, wenn alle relevanten SDG entweder auf eine Verbesserung oder eine Verschlechterung hindeuten. Weisen die Veränderungen der SDG hingegen in verschiedene Richtungen, dann ist eine Aggregierung über alle Ziele hinweg nicht möglich, weil weder die Möglichkeit einer Normierung der verschiedenen Ziele besteht, noch eine Gewichtung vorgesehen ist. Selbst die einfache Saldierung von Zielen mit positiver Veränderung mit solchen mit negativer Veränderung ist unter diesen Bedingungen nicht zulässig, da sie implizit eine Gleichgewichtung unterstellen würde.
Für einen Abgleich nachhaltigkeitsrelevanter Aspekte und Erfolge in Bezug auf die nationalen Zielsetzungen konnten die Ziele des 10. und des 12. FYP verwendet werden. Die nachgewiesenen Erfolge stammen hauptsächlich aus (Kong et al.
2015) sowie der vom Fraunhofer ISI erarbeiteten und von der BFU durchgeführten Erhebung (Tettenborn
2018). Aus übersetzten Projektdokumenten wurden weitere Nachhaltigkeitsaspekte aufgenommen. Auch hier zeigt sich grundsätzlich und auf qualitativer Ebene, dass sich über die Beiträge des SHSF-Programms Verbesserungen bzgl. der nationalen Zielvorgaben ergeben, die über den erarbeiteten multikriteriellen Bewertungsansatz erfasst werden können. Offensichtlich ist, dass in dem 12. FYP erheblich mehr Zielvorgaben enthalten sind, bei denen das SHSF-Programm im Rahmen des entwickelten Bewertungsansatzes einen positiven Beitrag leisten kann, als noch im 10. FYP. Da über den Bewertungsansatz umfassende Kriterien zur Bewertung der Nachhaltigkeit erfasst sind, zeigt sich, dass der Stellenwert von Nachhaltigkeitsaspekten zwischen den beiden Fünfjahresplänen weiter stark angestiegen ist und dass sich die chinesische Regierung intensiv bemüht hat, bestehende Lücken und Herausforderungen hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung zu analysieren, um Chinas Strategien für die Zukunft zu verbessern und anzupassen. Absolute Aussagen hinsichtlich des Zielerreichungsgrades sind wie oben dargestellt aber ebenfalls nicht möglich.