2021 | OriginalPaper | Buchkapitel
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Die Kunst der Dekolonisierung
Die deutsche Auswärtige Kulturpolitik (AKP) soll strategisch neu ausgerichtet werden. In Vorbereitung auf das Jahr 2020, das 100 Jahre Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes (AA) und 50 Jahre moderne AKP, begründet von Staatsminister Ralf Dahrendorf, markiert, diskutieren Mittler und die interessierte Öffentlichkeit über Zustand und Sinn der deutschen AKP. Globalisierung, Europäisierung und das Erbe der Kolonialisierung einerseits sowie das verstärkte Aufkommen von Identitätspolitik und Finanzierungsengpässen andererseits, zwingen zu einer inhaltlichen, organisatorischen und finanziellen Neuausrichtung kulturpolitischen Handelns.
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Auswärtige Kulturpolitik (AKP) wird im deutschen Kontext seit der Jahrtausendwende meist unter der Bezeichnung Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) geführt (vgl. Colin und Umlauf 2018:21 f.). In dieser Arbeit wird der Begriff AKP sowie Außenkulturpolitik auch für die Beschreibung der jeweiligen Politikfelder anderer Länder genutzt. Der konkrete Bildungsaspekt im Hinblick auf das Auslandsschulwesen oder Hochschulkooperationen steht nicht im Zentrum der Arbeit. Für alle genutzten Abkürzungen siehe Abkürzungsverzeichnis.
Zu nennen wären u. a. die Debatten um die Veröffentlichungen von Sigrid Weigel (Stuttgart 2019) und Jens Adam (Bielefeld 2018) (vgl. Häntzschel 2019; Thal 2019).
Die Reihenfolge der Nennung beider Länder hat keine weiter gehende Bedeutung und wird variiert. Im Deutschen wird von den deutsch-französischen Beziehungen, im Französischen vom
franco-allemand gesprochen.
Während der Begriff der „Auswärtigen Kulturpolitik“ auf die politische Ebene abhebt, beschreiben „Kulturarbeit“ oder „Kulturbeziehungen“ die praktische Umsetzung der Politik. Die Arbeit argumentiert, dass die praktischen Erfahrungen der Ausgangspunkt für die diskursive Weiterentwicklung des Politikfeldes sein sollten.
Kunst wird hier als Teilbereich der Kultur verstanden. Letztere kann nach Wagner „als gesellschaftliches Feld individueller wie kollektiver symbolischer Produktions-, Aneignungs- und Deutungsprozesse mit den beiden Zentren Kunst und Bildung“ gelten, das „eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Praktiken und Werke, Institutionen und Organisationen [umfasst]“ (Wagner 2009:41). Kunst ist notwendig für den Einzelnen und die Gesellschaft als „Hermeneutik, als Kritik und als Utopie“ (zitiert in Wagner 2009:44). Die Herausbildung eines modernen Verständnisses von Kunst und der Rolle des Künstlers geht auf die Renaissance zurück. In dieser Zeit entstehen auch Vorformen kulturpolitischen Handelns, die den gesellschaftlich-herrschaftlichen Rahmen für die kreative individuelle oder kollektive symbolische Auseinandersetzung mit der Realität kreieren. Kunst kann ebenfalls eine wichtige Rolle für die Produktion von Kultur und eine Vermittlungsrolle zwischen Politik und Kultur einnehmen (vgl. Kapitel
4).
Um den Lesefluss zu erleichtern, wird darauf verzichtet, jeweils auf die männliche und weibliche Form hinzuweisen, obwohl sowohl Frauen als Männer gemeint sind. Die unterschiedliche soziale, kulturelle, politische und wirtschaftliche Situation von Frauen und Männern innerhalb der zu beleuchtenden Gesellschaftsgruppen soll dadurch nicht nivelliert werden.
Als kulturelle Akteure bzw. Kulturakteure werden hier Personen bezeichnet, die Künstler aller Genres an verschiedenen Punkten der kulturellen Wertschöpfungskette (vgl. Kapitel
4) unterstützen, sei es in ihrer Ausbildung, für ihre Inspiration, bei der Produktion, bei der Präsentation oder beim Umgang mit Kulturerbe. Es kann sich um zivilgesellschaftliche Strukturen, Stiftungen, um öffentliche Träger und um Individuen handeln.
Im Text soll zwischen der Europäischen Union (EU) und Europa unterschieden werden. Für letzteres kann die Definition des Europarats gelten: „Europe is provisional, complex and plural. At an ideological level it stands for western modernity, and, for practical purposes, signifies the geographical space between the Atlantic and the Urals, where values held in common are balanced, and sometimes even contradicted, by others which are not, and where much is shared with other societies in the world“ (Council of Europe 1997:27).
In dieser Arbeit beschreibt der Begriff „Palästina“ die palästinensischen Gebiete in den Grenzen von 1967, die das Westjordanland (die West Bank) und Gaza miteinschließen. 1988 von der PLO als Staat ausgerufen, 2011 als Vollmitglied in die UNESCO aufgenommen und Ende 2012 von der überwältigenden Mehrheit der Länder der Vereinten Nationen als beobachtender Nicht-Mitgliedstaat anerkannt, bleibt es bis heute von Israel besetzt. Die Klärung von Begrifflichkeiten ist grundlegend für das wissenschaftliche Arbeiten und hat darüber hinaus auch politische Implikationen, denn: „[e]s gibt keine Unschuld der Begriffe, gerade der geographischen nicht. Über Jahrhunderte bildete Palästina, wie es im 20. Jahrhundert unter britischem Mandat gebildet wurde, keine eigenständige geographisch-politische Einheit: Die Grenzen und Namen wechselten, und ebenso wechselte die Bevölkerung“ (Krämer 2006:11). In der Arbeit wird von Israel und Palästina gesprochen, wenn das Territorium des historischen Palästina gemeint ist.
Die historischen Einschnitte des Nahostkonfliktes bestimmen Dynamik und Form der Entwicklungsmöglichkeiten des Kultursektors in Palästina. So unterstreicht der palästinensische Schriftsteller Elias Sanbar das enge Verhältnis zwischen der Geschichte auf der einen und der Entwicklung von Kunst und Kultur auf der anderen Seite: „La production artistique de la Palestine depuis le début du XXe siècle reflète assez exactement l'histoire du pays“ (Sanbar, Hadidi, und Pons 1997:105) („
Die künstlerische Produktion Palästinas seit Beginn des 20. Jahrhunderts spiegelt die Geschichte des Landes ziemlich genau wider“ Übersetzung d. Verf.). Gleichzeitig ist Geschichte gerade im Nahostkonflikt „ein schwer umstrittenes, hochgradig politisches Terrain“ (Gebauer 2011:25). Sich mit der Geschichte des Konfliktes zu beschäftigen, bedeutet, verschiedene Versionen derselben Ereignisse in Namen und Zahlen zu berücksichtigen, die für das jeweilige Narrativ – der Sprecherperspektive entsprechend – unterschiedlich genutzt werden. Die Kunstkritikerin Jean Fisher konstatiert: „There is no doubt that one of the pivots of the ‚Palestine-Israel conflict‘ is competing national narratives; and that Zionism’s ‚legitimacy‘ rests on fulfilling its ambition to either erase or appropriate all signs of a venerable and incontrovertible Palestinian heritage“ (Fisher 2012:24). Auf diese verschiedenen Perspektiven soll im Folgenden – wo relevant – hingewiesen werden.
Rashid Khalidi weist allerdings darauf hin, dass das palästinensische Narrativ sehr viel weniger bekannt ist: „The fact that these two [the Israeli and the Palestinian, Anmerkung d. Verf.] narratives are so intertwined, and often give completely different significance to the same places, events, and people in the same land, makes it harder to disentangle the Palestinian narrative, or to convey it to Western readers who are generally conversant only with the Jewish-Israeli one, or the Christian biblical one“ (Khalidi 1997:5 f.).
„
Ich möchte, dass die Bedingungen für die vorübergehende oder endgültige Rückgabe des afrikanischen Erbes nach Afrika innerhalb von fünf Jahren erfüllt sind“ (Übersetzung d. Verf.).
„
Kultur ist das Herzstück der neuen Austauschbeziehung, die wir mit dem afrikanischen Kontinent aufbauen wollen“ (Übersetzung d. Verf.).
Die Information stammt aus einem Hintergrundgespräch, das Ende 2019 mit Verantwortlichen des IF in Brüssel geführt wurde.
Vgl.
https://www.goethe.de/ins/br/lp/prj/eps/deindex.htm (Abgerufen 23. August 2020).
Vgl.
https://www.goethe.de/ins/br/de/sta/sal/ueb/vil.html#i4387528 (Abgerufen 23. August 2020).
https://www.goethe.de/prj/lat/de/index.html (Abgerufen 23. August 2020).
Palästina ist als Mikrokosmos für globale Entwicklungen beschrieben worden. So erklärt beispielsweise Julien Salingue „comprendre la Palestine, c’est aussi toujours, un peu, comprendre le monde comme il va“ (Salingue 2015:24) („
Palästina zu verstehen bedeutet auch, die Welt so zu verstehen, wie sie ist“ Übersetzung d. Verf.). Elia Suleiman spricht anlässlich der Präsentation seines Films „It Must Be Heaven“ (2019) hingegen von einer
Palästinaisierung der Welt in dem Sinne, dass Gewalt, Überwachung, Spannungen und Angst mittlerweile überall in der Welt Teil des Alltags sind (vgl. Barbancey 2019).
Edward Said beschreibt in seinem grundlegenden Werk „Orientalism“ (London 1995) die Geschichte des Nahen Ostens als Geschichte des Kolonialismus.
Vgl. u. a. Luyendijk 2007.
„
Menschen haben verschiedene Bilder als Hilfsmittel verwendet, um zu erobern, zu zerstören, zu bauen, zu manipulieren, zu instrumentalisieren und ihre Handlungen zu legitimieren“ (Übersetzung d. Verf.).
Neben verschiedenen Forschungskolloquien ist die Publikation „Dispositive der Transformation/ Dispositifs de transformation“ (Hildesheim 2019) ein konkretes Ergebnis des Forschungsschwerpunktes.
„Es bündelt seit seiner (späten) Gründung im Jahre 1961 entwicklungspolitische Kompetenzen, die vorher entweder beim Auswärtigen Amt lagen oder auf verschiedene andere staatliche Akteure verteilt waren“ (Bauer 2007:640). Für eine detaillierte Auseinandersetzung zur Rolle von Kultur in der Entwicklungszusammenarbeit vgl. Gad 2014.
Er konstatiert kritisch: „Es ist ein Kennzeichen dieses Idealismus, dass er die Grenzen transzendierenden Gehalte des Universalismus [der Künste] überbetont und seinen Charakter als notwendiges Substrat gegenseitiger nationalistischer Abgrenzung herunterspielt oder notorisch ausblendet“ (Schreiner 2011:295). Schreiner selbst vernachlässigt allerdings die zunehmenden Internationalisierungstendenzen auf vielen Ebenen. Darüber hinaus blendet er nicht-staatliche Akteure quasi vollkommen aus. Beide Aspekte sollen in den folgenden Kapiteln dieser Forschungsarbeit näher beleuchtet werden.
Der akademische Untersuchungsgegenstand der Internationalen Beziehungen wird von den internationalen Beziehungen im Allgemeinen durch die Schreibweise unterschieden.
Forschungsarbeiten zur AKP der DDR existieren im Hinblick auf ihre Beziehungen mit einzelnen westlichen Ländern (wie den USA, Skandinavien, Großbritannien, Italien) und mit China. Christian Saehrendt beschäftigt sich mit der Rolle der bildenden Kunst in der AKP der DDR (Saehrendt 2009). Er ist der einzige, der die Kulturbeziehungen zwischen DDR und PLO erwähnt. Lutz Maekes Monographie „DDR und PLO“ (Berlin 2017) gibt Einblicke in die Palästinapolitik der DDR im Allgemeinen – ausführlicher als beispielsweise bei Angelika Timm (Bonn 1997).
Erwähnung sollen hier Felix Gebauers Magisterarbeit über das Cinema Jenin von 2011 sowie Ahmed Qatameshs Masterarbeit über den palästinensischen Kultursektor von 2012 finden.
Dieser noch vergleichsweise junge Forschungszweig entwickelt sich in den 1980er Jahren „als methodologischer Gegenentwurf zur Komparatistik“ und „enthält ein hohes Theoriepotential“ (Colin und Umlauf 2018:21).
Er spricht über Richard Hoggarts „Uses of Literary“, Raymond Williams’ „Culture And Society“ und F. R. Leavis’ „Scruntiny. Culture and Society“.
„Culture influences action not by providing the ultimate values toward which action is oriented, but by shaping a repertoire or ‚tool kit‘ of habits, skills, and styles from which people construct ‚strategies of action‘“ (Swidler 1986:273).
Die Gründe der eher verkürzten Nutzung des Begriffs Kultur in der Politikwissenschaft haben ihren Ursprung in dem Umstand, dass das Aufkommen der Sozialwissenschaften mit der Gründung der Nationalstaaten zusammenfällt. Als im 19. Jahrhundert Nationalstaaten auf einem Territorium mit einer vermeintlich homogenen Bevölkerung mit einer Sprache und einer Kultur konstruiert werden, hat Kultur eine politische Entsprechung. Infolgedessen wird das Verständnis von Kultur in den Wissenschaften tradiert. Vgl. Ausführungen in Kapitel
2.
„Deshalb stimmt die Konferenz im Vertrauen auf die letztendliche Übereinstimmung der kulturellen und geistigen Ziele des Menschen darin überein:
-
dass die Kultur in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden kann, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen;
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dass der Mensch durch die Kultur befähigt wird, über sich selbst nachzudenken. Erst durch die Kultur werden wir zu menschlichen, rational handelnden Wesen, die über ein kritisches Urteilsvermögen und ein Gefühl der moralischen Verpflichtung verfügen. Erst durch die Kultur erkennen wir Werte und treffen die Wahl. Erst durch die Kultur drückt sich der Mensch aus, wird sich seiner selbst bewusst, erkennt seine Unvollkommenheit, stellt seine eigenen Errungenschaften in Frage, sucht unermüdlich nach neuen Sinngehalten und schafft Werke, durch die er seine Begrenztheit überschreitet“ (UNESCO 1982).
„
Die Position eines bestimmten Agenten im sozialen Raum kann somit durch die Position definiert werden, die er in den verschiedenen Feldern einnimmt, das heißt in der Verteilung der Macht, die in jedem von ihnen aktiv ist, also hauptsächlich wirtschaftliches Kapital – in seinen verschiedenen Arten -, kulturelles und soziales Kapital sowie symbolisches Kapital, allgemein bekannt als Prestige, Ansehen, Ruhm usw. Dies ist die Form, die von diesen verschiedenen Kapitalarten als legitim wahrgenommen und anerkannt wird“ (Übersetzung d. Verf.).
Der Begriff bezieht sich u. a. auf die gleichnamige Publikation des Instituts für Auslandsbeziehungen e. V. (ifa): „Agents of Change – Die Rolle von Künstlern und Kulturschaffenden in Krisen- und Konfliktregionen“ (Stuttgart 2011).
Die Transkription liegt der Autorin vor, ist der veröffentlichten Arbeit jedoch nicht hinzugefügt worden.
„
Ein Großteil der Schriften zur modernen palästinensischen Geschichte stammt von Nicht-Palästinensern, die im Allgemeinen nicht mit lokalen Quellen, relevanten Persönlichkeiten und dem sozialen und kulturellen Kontext der palästinensischen Politik vertraut sind. […] Zwar kann ein interkultureller Ansatz sehr wertvoll sein und originelle Sichtweisen fördern, aber es versteht sich von selbst, dass nichts die Tatsache ersetzen kann, dass ein Volk seine eigene Geschichte schreibt. Tatsächlich können und sollten sich die beiden Prozesse ergänzen“ (Übersetzung d. Verf.).
- Titel
- National, bilateral, transnational?
- DOI
- https://doi.org/10.1007/978-3-658-32465-0_1
- Autor:
-
Antonia Blau
- Sequenznummer
- 1
- Kapitelnummer
- Kapitel 1