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2023 | Buch

NATO, Zivilisation und Individuen

Die unbewusste Dimension der internationalen Sicherheit

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Über dieses Buch

Dieses Buch setzt sich kritisch mit den beiden wichtigsten Sicherheitsreferenzen der NATO auseinander: der Zivilisation und den Menschen. Durch ein Überdenken der scheinbar selbstverständlichen Annahme dieser beiden Referenzobjekte wird die erkenntnistheoretische Bedeutung einer unbewussten Dimension für das Verständnis von Bedeutungsbildung und Verhaltensänderung in der internationalen Sicherheit aufgezeigt.

Das Buch bietet einen historisierenden und genealogischen Ansatz für die Idee der Zivilisation, die den Kern des Bündnisses bildet und in der menschliche Bedürfnisse, Erzählungen und Sicherheitsvereinbarungen miteinander verknüpft sind. Es wird davon ausgegangen, dass im Zentrum der modernen westlichen Sicherheit ein zivilisiertes Sicherheitssubjekt steht, das ständig zivilisierte und sichere Subjekte in der ganzen Welt hervorgebracht hat, was die Entstehung der NATO auf der Grundlage eines zivilisatorischen Referenzpunktes erklärt. Anschließend wird in dem Buch die Individualisierung der Sicherheit nach dem Kalten Krieg als eine weitere Phase des Zivilisierungsprozesses anhand der militärischen Operationen der NATO in Bosnien und Herzegowina, im Kosovo und in Afghanistan untersucht.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Suche nach alternativen Verbindungen zwischen Zivilisation und Sicherheit
Zusammenfassung
Da die Zivilisation im Rahmen der NATO in der Regel monolithisch und essenzialistisch dargestellt wird, bleibt ein großer Interpretationsspielraum in Bezug auf die Idee der Zivilisation und ihre Auswirkungen auf die Sicherheit. Die vorherrschende Kurzzeitperspektive verschleiert die Rolle des Einzelnen, seiner Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen für das Verständnis der Beziehung zwischen Zivilisation und internationaler Sicherheit. Zivilisation und Sicherheit müssen durch einen verständlichen, humanisierenden Ansatz in Einklang gebracht werden, der die Rolle unbewusster Formen des Wissens und der sozialen Dauer einbezieht. Zu diesem Zweck ist ein langfristiger Ansatz erforderlich, der die Historisierung und genealogische Entwicklung des Zivilisationsbegriffs, der im Mittelpunkt des Bündnisses steht, ermöglicht und die menschlichen Bedürfnisse, Erzählungen und Sicherheitsvorkehrungen im Laufe ihrer Entwicklung miteinander verknüpft.
Sarah da Mota
2. Die disziplinären Verbindungen der IR mit der westlichen Zivilisation
Zusammenfassung
Dieses Kapitel ist der erste Schritt eines umfassenderen Vorhabens, das darauf abzielt, einen längeren und tieferen Sinn für die Geschichte bei der Entnaturalisierung des Wissens über die Zivilisation zu vermitteln. Es stellt die scheinbare Abwesenheit des Westens in der IR in Frage und zeigt im Gegenteil, wie die Entwicklung der IR als Disziplin eng mit der Entwicklung der (westlichen) Zivilisation sowohl in der individuellen als auch in der kollektiven Wahrnehmung verbunden war. Die IR muss daher als eine Disziplin, eine Wissensquelle, verstanden werden, deren Ursprung und Existenzberechtigung von den Krisen der westlichen Zivilisation abhängt. Der soziopolitische und intellektuelle Kontext, in dem sich die IR im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, zeigt, dass sie kaum von der Entwicklung der eigenen Wahrnehmung der westlichen Gesellschaft, dem zunehmenden Bewusstsein für ihre Zivilisation und der Reflexivität über sie getrennt werden kann.
Sarah da Mota
3. Individualisierung der Zivilisation: Das zivilisierte Subjekt der Sicherheit
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird vorgeschlagen, den Ansatz der Zivilisation durch eine Reihe verschiedener konzeptioneller und theoretischer Instrumente zu individualisieren, die hauptsächlich aus der Soziologie und der Psychoanalyse stammen, insbesondere durch den Begriff des „zivilisierten Habitus“. Worin besteht die Zivilisation und wie hängt sie mit Sicherheitsvorstellungen zusammen? Wie trägt die Zivilisation zur Sicherheit bei? Die Verengung des Zivilisationsbegriffs auf Individuen, so wird argumentiert, ist ein fehlendes Glied für ein besseres Verständnis der unbewussten Dimension der internationalen Sicherheit. Dieser Ansatz mündet in die Konzeptualisierung eines zivilisierten Sicherheitssubjekts, das in die unbewussten Prozesse eingebettet ist, die die ontologische Beziehung zwischen Zivilisation und Sicherheit ausmachen. Sicherheit, so wird behauptet, ist der ultimative Wert, der dem Prozess der Zivilisation einen ontologischen Sinn verleiht, weil er eine tiefe und metaphysische Bindung in den menschlichen Gesellschaften darstellt. Kurz gesagt, ein zivilisiertes Subjekt des Westens ist zwangsläufig ein sicheres Subjekt gewesen.
Sarah da Mota
4. Normen der Zivilisation: Architektur der Sicherheit, Ordnung und Hierarchie
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden der Begriff „Zivilisationsstandard“ und die ihm zugrunde liegenden Prozesse als eine zentrale Entwicklung der internationalen Gesellschaft und Sicherheit ausgearbeitet. Standardisierung wird somit als ein Prozess betrachtet, der für die Zivilisation endemisch ist, da er entscheidend zur normativen Verbreitung und zum räumlich-zeitlichen Fortschritt der Zivilisation beiträgt. Dies hilft zu verstehen, wie die Zivilisation nicht nur mit der Bildung einer Identität in Bezug auf ein bestimmtes soziales System zurechtkam, sondern auch, wie sich ein sicherer Status über Zeit, Raum und Subjektivitäten hinweg verbreitete. Im Westen war die Rolle der Normen entscheidend für die Ermächtigung der Männer, die durch die symbolische Macht und das Kapital, die der Westen historisch angehäuft hat, ermöglicht wurde. In diesem Prozess der Standardisierung ist Sicherheit die Norm, die es der Zivilisation ermöglichte, zu einem internationalen Standard für internationale normative Ordnung und Hierarchie zu werden.
Sarah da Mota
5. Die tiefen Ursprünge der NATO (1939–1949): Den zivilisierten Habitus durchbrechen?
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird die Rolle der „Zivilisation“ bei der Gründung des Bündnisses erörtert, indem die Vorgeschichte beleuchtet wird, die zur Notwendigkeit führte, die Zivilisation der nordatlantischen Völker zu schützen. Anhand des Zeitraums 1939 bis 1949 wird untersucht, inwieweit die Zivilisation durch eine westliche Verteidigungs- und Sicherheitsorganisation aufrechterhalten werden musste. Inwieweit drohten der zivilisierte Habitus und die zivilisierten Subjekte der Sicherheit verloren zu gehen? Schlüsselelemente wie der Mangel an Selbstbeherrschung, die Stereotypisierung der Sowjetunion als unzivilisiert, die Rolle von Spiritualität und Symbolik und die Stärkung der gegenseitigen Abhängigkeit sind die wichtigsten Manifestationen und Ausdrucksformen des zivilisierten Habitus in dieser Zeit. Zusammen zeigen sie, wie der zivilisierte Habitus neu formuliert, neu definiert und bekräftigt wurde, und sie tragen dazu bei, zu verstehen, dass sich das Bündnis um die Zivilisation als prägendes Referenzobjekt der Sicherheit herum entwickelt hat.
Sarah da Mota
6. Die Entwicklung der NATO im Kalten Krieg: Zivilisation vom Referenzobjekt zur Norm
Zusammenfassung
Die Zivilisation erwies sich als ein zentrales Anliegen bei den Ursprüngen und der Gründung des Bündnisses (Kap. 5), aber wie hat sich dieses Anliegen danach weiterentwickelt? Von der Gründung des Bündnisses im Jahr 1949 bis zum Ende des Kalten Krieges zeigen die Diskurse der NATO, wie sich die Darstellung der Zivilisation bzw. des zivilisierten Verhaltens im Laufe der Zeit je nach den gesellschaftlichen Prioritäten der jeweiligen Zeiträume verändert hat. Im Laufe dieser Jahrzehnte entwickelte das Bündnis ein ausgeprägtes Zeitbewusstsein und zeigte durchweg eine Reflexivität hinsichtlich seiner aktuellen Bedeutung in der Welt, seiner Rolle und seines Auftrags. In diesem Sinne wurde der zivilisierte Habitus des Westens auf der Ebene eines demokratischen Habitus fortgeführt. Letztlich erweist sich die Entwicklung des Referenzobjekts der NATO als ein offener Prozess, in dem bewusste und unbewusste Wahrnehmungen des Selbst und der Zeit zusammenwirken.
Sarah da Mota
7. Die NATO nach dem Kalten Krieg: Neue Wege und Gründe für die Koexistenz
Zusammenfassung
Welche tiefgreifenden Auswirkungen hat diese neue historische Ära auf den zivilisatorischen Bezug der NATO? Im Rahmen ihrer Neuerfindung nach dem Ende des Kalten Krieges ist die Identität der NATO in Bezug auf ihre Zeitvorstellungen im Wesentlichen gleich geblieben. Der ständige Wille des Bündnisses, sich an Veränderungen anzupassen, und das Bewusstsein für diese Veränderungen prägen die Erwartungen und Dispositionen (habiti) darüber, was die NATO bereit ist zu tun, um die nordatlantischen Gemeinschaften vor unbekannten Gefahren zu schützen. Diese neuen Formen der Sozialisierung bestehen aus neuen Verhaltensweisen für Partner und Beitrittskandidaten, da sie auch neue wechselseitige Beziehungen mit sich bringen. Die Bereitschaft, der NATO als Sicherheitsgemeinschaft anzugehören, stützt sich auf die Symbolkraft vergangener Erinnerungen und die Angst vor dem Verlust der Liebe als ontologisches Sicherheitsbedürfnis. Infolgedessen hat die NATO nach dem Kalten Krieg neue Regeln für zivilisiertes Verhalten aufgestellt, sodass zivilisierte Identitäten aufeinander abgestimmt werden konnten und sich zu einer zivilisierten Sicherheitsgemeinschaft entwickelten.
Sarah da Mota
8. Die Individualisierung der Sicherheit: Eine neue Architektur für internationale Sicherheit
Zusammenfassung
Als entscheidendster und einflussreichster normativer Trend der internationalen Sicherheit nach dem Kalten Krieg hat die Individualisierung der Sicherheit die Sicherheitspolitik und die damit verbundenen Diskurse und Begründungen schrittweise vom Staat auf das Individuum verlagert. Die Individualisierung der Sicherheit hat zu einer Neuformulierung der Sicherheitspolitiken und der Kriegsführung selbst geführt, indem sie um ein anderes Konzept der Lebensbewertung herum umgestaltet wurde, in dessen Mittelpunkt das liberale Individuum steht. Durch die starken ideologischen und biopolitischen Positionen des Humanitarismus hat die Individualisierung der Sicherheit einen internationalen Diskurs der Disziplinierung und Normalisierung hervorgebracht, demzufolge ein Verhalten, das das Individuum respektiert, für alle Staaten als natürlich angesehen werden sollte. Dies verdeutlicht die Ausdehnung der zivilisatorischen Macht durch internationale Organisationen und kann als eine weitere Stufe des vom Westen ausgehenden Zivilisationsprozesses betrachtet werden.
Sarah da Mota
9. Die Individualisierung der Sicherheit innerhalb der NATO
Zusammenfassung
Inwieweit ist die NATO als Sicherheitsgemeinschaft von der Individualisierung der Sicherheit als einer weiteren Stufe des Zivilisierungsprozesses beeinflusst worden? Als normative Umgestaltung der internationalen Sicherheit ist die Individualisierung der Sicherheit für das Bündnis von großer Bedeutung, da sie die institutionelle Neuerfindung des Bündnisses nach dem Kalten Krieg ergänzt und ihrem Zweck dient. Grundsätzlich dient die Individualisierung der Sicherheit auch der Nachhaltigkeit des zivilisatorischen Referenten der NATO. Die Rolle des individuellen Sicherheitsreferenten wird bei den militärischen Operationen der NATO in Bosnien und Herzegowina, im Kosovo und in Afghanistan untersucht, wobei der Schwerpunkt auf bestimmte Aspekte jeder Mission gelegt wird: das Objekt des Sicherheitsreferenten, die für die Intervention vorgebrachte Rechtfertigung, das formale Mandat, die Ziele, die normativen Grundsätze und die selbst erklärten Ergebnisse, immer im Lichte des zivilisatorischen Narrativs der NATO.
Sarah da Mota
10. Schlussfolgerung
Zusammenfassung
Im Gegensatz zu der vorherrschenden Betrachtung des Wandels der NATO unter dem Gesichtspunkt des Überlebens, konzentriert sich dieses Buch auf die tiefsten Strukturen des Einzelnen. Die beiden wichtigsten Sicherheitsobjekte des Bündnisses – die Zivilisation und das Individuum – sind somit in eine Erzählung von Zeitlosigkeit verstrickt, die durch die unbewusste Dimension der Sicherheit in Raum und Zeit miteinander verbunden ist. Letztlich legt die Existenz der unbewussten Strukturen des menschlichen Geistes kritisch nahe, dass die Repräsentationen von Sicherheit nicht das Ergebnis einer bewussten oder freiwilligen Wahl von Praktiken und Bedeutungen durch die Subjekte sind, sondern vielmehr das Ergebnis von Herrschaft, disziplinierenden und ausgrenzenden Praktiken, langfristigen Einschärfungsprozessen und symbolischen Wahrnehmungen.
Sarah da Mota
Metadaten
Titel
NATO, Zivilisation und Individuen
verfasst von
Sarah da Mota
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-031-19736-9
Print ISBN
978-3-031-19735-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-031-19736-9