Die verborgene Struktur des Periodensystems
- 18.06.2019
- Naturwissenschaftliche Grundlagen
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Das Periodensystem der Elemente, das in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag feiert, ist nur ein Beispiel dafür, wie sich Objekte – hier die chemischen Elemente – in einem solchen System ordnen und klassifizieren lassen.
Das andere Periodensystem: Die schwarzen Punkte stellen die Objekte dar, die durch die grünen Pfeile geordnet werden. Anhand eines geeigneten Kriteriums lassen sich die Objekte in Gruppen klassifizieren (gestrichelte Linien), in denen die roten Pfeile eine Unterordnung schaffen.
Guillermo Restrepo, MPI für Mathematik in den Naturwissenschaften
In "Allgemeine und Anorganische Chemie" geben die Springer-Autoren Michael Binnewies, Maik Finze, Manfred Jäckel, Peer Schmidt, Helge Willner und Geoff Rayner-Canham einen Überblick über das Periodensystem der Elemente als dem wichtigsten Ordnungsprinzip für die anorganische Chemie. Demnach begann schon lange vor der Entwicklung von Atommodellen die Suche nach Regelmäßigkeiten bei den chemischen Elementen: "Bereits 1817 beschrieb Johann Döbereiner Gruppen von jeweils drei Elementen, wie z. B. Calcium, Strontium und Barium, die sich in ihren Eigenschaften ähneln; er bezeichnete sie als Triaden" (Seite 48). Als ein Meilenstein in der anorganische Chemie gelten die Ordnungsversuche von Lothar Meyer und Dimitrij Mendeleev (Mendelejew) in den 1860er Jahren; in Mendeleevs Vorschlag von 1871 waren die damals bekannten Elemente in acht Spalten in der Reihenfolge ihrer Atommasse angeordnet.
Heute, 150 Jahre später, wird offenkundig, dass es sich bei den auf Mendeleev und Meyer zurückgehenden Darstellungen des Periodensystems der Elemente – in Chemiebüchern und Wandtafeln omnipräsent – nur um unterschiedliche Darstellungsbeispiele einer verborgenen Struktur der chemischen Elemente handelt: sozusagen jeweils um einen Spezialfall. Für Guillermo Restrepo und Wilmer Leal, die am Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften und an der Universität Leipzig forschen, gibt es keine eindeutig richtige Anordnung der Elemente, denn je nach dem angewandten Kriterium für die Klassifizierung ergebe sich eben ein anderes Periodensystem. So könne man die Atome beispielsweise nach der Elektronenkonfiguration, ihrem chemischen Verhalten, ihrer Löslichkeit oder ihrem Vorkommen in geologischen Lagerstätten unterteilen. In Proceedings of the Royal Society A beschreiben die beiden, basierend auf den Beziehungen von Ordnung und Ähnlichkeit, die Struktur des Periodensystems als geordneten Hypergraphen.
Ein Mengensystem ist ein Paar (U,F), wobei U eine nichtleere endliche Menge und F eine Familie von Teilmengen von U ist. Es ist (U,F) kreuzungsfrei, falls für je zwei Mengen X, Y ∈ F mindestens eine der vier Mengen X \ Y , Y \ X, X ∩ Y , U \ (X ∪ Y ) leer ist. Es ist (U,F) laminar, falls für je zwei Mengen X, Y ∈ F mindestens eine der drei Mengen X \ Y , Y \ X, X ∩ Y leer ist. In der Literatur werden Mengensysteme auch Hypergraphen genannt." Bernhard Korte, Jens Vygen: Kombinatorische Optimierung, Graphen, Seite 25.
Gemeinsame Struktur
Kurzum, das ehrwürdige Periodensystem von Mendelejew und Meyer ist nur eine Repräsentation einer allgemeinen Struktur. Aus dieser lassen sich jederzeit auch neue Anordnungen ableiten. Guillermo Restrepo vergleicht die Ordnung der chemischen Elemente daher mit einer Skulptur, auf die Licht aus verschiedenen Richtungen fällt. "Die verschiedenen Schatten, die die Figur dabei wirft, sind die Periodentafeln. Daher gibt es auch so viele Möglichkeiten, diese Tabellen aufzustellen. In gewisser Weise sind die Periodentafeln Projektionen. Projektionen des inneren Aufbaus des Periodensystems." Ziel von Restrepo und Leal ist es, die verborgene mathematische Struktur zu erforschen, die den bekannten Periodensystemen der Chemie zugrunde liegt. "Wir haben fast 5.000 Substanzen untersucht, die aus zwei Elementen in unterschiedlichen Anteilen bestehen", berichtet Restrepo. "Dann haben wir nach Ähnlichkeiten in diesen Daten gesucht. Zum Beispiel sind Natrium und Lithium ähnlich, weil sie sich mit jeweils den gleichen Elementen im selben Mengenverhältnissen verbinden – beispielsweise mit Sauerstoff oder Chlor, Brom und Jod. So haben wir Muster gefunden, mit denen sich die Elemente klassifizieren lassen."
Periodensysteme nicht nur in der Chemie
Seit 150 Jahren inspiriert die Struktur des Periodensystems der chemischen Elemente die Forschung auf unterschiedlichen Gebieten der Chemie und Physik. Gleichwohl gäbe es noch kein einheitliches Bild davon, was ein Periodensystem ist, sagen die Leipziger Wissenschaftler, die in ihrer Arbeit das aktuelle Periodensystem der chemischen Elemente als eine Instanz der allgemeinen Struktur auffassen und auf Grundlage dieser Definition ein maßgeschneidertes periodisches System der Polarisierbarkeit einzelner kovalenter Bindungen entwickeln, bei dem Ordnungsbeziehungen innerhalb von Teilmengen ähnlicher Bindungen und zwischen diesen Klassen quantifiziert werden.
Ein solchermaßen generalisiertes Periodensystem ermögliche es, sich Periodensysteme in anderen Disziplinen der Natur- und Geisteswissenschaften vorzustellen. So nutze man geordnete Hypergraphen etwa in Informationssystemen und im Web-Mining. Mögliche periodische Systeme ergäben sich zudem bei der Betrachtung von Staaten, die nach sozialen oder wirtschaftlichen Indikatoren geordnet und nach geographischer Nähe oder kultureller Ähnlichkeit klassifiziert werden könnten. Andere Beispiele fänden sich im Ingenieurwesen, in den Umweltwissenschaften, in der Soziologie und vielen weiteren Fachrichtungen.
Ein Periodensystem chemischer Verbindungen: Jeder der 94 Kreise mit chemischen Elementsymbolen repräsentiert die Bindung, die das jeweilige Element mit einem organischen Rest eingeht. Geordnet werden die Bindungen danach, wie stark sie polarisiert sind. Wo es ein direkte Pfeil-Verbindung gibt, ist die Ordnung klar: Bindungen von Wasserstoff sind zum Beispiel stärker polarisiert als Bindungen von Bor, Phosphor und Palladium. Das Gleiche gilt für Rubidium im Vergleich zu Cäsium, das besonders gering polarisierte Bindungen aufweist und darum im neuen Periodensystem ganz unten steht. Gibt es keinen direkten Pfeil zwischen zwei Elementen, lassen sie sich unter Umständen dennoch vergleichen – wenn es eine Kette von Pfeilen zwischen ihnen gibt. So sind die Bindungen von Sauerstoff beispielsweise stärker polarisiert als die Bindungen von Brom. Bindungen, die mit derselben Farbe dargestellt sind, gleichen sich in ihrem Bindungsverhalten und gehören zu einer von 44 Klassen.
Guillermo Restrepo, MPI für Mathematik in den Naturwissenschaften