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15.11.2021 | Notenbanken | Schwerpunkt | Online-Artikel

Finanzielle Kettenreaktion der Klimapolitik verhindern

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

4:30 Min. Lesedauer

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Beim Kampf gegen die Erderwärmung sollten die Zentralbanken die Entwicklung der Finanzmärkte nicht aus den Augen verlieren, warnt eine aktuelle Studie. Ohne entsprechende Steuerung drohe eine Entwertung von Vermögen.

"Entweder, wir setzen auf eine schnelle und großangelegte Reduzierung der Emissionen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Oder wir akzeptieren, dass die Menschheit einer düsteren Zukunft auf diesem Planeten entgegenblickt", erklärte die UN-Klimachefin Patricia Espinosa zur Eröffnung der Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow. Für Europa bedeutet das vor allem eine umfassende Dekarbonisierung der gesamten Volkswirtschaften bis 2050. Im Zuge des sogenannten Green Deals will die Europäische Union "die Klimaneutralität aller derzeit noch von fossilen Brennstoffen abhängigen Wirtschaftszweige erreichen", führen Alexander Eisenkopf und Andreas Knorr in ihrem Beitrag der Zeitschrift "Wirtschaftsdienst" (Ausgabe 10 | 2021) aus. 

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Energiewende aus Sicht der Energie-, Umwelt- und Klimaschutz-Ökonomik

Während die traditionelle industrieökonomische Perspektive aus Gründen der ökonomischen Effizienz auf die Internalisierung der externen Kosten fossiler Energien mittels Instrumenten der CO2-Bepreisung setzt und hierzu vor allem das System der Emissionszertifikate ausbauen möchte, bei gleichzeitiger Zurückdrängung prozesspolitischer Detailregulierungen, strebt die evolutorisch-systemische Perspektive eine größere Instrumentenvielfalt an, unter Wahrung bewährter ordnungsökonomischer Prinzipien.

"Am 14. Juli 2021 veröffentlichte die EU-Kommission ihr 'Fit for 55'-Package. Bereits vorher wurde das auf EU-Ebene bisher gültige CO₂-Reduktionszwischenziel bis 2030 von 40 Prozent auf 55 Prozent spürbar verschärft", schreiben die beiden Wirtschafts- und Verkehrsexperten. "Unter den von der Klimapolitik adressierten Sektoren nimmt der Verkehr eine Schlüsselrolle ein, da in diesem Bereich die politisch definierten Minderungsziele bisher nicht erreicht werden konnten."

Rasche Dekarbonisierung führt zu Stranded Assets 

Daneben stellt der Übergang zu einem fossilfreien Zeitalter nicht nur viele Branchen vor große Herausforderungen, sondern hinterlässt bereits an den Kapitalmärkten seine Spuren – allen voran im Energiesektor. "Eine rasche Dekarbonisierung führt bei emissionsintensiven Industrien zu einer Entwertung von Vermögen. Die stillgelegten, technisch zum Teil aber noch zeitgemäßen Kohlekraftwerte hierzulande sind ein Beispiel für solche 'Stranded Assets', auch wenn die Betreiber Entschädigungszahlungen vom Staat erhalten haben", erläutert Stefan Terliesner im Bankmagazin-Beitrag "Institute bekommen Stress mit dem Klima" (Ausgabe 7-8 | 2021). 

Eine Studie der Londoner Denkfabrik Carbon Tracker vom März 2021 belegt, dass die Aktien von Erdöl-, Gas- und Kohlekonzernen in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 123 Milliarden US-Dollar an Wert eingebüßt haben. Die Papiere erneuerbarer Anlagen seien dagegen um 77 Milliarden US-Dollar gestiegen. "Investoren haben erkannt, dass Unternehmen mit fossilen Brennstoffen nicht mehr die gleichen Wachstumsgeschichten schreiben wie einst", so Studienautor Henrik Jeppesen. 

Zentralbanken müssen Kreditklemmen und Krisen verhindern

Was es für die Finanzmärkte auf lange Sicht bedeutet, wenn die auf fossilen Energieträgern basierende Vermögenswerte allzu plötzlich an Wert verlieren, hat nun eine aktuelle Studie untersucht. Diese kommt zum Schluss: Die Zentralbanken halten den Schlüssel in der Hand, um zu verhindern, dass ein unkontrollierter Verlauf Institute in Schieflagen bringt und zu Kreditklemmen und wirtschaftlichen Krisen führt. 

Das Forschungsteam unter Federführung des Berliner Klimaforschungsinstituts Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MMC) hat für seine Untersuchung ein spezielles Modell konstruiert, um ökonomische Ereignisse und unterschiedliche makroökonomische Anpassungsmaßnahmen der Politik zu analysieren. "Das Modell bildet Energiesektoren und Klimapolitik besonders akkurat ab und berechnet drei Szenarien für die Euro-Zone 2020 bis 2030", heißt es in einer aktuellen Mitteilung. 

Beim ersten Szenario, dem geordneten Übergang, steht ein stetig steigender CO₂-Preis im Fokus, der die kumulierten Emissionen in diesem Zeitraum wie im EU-Green-Deal vorgesehen um 24 Prozent senkt. Die Annahme, dass nach drei Jahren Stillstand eine plötzliche, nicht angekündigte Aufholjagd mit ebenfalls 24 Prozent weniger Ausstoß erfolgt, ist für die Wissenschaftler der ungeordnete Übergang und damit Fall zwei. Drittes Szenario ist ein Stimmungsumschwung an den Finanzmärkten mit abruptem Wertverlust fossiler Vermögenswerte um 6,5 Prozent – der sogenannte finanzielle Schock. 

Konventionelle Geldpolitik stützt den geordneten Übergang

"Man will gegen mögliche Kettenreaktionen gewappnet sein – nicht zuletzt angesichts der Weltfinanzkrise 2008, in der abrupte Wertverluste bei Immobilien in den USA die Realwirtschaft rund um den Globus ins Trudeln brachten", erläutert Francesca Diluiso von der MCC-Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung. Im Ergebnis werde deutlich, dass sich ein geordneter Übergang "gut mit konventioneller Geldpolitik bewältigen lässt". Der Anstieg der Energiepreise schmälert die Wirtschaftsleistung im Jahr 2030 nur um 0,8 Prozent. Nicht eingerechnet seien dabei die Vorteile einer abgemilderten Erderwärmung. 

Ein ungeordneter Übergang führe ebenfalls nur zu geringfügig höheren Kosten, "aber zu beträchtlichen Ausschlägen bei der Inflation". Laut Analyse ist es ein Vorteil, wenn die Europäische Zentralbank "ausschließlich dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist und auf veränderte Inflationsraten stark reagiert".

"Die Zentralbanken können auch einen eventuellen durch Klimapolitik ausgelösten finanziellen Schock auffangen helfen, also eine Verkaufswelle von fossilen Vermögenswerten mit entsprechendem Wertverlust", lautet ein weiteres Ergebnis der Erhebung. Wichtige Instrumente hierbei seien "großangelegte Wertpapierkäufe" sowie "strengere Bilanzregeln zum Beeinflussen von Wertpapierkäufen der Banken".  

Zentralbanken brauchen glaubwürdige Klimapolitik

"Insgesamt zeigen wir, dass die Zentralbanken wesentlich zu einem reibungsarmen Übergang in Richtung Klimaneutralität beitragen können", betont Matthias Kalkuhl, Arbeitsgruppenleiter am MCC und Mitautor der Studie. 

Und das ist im Rahmen ihrer bestehenden Mandate möglich – also innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs. Dies setzt jedoch eine wirksame und glaubwürdige Klimapolitik voraus, etwa durch stetig steigende CO₂-Preise. Die Zentralbanken können nicht für fehlende oder unzureichende klimapolitische Instrumente der Regierungen einspringen."
 

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