In der ersten Dekade ihres Bestehens hat die Europäische Zentralbank mit Erfolgen überzeugt. Doch seit 2008 steckt das Institut mehr oder weniger im Krisenmodus fest. Zum 25. Geburtstag ringt die EZB mit der höchsten Inflation seit ihrer Gründung und kämpft auch um verloren gegangenes Vertrauen.
Am 1. Juni 2023 wird die Europäische Zentralbank (EZB) 25 Jahre alt. Für viele Bürger und Unternehmen, die unter der noch immer hohen Inflation leiden, kein Grund für Häppchen und Sekt. Und auch die von der amtierenden EZB-Präsidentin Christine Lagarde Mitte der Woche zum Festakt nach Frankfurt geladenen internationalen Gäste aus Politik, Finanzbranche und Wirtschaft werden an diesem Tag wieder an ihren Schreibtischen sitzen.
Zuletzt hatte der EZB-Rat am 4. Mai beschlossen, den Leitzinssatz sowie die Einlage- und Spitzenrefinanzierungsfazilität um jeweils 25 Basispunkte anzuheben. Es war der siebte Zinsschritt innerhalb von zehn Monaten."Die Gesamtinflation ist in den vergangenen Monaten gesunken, der zugrunde liegende Preisdruck ist jedoch nach wie vor hoch", fasst die 1998 ins Leben gerufene Währungsbehörde zu Beginn ihres kürzlich erschienen Wirtschaftsberichtes die Lage zusammen.
Lob für Einführung des Euro
Derart herausfordernden Bedingungen waren die europäischen Währungshüter in den ersten zehn Lebensjahren der Bank nicht ausgesetzt. Im Gegenteil: Das Institut arbeitete an seiner Reputation als erfolgreiche Zentralbank, beschreibt Tobias Kunstein im Buchkapitel "Währungspolitik" (Seite 656) die Entwicklung in den Anfängen. Lob gab es seinerzeit vor allem für die enormen Anstrengungen rund um die Einführung des Euro.
Mit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise 2007/2008, die ab 2009 in eine Krise der Eurozone mündete, wurde jedoch klar, dass eine einheitliche Geldpolitik nicht für alle Mitgliedstaaten mit ihren unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen funktionierte. "Um ein Auseinanderbrechen der gemeinsamen Währung zu verhindern, ergriff die EZB geldpolitische Maßnahmen, die sich in den Augen zahlreicher Kritiker nur schwer mit ihrem ursprünglichen Mandat vereinbaren ließen", so Kunstein.
Die fast unbegrenzte Bereitstellung von Liquidität für das Bankensystem wendete zwar die akute Gefahr eines Kollapses der Eurozone ab. Diese Praxis führte - zunächst unter EZB-Chef Mario Draghi und seit November 2019 unter seiner Nachfolgerin Lagarde - allerdings zu einer bislang ungekannten Nullzinspolitik. Die Phase endete erst im Juli 2022 nach Ausbruch des Ukraine-Krieges mit der ersten Zinserhöhung seit 2011. Für viele Beobachter kam diese deutlich zu spät.
Harsche Kritik an Anleihekaufprogrammen
Auch der seit 2014 fast ununterbrochen erfolgte Ankauf von Papieren öffentlicher und privater Schuldner durch die Bank, der im Zuge der Corona-Pandemie sogar noch zeitlich befristet um das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) ausgeweitet wurde, sorgte für reichlich Unmut unter Wirtschaftsexperten. Damit habe sich die EZB "nahe an der von den EU-Verträgen verbotenen monetären Staatsfinanzierung bewegt", formuliert es Kunstein.
Bis Juni 2022 erreichten die Nettokäufe im Public Sector Purchase Programme (PSPP) und im genannten PEPP-Programm ein Gesamtvolumen von 4,41 Billionen Euro, berichtet das ZEW - Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim im April 2023. Seitdem habe die europäische Notenbank die Bestände im PSPP mit einem durchschnittlichen Volumen von 15 Milliarden Euro pro Monat abgebaut. Deutlich zu langsam, finden die ZEW-Ökonomen, aber auch andere Volkswirte.
Anhaltender Vertrauensverlust
"Während die unkonventionelle Geldpolitik der EZB in der Hochphase der Finanz- und später der Eurokrise als durchaus gerechtfertigte Maßnahme zur Stabilisierung der Geld- und Kapitalmärkte gesehen wurde, verlor sie in den Folgejahren sukzessive an Zustimmung", beschreibt Leef H. Dierks im Buch "Geldpolitik" auf Seite 220 den zunehmenden Vertrauensverlust.
So haben sich dem Springer-Autor zufolge betroffene Länder zwar günstig refinanziert. Doch nötige strukturelle Reformen, die die Wettbewerbsfähigkeit allen voran der unter Druck geratenen Mittelmeeranrainer hätten verbessern können, seien ausgeblieben. Dies untergrabe "langfristig die politische Stabilität der Währungsunion".
Herausforderungen bleiben groß
Hinzu kommt, dass anhaltende Lücken in den Lieferketten, geopolitische Verwerfungen, eine inflationsbedingte Lohnspirale und kostenintensive Herkulesaufgaben wie die grüne Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft auch in Zukunft die Preise nicht deutlich sinken lassen. Diesen oft kaum einschätzbare Risiken muss sich die EZB stellen.
Nun wird sich die Notenbank wohl keine weiteren 25 Jahre Zeit lassen können, um den Krisenmodus zu verlassen, wieder zu einer vorausschauenden Geldpolitik zurückzukehren und verlorenes Vertrauen aufzubauen. Mit der Zinswende und dem Abbau der Anleihebestände sind nach Meinung vieler Beobachter zwar erste wichtige Schritte getan. Doch es bleibt noch viel zu tun. Vor allem muss dabei die Preisstabilität wieder zum obersten Gebot werden.