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2000 | Buch

Öffentlichkeitsrhetorik

Massenmedialer Diskurs und Bedeutungswandel

verfasst von: Barbara Franz

Verlag: Deutscher Universitätsverlag

Buchreihe : DUV: Sozialwissenschaft

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Über dieses Buch

Öffentliche Meinungsbildung vollzieht sich nicht nur an der Vielzahl der flüchtigen Themen, die in moderner Öffentlichkeit vor allem über die Massenmedien vermittelt und verhandelt werden. Die tägliche Geräuschentwicklung, die wir als Zeitungsleser, Rundfunkhörer und Fernsehnutzer wahrnehmen, wird durchzogen von einer begrenzten Zahl großer Themen, zu denen relativ viele Akteure beitragen und die umso zählebiger sind, je kontroverser sie er­ scheinen: der Streit um die Renten, die Erinnerung an Holocaust, die Entwicklung der EU, das Wirken der Gauckbehörde, neuerdings Kosovo und die Folgen .. Seit Jahrzehnten gehört auch der Streit um das Abtreibungsrecht zu den großen Themen der öffentlichen Diskussion, mal an-, dann wieder abschwellend, von scheinbaren Kompromiss­ bildungen zeitweilig still gestellt, dann aber wieder aufbrechend, weil der dahinter stehende Konflikt nicht wirklich lösbar erscheint. Es geht um ein Dilemma: Die moralischen Positio­ nen, die sich gegenüberstehen, können fur sich selber gute Gründe finden, schließen sich wechselseitig aber aus. Auf der einen Seite: das Recht auf Leben fur das ungeborene Kind ("pro life"): auf der anderen Seite: das Recht der schwangeren Frau auf Selbstbestimmung ("pro choice").

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung: Politische Kommunikation und Legitimation
Zusammenfassung
In seinen unter dem Titel „Communication as Culture“ erschienenen Aufsätzen über Massenmedien und Gesellschaft unterscheidet James W. Carey zwischen Kommunikation als Transmission und Kommunikation als Ritual. Während der Transmissionsaspekt sich auf die räumliche Übermittlung von Informationen zum Zweck der Kontrolle über das Geschehen in der Welt bezieht, versteht die rituelle Betrachtung von Kommunikation „reading a newspaper less as sending or gaining information and more as attending a mass, a situation in which nothing new is learned but in which a particular view of the world is portrayed and confirmed“ (1975/1992:20).
Barbara Franz
2. Öffentlichkeit und gesellschaftlicher Diskurs
Zusammenfassung
Öffentlichkeit ist als gesellschaftliches Phänomen an sich nicht greifbar, sie hat keinen Ort und ist eigentlich dezentral, darin liegt das fundamentale Problem sowohl ihrer empirischen Bestimmung als auch ihrer Regulation. Darüber hinaus ist Öffentlichkeit nicht schon immer vorhanden, sondern muss erst hergestellt werden; sie ist veranstaltet. Je nach Betrachtung geschieht die Herstellung von Öffentlichkeit entweder fallweise, insofern Kommunikationen sich wahrnehmbar und regelmäßig mit einer bestimmten Problematik, sei es der Wünschbarkeit der Atomenergie oder der Sinnhaftigkeit von Tierversuchen, beschäftigen, die dann Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung (vgl. 2.1) sind. Ausgehend von Akteuren oder Institutionen kann Öffentlichkeit auch als permanent hergestellter Zustand der Vemehmbarkeit zu relativ beliebigen Themen begriffen werden: Der Gesetzgeber berät öffentlich, oberste Gerichte urteilen öffentlich, Massenmedien veröffentlichen laufend eigene und fremde Beiträge und machen sie damit potenziell der Allgemeinheit zugänglich, die dann daran immer noch mehr oder weniger interessiert sein kann. Als kommunikative Selbstbeobachtung ist Öffentlichkeit ein symbolisches Abbild einer (Sprech-)Gemeinschaft: In ihr manifestiert sich Gesellschaft als Gesellschaft. Aus der Sicht der Einzelnen ist öffentlich das, von dem gewusst wird oder gewusst werden kann, dass die anderen es wissen oder wissen können’ und Öffentlichkeit der (raumzeitliche oder strukturelle) Bereich, der Auskunft über dieses „kollektive Wissen“ gibt.
Barbara Franz
3. Die Rhetorik öffentlicher moralischer Auseinandersetzungen
Zusammenfassung
Der Austausch von Legitimationen in Wertkonflikten ist ein wesentlicher Bestandteil öffentlicher Kommunikation. In öffentlichen moralischen Auseinandersetzungen besteht einerseits der Anspruch, zu einer, meist gesetzesförmigen, Lösung zu kommen, jedenfalls zu einer Konfliktbefriedung, welche die zur Diskussion stehenden Ansprüche auf vernünftige Weise integriert. Wie in Kapitel 2.1 ausgeführt, ist das Problem in öffentlichen Streitfragen das Fehlen eines formalen Verfahrens zur Konfliktlösung — ein Mangel, der freilich aufgrund der Heterogenität des nicht verfassten Publikums nicht behoben werden kann und, vor dem Hintergrund der Funktion öffentlicher Meinungsbildung betrachtet, auch nicht behoben werden muss. Hinzu kommt in moralischen Streitfragen der Mangel an rationalen (wissenschaftlichen) Kriterien, die verbindlich an das diskutierte Issue und die vorgeschlagenen Lösungen angelegt werden könnten. Wertkonflikte entziehen sich letztlich den einzelnen Arenen und ihren an enge Zielperspektiven gebundenen rationalen Handlungsmustern und entsprechenden Entscheidungskriterien. Wenn öffentliche moralische Streitfragen gelöst und in kollektiv verbindliche Entscheidungen transformiert werden sollen, sind Begründungen gefragt, die interessenübergreifend tragfähig sind, Argumentationen, deren Gültigkeit sich auf Plausibilität innerhalb einer Sprechgemeinschaft stützt. Diskurse, die in einer breiten Öffentlichkeit mit dem Ziel der Entscheidungsfindung geführt werden, werden von der Rhetorik beschrieben.
Barbara Franz
4. Selbstbestimmung und die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbruch
Zusammenfassung
Die Fallstudie befasst sich mit der Deutung des Konfliktes um den § 218 StGB in den Reformdebatten der frühen 70er und frühen 90er Jahre als einer Frage weiblicher Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Damit wird aus dem Set von Deutungen, die für die empirische Beschreibung der Auseinandersetzung relevant waren (vgl. 5.2.1), ein Topos herausgegriffen. Die Wahl ist jedoch nicht beliebig: Welchen Schwerpunkt man in der Interpretation der Debatte auch setzen mag, im Kern geht es dabei doch um die Strafbarkeit von Frauen, die eine Schwangerschaft in ihrem Leib aus eigener Entscheidung beenden oder der ihres ärztlichen oder sonstigen sozialen Umfeldes.
Barbara Franz
5. Der Bedeutungswandel von „Selbstbestimmung“ im massenmedialen Diskurs
Zusammenfassung
Aus den theoretischen Annahmen über die Deutungsstrategien ko-orientiert argumentierender Akteure innerhalb eines „Issue-Milieus“ (vgl. 3.4) und den Beobachtungen des Verlaufs der Debatten über die Reform des § 218 (vgl. Kapitel 4) ist zu folgern, dass das konfliktauslösende Argument, dass es bei Schwangerschaftsabbruch um die Selbstbestimmung der Schwangeren gehe, im Verlauf der Auseinandersetzung diffundiert. Aufgrund seiner zunächst stark polarisierenden Funktion liegt es in der Logik rhetorischer Meinungsbildung, dass sich Akteure zunehmend auf diese Deutung stützen, ohne, wie dies in einem rationalen Diskurs der Fall wäre, ihre Positionen entsprechend dem originären Bedeutungsgehalt zu adjustieren.
Barbara Franz
6. Öffentlichkeitsrhetorik
Zusammenfassung
Die Analyse des rhetorischen Prozesses öffentlicher Meinungsbildung hat von der Frage nach der Rationalität von Öffentlichkeit über die Diskussion ihrer Kreativität zu einer Synthese geführt, in der Rationalität und Kreativität öffentlicher Meinungsbildung als Aspekte soziokultureller Produktion von Wirklichkeit erscheinen. In ihrer Transparenzfunktion ermöglicht Öffentlichkeit der Gesellschaft eine Orientierung über zentrale gesellschaftliche Probleme und das Angebot entsprechender Positionen durch jeweils engagierte Öffentlichkeitsakteure. Die Laienorientierung von Massenkommunikation verweist darauf, dass sich die Meinungsbildung in öffentlichen Diskursen nicht an dialektischen, sondern an rhetorischen Kriterien ausrichtet (vgl. 2.3; 3.1), wie Kepplinger und Mitarbeiter aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht bereits dargelegt haben, Öffentliche Auseinandersetzungen selbst über diejenigen Deutungen eines Issues, die von Akteuren als für dessen Beurteilung relevant herausgestellt werden, sind nicht fundamental; immerhin haben die Beteiligten keinen Anlass und Grund, ihre Ideologien im Rahmen politischer Debatten einer offenen Wertediskussion zur Disposition zu stellen. Akteure legen an ein Issue Deutungen an, um ihre Positionen in einem konkurrierenden Umfeld erfolgreich zu präsentieren und nicht, um diese neu zu erfinden. Die Aufgabe von Öffentlichkeit besteht in der Tat nicht darin, verbindliche Entscheidungen zu treffen, sondern vielmehr darin, Probleme zu formulieren, die Rahmenbedingungen möglicher Problemlösungen abzustecken und diese so für die Bearbeitung durch das politische System vorzubereiten. Die moderne Interpretation der rhetorischen Tradition lässt — bei einem Verzicht auf normativ überhöhte Öffentlichkeitsvorstellungen — erkennen, dass die Konsequenzen aus dieser Einsicht in das Funktionieren von Öffentlichkeit für das Verständnis öffentlicher Konfliktkommunikation weitreichender sind als von der bisherigen Forschung angenommen, und dass sie nicht nur die logische Qualität der Argumentationen betreffen, sondern auch die Art der Diskurse und ihrer Produkte, der narrativen Kontexte, in denen öffentliche Streitfragen als moralische Auseinandersetzungen verhandelt werden (vgl. 2.2; 3.2).
Barbara Franz
7. Literaturverzeichnis
Barbara Franz
8. Anhang
Barbara Franz
Metadaten
Titel
Öffentlichkeitsrhetorik
verfasst von
Barbara Franz
Copyright-Jahr
2000
Verlag
Deutscher Universitätsverlag
Electronic ISBN
978-3-322-99244-4
Print ISBN
978-3-8244-4382-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-99244-4