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04.07.2018 | Offhighway | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wie sich Landwirte für das digitale Zeitalter wappnen

verfasst von: Christiane Köllner

8 Min. Lesedauer

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Kostengünstige und gesunde Nahrungsmittel, die nachhaltig produziert werden: Was für die Verbraucher gut ist, ist eine große Herausforderung für die Landwirtschaft. Das Zauberwort der Branche lautet "Smart Farming".

Der Markt für Agrartechnik wächst weltweit. Immer mehr Landwirte bestimmen mit Sensoren den perfekten Zeitpunkt für die Ernte, messen per App die Bodentemperatur auf dem Kartoffelfeld oder schicken den autonomen Traktor über den Acker. Der Zulieferer Bosch setzt zum Beispiel eine Milliarde Euro mit Agrartechnik um. Und das Geschäft soll weiter wachsen. Bis Mitte der kommenden Dekade wollen die Stuttgarter den Umsatz mit Technologien für die Landwirtschaft verdoppeln.

Während die Menschheit wächst, gehen die Agrarflächen pro Kopf weltweit zurück. Laut Prognosen der Landwirtschaftsorganisation der Vereinigten Nationen (FAO) müssen Landwirte bis zum Jahr 2050 auf nachhaltige Weise jedoch rund 50 Prozent mehr Ertrag erwirtschaften, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Während ein Landwirt im Jahr 1900 noch vier Menschen ernährte, sind es heute bereits 155, wie der Rheinische Landwirtschafts-Verband angibt. Tendenz steigend. 

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Digitalisierung der Landwirtschaft: Revolution mit evolutionärem Charakter

In den Industrienationen ist die Digitalisierung aus dem Agrar-Alltag kaum mehr wegzudenken – und sie schreitet zügig voran. Die Entwicklung birgt große Herausforderungen, aber auch viele Chancen. Und sie ist nötig: Um die stetig wachsende …

Digitale Präzisionslandwirtschaft

Ein Schlüssel für mehr Ertrag und Effizienz auf dem Acker ist die Vernetzung, die mit Blick auf die Entwicklung in der Industrie unter Landwirtschaft 4.0 firmiert. Damit soll sich die Landwirtschaft besser planen lassen – von der Auswahl der passenden Pflanzen bis zum Erntezeitpunkt. "Smart Farming" nennt sich das. Einer Bosch-Studie zufolge soll der Markt für diese digitale Landwirtschaft weltweit von derzeit 3,5 auf sechs Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 wachsen.

Damit die Vernetzung funktioniert, müssen Landwirte unterschiedlichste Daten im Blick behalten – von der Beschaffenheit des Bodens bis zu den Eigenheiten der ausgesäten Pflanzensorten, von Satelliten-Beobachtungsdaten bis zum aktuellen Wetterbericht. Beispielsweise haben sich jetzt im Forschungsprojekt "Farm/IT" die TU Wien und die Universität für Bodenkultur zusammengeschlossen, um diese Daten zu sammeln, zu verknüpfen und auf einfache Weise verfügbar zu machen. Smart Farming und die Vernetzung der Landwirtschaft katapultieren den Bauernhof in die Zukunft. 

Die Digitalisierung der Landwirtschaft und damit die immer stärkere Vernetzung ihrer Akteure, Maschinen und Systeme schreitet unaufhaltsam voran", prognostiziert Springer-Autor Klaus Josef Lutz im Kapitel Digitalisierung der Landwirtschaft: Revolution mit evolutionärem Charakter, das einen Überblick über die Gegenwart und die Zukunft der Digitalisierung in der Landwirtschaft gibt.

Um die Ernte zu optimieren oder Betriebsabläufe effizienter zu machen, macht sich Bosch zum Beispiel sogenannte MEMS-Sensoren, die für Pkw entwickelt wurden, für die Landwirtschaft zunutze: Sie messen relevante Werte wie Temperatur und Feuchtigkeit und übertragen diese via Cloud auf das Smartphone des Landwirts. Mithilfe einer App hat dieser seine Pflanzen jederzeit und überall im Blick. Ein weiterer Service, der mit der Bosch IoT Cloud realisiert werden kann: die Vernetzung von Landmaschinen. Auf Basis von Daten aus den Fahrzeugen können so Störungen vorhergesagt und rechtzeitig behoben werden, damit es gar nicht erst zum Ausfall oder zu einer teuren Reparatur kommt.

Wie mit Schwarm-Technologie eine gezielte Aussaat möglich ist, hat etwa der Traktorenbauer Fendt mit dem Saatroboter Xaver auf der vergangenen Landtechnikmesse Agritechnica in Hannover gezeigt. Die rund 50 Kilogramm schweren Elektrovehikel, die sich per Satellitennavigation orientieren, rücken in Verbänden von sechs bis zwölf Einheiten als Schwarm aus, um autonom zu säen oder Pflegearbeiten auszuführen. Die einzelnen Roboter des Verbunds kommunizieren untereinander über die Cloud: Ablageort und Saatzeitpunkt können somit exakt dokumentiert und die Pflanze individuell gepflegt werden. Nach Angaben des Herstellers benötigen die Roboter bei gleicher Arbeit rund 70 Prozent weniger Energie als Traktoren. Geforscht wird auch an leitungsgeführten, vollelektrischen und autonomen Landmaschinen, erklären Karl Theodor Renius und Roger Stirnimann im Artikel Traktoren 2016/2017 aus der ATZoffhighway 4/2017. John Deere habe beispielsweise mit GridCon eine entsprechende Studie vorgestellt, so die Autoren.

Smart Fertilizing: Sprühen und sparen

Doch die Digitalisierung vereinfacht nicht nur die Arbeit des Landwirts und erhöht den Ertrag, sondern macht die Landwirtschaft auch präziser und umweltfreundlicher. Gemeinsam mit Bayer entwickelt Bosch in einer Forschungskooperation die Smart-Spraying-Technik. Mithilfe von Kamerasensoren kann sie Nutzpflanzen von Unkraut unterscheiden und Herbizide zielgerichtet auf Unkräuter sprühen. Der Unterschied zu bisherigen Systemen auf dem Markt: Diese bieten lediglich eine "Grünerkennung", können aber nicht zwischen Kulturpflanze und Unkraut unterscheiden.

Die technischen Möglichkeiten für Smart Fertilizing sind schon weit entwickelt und eingeführt", sagt Hubertus Paetow, Landwirt und Vorstand DLG. 

Die Präzision der Ausbringung könne aber noch weiter verbessert werden. Das größte Potenzial liege dabei in der Verbesserung der Algorithmen und Kombination der Sensorsysteme für die teilflächenspezifische Düngung. Hersteller haben hierfür viele sinnvolle Innovationen entwickelt und die Landwirte seien auch bereit, diese in Form von modernen Maschinen auf den Betrieben einzuführen, schlussfolgert der Landwirt.

Auch der Arbeitsplatz Landmaschine wird effizienter und komfortabler. Das Fahrerhaus eines Traktors gleicht heute einer Kommandobrücke. Durch die Smart Cab, die Bosch als Mitglied des CAB-Conceptcluster mitentwickelt hat, werden landwirtschaftliche Fahrzeuge zur vernetzen Schaltzentrale auf dem Feld. Ob Fahrzeug, Kamera oder Drohne: Sämtliche Komponenten können in der Smart Cab miteinander interagieren. So schicken Kameradrohnen ein aussagekräftiges Bild über den Zustand der Feldpflanzen via Cloud in die Fahrerkabine oder der Fahrer wird durch die Objekterkennungskamera vor lebenden Hindernissen wie einem Reh gewarnt. Über einen Feature Store können Fahrzeugnutzer bestimmte Funktionen "Over-the-air" direkt in die Maschine laden. So lassen sich je nach Wetterbedingungen oder Bodenbeschaffenheit beispielsweise Einstellungen an den Spritzdüsen vornehmen.

Hilfe aus dem All: Satellitendaten für die digitale Landwirtschaft

Die Digitalisierung geht aber noch viel weiter. So sollen Landwirte Nutzen aus Raumfahrttechnologien ziehen, genauer aus Satelliteninformationen, die ein modernes Management landwirtschaftlicher Betriebsflächen ermöglichen. "Moderne Software wertet sehr effizient hochgenaue Satellitendaten aus, Landwirte erhalten so für jedes Feld aktuelle Infos zur Bodenfeuchtigkeit, zum Pflanzenwachstum, zum Ertrag usw. Basis dafür sind die neuen Satelliten aus dem Copernicus-Programm der Europäischen Union, das Deutschland wesentlich mitträgt", erläutert Dr. Gerd Gruppe, Vorstand für das DLR-Raumfahrtmanagement.

Satellitenkarten können den Landwirten großflächige Informationen über den Zustand von Feldfrüchten und Ackerböden geben, um zum Beispiel Ertragsprognosen erstellen, Ertragsrisiken erkennen und Schadensfälle abschätzen und damit auch den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln optimieren zu können. DLR-Wissenschaftlerin Godela Roßner: "Fernerkundung ist damit fester Bestandteil des so genannten Smart Farming und die Informationen sind auch in übergeordnete Systeme integrierbar, zum Beispiel in der Farmverwaltung". Auf der Agritechnica zeigt das DLR anhand verschiedener Exponate das breite Einsatzspektrum von Fernerkundungsdaten für die landwirtschaftliche Nutzung.

Intelligente Ohrmarke überwacht Kühe

Aber nicht nur auf dem Feld, auch im Stall hält die Digitalisierung Einzug. Das österreichische Agri-Tech-Start-up Smartbow hat beispielsweise eine intelligente Ohrmarke entwickelt. Das System erfasst über einen in der Ohrmarke sitzenden Beschleunigungssensor das Wiederkäuverhalten des Tieres. So kann man nicht nur exakt der Brunstverlauf dokumentiert werden, durch das selbstständige Entwickeln von Algorithmen registriert es auch Stoffwechselstörungen im Frühstadium, denen dann vorgebeugt werden kann.

Zwei Drittel der Landwirte verfügen über Digitalkompetenzen

Hightech-Mähdrescher, Melkroboter und Sensoren in der Tierhaltung: Der Landwirt muss Tag für Tag Digitalkompetenz beweisen. Doch fühlen sich die Landwirte dafür überhaupt gewappnet? Zwei Drittel der Landwirte (67 Prozent) geben an, sehr gute bis befriedigende Digitalkompetenzen zu haben. Das zeigt eine Befragung im Auftrag des Deutschen Bauernverbandes (DBV), unterstützt vom Digitalverband Bitkom, unter 850 landwirtschaftlichen Betriebsleitern. 

Es sind vor allem die jüngeren Landwirte, die fast alle angeben, mit den digitalen Neuentwicklungen in der Landwirtschaft sehr gut oder gut zurecht zu kommen (87 Prozent). Und trotzdem ist für 46 Prozent von ihnen klar, dass sie noch mehr Digitalkompetenz für ihren Betrieb brauchen. 

Die Digitalisierung stellt auch Landwirte vor ständig neue Herausforderungen. Noch fehlt es vielfach an Orientierung. Messen wie die Agritechnica geben hier den notwendigen Überblick", sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. "Wer als Landwirt wettbewerbsfähig bleiben will, muss sich jetzt ganz aktiv mit der Digitalisierung auseinandersetzen", so Rohleder.

Internet ist für Landwirte zu langsam

Um das Potenzial zur Digitalisierung in der Landwirtschaft jedoch umfassend nutzen zu können, ist schnelles Internet eine notwendige Voraussetzung. Doch genau hier liegt das Problem. In Deutschlands ländlichen Gebieten lassen Breitbandausbau und Netzabdeckung noch zu wünschen übrig. 67 Prozent der Landwirte in Deutschland sind nach Ergebnissen des Konjunkturbarometers Agrar des Deutschen Bauernverbandes (DBV) aus dem März 2017 mit ihrem Zugang zum Internet nicht zufrieden. Die heutigen Übertragungsgeschwindigkeiten von Daten reichen selbst bei relativ einfachen Anwendungen wie Meldungen zur Tier-Datenbank, Angaben für die amtliche Statistik oder Beantragung der EU-Betriebsprämien oft nicht aus.

73 Prozent der Landwirte geben zwar an, über Breitband-Internet wie DSL, Kabel, Satellit oder Glasfaser zu verfügen, doch 60 Prozent der Landwirte sind mit der Geschwindigkeit mehr oder weniger unzufrieden. Nur 10 Prozent der Landwirte in Deutschland verfügen über schnelle Glasfaseranschlüsse. 

Da kann im Traktor noch so viel Elektronik und Software stecken und der Stall automatisiert das Vieh versorgen. Fehlt die Anbindung an die Cloud, dann wird aus dem digitalen Hightech-Bauernhof ganz schnell wieder ein normaler landwirtschaftlicher Betrieb.

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