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01.07.2020 | Organisationsentwicklung | Interview | Online-Artikel

"Teal lässt sich nicht einfach verordnen"

verfasst von: Andrea Amerland

4:30 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Chris Böhnke

Chris Böhnke ist Managing & Group Director Germany bei der Innovations- und Designberatung Fjord in Berlin.

Die Zukunft der Arbeit ist teal, so Innovationsberater Chris Böhnke. Im Interview spricht er über die Vorteile ganzheitlicher, selbstorganisierter und sinnhafter Organisationen. Und darüber, warum Führungskräfte ihr Ego überwinden müssen.

springerprofessional.de: Sie arbeiten in einer so genannten Teal-Organisation. Was versteht man darunter und woher stammt das Konzept?

Chris Böhnke: Teal steht für eine neue Organisationsform, die sich durch Selbstverwaltung, Ganzheitlichkeit und Sinnstiftung auszeichnet. Teal-Organisationen lassen Hierarchien und Quartalsziele hinter sich. An ihre Stelle treten selbstorganisierte Teams, die nicht stur nach Key Performance Indicators, sondern sinnorientiert arbeiten. Die Idee geht zurück auf den ehemaligen Unternehmensberater und Wirtschaftsphilosophen Frederic Laloux, der die These vertritt, dass die Zukunft sich selbstorganisierenden Unternehmen gehört und das Buch "Reinventing Organizations" geschrieben hat.

Empfehlung der Redaktion

2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

Building Teal Organizations with Servant Leadership?

Vibrant as servant leadership is, it is important to assess how well it is keeping up with the latest organizational developments. In the chapter Frederic Laloux’s recent model of organizational development is used to evaluate where servant leadership stands.

Und was ist an diesem Ansatz jetzt neu? 

Teal ist keine Neuerfindung, sondern eine Fortentwicklung bestehender Organisationsformen, bei der Ganzheitlichkeit, Streben nach Sinn und Zweck sowie Selbstorganisation im Vordergrund stehen. Dementsprechend schaffen teal-orientierte Unternehmen traditionelle Macht-Hierarchien ab und transformieren zu einem lebendigen System. Sie legen die Innovationskraft und den Unternehmenserfolg in die Hände ihrer Mitarbeiter und lassen diese eigenständig entscheiden, wie sie ihre Aufgaben erledigen und wo sie ihre Prioritäten setzen. 

Was unterscheidet Teal etwa von Agile oder New Work? 

Im Gegensatz zu Arbeitsmethoden, wie Agile oder New Work, beschränkt sich Teal nicht auf spezielle Ansätze der Mitarbeiterführung oder Zusammenarbeit. Teal hat seinen Ursprung in der Psychologie der Wahrnehmung und beschreibt ein übergeordnetes, ganzheitliches Bewusstsein für Arbeit, das Antworten auf neue Herausforderungen einer globalisierten Arbeitswelt liefern kann. Es ist also mehr als eine Arbeitsmethode und sollte als größeres Konzept, Mindset und Organisationsdesign verstanden werden, welche das menschliche Bewusstsein stärker berücksichtigt und mehr die Frage nach dem Sinn und Zweck von Arbeit stellt. 

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Agile Arbeitsmethoden kann man in einer Abteilung eines Unternehmens ohne Weiteres einführen. Dafür gibt es klare Regeln und Prozessabläufe. Eine Teal-Schulung gibt es nicht. Teal ist eine Weiterentwicklung und schließt unterschiedliche Arbeitsmethoden mit ein. Das Miteinander steht im Vordergrund, um effektives Arbeiten innerhalb einer Organisation zu fördern. Bei Teal muss das komplette Unternehmen darauf ausgerichtet werden. Je stärker teal eine Organisation ist, umso flexibler kann sie in Krisensituationen reagieren. Einzelne Abteilungen so zu organisieren, ist nur eine Option für eine Testphase oder um sich an die neue Organisationsform heranzutasten. Teal muss stets als ganzheitliches Konzept für das komplette Unternehmen gesehen werden.

Welche Vorteile und Chancen bietet Teal Unternehmen?

Mit Teal können Unternehmen den komplexen Herausforderungen der Digitalisierung und des gesellschaftlichen Wandels besser begegnen. Denn diese lassen sich immer schlechter nach alten Mustern bewältigen. Gleichzeitig finden Änderungen in Gesellschaft und Wirtschaft immer schneller statt. Starre Firmenstrukturen und strikte Managementhierarchien wirken hier wie ein Anachronismus. Mitarbeiter wollen nicht mehr nur reine Befehlsempfänger sein, sondern selbstorganisiert und sinnorientiert arbeiten. Teal-orientierte Unternehmen schaffen ein positives Umfeld, um komplexe Probleme zu lösen und Innovationskraft zu fördern. Ziele werden erfüllt ganz ohne Controlling einer vorgeschalteten Führungsebene. Damit steigt nicht nur die Effizienz und der Happyness-Score der Mitarbeiter, sondern auch die Reputation des Unternehmens als attraktiver Arbeitgeber.

Kann man das mit Zahlen belegen?

Wir bei Fjord haben diese Arbeitsweise antizipiert mit dem Ergebnis, dass 90 Prozent der Fjord-Mitarbeiter in unserem Studio in Berlin in ihrer Arbeit einen übergeordneten Sinn und Zweck des Unternehmens sehen. Zudem konnten so 100 Prozent der Zielmargen mit eigenverantwortlicher Etataufstellung und selbstgesteckten Zielen erreicht werden. 

Wie können Organisationen teal werden und was sollten sie im Change-Management-Prozess beachten? 

Teal lässt sich nicht einfach verordnen und es gibt dafür auch keinen Königsweg. Wir kennen drei Archetypen, die sich miteinander kombinieren beziehungsweise entsprechend anpassen lassen: Verbreitung von Werten – von unten nach oben, zweistufiger Übergang – der sichere Raum, Umstrukturierung des Unternehmens – von oben nach unten.

Was heißt das für Führungskräfte?

Wichtig ist, dass die gesamte oberste Führungsebene von der neuen Organisationsform begeistert ist und diese Idee trägt. Um teal zu werden, müssen zunächst Hierarchien aufgebrochen und der bereits im Unternehmen vorhandene Grad an neuer Organisations-DNA gemessen werden. Dazu gehört, alle bisherigen Strukturen, Prozesse und Arbeitsweisen zu überdenken und auf den Prüfstand zu stellen. Unternehmen müssen sich selbst fragen, welche Stärken sie wo im Unternehmen haben und wie man diese fördern kann. Sie müssen sich davon lösen, nach Schwächen zu suchen. Die Unternehmensführung muss neu gedacht werden: weg vom reinen Leiten hin zu Anleiten und Ko-Kreation. 

Was müssen Führungskräfte tun, um die nötige Teal-Kompetenz zu erlangen?

Führungskräfte müssen ihr Ego überwinden und lernen, Kontrolle und Macht abzugeben. Sie sollten sich darauf besinnen, was Führung bedeutet, nämlich Mitarbeiter und Teams erfolgreicher zu machen und nicht zu bevormunden. Um dies in einer Teal-Organisation zu erreichen, müssen Transparenz, Offenheit und Vertrauen im Vordergrund stehen. Führungskräfte sollten Vorbild sein, Authentizität zeigen und positiv denken. Das heißt, Schwierigkeiten oder Problemstellungen immer als Möglichkeit zum Wachsen und Lernen zu sehen und Entscheidungen so treffen, dass sie zu den eigenen Überzeugungen passen und von Nutzen für die Organisation beziehungsweise die Gesellschaft sind. 

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