Der Beitrag untersucht die personelle Konfiguration und hierarchische Struktur des Parteivorstands des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Dabei wird die Zusammensetzung des Vorstands detailliert analysiert, wobei die engen persönlichen und beruflichen Verbindungen der Mitglieder zu den Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali im Fokus stehen. Die Analyse zeigt, dass viele Mitglieder des Vorstands eine gemeinsame politische oder berufliche Vergangenheit mit den Vorsitzenden teilen, was auf eine starke personelle Kontinuität und Loyalität hinweist. Besonders hervorzuheben sind die ehemaligen Abgeordneten und Parteifunktionäre der Linken, die eine zentrale Rolle im BSW einnehmen. Darüber hinaus werden die verschiedenen Gruppen innerhalb des Vorstands, wie funktionslose Parteimitglieder und parteipolitische Quereinsteiger, untersucht. Die hierarchische Struktur des BSW wird als straff und zentralistisch beschrieben, wobei die Parteiführung eine dominante Rolle einnimmt. Die Parteisatzung und die Organisation der Parteitage werden als Instrumente der Machtkonzentration analysiert, die eine starke Zentrierung auf den Parteivorstand ermöglichen. Die Untersuchung der personellen Konstellationen und hierarchischen Strukturen bietet wertvolle Einblicke in die Dynamik und Organisation des BSW und zeigt, wie persönliche Loyalitäten und hierarchische Machtverhältnisse die Parteipolitik prägen. Der Beitrag hebt die Bedeutung der personellen Kontinuität und Loyalität innerhalb des Parteivorstands hervor und analysiert, wie diese Faktoren die politische Ausrichtung und Strategie des BSW beeinflussen. Die detaillierte Untersuchung der personellen Konstellationen und hierarchischen Strukturen bietet eine fundierte Grundlage für die Analyse der politischen Dynamik und Organisation des BSW.
KI-Generiert
Diese Zusammenfassung des Fachinhalts wurde mit Hilfe von KI generiert.
Zusammenfassung
Mit Blick auf den Vorstand des Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine interessante Konstellation festzustellen, wie die führenden Mitglieder ihren Weg zur Partei gefunden haben.
Personelle Konfiguration des ersten Parteivorstands
Mit Blick auf den Vorstand des Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine interessante Konstellation festzustellen, wie die führenden Mitglieder ihren Weg zur Partei gefunden haben.
Anzeige
Der Partei stehen die (I) Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali vor, die mit einer Reihe der Mitglieder ihres Parteivorstands neben ihrer gemeinsamen Gegenwart oftmals auch eine gemeinsame politische oder berufliche Vergangenheit verbindet. Zu nennen sind dabei zunächst die (II) aktuellen und ehemaligen Abgeordneten der Linken. Dazu zählt insbesondere der Duisburger Christian Leye1, welcher die Funktion des BSW-Generalsekretärs bekleidet und zuvor wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag war. Ebenso zu nennen ist in diesem Zusammenhang Żaklin Nastić, die zuvor menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke war, sowie der Abgeordnete Alexander Ulrich. Beide sind als Beisitzer Teil des erweiterten Vorstands. Mit Fabio De Masi, einem ausgewiesenen Finanzexperten, sowie Sabine Zimmermann, wird diese Runde durch zwei ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete komplettiert. De Masi gelang, nachdem dieser seine politische Karriere bereits Jahre zuvor dort begonnen hatte, 2024 mit dem BSW der erneute erfolgreiche Einzug in das Europaparlament, Zimmermann führt nach einem Wahlerfolg die Fraktion des BSW im sächsischen Landtag.
Ein weiterer Kernbestandteil sind die ehemaligen (III) Linken-Parteifunktionäre und Mitwirkenden in Fraktionen und Abgeordnetenbüros. Parteifunktionäre der Partei Die Linke waren, unter anderem, die stellvertretenden BSW-Vorsitzenden Amid Rabieh und Friederike Benda, BSW-Bundesgeschäftsführer Lukas Schön sowie der Beisitzer Alexander Relea-Linder. Während Relea-Linder und Rabieh zwar Linken-Landesvorstandsmitglieder in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen waren, gestalten sich die Verbindungen zur Linken bei Benda und Schön enger. Mit Schön tritt der (zu diesem Zeitpunkt bereits zurückgetretene) Geschäftsführer der Linken NRW zum BSW über, während Benda sogar Mitglied im Linken-Parteivorstand auf nationaler Ebene war. Darüber hinaus war sie in der Vergangenheit Referentin für Menschenrechtspolitik der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Eine Funktion, bei der notwendigerweise ein enger Austausch mit der menschenrechtspolitischen Sprecherin der Fraktion naheliegend ist – der ebenfalls zum BSW übergelaufenen Abgeordneten Żaklin Nastić.
Beide Parteivorsitzenden, Wagenknecht und Mohamed Ali, können darüber hinaus auf tatkräftige Unterstützung von Personen zählen, die zumindest in der Vergangenheit für sie gearbeitet haben. Dazu zählen die Beisitzer Alexander Troll und Stefan Roth2, die im Büro von Wagenknecht als persönliche Referenten tätig waren sowie die Beisitzer Steffen Schumann und Hartmut Liebs, die als Referenten im Abgeordnetenbüro von Amira Mohamed Ali tätig waren. Roth, Schumann und Liebs waren zudem Mitglieder der Partei Die Linke. Zu Alexander Troll haben wir in dieser Frage keine belastbaren Informationen ermitteln können.
Als weitere Gruppe kommen (IV) funktionslose Parteimitglieder von Linken, Grünen und SPD hinzu. Im Fall der Linken betrifft dies die Beisitzer John Lucas Dittrich und Manfred Seel, den Beisitzer Reinhard Kaiser, der über 40 Jahre Mitglied der Grünen war und als „Trittin-Vertrauter“ (Dolif, 2024) beschrieben wird sowie Thomas Geisel, ehemals SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf.
Anzeige
Die letzte Gruppe umfasst (V) parteipolitische Quereinsteiger, die es im BSW – sehr überraschend für die Strukturen des BSW-Machtgefüges – an bereits zentrale Stellen geschafft haben. Dies betrifft zum einen den Publizisten Michael Lüders, der als Beisitzer den Vorstand erweitert. Zum anderen den stellvertretenden Parteivorsitzenden Shervin Haghsheno und den Bundesschatzmeister Ralph Suikat. Haghsheno, Wirtschaftswissenschaftler und Bauingenieur am renommierten Karlsruher Institut für Technologie (KIT), ist als Mitglied der Parteiführung zwar wenig medial präsent, nimmt dabei aber eine wesentliche Rolle beim Aufbau der Parteistrukturen ein. Nicht grundlos wurde er in einem Artikel wie folgt beschrieben: „Haghsheno begreift die Parteigründung als Großbaustelle und sich selbst als Bauleiter. (…) Es klingt, als hätte sich McKinsey überlegt, von nun an Politik zu machen“ (Buchsteiner & Feldenkirchen, 2024). Zweifelsohne übernimmt Haghsheno eine zentrale Rolle des Aufbaus der Parteiorganisation, wie zum Beispiel bei dem Aufbau der Experten- und Expertinnenräte des BSW, bleibt dabei allerdings auch weitestgehend im Hintergrund. Experten- und Expertinnenräte sind im BSW als vorläufige Zusammenkünfte von Personen angelegt, die eine inhaltliche Fachexpertise besitzen, beispielsweise zum Themenbereich Pflege. Die Empfehlungen dieser Räte sollen in das Programm des BSW eingehen.
Eine exponierte Rolle nimmt Bundesschatzmeister Suikat ein, der zwar im Vorfeld noch nicht parteipolitisch aktiv war, allerdings auch nicht politisch inaktiv. Der Unternehmer hat sich in der Vergangenheit für eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung eingesetzt und dabei auch die Initiative ergriffen, entsprechende organisatorische Impulse durch Vernetzung und Aufbau entsprechender Strukturen zu schaffen (Wolf, 2024). So engagiert er sich seit Jahren in einem Verbund („Tax me now“) von wohlhabenden Millionären, die eine höhere Besteuerung von Vermögen einfordern, was auch vor seinem Engagement zu Medienauftritten, etwa in der „phoenix runde“ beigetragen hat. Suikat ist als Schatzmeister des BSW keinesfalls nur für die Verwaltung der Parteifinanzen zuständig, sondern hat sich im Jahr nach Parteigründung auch im Bereich der Akquise eingebracht. Er nimmt im Machtgefüge des BSW aufgrund seiner unternehmerischen Erfahrung und Kompetenzen im Umgang mit Finanzen, die unabdinglich für einen schnellen Organisationsaufbau sind, eine zentrale Rolle ein. Als Katja Wolf, Spitzenkandidatin des BSW bei der Thüringer Landtagswahl 2024, die Verhandlungen über eine Koalition mit CDU und SPD beginnt, attackiert Suikat, zusammen mit der Parlamentarischen Geschäftsführerin der BSW-Gruppe im Bundestag, Jessica Tatti, die handelnden Akteure in einem Gastbeitrag bei t-online außergewöhnlich scharf. Unterschwellig unterstellt wird Wolf in diesem Gastbeitrag, man entferne sich zu weit von den Grundsätzen des BSW, den handelnden Akteuren ginge es womöglich nur um die Sicherung von Ministerialposten und breche damit Vereinbarungen, die nur das Beste für die Menschen in Thüringen im Sinne hätten (Tatti & Suikat, 2024). Entsprechend kann Suikat als nicht nur als vergleichsweise politisch sichtbar auftretender Schatzmeister einer deutschen Partei betrachtet werden. Vielmehr handelt es sich um einen der zentralen Akteure innerhalb des BSW.
Zumindest mit Blick auf die Konstellation dieses personellen Machtgefüges im BSW-Parteivorstand ist zweifelsohne festzuhalten, dass dieser aus langfristigen und persönlichen Verbindungen zu Sahra Wagenknecht und ihrem direkten Umfeld konstituiert wird. Dazu gehört nicht nur, aber vor allem auch ihre Co-Vorsitzende: Amira Mohamed Ali.
Die Vorsitzenden: Amira Mohamed Ali und Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht, geboren 1969 in Jena, ist eine der prägnantesten Figuren der deutschen Politik, deren Wirkung weit über ideologische Lager hinausreicht. Ihre politische Prägung beginnt in der DDR, wo sie im Frühsommer 1989 der SED beitritt. Dass diese ihr erst Jahre zuvor das Studium untersagt, sie entsprechend nicht als hinreichend politisch zuverlässig im Verständnis der Partei eingeordnet wird, stellt im Kontext ihres Verhaltens einen der großen politischen Widersprüche im Leben der Politikerin dar. In Biografien und Leitartikeln wird ihre Entscheidung insbesondere mit einer grundlegenden Trotzhaltung begründet, aus der heraus Wagenknecht nicht gewillt war anzuerkennen, dass die DDR als staatliches Konstrukt unreformierbar war (Schneider, 2019). Wagenknecht selbst begründet die Entscheidung wie folgt:
„Weil ich es abstoßend fand, wie Leute, die mir in der DDR noch die Vorzüge der Honecker-Politik gepredigt hatten, sich plötzlich um 180 Grad drehten, habe ich nach der Wende Dinge gerechtfertigt, die ich vorher noch vehement kritisiert hatte. Ich durfte in der DDR nicht studieren und war natürlich nicht begeistert, dass die Mauer mich daran hinderte, jemals Städte wie Paris oder Rom zu sehen. Allerdings hatte ich damals die Hoffnung, dass die DDR von innen heraus reformiert werden kann. Das war mein Ziel, nicht der Anschluss an die Bundesrepublik. Diesen Anschluss haben viele Ostdeutsche als Entwertung ihrer bisherigen Biografie erlebt, weil ihnen vermittelt wurde, dass es im Osten schlicht nichts Erhaltenswertes gab“ (Süddeutsche Zeitung, 2019).
Zweifelsohne darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Wagenknecht nicht ideell durchaus als Marxistin verstand, grundlegende Werte des klassischen Marxismus allerdings in der realen Praxis nicht länger umgesetzt sah (Schneider, 2019).
1991 wird Wagenknecht in den Parteivorstand der SED-Nachfolgepartei, der PDS, gewählt und gerät früh in Konflikte mit der Parteiführung um den damaligen Vorsitzenden Gregor Gysi, der über Jahrzehnte ein Widersacher Wagenknechts bleiben wird. Insbesondere ihr Artikel „Marxismus und Opportunismus – Kämpfe in der sozialistischen Bewegung gestern und heute“ wird schon 1992 zu einer zunehmenden Isolation Wagenknechts beitragen. Während sich die PDS zu diesem Zeitpunkt bewusst vom Stalinismus als Ideologie abwendet (Neu, 2004), schreibt Wagenknecht:
„Und was immer man – berechtigt oder unberechtigt – gegen die Stalin-Zeit vorbringen mag, ihre Ergebnisse waren jedenfalls nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraums“ (Wagenknecht, 1992).
Der Eklat ist vorprogrammiert und wird Wagenknecht bald den Ruf einer „wortgewandte[n], zugespitzten Diskutantin“ (Jesse & Lang, 2012, S. 361) einbringen. Sie avanciert alsbald zu einer Person in der deutschen Politik, die Bewunderung und Skepsis gleichermaßen erfährt. 1995 wird sie von Gysi aus dem Parteivorstand gedrängt, der sie aufgrund ihrer nicht mit der PDS zu vereinbarenden Positionen für untragbar hält – erst im Jahr 2000 gelingt die Rückkehr (t-online, 2024). Dem Vorstand der PDS wird Wagenknecht, bis zum Zusammenschluss mit der WASG, den Wagenknecht ablehnt, bis 2007 angehören. Von 2007 bis 2014 ist sie Teil des Linke-Parteivorstands, zuletzt von 2010 bis 2014 sogar stellvertretende Vorsitzende. Im Oktober 2015 wird Sahra Wagenknecht, nachdem sie bereits vier Jahre stellvertretende Fraktionsvorsitzende war, zur Vorsitzenden der Fraktion ihrer Partei im Deutschen Bundestag gewählt – ein Amt, welches sie bis zu massiven Zerwürfnissen im Jahr 2019 innehaben wird (Deutscher Bundestag, 2025).
Wagenknecht, die zwischen 1991 und 2010 rund zwei Jahrzehnte prägende Figur in der vom Verfassungsschutz als linksextrem eingeschätzten Kommunistischen Plattform war, einer marxistisch orientierten Strömung innerhalb der PDS und später der Linkspartei, hat sich seit 1990 ideologisch zwar neu ausgerichtet, ohne aber grundlegende Pfeiler der sozialistischen Ideologie aufzugeben. Wagenknecht selbst beschreibt etwa ihre wirtschaftspolitischen Ideale als „kreativen Sozialismus“, der sich dadurch auszeichne, Unternehmertum und Fleiß zu unterstützen und nicht wie im Kapitalismus, so Wagenknecht, ökonomische Macht zu zentrieren und den Mittelstand zu behindern. Wagenknecht meint etwa, es gebe „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft“ (Wagenknecht, 2012, S. 383). Wagenknechts Bücher und ihre dargelegten Idealvorstellungen finden Anklang – bis in die eher liberal-konservativen Redaktionen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und des Handelsblatts (Schneider, 2019).
Als Abgeordnete im Europäischen Parlament (2004–2009) und später im Bundestag (ab 2009) wurde sie eine der profiliertesten Stimmen für soziale Gerechtigkeit, Kapitalismuskritik und eine restriktive Haltung gegenüber neoliberalen Wirtschaftsreformen. Die Gründung der „Antikapitalistischen Linken“ innerhalb der Linkspartei festigt ihren Ruf als Vordenkerin eines radikalen Linkskurses. Gleichzeitig hat sich Wagenknecht spätestens seit der Aufnahme syrischer Flüchtlinge im Jahr 2015 sukzessive zu einer Kritikerin der Merkel’schen Migrations- und Integrationspolitik entwickelt. In ihrem Buch „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“, welches 2021 erstmals erscheint und zu einem Bestseller wird, schreibt sie „dass bettelarme Länder die teure Ausbildung für Spezialisten finanzieren, deren erworbene Qualifikationen dann reichen Ländern zugutekommen, ist Neokolonialismus pur und passt nicht so wirklich in das schöne Bild von Hilfe, Solidarität und gegenseitigem Vorteil“ (Wagenknecht, 2022, S. 182). Ihr Buch wird als Abrechnung mit ihrer Partei und weiten Teilen ihrer Parteiführung verstanden. Den von 2012 bis 2021 amtierenden Linken-Parteivorsitzenden Bernd Riexinger beschreibt Wagenknecht hierbei etwa als „Vorsitzende[n] einer deutschen linken Partei, dessen Name heute zu Recht vergessen ist“ (Wagenknecht, 2022, S. 57).
Wagenknecht ist eine der am häufigsten in den deutschen Medien sichtbaren Politikerinnen, wobei ihre Sichtbarkeit insbesondere in Krisenzeiten und während politischer Kontroversen signifikant zunimmt. Durch ihre häufigen Medienauftritte wird offenkundig vielen Menschen das Gefühl vermittelt, eine klare und prägnante Vorstellung über die Person Sahra Wagenknecht zu erhalten. Wagenknecht selbst ist sich ihrer Fähigkeit, durch mediale Auftritte auch Diskurse mitzubestimmen, durchaus bewusst. Öffentliche Aufmerksamkeit lenken und in Teilen kalkuliert kontrollieren zu können, machen sie neben ihrer politischen Sichtbarkeit zu einem allgemeinen Medienphänomen. Die Rückmeldung auf Wagenknechts mediale Auftritte ist ambivalent: Während ein Teil des Publikums sie für ihre klaren und eloquent vorgetragenen Argumente lobt, stößt sie bei anderen auf deutliche Ablehnung, insbesondere wegen ihrer häufig als populistisch wahrgenommenen Positionen (Thomeczek, 2024b).
Trotz alledem zeichnet sich ein klares Bild in Abb. 4.1 ab. Die grafische Darstellung verdeutlicht, dass Sahra Wagenknecht bis 2021 überwiegend innerhalb des Wählerspektrums der Linken, ihrer eigenen Partei, hohe Zustimmungswerte genießt. Ab 2021 jedoch zeigt sich ein bemerkenswerter Wandel: Ihre größte Zustimmung verlagert sich zunehmend auf Wählerinnen und Wähler der AfD, was auf eine Verschiebung ihrer politischen Resonanz hin zu einem eher populistisch-konservativen Publikum hindeutet. 2021 sieht man deutlich, dass die Gruppe der AfD-Wählerinnen und -Wähler im Durchschnitt Wagenknecht deutlich positiver wahrnimmt als noch zwei Jahre zuvor. Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis, dass die Einstellung zu Wagenknecht – wohl auch aufgrund ihres Abschieds von der Spitze der Linken-Fraktion im Bundestag – in den Daten des Politbarometers, auf welchem diese Darstellung beruht, für 2020 nicht erfasst wurde.
Abb. 4.1
Bewertung von Sahra Wagenknecht nach Wahlintention von 2017–2023.
(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Politbarometerdaten zu den Jahren 2017, 2018, 2019, 2021, 2022 und 2023 (Forschungsgruppe Wahlen, 2018, 2019, 2020, 2023, 2024, 2025). Gefragt wurden die Teilnehmer der Erhebung in den Jahren 2017 bis 2019 sowie 2021 bis 2023, wie sie Sahra Wagenknecht auf einer Skala von + 5 bis -5 bewerten)
Ein Beispiel für Wagenknechts erste Annäherungsversuche an ein konservatives Lager wird zu dieser Zeit mit der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ (2018) deutlich, welche durch die Gelbwestenbewegung in Frankreich und die Momentum-Kampagne in Großbritannien inspiriert ist. Diese richtet sich gegen den aus Wagenknechts Sicht zu pragmatischen Kurs der Linkspartei. Wagenknecht unternimmt den Versuch, enttäuschte Wähler aus verschiedenen politischen Lagern zu vereinen, was als Idee die Grundlage für ihre spätere Parteigründung legt. Jedoch zeigt Abb. 4.1, dass diese Orientierung erst ab 2021 innerhalb des AfD-Lagers auf Resonanz stößt. Wagenknechts Ehemann, der ehemalige SPD-Vorsitzende und ehemalige Linkspartei-Vorsitzende Oskar Lafontaine, spielte eine Schlüsselrolle in ihrer politischen Entwicklung und war an der Gründung von „Aufstehen“ beteiligt. Auch spätere BSW-Mitstreiter und -Mitstreiterinnen, wie Sevim Dağdelen und Fabio De Masi, waren bereits bei der Sammlungsbewegung aktiv (Spiegel, 2018).
Die enge politische Zusammenarbeit zwischen Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali (geboren, 1980 in Hamburg) spielt über Jahre hinweg eine zentrale Rolle in der parteiinternen Dynamik und trägt maßgeblich zur Gründung des BSW bei. Bereits vor der formellen Parteigründung verbindet die beiden eine strategische und inhaltliche Allianz, die sich insbesondere in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen manifestiert. Mohamed Ali, studierte Juristin und seit 2015 Bundestagsabgeordnete, wird 2019 auf Vorschlag Wagenknechts zur Fraktionsvorsitzenden der Linken gewählt. In dieser Funktion vertritt sie bereits viele Positionen, die auch Wagenknechts politische Linie prägen – insbesondere ein starkes Engagement für soziale Gerechtigkeit, eine kritische Haltung gegenüber der Europäischen Union sowie Forderungen nach einer restriktiveren Migrationspolitik. Mohamed Ali unterstützt Wagenknecht zuvor in ihrer Kritik an der aus ihrer Sicht fehlenden Fokussierung der Partei Die Linke auf die sozialen Nöte der klassischen Linken-Klientel. Diese Allianz dient Wagenknecht lange als Basis, um ihren Einfluss in der Linken zu sichern. Trotz wachsender innerparteilicher Isolation. Die inhaltlichen Schnittmengen führen letztlich dazu, dass Mohamed Ali eine Schlüsselrolle bei der Gründung des BSW übernimmt.
Parteiorganisationsaufbau
Klassischerweise unterscheidet die Parteienforschung in die analytische Betrachtung von den sogenannten drei Gesichtern der Parteiorganisation: die Parteibasis (Party on the Ground), die Parteiführung (Party in Central Office) sowie Parteimitglieder in öffentlichen Ämtern und Mandaten (Party in Public Office) (Katz & Mair, 1993; Jun, 2013). Da es sich beim BSW um eine Ausgründung aus dem Deutschen Bundestag heraus handelt, ist nicht verwunderlich, dass zumindest bei Parteiführung und der Besetzung öffentlicher Mandate durch Mitglieder dieser Parteiführung erhebliche Überschneidungen festzustellen sind. Allerdings ist der Anteil der Mitglieder, die in Parteiführung oder öffentlichen Ämtern sind, ein Jahr nach der Parteigründung exorbitant hoch, da sich die Partei selbst einem kontrollierten Wachstum verschrieben hat, also dem langsamen Anwuchs durch sorgsam ausgewählte Parteimitglieder. Eine erste juristische Einordnung durch die Parteienrechtlerin Sophie Schönberger beschreibt das Organisationsprinzip entsprechend „als autoritäres Projekt“, dessen Aufbau einer „Gründung von oben nach unten“ (Schönberger, 2024) entspricht. Das betrifft insbesondere die Organisation in Gebietsverbänden, die gemäß einer föderalen Ordnung, wie jener in Deutschland, notwendigerweise gegeben sein müssen. Nahezu alle Entscheidungen, die das BSW betreffen, werden in durch die Parteiführung um Wagenknecht selbst beschlossen, was in Teilen an das Organisations- und Leitungsprinzip der SED, den Demokratischen Zentralismus, erinnert (Gaschke, 2024). So urteilt Schönberger, dass „die eigenständigen Kompetenzen und Befugnisse der BSW-Untergliederungen aber derart gering [seien], dass sehr vieles dafür spricht, sie schon strukturell gar nicht als Gebietsverbände im rechtlichen Sinne zu qualifizieren. Schon ihrer ganzen Veranlagung in der Satzung nach verstößt die Binnenorganisation des BSW damit gegen die Regeln des Parteienrechts“ (Schönberger, 2024, S. 15).
Mitglieder und Delegiertenparteitage – der Delegiertenschlüssel und innerparteiliche Willensbildung
Zentrale Elemente zur Interessendurchsetzung in Parteiorganisationen sind Parteitage. Diese dienen als Zusammenkunft der Parteigliederungen, um in regelmäßigen Vorstandswahlen über die Parteiführung zu befinden und gleichzeitig die programmatische Ausrichtung der Partei zu bestimmen. Eine der weitreichendsten Einschränkungen innerparteilicher Willensbildung ist jene, dass die Parteisatzung in § 10, Absatz 4, festhält, dass ausschließlich der Parteivorstand selbst befugt ist, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob Parteitage als allgemeine Mitgliederparteitage stattfinden, bei denen alle Mitglieder stimmberechtigt sind, oder im herkömmlichen Modell eines Delegiertenparteitags, bei dem unterschiedliche Parteigliederungen ihre Delegierten entsenden können. Mitgliederparteitage ohne formalisierte Entsendung von Delegierten haben zwar bereits in der Piratenpartei eine Anwendung gefunden. Allerdings sind diese sehr spezifisch auf die dauerhafte Absicherung von Mehrheitsfindung durch die Parteibasis ausgelegt, die eine Machtkonzentration durch die Parteiführung verhindern soll (Bieber & Lewitzki, 2012). Beim BSW wiederum entscheidet die Parteiführung qua Satzung, in welchem Ausmaß eine Mitbestimmung durch die Mitglieder zulässig ist und in welcher Form. Dieses Instrument allein ist schon in der Lage, wenn der Eindruck aufseiten der Parteiführung entsteht, ein Parteitag würde Entscheidungen gegen den Mehrheitswillen des Vorstands treffen können, die Mehrheitsfindungen auf Parteitagen maßgeblich zugunsten des Parteivorstands zu drehen. So ist durchaus anzunehmen, dass die Gesamtheit aller Mitglieder, die Teil einer Partei sind, die nach ihrer Gründungs(co-)vorsitzenden Sahra Wagenknecht benannt wurde, im Zweifel den Empfehlungen Wagenknechts folgen und weniger den Logiken formalisierter Willensbildung innerhalb der Partei. Der Mitgliederparteitag ist entsprechend – anders als im Fall der Piratenpartei – weniger als Instrument der Unterminierung der Machtkonzentration, sondern vielmehr als Stärkung der Zentrierung auf den Parteivorstand einzuordnen. Dies zeigt sich etwa auch daran, dass die Satzung ein Antragsrecht für Parteitage nur für den Parteivorstand, die Landesvorstände, Vorstände nachgeordneter Gebietsverbände und die Summe von 100 Mitgliedern vorsieht, wenngleich dieses Antragsrecht der Letztgenannten auf Sachfragen beschränkt ist (§ 10, Absatz 10).
Trifft der Parteivorstand allerdings die Entscheidung, einen Delegiertenparteitag abzuhalten, hat das BSW ebenso einen neuen Weg eingeschlagen, wie über die Zahl der Delegierten nach Gebietskörperschaften – gemeint sind hiermit die Landesverbände – entschieden wird. Der Delegiertenschlüssel setzt sich einerseits durch das Verhältnis der Mitglieder eines Landesverbandes in Relation zur Gesamtmitgliederzahl sowie andererseits durch das Wahlergebnis eines Landesverbandes bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag in Relation zum Gesamtwahlergebnis der Partei fest (vgl. Abb. 4.2).
Abb. 4.2
Der Delegiertenschlüssel
Bei genauerer Betrachtung werden dadurch in Mitgliedergewinnung sowie Akquise von Wählerinnen und Wählern erfolgreiche Landesverbände zunächst belohnt. Wenn allerdings, wie von Schönberger (2024) festgestellt, die Mitgliederaufnahme weiterhin ein dem Parteivorstand vorbehaltenes Recht bleibt, ermöglicht dies gleichzeitig, die Aufnahme von Parteimitgliedern auch an taktische Entscheidungen zur Stärkung oder Schwächung – zumindest in der Theorie – von Landesverbänden zu koppeln. Der mit dem Thüringer Landesverband schwelende Konflikt um die Entscheidung der dortigen Spitzenpolitikerin Wolf, eine Koalition mit CDU und SPD eingehen zu wollen, wird etwa dadurch verschärft, dass der Parteivorstand, ohne Einbindung des Landesvorstands, neue Mitglieder in die Partei aufnimmt. Dies führt zu Mutmaßungen, „dass mit den neuen Mitgliedern auch Mehrheiten zu Abstimmungen über eine mögliche Regierungsbeteiligung beeinflusst werden sollen“ (Grothe, 2024).
Überführt man die Satzung des BSW in ein Organigramm, wird die sehr klare Zentrierung auf die Parteivorstände eindrücklich sichtbar. Zwar haben übergeordnete Parteivorstände kein automatisches Stimmrecht bei nachgeordneten Gebietsverbänden. Allerdings liegt es in ihrer Macht, das Rede- und Antragsrecht auf Parteitagen auszuüben und damit direkten Einfluss auf die dortige Willensbildung vorzunehmen. Gleichzeitig sind Vorstände jeweiliger Gebietskörperschaften automatisch Delegierte auf ihnen zugeordneten Parteitagen. Ob es sich hierbei um eine additive Ergänzung zur Gesamtzahl aller Delegierten handelt oder ob diese mit den Gesamtdelegiertenzahl verrechnet werden, die einem Landesverband zu stehen, wird nicht näher ausgeführt. Dass damit allerdings die Position gewählter Vorstände deutlich gestärkt wird, steht gleichwohl außer Frage (vgl. Abb. 4.3).
Abb. 4.3
Parteiorganisation und Delegiertenparteitage.
(Quelle: Eigene Darstellung)
Mit dem Mechanismus, dass Vorstandsvorsitzende automatisch qua Amt zu Delegierten auf übergeordneten Parteitagen werden, wird die Zentrierung auf bereits gebildete Machtstrukturen zusätzlich verfestigt.
Zusammenfassend ist das BSW eine qua Satzung und nach erster juristischer Einordnung (Schönberger, 2024) straff hierarchisch organisierte Partei, bei der eine sehr klare Verschmelzung von Kompetenzen auf Vorstandsebene mit dem öffentlichen Erscheinungsbild der Partei explizit gewollt ist. Damit sind zwar Kernaufgaben von Parteien wie Regierungsbildung und Oppositionsarbeit, die Artikulation, Aggregation und Repräsentation politischer Interessen sowie die Entwicklung von politischen Inhalten möglich. Weitere Teilbereiche wie die Sozialisation von Mitgliedern, Rekrutierung von politischem Personal und Integration in demokratische Willensbildung (Jun, 2013) nur beschränkt möglich. Damit hat das BSW zunächst den Weg einer stark personalisierten und führungszentrierten Kaderpartei eingeschlagen.
Open Access Dieses Kapitel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Kapitel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Zwar haben wir BSW-Generalsekretär Leye primär durch sein derzeitiges Abgeordnetenmandat in die Reihe der ehemaligen Linken-Mandatsträger eingeordnet, der Vollständigkeit wegen sei aber darauf hingewiesen, dass er vor der Bundestagswahl 2021 sieben Jahre das Wahlkreisbüro von Sahra Wagenknecht in Düsseldorf leitete (Maurer, 2025).