Die Corona-Krise verstärkt die Rufe nach mehr sozialer Verantwortung und Nachhaltigkeit der Unternehmen. Human-Resources-Abteilungen können darauf hinwirken und sich profilieren.
Wenn Personalabteilungen in Krisenzeiten Entlassungen umsetzen müssen, ist das bitter. Im Idealfall sind sie aber nicht nur ausführende Kraft, sondern bringen ihre Expertise auch in strategische Unternehmensfragen ein.
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Für viele Unternehmen bedeutet die Corona-Pandemie eine enorme Herausforderung in den verschiedensten Bereichen. Angesichts von Entlassungen und Kurzarbeit ist vor allem der Human-Resources-Bereich (HR) gefordert. Zunächst einmal, weil hier die klassischen – oft problematischen – Aufgaben rund ums Personal angesiedelt sind. Darüber hinaus aber auch, weil die Krise die HR-Funktion endgültig an einen Scheideweg befördert, wie die "Human Capital Trends 2020“-Studie von Deloitte feststellt: In solch unsicheren Zeiten werde der Personalbereich entweder erheblich an Bedeutung gewinnen oder seinen Einfluss vollends verlieren.
Damit spitzt sich die laut Springer-Autor Boris Kaehler bereits länger anhaltende Diskussion um "die Rolle der Personalfunktion" in Unternehmen aktuell noch einmal zu. Im Zentrum steht die Frage, ob ein "strategisches Personalmanagement als Verbindung" zwischen der Unternehmensstrategie und dem Personalmanagement dienen kann.
Das Unternehmen zur sozialen Organisation formen
Ein von den Deloitte-Experten herausgestellter HR-Trend, der dabei eine wichtige Rolle spielen könnte, ist das Konzept von "Unternehmen als sozialen Organisationen". Diese streben nicht nur nach Gewinnmaximierung, sondern fühlen sich auch ihren Mitarbeitenden und der Gesellschaft verpflichtet.
Wie die Deloitte-Studie, an der weltweit fast 9.000 Führungskräfte aus operativen und HR-Bereichen teilnahmen (in Deutschland: 862), zeigt, setzt sich der "Purpose"-Gedanke in Unternehmen offenbar immer mehr durch. Immerhin gaben 50 Prozent der Befragten an, ihre Organisation habe den Purpose auf alle Stakeholder und nicht nur auf die Shareholder ausgerichtet.
Menschen und Technologie zusammenführen
Unternehmen, die sich als soziale Organisationen verstehen, sehen sich nun mit der Aufgabe konfrontiert, menschliche mit technologischen Aspekten der Arbeit zusammenzuführen. Gleichzeitig müssen sie der Studie zufolge vermeintlich widersprüchliche Ziele verfolgen:
- Zugehörigkeitsgefühl steigern trotz verbreitetem Bedürfnis nach Individualität
- Sicherheit schaffen in einer sich neu erfindenden Welt
- Mutig handeln in Zeiten der Ungewissheit
Die Studienautoren ordnen diesen Zielen die Attribute Purpose, Potenzial und Perspektive zu, die in das gesamte Unternehmen zu integrieren seien.
Exponentielle HR bislang nur eine Vision
Um dies zu bewältigen, halten die Deloitte-Experten ein neues Personalwesen für nötig, eine sogenannte "exponentielle HR-Funktion". Diese müsse die neue Sicht auf die Arbeitserbringung und den Wandel zur sozialen Organisation steuern und in konkrete Initiativen und Strategien überführen. Untermauert wird diese Einschätzung durch die Aussage von 75 Prozent der Studienteilnehmenden, die eine radikale Weiterentwicklung der HR als Voraussetzung für ihren künftigen Erfolg sehen. Jedoch glauben gerade mal elf Prozent an das Potenzial für eine solche Entwicklung des Personalmanagements. "So können die HR-Abteilungen die Verantwortung, die auf die Unternehmen zukommt, aktuell nur schwer wahrnehmen“, erklärt dazu Maren Hauptmann, Partnerin und Leiterin Human Capital bei Deloitte.
Deloitte | Global Human Capital Trendstudie, 2020
Personalwesen hat viele Felder zu beackern
Dabei sind die Themen, mit denen Personalverantwortliche ihre Rolle stärken könnten, wenn sie erfolgreich agieren, breit gefächert: Sie reichen vom Aufbau von Führungskompetenzen über Teambuilding, Weiterbildung und Förderung von Agilität bis zur Integration von Automatisierungstechnologie. Die Befragten der Studie sehen allerdings insbesondere in punkto Führung und Teambuilding große Defizite bei den gegenwärtigen HR-Strukturen.
Doch wo muss angesetzt werden, damit Human-Resources-Abteilungen für die aktuellen und künftigen Aufgaben optimal gerüstet sind und sich im Unternehmen selbstbewusst positionieren können?
Bloß keine Scheu vor dem eigentlichen Geschäft
Für Springer-Autor Boris Kaehler ist grundsätzlich die Ausrichtung der Personalabteilung auf den Unternehmenszweck und die Konzentration auf klar definierte Beiträge unabdingbar. Um inhaltliche Beiträge leisten zu können, sei es für HR-Verantwortliche wichtig, sich auch firmenintern mikropolitisch zu betätigen. (Seite 310/311)
Damit der Human-Resources-Bereich seiner Rolle im Führungsgeschehen gerecht werden kann, benötigt er Kaehler zufolge vier Ressourcen: Richtungs- bzw. Lageinformationen, Führungsfeedback, Arbeitszeit und Führungskompetenz. Gerade hinsichtlich letzterem sieht auch er Handlungsbedarf.
Personalmitarbeiter müssen die Scheu vor dem eigentlichen Geschäft verlieren und auf Tuchfühlung mit den Geschäftsprozessen ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche – Vertrieb, Produktion, Verwaltung – gehen. Wer weder Interesse an der Arbeit der Mitarbeiter noch detaillierte Kenntnis davon hat, kann deren Arbeitsleistung nie und nimmer wirksam fördern." Boris Kaehler, Seite 305
Aufgabe des Organisierens wird unterschätzt
Darüber hinaus hält der Springer-Autor das Organisieren für eine massiv unterschätzte Personalführungsaufgabe, bei der an den Strukturen angesetzt werden müsse – erst recht, wenn Organisationsmängel und dysfunktionale Strukturen optimale Leistung verhindern. "Die Akteure der Personalführung, allen voran die Personalspezialisten, müssen daher das Organisieren als vorrangiges Handlungsfeld entdecken", schreibt er auf Seite 290. Alles in allem benötige HR gewisse Richtlinienkompetenzen, Budgetverantwortung, Vetorechte für bestimmte Prozesse, Selbstvertretungsrechte und Prozesseigenschaften, um gute Führung zu gewährleisten. Zudem sollten die Befugnisse im Rahmen eines ganzheitlichen Führungsmodells festgeschrieben werden.
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