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17.07.2019 | Personalmanagement | Interview | Online-Artikel

"22 Prozent des Fachkräftemangels könnten wir mit Älteren lösen"

verfasst von: Andrea Amerland

3:30 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Klaudia Bachinger

ist Gründerin und CEO von WisR, einer Online-Jobvermittlungsplattform für ältere Menschen.

Mit älteren Arbeitnehmern allein lässt sich das Fachkräfteproblem nicht lösen, allerdings etwas mildern. Warum Organisationen noch auf Senior Talents setzen sollten, erläutert Klaudia Bachinger, Gründerin einer Jobvermittlungs-Plattform für Senioren, im Interview.

Springer Professional: Trotz Fachkräftemangel zeigen viele Unternehmen älteren Arbeitnehmern die kalte Schulter. Woran liegt das Ihrer Erfahrung nach?

Klaudia Bachinger: Wir haben in unserer Gesellschaft ein massives Problem mit Altersbildern. Alle glauben, dass Rentner gebrechlich und unfähig sind, technische Geräte zu bedienen. Diese Vorurteile existieren, weil es unter anderem ein Problem in der Selbstwahrnehmung vieler Führungskräfte gibt. Sie sind selbst weit über 50 und denken, dass sie mit ihren Fähigkeiten, ihrer geistigen und körperlichen Fitness und dem Interesse an neuen Technologien eine Ausnahme sind. 

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Der ältere Arbeitnehmer

Der Alterungsprozess wirkt sich differenziert auf die Leistungsfähigkeit und Lernfähigkeit aus. Es muss weniger von Defiziten aus gedacht, sondern stärker mit einem Kompensationsmodell gearbeitet werden.


Und dann gibt es den umgekehrten Fall: Viele Recruiter kommen direkt von der Uni, haben weniger Lebenserfahrung und schätzen Menschen über 50 komplett falsch ein, weil sie kaum oder nur wenig professionellen Kontakt zu anderen Generationen haben. Wenn es überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch kommt, wissen viele junge Personaler oder auch Abteilungsleiter nicht, wie sie eine erfahrene Person interviewen, geschweige denn im Arbeitsalltag führen sollen. Laut einer dänischen Studie sprechen nur drei Prozent der Millennials mit Menschen über 55 außerhalb ihrer Familie – und umgekehrt. Kein Wunder also, dass es hier auf beiden Seiten verfestigte Vorurteile gibt. 

Welche Vorteile bieten ältere Arbeitnehmer. Warum sollten Unternehmen auf sie setzen?

Das Potenzial ist groß. Wir haben in jeder Lebensphase Fähigkeiten, die sich besonders entwickeln. Während wir in unserer Jugend eine gewisse Naivität und Mut zum Ausprobieren haben, werden wir mit zunehmendem Alter weiser, erkennen Muster schneller und sind effizienter. Auch Fähigkeiten wie emotionale Intelligenz, Kundenorientierung, Verhandlungsgeschick, Urteilsvermögen und kritisches Denken nehmen mit dem Alter zu. Diese Fähigkeiten sind in der Entwicklung von neuen Technologien, Geschäftsmodellen und dem Umgang mit Daten wichtig und gewissermaßen unser Alleinstellungsmerkmal  in Abgrenzung zu Maschinen. Aber auch im Verkauf, Kundenservice, Qualitätssicherung, Prozessoptimierung und natürlich der Ausbildung von jungen Arbeitskräften sind die Fähigkeiten erfahrener Mitarbeiter sehr wertvoll. Die fachliche Expertise sei hier noch nicht einmal angesprochen. Das kommt je nach Profession noch on top. 

Was unterscheidet Arbeitnehmer 55plus in der Vermittlung von anderen Arbeitnehmern. Welche Anforderungen haben sie an Arbeitgeber?

Die Wünsche und Bedürfnisse unserer Senior Talents unterscheiden sich eigentlich nur wenig von denen der Millennials. Sie wünschen sich Flexibilität, Wertschätzung, die Möglichkeit zur Weiterbildung und Selbstverwirklichung. Auch die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit und die Nachhaltigkeit einer Firma ist ihnen wichtig. Wir haben gemerkt, dass die Seniors wählerisch sind und sich nur bei Firmen bewerben, die eine gute Arbeitgebermarke haben und wertschätzend mit Mitarbeitern umgehen. Die größten Erfolge und Zufriedenheit auf beiden Seiten sehen wir bei Projektarbeit. Firmen freuen sich über flexible und erfahrene Mitarbeiter, die älteren Menschen über die Kombination aus Flexibilität, sinnvollem Einsatz ihrer Fähigkeiten und finanziellem Zuverdienst.

Was motiviert Rentner weiterzuarbeiten? Geht es darum, finanzielle Versorgungslücken zu schließen?

Die Menschen auf unserer Plattform wünschen sich in erster Linie soziale Kontakte, Wertschätzung für ihre Erfahrung und die Möglichkeit, geistig wie körperlich aktiv zu bleiben. Das Monetäre steht tatsächlich in allen Umfragen erst an vierter Stelle. Wenn wir uns allerdings Länder ansehen, wo die sogenannten Babyboomer größtenteils bereits in Rente sind wie etwa in den USA, Kanada oder Japan, können wir davon ausgehen, dass der Zuverdienst auch in Deutschland immer wichtiger werden wird. Bereits 2020 fehlen jedem zweiten Rentner in Deutschland 700 Euro pro Monat, um den Lebensstandard zu halten. 

Inwieweit können Rentner oder ältere Arbeitnehmer überhaupt das Fachkräfteproblem in Unternehmen mildern? Schließlich sind digitale Kompetenzen heutzutage unabdingbar ...

Klar, digitale Kompetenzen sind heute unverzichtbar und die Arbeitnehmer 55plus werden nicht das gesamte Problem lösen. Geschätzt sind es 22 Prozent des Fachkräftemangels, die wir mit dem Potenzial der Älteren abfedern könnten. Tatsächlich geht es aber nicht nur um Fachkräfte. Viele Betriebe finden schon gar keine Bewerber mehr – auch für Aushilfstätigkeiten, im Verkauf, im Kundenservice und im Logistikbereich. Wir haben derzeit auch viele Anfragen im administrativen, Finanz- oder handwerklichen Bereich.

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