Im Interview erklärt die Informatikerin Edna Kropp, warum die IT-Branche nicht unbedingt eine Männerdomäne sein muss, welche Rolle Künstliche Intelligenz dabei spielt und welche Weichen gestellt werden müssen, um Frauen den Einstieg in den IT-Bereich zu erleichtern.
Edna Kropp ist Product Managerin bei Vier GmbH.
VIER GmbH
springerprofessional.de: Frau Kropp, welche Rahmenbedingungen benötigen Frauen für mehr Erfolg im IT-Bereich?
Edna Kropp: Unbedingt wichtig, um Frauen in der IT zu unterstützen, sind entsprechende Vorbilder und das Mentoring. Beim Mentoring gibt es schon einiges. Aber es fehlt an weiblichen Vorbildern, besonders in Führungspositionen und beim Sponsoring, um durch passendes Management Frauen aktiv auf ihrem Karriereweg zu fördern. Aber es geht um viel mehr und viel Grundsätzlicheres: Um gesellschaftliche Hürden und Vorurteile, die vom Umfeld der Frauen geprägt sind, etwa die Frage, wie sie Beruf und Care-Arbeit in Einklang bringen. Aber hey, auch die Männer haben Kinder. Kinderbetreuung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Kinder bilden die Mitte zwischen Vätern und Müttern und daher brauchen wir einen gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr partnerschaftlichen Modellen, in denen die Väter ganz selbstverständlich ihre Kinder betreuen. Das sollte auch Teil einer modernen Unternehmenskultur sein, in der es normal ist, dass Väter in Elternzeit gehen und Frauen ebenso karriere- oder berufsorientiert sein dürfen wie Männer.
Welche IT-Bereiche sind besonders interessant für Frauen und werden von ihnen bevorzugt fokussiert?
Ganz grundsätzlich ist kein IT-Bereich für Frauen interessanter als andere Bereiche oder für Frauen zugänglicher oder geeigneter. Frauen sind ebenso technikbegeistert wie Männer und können auch alles. Es geht vielmehr darum, dass gesellschaftlich bestimmte Interessen mehr für Frauen geprägt sind als andere. Das gilt für alle Berufe und so finden wir Frauen in der IT vor allem in Bereichen wie "Medizintechnik", "Design", "Gesundheit" und "Psychologie". Hier scheint der Einstieg für Frauen einfacher, es gibt mutmaßlich weniger Widerstand und es wird Frauen unterschwellig nahegelegt, dass dies die für sie besser geeignete Bereiche sind und ihrer Komfortzone entsprechen. Das ist also eine künstliche, gesellschaftlich begründete Einschränkung, die Frauen davon abhält, andere Aufgaben in der IT in Betracht zu ziehen. Hier spielt auch wieder das Thema "Vorbilder" eine Rolle: Wo sind die weiblichen Astronauten, wo die weiblichen Chief Technology Officer und Technik-Vorstände? Wenn ich keine Frau kenne, die einen solchen Job bekleidet, traue ich ihn mir selbst fälschlicherweise auch nicht zu.
Welche Rolle spielt hier Künstliche Intelligenz (KI)?
Künstliche Intelligenz verstärkt leider den Einfluss von gesellschaftlichen Rollen und Vorurteilen. Denn KI basiert immer auf den Daten und Informationen, die es bisher in der echten Welt gibt. Das sind die Daten, mit denen KI gefüttert wird. Wer tut das? Wer produziert diese KI-Lösungen? Antwort: KI wird überwiegend von Männern geprägt – denn Männer überwiegen nun mal in der IT – und das trägt wiederum zu einer männerdominierten KI ohne weibliche Einflüsse bei. Das ist ein geschlossener Kreis, der sich selbst erhält und sich automatisch ständig reproduziert und durch die Art, wie KI funktioniert, die Vorurteile, Bias genannt, immer weiter verstärkt. KI bildet nur ab, was es bisher gibt und vergröbert durch Verallgemeinerung das Bild. KI macht keine gesellschaftliche Revolution. Sie zementiert das Bestehende, weil sie nur darauf basiert.
Was sind klassische Einstiegshürden für Frauen in den IT-Bereich und wie können die Hindernisse überwunden werden?
Das beginnt schon bei den Stellenausschreibungen und dem Einstellungsprozess. Häufig ist der Einstellungsprozess so gestaltet, dass er eine bestimmte Zielgruppe anspricht. Und wer ist diese Zielgruppe? Man kann nachweisen, dass beim Recruiting gern eingestellt wird, wer einem ähnlich ist. Das läuft ganz unbewusst. Aber männliche Tekkies stellen deswegen gern männliche Tekkies ein. Entsprechend sind die Formulierungen schon bei der Stellenausschreibung gewählt. Männliche Tekkies verstehen sich intuitiv, das vermindert Reibereien, macht das Arbeiten einfacher und so weiter. Das ist aber nicht unbedingt positiv, wenn es darum geht, innovativ zu sein, andere Wege zu beschreiten oder anders zu denken. Denn Frauen fühlen sich von solchen Ausschreibungen eben nicht angesprochen und so gehen Chancen und Möglichkeiten verloren. Die Rechtfertigung lautet dann oft: Es gibt einfach nicht genügend Frauen für diese Position. Das ist nur teilweise richtig. In der Regel lässt sich ermitteln, wie viele Frauen im Verhältnis zu Männern diese oder jene Ausbildung, dieses oder jenes Studium abgeschlossen haben oder diesen Beruf ausüben. Warum also nicht diesen Prozentsatz in den Bewerbungsprozess übernehmen? Wenn beispielsweise von allen Beschäftigten im Beruf XY 20 Prozent Frauen sind, warum dann nicht diesen Prozentanteil bei den Bewerbungen einfordern? Kommen nicht genügend Bewerbungen von Frauen, also weniger als 20 Prozent, kann das zum Beispiel an der Formulierung der Ausschreibung liegen. Vielleicht hilft es, diese zu ändern? Und: Männer werden gern nach ihrem Potenzial beurteilt, also was traut sich der Mann zu, wohin soll die Reise gehen? Frauen dagegen werden gefragt, was sie bereits gemacht haben, womit sie sich auskennen. Sie werden also nach ihrer Erfahrung beurteilt. Zwei völlig verschiedene Herangehensweisen. Der Weg muss daher sein, mehr Diversity und eine offene Arbeitskultur zu schaffen. Dazu gehört, sich dieser unterschwelligen Bevorzugung und der unterschiedlichen Beurteilungen bewusst zu sein. Menschen einzustellen, die anders sind als man selbst, ist eine Bereicherung und Verbesserung. Denn das sorgt für mehr Diskussionen, für größere Meinungsvielfalt, für andere Ideen als immer nur die eigenen. Diverse Teams sind deswegen nachweislich erfolgreicher. Das bedeutet auch, dass sich Strukturen ändern müssen. Das ist schwer, denn diese Strukturen sind bislang hauptsächlich männlich dominiert und geprägt. Uns muss endlich klar werden, dass Männer und Frauen Verbündete sind. Warum also in Zukunft nicht öfter an die Doppelspitze denken?
Inwieweit erhalten Frauen Unterstützung durch Netzwerke und Initiativen?
Allgemein gesagt ist der Zugang zu professionellen Netzwerken, die speziell auf Frauen in der IT ausgerichtet sind, ungemein wichtig, denn der Austausch von Informationen, von Erfahrungen und der Zugang zu Ressourcen ist unerlässlich. Das gilt strenggenommen für alle Berufe, nicht nur in der IT. Aber was das Netzwerken angeht, sind Männer und Frauen im Ungleichgewicht. Männer agieren in beruflichen Netzwerken deutlich besser und professioneller. Achten Sie mal darauf: Der berühmte Schnack in der firmeninternen Kaffeeküche wird von Männern in der Regel für den Austausch beruflicher Informationen genutzt. Frauen dagegen sprechen über die Familie, den letzten Urlaub oder wie es den alten Eltern geht. Sie agieren also hier auch eher wie in privaten Netzwerken. Die Erkenntnis, diese ganzen Kontakte auch beruflich zu nutzen, kommt bei vielen Frauen eher später als früher. Man kann sagen, dieser Muskel ist bei Männern besser trainiert. Das müssen wir den Frauen vielleicht noch bewusster machen, denn die Sichtbarkeit in Netzwerken ist für die Arbeitswelt enorm wichtig, um beispielsweise über Gehälter zu sprechen, über die Vorbereitung zu Bewerbungsgesprächen, über die Frage, wer wen womit unterstützen kann. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass ein Netzwerk nur dann gut funktioniert, wenn es in alle Richtungen geht, also nach oben und unten, rechts und links. Das gibt es bislang zu wenig. Und ein Netzwerk sollte nicht nur den eigenen Interessen dienen, sondern auch gewährleisten, dass alle gemeinsam davon profitieren. Es geht also um ein Geben und Nehmen auf allen Ebenen.