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07.07.2021 | Plattformökonomie | Interview | Online-Artikel

"Amazon ist in puncto Kundenzentrierung kompromisslos"

verfasst von: Andrea Amerland, Eva-Susanne Krah

3:30 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Markus Fost

ist Experte für E-Commerce, Online-Geschäftsmodelle und Digitale Transformation.

Amazon hat nicht nur mit Marketplace und Versandservice Maßstäbe für die Plattformökonomie gesetzt. Auch die Kundenzentrierung sucht ihresgleichen. Welche Bedrohungen und Chancen damit für andere Branchen einhergehen - darüber spricht Experte Markus Fost im Interview.

Springer Professional: Amazons Geschäftsmodell ist gerade in der Corona-Krise noch erfolgreicher. Wie würden Sie die Erfolgsformel des Online-Versandhändlers auf eine Kurzformel bringen?

Markus Fost: Amazon ist der Blueprint eines mehrschichtigen Ökosystems der Plattformökonomie. Amazon ist kein Online-Versandhändler, sondern ein Technologieunternehmen, welches Dritten seine Plattform bereitstellt und vorwiegend von Kunden und Lieferanten bewirtschaftet wird. Dadurch lagert Amazon schwer skalierbare Prozesse an Kunden und Lieferanten aus. Beispielsweise werden Produktlistungen und Content vom Lieferanten bereitgestellt, während Kunden, die ein Produkt auf Amazon gekauft haben, die Fragen anderer Kunden beantworten. Diese Prinzipien der Plattformökonomie wendet Amazon nicht nur auf den Retail-Bereich an, sondern verknüpft diese mit weiteren Geschäftsmodellen wie Logistik, Advertising, Musik und Video sowie Cloud-Computing. Dadurch verankert sich Amazon tief als Gatekeeper bei seinen Kunden und hat ein Kundenverständnis wie kein zweites Unternehmen aufgebaut. 

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Welche Branchen sind durch Amazons Geschäftsmodell besonders bedroht und warum?

In erster Linie Händler, welche keine USPs beyond Amazon aufbauen konnten wie Service, Event und Beratungsqualität. Geht es rein um eine Warentransaktion, ist Amazon schwer zu schlagen. Hersteller hingegen müssen ihre Vertriebsprozesse digitalisieren und dort präsent sein, wo die Kunden sind. Das ist neben Amazon auch die eigene Online-Markenpräsenz. Darüber hinaus sind auch Apotheken, Banken und Versicherungen bedroht, sobald Amazon sich entscheidet, ein umfassendes Offering in diesen Branchen auszurollen. Stellen Sie sich ein völlig kundenorientiertes Versicherungsunternehmen mit transparenten und völlig vergleichbaren Konditionen vor. Das würde passieren, wenn Amazon in diese Märkte eintreten würde. 

Wie können diese Branchen gegensteuern? 

Konsequent die Digitalisierung der Vertriebskanäle vorantreiben und sämtliche Prozesse bedingungslos der Customer Centricity unterordnen. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob sich das eigene Geschäftsmodell in Richtung der Plattformökonomie transformieren lässt. Zudem ist die Bereitschaft erforderlich, eine gewisse Kannibalisierung des eigenen Geschäftsmodells zuzulassen. Letzteres fällt gerade dann schwer, wenn die operativen Ergebnisse noch auf hohem Niveau zufriedenstellend sind. Das Problem der Transformation ist aber, dass es meist zu spät ist, damit zu beginnen, wenn sich bereits Rentabilitätsprobleme manifestieren. 

Aber es eröffnen sich auch Chancen für Wettbewerber … Welche?

Absolut. Amazon hat in vielerlei Hinsicht eine eigene Ökonomie mit sich gebracht. Dadurch, dass Amazon die Markteintrittsbarrieren für kleinere Private Label und D2C Brands massiv reduziert hat, werden heute bereits 68 Prozent der Umsätze auf der Plattform von solchen D2C Brands bestritten und lediglich 32 Prozent von Retail Brands. Ohne Amazon hätte eine Vielzahl dieser Anbieter nicht existiert und die Kunden hätten auch Zugang zu weniger innovativen Produkten.

Kundenzentrierung steht bei Amazon an oberster Stelle, verknüpft mit Kundenbindungsinstrumenten wie Amazon Prime. Was zeichnet die Plattform aus Ihrer Sicht hier aus, wovon andere Unternehmen im Vertrieb lernen können?

Amazon ist in puncto Kundenzentrierung kompromisslos. Amazon stellt den Kunden bei sämtlichen Handlungen in den Mittelpunkt. Wenn Sie ein defektes Produkt bei Amazon reklamieren, bekommen Sie eine Gutschrift oder kostenlosen Ersatz, ohne einen Nachweis hierfür erbringen zu müssen. Amazon vertraut seinen Kunden. Selbst B2B-Kunden können problemlos Ware innerhalb von 30 Tagen anstandslos zurückgeben oder umtauschen lassen. Prime kombiniert nicht nur die frachtfreie Lieferung, sondern inkludiert auch den Zugang zu Amazon Music oder Video. 

Andere Unternehmen können von Amazon vor allem lernen, dass häufig nur eine kompromisslose Umsetzung zu einem echten USP führt. Amazon versucht keineswegs, es jedem Stakeholder recht zu machen. So werden beispielweise beim Fokus auf die Kundenzentrierung die Lieferanten in die Pflicht genommen. So sind es die Lieferanten, welche die Rücksendungen der Kunden bezahlen. 

Durch die Datengenerierung bei jedem Klick werden Kunden gläsern, bekommen aber durch automatisierte Produktvorschläge ein besseres Nutzererlebnis. Was könnte hier in Zukunft noch möglich sein?

Das Targeting der richtigen Angebote für den Kunden könnte künftig noch viel genauer werden. Auch verschwimmen die Grenzen zwischen Online und Offline, wenn Amazon mit seinen Go Stores auch flächendeckend in den stationären Handel einsteiget. Offen ist, was der Gesetzgeber hier zulassen wird. Der Konflikt zwischen Apple und Facebook bei der Datennutzung von Werbung zeigt, dass hierzu künftig eine andere Haltung einkehren könnte.

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