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Open Access 2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

6. Politik/Gesetzgebung & Reglementierungen

verfasst von : Rüdiger Hein

Erschienen in: Typisch Social Entrepreneurship

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Aus den Äußerungen der Befragten lassen sich für die Kategorie „Politik, Gesetzgebung und Reglementierungen“ folgende Unterkategorien herausarbeiten, die nachfolgend in dieser Reihenfolge dargestellt und diskutiert werden: staatliche Verantwortungsübernahme, politische Entscheidungsfindungsprozesse und Ressourcenverteilung/-bindung; bürokratische Hürden und Unflexibilität in Verwaltungsstrukturen; Unterstützung durch Politiker; Konflikte für Politiker; Instrumentalisierungsfallen der Politik und Korruption sowie ressourcenbezogene Dilemmata und Entscheidungskonflikte bei Social Entrepreneuren. Zur Illustration werden dabei Schilderungen der Interviewpartner zu generierten Kodes wieder als Endnotenverweis eingearbeitet. Kapitelabschließend wird aufgezeigt, welche Bedeutung die dargestellten Erkenntnisse für das Wirkungsmodell zur Arbeitsgestaltung von SE besitzen.
Aus den Äußerungen der Befragten lassen sich für die Kategorie „Politik, Gesetzgebung und Reglementierungen“ folgende Unterkategorien herausarbeiten, die nachfolgend in dieser Reihenfolge dargestellt und diskutiert werden:
  • staatliche Verantwortungsübernahme, politische Entscheidungsfindungsprozesse und Ressourcenverteilung/-bindung,
  • bürokratische Hürden und Unflexibilität in Verwaltungsstrukturen,
  • Unterstützung durch Politiker,
  • Konflikte für Politiker,
  • Instrumentalisierungsfallen der Politik und Korruption sowie
  • ressourcenbezogene Dilemmata und Entscheidungskonflikte bei SE.
Zur Illustration werden dabei Schilderungen der Interviewpartner zu generierten Kodes wieder als Endnotenverweis eingearbeitet.
Kapitelabschließend wird aufgezeigt, welche Bedeutung die dargestellten Erkenntnisse für das Wirkungsmodell zur Arbeitsgestaltung von SE besitzen.
Interviewpartner schildern ausführlich politischen Widerstand, dem sie sich ausgesetzt sehen. Zwar ist davon auszugehen, dass dies ebenso auf KE zutrifft. Beispielsweise beklagt ein Befragter im Anschluss an sein Interview, dass nur ein geringer Anteil der behinderten Menschen am öffentlichen Leben ganz normal teilnimmt und dass Inklusion in den Schulen nicht funktioniert, weil in der Finanzpolitik das deutlich kostengünstigere Wegsperren von Behinderten priorisiert wird; dieser SE geht davon aus, dass – wohlgemerkt: im präcoronalen Zeitalter geäußert – eine bessere Versorgungsstruktur aus steuerpolitischer Sicht ein Finanzierungsfass ohne Boden darstellen würde und dem Ziel der schwarzen Steuernull widerspricht. Vergleichbare Ressourcenmängel können ebenfalls von KE(O) geäußert werden; beispielsweise für die Rüstungsindustrie, wenn das Missachten des NATO-Beschlusses beklagt wird, 2 % des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Dennoch existieren für SE spezifische Kontexte mit Auswirkungen auf Bedingungen ihrer Arbeitsgestaltung, wobei SE-bezogene Besonderheiten im Kontext politischer Verantwortungsübernahme sichtbar werden.
Wird eine SEO als Spiegel für gesellschaftliche und für politische Herausforderungen betrachtet, ist festzuhalten, dass sich bei weitem nicht alle politischen Akteure trauen, in diesen Spiegel zu schauen, geschweige denn anzunehmen, welche soziale Benachteiligung sie dort zu sehen bekommen. Zwangsläufig kämpft ein SE gegen politischen Widerstand an.

6.1 Staatliche Verantwortungsübernahme, politische Entscheidungsfindungsprozesse und Ressourcenverteilung/-bindung

Befragte schildern, dass gemeinwohlorientierte Aufgaben von der Politik nur eingeschränkt in der Umsetzungsverantwortung des Staates gesehen werden (IPü307). Dies wird erklärt mit einem Neutralitätsgebot bei Förderungen (IP21308), wobei es zur fehlenden Übernahme von Verantwortung bis hin zum willkürlich anmutenden Externalisieren von Zuständigkeiten kommt (IPψ309). In der Folge prangern Befragte die Politik als mitverantwortlich an für soziale Missstände und dafür, dass verbindliche Entscheidungen zum messbaren Abbau sozialer Ungleichheit vermieden werden (IP21310; IP21311; IP21312; IPk313; IPE314; IP14315; IPq316; IPF317), beispielsweise wenn staatliche Organe bestehende Gesetze zum Abbau sozialer Benachteiligung nur eingeschränkt anwenden, so dass Diskriminierung sozial benachteiligter Menschen sehenden Auges geduldet wird (IPm318).
Selbst bei gutem Vorsatz können sich Entscheidungsträger nicht in die Lage von Betroffenen hineinversetzen; bei der Entwicklung von Maßnahmen werden Betroffene nicht als Experten ihrer Lebenssituation befragt. Stattdessen treten sie selbst mit ihrer Entscheidungsträger-Funktion fälschlicherweise als Experten auf, selbst wenn sie nicht einmal mit Grundbegriffen vertraut sind, geschweige denn mit grundsätzlich relevanten Fragestellungen (IP21319). Eine Befragte äußert hierzu passend eine Befürchtung: dass der politische Entscheidungsschwerpunkt, medizinische Forschung zur Beseitigung bestimmter Krankheiten zu fördern, in der Vision begründet ist, chronische Erkrankungen zu eliminieren, woraus folgt, dass es zu dem erfolgreich erforschten Krankheitsbild keine erkrankten Menschen mehr geben wird. Eine nahezu einseitige medizinische Förderung erweckt jedoch beim noch bestehenden Krankheitsbild den Eindruck, dass die erkrankten Menschen gesamtgesellschaftlich und vor allem politisch nicht gewünscht seien; denn eine bessere Lebensqualität bleibt ihnen versagt (IPm320).
In der Folge wird volkswirtschaftliches Potenzial nicht ausgeschöpft, wenn diese benachteiligten Menschen nicht gefördert werden. Erinnert wird beispielhaft an die Ausführung in Abschnitt 2.​1.​3 zur Situation Sehbehinderter, die in Dunkelrestaurant-Projekten und nicht an sichtbaren Arbeitsplätzen des ersten Arbeitsmarkts, zu dem sie bereits strukturell bedingt keinen Zugang erhalten, beschäftigt werden. Sehbehinderte könnten z. B. in gynäkologischen Arztpraxen im Rahmen von Brustkrebs-Untersuchungen anstatt eines technikbasierten – zudem strahlenbelastenden – Mammographie-Screenings beschäftigt werden, zumal ihre diagnostische Leistung die von technischen Geräten sogar übertreffen kann (vgl. Deutsche Krebsgesellschaft, 2019, m. V. a. Discovering Hands, 2019). So könnten Sehbehinderte für den ersten Arbeitsmarkt im Rahmen einer staatlich anerkannten Ausbildung qualifiziert werden (ebd.; ebenso benannt von IPm321; vergleichbar bei IPü322; zur damit einhergehenden Benachteiligung von Wettbewerbsbedingungen für sozialunternehmerische Geschäftsmodelle siehe auch Olteanu & Fichter, 2020, S. 18).
IPγ bemängelt hierzu passend, dass die Föderalismusstruktur eine Zusammenarbeit auf Bundesebene behindert. Er setzt sich dafür ein, dass in Politik und in öffentlichen Organisationen ein Verständnis für Verbesserungsprozesse in den organisationalen Abläufen entsteht. In seinem konsensual geprägten Kooperationsmanagement stößt er jedoch auf behördlichen und politischen Widerstand, so dass Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Wirkung scheitern (IPγ323).
Eine institutionell verankerte (Sockel-)Finanzierung für SEO besteht nicht (IPE324), was „[d]ie Idealvorstellung des Social Entrepreneurship (…) [begünstigen kann,] in einer beinahe romantisch verklärten Weise die Verantwortung für gesellschaftliche und soziale Probleme an Individuen [zu delegieren], die ohne öffentliche Mittel soziale Leistungen erbringen und zu einer Demokratisierung der Gesellschaft beitragen“ (Roitner, 2013, S. 13).
Befragte betonen, dass Behörden soziale Wirkung blockieren, wenn Rahmenbedingungen willkürlich vorgegeben und Abweichungen hiervon nicht ermöglicht werden (IP2325, i. V. m. IP2326). Wird hierbei die nachweislich positive Wirkung einer Neuerung als Innovation aufgefasst, dann behindern Behörden und damit der Staat auf diese Weise Innovation. Allerdings wird nicht nur bemängelt, dass von politischer Seite keine Finanzierung ermöglicht wird (IP12327), sondern ebenso, dass seitens der Politik infrastrukturelle Innovationen zum Nachteil des Erhalts und der Förderung von Infrastrukturen höher priorisiert werden (IP21328).

6.2 Bürokratische Hürden und Unflexibilität in Verwaltungsstrukturen

Befragte bemängeln, dass Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst mit Checklisten prüfen, ohne systemisch zu denken bzw. die Prozesse zu verstehen und auf soziale Wirkung zu achten (IPD329; IPF330; IPp331; IP6332; IPY333) bzw. ohne das Sozialunternehmerische zu verstehen (IP31334). In Anbetracht der Reglementierungen und politischen Vorgaben erscheint es zwar nachvollziehbar, dass die zuständigen Amtsmitarbeiter Dienst nach Vorschrift leisten, was allerdings bei fehlendem Sachverstand zulasten der SE geht (IPu335), so dass SE unter dieser Amtswillkür zum Leidtragenden werden (IPN336). Dabei wird von Amts wegen nicht nur ein hoher Verwaltungsaufwand betrieben (IPk337), so dass beispielsweise „zahlreiche vielversprechende Gründungsteams (…) an der Formularflut verzweifeln“ (Olteanu & Fichter, 2020, S. 17), sondern es passiert, dass formal nicht realisierbare Vorgaben gemacht werden (IP27338). Willkürliche und widersprüchliche Entscheidungen von Amtspersonen werden benannt, die zu Komplikationen führen (IPp339; IPD340; IP24341; IP2342; IP19343) und u. U. letztendlich ein Scheitern einer SEO mitzuverantworten haben. Dabei kann die neue Ist-Situation im Extremfall zu einer schlechteren Versorgungssituation von Leistungsempfängern führen, als es ohne Intervention der SEO der Fall war (IPJ344). Dies kann eine besondere psychische Belastung für den SE darstellen.
Darüber hinaus versagt aus Sicht von Befragten der Staat, wenn er Finanzierungsvorgaben aufstellt, die einer Wachstumsentwicklung einer SEO entgegenstehen (IP24345), oder wenn er in der gegebenen Föderalismusstruktur nicht nur komplexe, sondern komplizierte Rahmenbedingungen sowohl zur Mittelbeschaffung als auch zu Genehmigungsverfahren verankert, so dass SE zu dem Urteil gelangen können, mit ihrer SEO nicht zur gegebenen politischen Struktur zu passen (IPσ346; IP33347). Dabei können komplizierte und langwierige Entscheidungsprozesse das Vorantreiben der sozialen Wirkung hemmen (IPε348).
IP2 schildert, sich Kompetenz in Antragstellungen angeeignet zu haben und diese Kompetenz mit unerfahrenen SE zu teilen (IP2349). Damit berät er zwar im legalen Bereich zu Finanzanträgen, tritt aber gegen öffentliche Regularien an, wenn behördliche Regularien darauf angelegt sind, dass Finanzbescheide abgewiesen werden. Insofern kämpft IP2 gegen das Versagen staatlicher Strukturen an.
Zudem weisen IP darauf hin, dass bei der Verwendung von Fördermitteln eine Form der Nachweispflicht erfolgen muss, die nicht immer im Verhältnis zum erhaltenen Betrag bzw. Nutzen steht (IPL350). Der Spielraum in der Mittelverwendung ist begrenzt (IPγ351). Wie bereits dargestellt, stehen IP6 durch den GmbH-Status weniger Fördermöglichkeiten zu und auch weniger Projektausschreibungen, so dass er Projektpartner akquirieren muss, die offiziell seine SEO anheuern müssen für die Umsetzung von dessen Idee. Einer dieser Kooperationspartner wurde ohne dessen Wissen für ein kommunales Preisgeld für einen Stadtteilpreis im unteren dreistelligen Betrag nominiert. Die Kommune versäumte es, den Kooperationspartner von IP6 hierüber zu informieren, und ging fälschlicherweise davon aus, dass er zur Preisverleihung ohne Absage nicht erschienen ist, was der verantwortliche Mitarbeiter der Kommune in der Presse zulasten des Kooperationspartners, also als Kritik gegenüber der ausgezeichneten SEO, dargestellt hat. Nachdem das Preisgeld auf das Vereinskonto der SEO überwiesen worden war, erhielt der SE die Mitteilung, dass die Überweisung mit zahlreichen Auflagen verbunden ist, da es sich um eine Förderung handelt – verbunden mit der Aufforderung, diverse Dokumente unter Fristsetzung auszufüllen und Nachweise zur Arbeitsweise der SEO zu erbringen, darüber hinaus Referenzen aufzuzeigen und einen Bericht zu verfassen. Allein in das Ausfüllen der Formulare hätte ein ganzer Arbeitstag investiert werden müssen. Da die Verwaltungskosten deutlich über den Empfehlungen des Spenden-Siegels des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (2019) liegen, hat die SEO den Betrag auch im Hinblick auf den Respekt gegenüber ihren Spendern nicht angenommen und bei der Rücküberweisung darauf hingewiesen, dass die SEO als gemeinnützige Organisation an eine wirtschaftliche und sparsame Mittelverwendung gebunden ist, was ebenso für das Einwerben von Mitteln und damit verbundenen Verwaltungskosten gilt.
Bei der öffentlichen Hand erweist sich für Befragte nicht nur das Stellen von Förderanträgen samt Nachweisführung als unverhältnismäßig arbeitsaufwendig und reformbedürftig (IPγ352; IPγ353), sondern auch Bewerbungsverfahren für Projekte und deren Umsetzung.
Geschildert wird auch, dass der Kunde „öffentliche Hand“ nicht bereit ist, mehr als einen Dumpingpreis für Dienstleistungen zu zahlen, deren Bedarf die Politik der öffentlichen Hand mitverursacht hat, zudem mit existenzbedrohendem Zahlungsverzug (IPC354). Beispielsweise berichtet IP6 im Rahmen eines kommunikativen Validierungsgesprächs ergänzend, dass bei einer aktuellen Ausschreibung eines Landesministeriums für eine Projektkonzeptionierung und -umsetzung die angegebene Basisfinanzierung nach Bewerbungsschluss und in der letzten Runde vor Entscheid um die Hälfte der Gesamtsumme gekürzt wurde, jedoch ohne Kürzung der Leistungsanforderungen mit Ausnahme der Projektevaluation, die wider Erwarten in einer nicht nachvollziehbaren Vorgehensweise vorgegeben wird und nur noch eine standardisierte Abfrage darstellt, die keine Rückschlüsse auf die Wirkung des Projekts zulässt. Im Nebengespräch wurde dem SE zudem mitgeteilt, dass das Interesse des Ministeriums im Erhalt von Konzeptionen von Anbietern lag, um sich darüber Anregungen zu verschaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden bereits über 15 Personentage investiert, da das Ministerium vielfach weitere Unterlagen und formale Änderungen eingefordert hat, die aus der Ausschreibung nicht hervorgegangen sind.
In einem weiteren Projekt, das IP6 unmittelbar zuvor mit einer nachvollziehbaren Wirksamkeit zum Abschluss gebracht hat, musste ein Kooperationspartner seine eingehaltene Finanzplanung nachträglich anders darstellen mit der Begründung seitens der Behörde, dass bislang noch niemand eine Finanzierungsplanung eingehalten habe, dies daher unrealistisch sei und sowohl im Berichttext als auch im Zahlenwerk zu verändern ist. Die Überweisung der noch ausstehenden Projektmittelrate für bereits erbrachte Leistungen wurde erst nach dieser Veränderung, die letztendlich eine Datenmanipulation darstellt, angewiesen.
IP27 schildert, dass sie eine aus Landesmitteln geförderte Maßnahme extern zu evaluieren hatte (IP27355), ohne jedoch die Finanzmittel für diese Erhebung zur Verfügung gestellt zu bekommen. Diese Pflicht-Evaluation musste die SEO selbst organisieren und finanzieren. IP27 musste dem Ministerium erst verdeutlichen, dass diese Vorgabe im vorgegebenen Rahmen nicht realisierbar ist; zudem musste sie dem Ministerium einen Nachweis erbringen, dass sie die Mittel für die Evaluation nicht akquirieren konnte. Erst daraufhin zeigte sich das Ministerium kompromissbereit.

6.3 Unterstützung durch Politiker

Allerdings wird ebenfalls gewürdigt, dass Politiker in ihrem Netzwerk unterstützend einwirken können, wenn sie in ihrem Entscheidungsbereich keinen unmittelbaren Zugang zur Finanzierung ermöglichen können (IPγ356; IPU357). Generell können persönliche Kontakte zu Politikern die Tore zu informellen Unterstützungsstrukturen öffnen (IPE358). Informelle Strukturen können demnach entlastend wirken, werfen allerdings die Frage auf, inwieweit Prozesswege und Entscheidungen über Mittelverteilungen dann noch als gleichberechtigt und legitim anzusehen sind.
Für SE können prominente Fürsprecher wie z. B. Landes- und Bundesminister oder weitere prominente Politiker eine besondere Form der „Auszeichnung“ darstellen, wenn sie sich und ihren Namen z. B. als Schirmherr zur Verfügung stellen oder eine Art Patenschaft übernehmen (IP30359; IPE360; IPÖ361). Eine besondere Belastungssituation kann es dabei für SE darstellen, wenn in strukturschwachen Regionen keine bzw. keine geeigneten Schirmherren rekrutiert werden können (weiter ausgeführt in Abschn. 9.​2).
Bedeutungsvoll für SE wird es somit, ein Netzwerk zu inhaltlichen Ansprechpartnern aus der Politik aufzubauen (IPE362), wobei der Kontaktaufbau zu bedeutsamen Netzwerkpartnern des Politikers guter Planung (IPk363) und Fingerspitzengefühl bedarf (IPk364).

6.4 Konflikte für Politiker

Darüber hinaus lässt sich Politikern eine Vorbildfunktion zuschreiben, so dass die Intensität sowohl ihres Thematisierens als auch des Nicht-Thematisierens von Social Entrepreneurship Weichen für das Sensibilisieren von SE(O) in der Gesellschaft stellt (FG5Z1379–1386365; FG5Z711–730366; IP14367). Hierbei kann das uneinheitlich und teilweise widersprüchlich kommunizierte Begriffsverständnis zu Social Entrepreneurship bei Adressaten wie z. B. politischen Entscheidungsträgern zu Verunsicherungen führen (Tan, Williams & Tan, 2005).
Befragte heben hervor, dass politisch gewählte Amtsträger, die auf Wiederwahl und dabei auf Quick-Wins setzen (IP14368), auf kommunaler und auf Bundesebene eventuell unaufrichtige Entwicklungen wie Green- oder Social Washing bzw. nur oberflächlich wirkende Maßnahmen, die jedoch öffentlichkeitswirksam sein können, eher fördern (IP15369, i.V. m. IP15370; IP33371). Eventuell kann dabei eine Rolle spielen, inwieweit die inhaltliche Verfolgung einer SEO beim wahlberechtigten Bürger Akzeptanz findet (IPk372; IP14373) bzw. welchem politischen Handlungsdruck Politiker ausgesetzt sind (IP14374; IPζ375).
Dabei kann medial erzeugter Handlungsdruck, den SE mitgestalten können, dazu beitragen, dass Politiker reagieren und letztendlich sogar eine Finanzierung zur SEO-Zielsetzung durch die öffentliche Hand ermöglicht wird (abermals IP14376; IP14377; IP14378).

6.5 Instrumentalisierungsfallen der Politik und Korruption

Gleichwohl wird von IP geschildert, dass sie Politiker als korrupt erleben (IPI379; IPÄ380; IPö381).
Zudem wird berichtet, dass Politiker und SEO-U „Deals“ miteinander eingehen, die beiderseits in Korruption münden und SE(O) benachteiligen (IPI382; IPö383). Demnach sitzen Politiker am Entscheidungshebel, können aber die Entscheidungsübernahme bzw. die Verantwortungsübernahme für Entscheidungen verweigern (IP33384; IP12385) sowie egoistisch handeln (IPV386) bzw. intransparent (IP33387). Demzufolge kämpft ein nachhaltigkeitsorientierter, der Transparenz selbstverpflichteter SE gegen das politische System an (IP33388; IP25389). IP33 hat auf diesem Weg das Vertrauen in ihr politisches Netzwerk verloren sowie in ein Netzwerk, das nicht frei von politischer Lobbyarbeit ist, da sie sich als Lieferantin von Ideen sieht, die die Netzwerkpartner für ihre politischen Interessen instrumentalisieren (IP33390). Generell kann für SE die Frage entstehen, inwieweit sie bereit sind, sich instrumentalisieren zu lassen (IPζ391).
Deutlich wird, dass sich SE in einer Bittsteller-Position erleben können, die es ihnen beispielsweise unmöglich macht, schriftliche Vereinbarungen zu deren Absicherung einzufordern. Jedoch reagiert IP14 auf unlauteres Handeln seiner politischen Ansprechpartner mit einer strategisch ausgerichteten Öffentlichkeitsarbeit (IP14392), was wiederum die Vernetzungsqualität zur Politik prägen kann. Darüber hinaus ist eine geeignete Rahmenbedingung in der Kontaktgestaltung zur Politik zu identifizieren, wenn Politiker egoistische Motive befriedigen, nicht aber im Sinne der SEO-Zielsetzung gesellschaftlichen Nutzen vorantreiben wollen (IP21393). Zudem kann bei Fürsprechern, die aus der Politik kommen, die Absicht bestehen, sich mit Erfolgsfedern der SEO zu schmücken (IPε394) und Kontakte sowie Ereignisse für deren egoistische Motive zu instrumentalisieren (IPk395; IPM396).

6.6 Ressourcenbezogene Dilemmata und Entscheidungskonflikte bei Social Entrepreneuren

Während der Betriebsphase wird von gemeinnützig tätigen SEO die spendenbasierte Finanzierung als noch schwieriger erlebt, da das Neuartige nicht mehr gegeben ist und damit der Reiz zum Spenden fehlen kann (IP26397); wachsende SEO erfahren z. B. zunehmenden Ressourcendruck, da der Overhead nicht finanziert wird, der jedoch während der Wachstumsphase stark steigen kann (IP25398). Demzufolge erleben auch langjährig erfolgreiche und vielfach ausgezeichnete SE eine finanzielle Existenzbedrohung – sowohl privat als auch für die SEO (IP21399; IPk400; IP16401; IPγ402).
In diesem Zusammenhang betonen Befragte zum einen, unlautere Praktiken zur eigenen finanziellen Absicherung konsequent von sich zu weisen (IP2403). Zum anderen wird hervorgehoben, dass beim Legitimieren von Verfahrensweisen eine Flexibilität in der Bewertung von Alternativen bestehen kann (IPF404). Mehrere IP berichten, trotz nachgewiesener sozialer Wirksamkeit tricksen oder mit Arglist und Täuschung agieren zu müssen (IPk405) bzw. widerrechtlich handeln zu müssen (IPτ406), um die SEO zum Leben zu erwecken bzw. am Leben halten zu können. Beispielsweise werden Vereinsauflagen nicht eingehalten und stimmberechtigte ordentliche Mitglieder nicht aufgenommen, um Vereinsmeierei zu unterbinden, sondern stattdessen eine wirtschaftlich solide Planung vornehmen und einhalten zu können. Weitere Befragte berichten Aversions-Aversions-Konflikte (Lewin, 1935), also Situationen, in denen nur zwei Entscheidungsalternativen zur direkten Auswahl stehen, die beide deutliche Nachteile mit sich bringen und daher beide vermieden werden wollen. So müssen sich Befragte entscheiden, entweder ihr sozialunternehmerisches Engagement aufzugeben oder selbst korrupt zu werden, wobei Behörden durchaus unterstützend einwirken, korrupte Vorgehensweisen also kennen und billigen (IPτ407).
Dabei kann der effektive Stundenlohn bei Projekten, die aus der öffentlichen Hand finanziert werden, aufgrund des bürokratischen Akts der Behörden deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegen. Eine Befragte beklagte im Rahmen eines Validierungsgesprächs, dass die Mängel der behördlichen Wirksamkeit nicht in deren Berichterstattungen auftauchen.
Zudem kann der SE mit seiner sozialen Mission emotional so sehr verbunden sein, dass er eine Grenzziehung zur Selbstausbeutung nicht handlungsleitend einbezieht (IP2408, i. V. m. IP2409). Damit können sich SE instrumentalisieren lassen: Die Politik kann schlechte Arbeitsbedingungen relativ leicht aufrechterhalten. Dabei stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit bzw. ab wann ein SE korrumpierbar wird; oder ob sich der SE, sofern er seine Position als schwach bewertet, durch die öffentliche Hand als ausgebeutet betrachtet. Für den SE können hierbei abermals Aversions-Aversions-Konflikte entstehen, wenn sich Behörden bzw. politische Entscheidungsträger ihrer Verantwortung entziehen und der SE sich mit einem „Schwarzen Peter“ konfrontiert sieht (IPA410).
Hierbei kann zudem eine Zeitressourcenallokation hemmend wirken, sich mit der Wirtschaftlichkeit auf gleicher Ebene wie mit der inhaltlichen Zielsetzung auseinanderzusetzen, weil ein emotional bedingter Handlungsdruck bestehen kann (IP25411). Materielle wie zeitbezogene Mittelknappheit kann demnach zu Zugzwängen führen. Das Dilemma kann darin bestehen, sich in der konkreten Handlungssituation nicht mit der Finanzierung von Dienstleistungen und Produkten, die für einen in Not geratenen Leistungsempfänger bestimmt sind, auseinanderzusetzen. Befindet sich eine Zielgruppenperson im Sinne eines Wirkungsempfängers in einer akuten (sozio-)emotionalen, eventuell lebensgefährdenden Fehlbelastungssituation, dann benötigt sie gegenwärtig Zuwendung, was einen weiteren Aversions-Aversions-Konflikt in Form eines klassischen Entscheidungsdilemmas repräsentiert.
Letztendlich widerspricht das Fördersystem dem Denken und Arbeiten im gemeinnützigen Arbeitsfeld und Befragte geben hierbei zu verstehen: Fassen politische Entscheidungsträger sozialunternehmerisches Engagement zum Abbau sozialer Benachteiligung als ein Ehrenamt und nicht als materiellen Wert auf (IP21412; IP24413; IPE414) und hemmt der Gesetzgeber mit seiner Politik eine finanzielle Grund- bzw. Absicherung der gemeinnützigen SEO (IPI415), dann können von der Politik verliehene Auszeichnungen sozialunternehmerischer Erfolge für den Preisträger absurd erscheinen und deren Verleihung ein Dilemma darstellen (IP25416; hierzu passend zu Forderungen an die Politik zur Verbesserung des Wohlbefindens von SE, siehe Deng, Liang, Fan & Cui, 2019). Dennoch kann, wie bereits erörtert, das Annehmen der Auszeichnung notwendig sein, damit sich der SE mit seiner SEO gegenüber potenziellen Geldgebern behaupten kann.
Zudem wird an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, dass für Themen, die im (gesellschafts-)politischen Fokus sind, bessere Auszeichnungs- und Förderungsmöglichkeiten bestehen (z. B. Kap. 5, 9; siehe auch Abschn. 7.​2 & 7.​3). Daraus ergibt sich eine besondere Schwierigkeit für alle anderen sozialunternehmerischen Initiativen, die ebenfalls auf Drittmittelförderung und dabei auch auf staatliche Unterstützung angewiesen sind (IPO417).
Darüber hinaus wird geschildert, dass Politiker ihre persönliche Unterstützung an Bedingungen knüpfen (IP14418), so dass der SE ein Risiko eingeht, wenn er seinem politischen Ansprechpartner vertrauen muss und insofern in Vorleistung zu gehen hat.
Zudem können sich Verwaltungsauflagen mit der Realität beißen, so dass sich Zusagen der Politik als nicht umsetzbar erweisen. Wenn Gelder nicht abgerufen werden, wird dies fehlinterpretiert als fehlender Bedarf in der Praxis, was zu zweckgebundenen Verlegenheitsanschaffungen führen kann, die im Hinblick auf den sozialen Zweck der Unternehmung weder angemessen effektiv noch effizient erscheinen (IP23419; IPσ420).
In der Gesamtbetrachtung wird deutlich, dass die politischen Vorgaben und in der Folge die damit gegebenen finanziellen Abhängigkeiten den Rahmen determinieren, innerhalb dessen sich legitime Formen an Sozialunternehmertum ausgestalten bzw. nicht mehr entwickeln können. Dies entspricht dem von DiMaggio und Powell (1983) bezeichneten Zwang von Organisationen zur Übernahme gleicher Strukturen, den die Autoren als koerzitive Isomorphie bezeichnen (ebd.).

6.7 Verortung der Erkenntnisse im Wirkungsmodell zur Arbeitsgestaltung von Social Entrepreneuren

Mit den in diesem Kapitel diskutierten Teilergebnissen lässt sich zweierlei aufzeigen:
Erstens: Die politische Ausgangssituation und somit die Gesetzgebung sowie Reglementierungen setzen Rahmenbedingungen zur Arbeitsgestaltung von SE. Diese Rahmenbedingungen wirken dementsprechend als eigenständiges Kriterium (im Wirkungsmodell wiedergegeben als Wirkungskriterium II).
Zweitens: Aktivitäten der Politik und Reglementierungen, also dynamische Prozesse wie z. B. erlebter Widerstand durch Behördenmitarbeiter, wirken direkt auf das Beanspruchungsgefüge, das SE erleben (im Wirkungsmodell wiedergegeben als Wirkungspfad 2).
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Literatur
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Metadaten
Titel
Politik/Gesetzgebung & Reglementierungen
verfasst von
Rüdiger Hein
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-35145-8_6