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2011 | Buch

Politische Herrschaft jenseits des Staates

Zur Transformation von Legitimität in Geschichte und Gegenwart

herausgegeben von: Dr. John Emeka Akude, Dr. Anna Daun, Dr. David Egner, Dr. Daniel Lambach

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Die Legitimität politischer Herrschaft ist seit der Geburt der Philosophie im antiken Griechenland das zentrale Thema des politischen Denkens. Die Transformationsforschung ist dagegen ein Kind der jüngsten Entwicklung der Politikwissenschaft. Während diese sich bisher darauf beschränkt hat, die Transformation von Diktaturen zu Demokratien, von illegitimer zu legitimer Herrschaft innerhalb der Form des modernen Staates zu untersuchen, gehen die in diesem Band versammelten Beiträge der Frage nach, wie sich politische Legitimität außerhalb des nationalstaatlichen Rahmens bildet und verändert. Dazu werden Fallbeispiele sowohl aus der Gegenwart als auch aus der Vergangenheit analysiert und abschließend verglichen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung und Theorie

Frontmatter
Legitimität und Funktionsweise politischer Herrschaft im synchronen und diachronen Vergleich
Zusammenfassung
Unter dem Stichwort Transformation wurde in der politikwissenschaftlichen Debatte der letzten beiden Dekaden in erster Linie Regimewandel diskutiert. Die sogenannte Transformationsforschung geht von der Annahme einer prinzipiell teleologischen Dynamik hin zur demokratischen Staatsform aus und untersucht diejenigen Faktoren, die diese Entwicklung möglichst gewaltfrei unterstützen und stabilisieren. Jedoch sind viele Prozesse politischen Wandels auf der Welt zu beobachten, die nicht in dieses Schema passen. Einige der jüngeren Staaten, die aus den zwei Wellen von Staatsgründungen im 20. Jahrhundert resultierten – der Dekolonialisierung und dem Zusammenbruch der Sowjetunion – scheinen das Modernisierungsparadigma, das eine solche Zielrichtung normativ voraussetzt, nicht zu bestätigen. Auch in Staaten mit etablierten staatlichen Institutionen, wie zum Beispiel in Lateinamerika, hat sich zum Teil nicht die gewünschte Stabilisierung demokratischer Staaten eingestellt, für die zuvor Anzeichen erkannt worden waren (Beissinger/Young 2002, Herbst 2000).
John Emeka Akude, Anna Daun, David Egner
Jenseits des Staates: Neue Formen politischer Herrschaft
Zusammenfassung
Der leitende Gedanke des folgenden Beitrags ist, dass der Staat als politische Herrschaftsform seinen Zenit überschritten hat. Wir müssen lernen, für die absehbare Zukunft mit nichtstaatlichen Formen politischer Herrschaft, das heißt mit gesamtgesellschaftlichen Formen politischer Herrschaft umzugehen, die nicht auf dem Grundsatz des staatlichen Gewaltmonopols beruhen.
Trutz von Trotha

Fälle

Frontmatter
Der Zerfall des aztekischen Staates in Zentralmexiko 1516–1525
Zusammenfassung
Um 1325 gründeten die Azteken auf einer Insel im See von Tetzcoco ihre Hauptstadt Tenochtitlan – dort, wo sich heute das Stadtzentrum von Mexiko-Stadt befindet (vgl. Abb. 1). Nach anfänglichen Mühen, sich gegen andere ethnische Gruppen in der Region zu behaupten, dominierten sie seit 1428 in einem von ihnen angeführten politisch-wirtschaftlichen und militärischen Bündnis mit den benachbarten Stadtstaaten von Tetzcoco und Tlacopan Zentralmexiko und Teile des südlichen Mexikos.
Daniel Graña-Behrens
„Tupaj Katari vive y vuelve, Carajo!“ – Politische Herrschaft jenseits des Staates: Die Aymara und die CSUTCB in Bolivien
Zusammenfassung
Bolivien im Herzen Südamerikas gilt als einer der ärmsten und politisch instabilsten Staaten des Subkontinentes. Neben der schlechten ökonomischen Lage sind in den letzten Jahren vor allem die anhaltende Diskriminierung der indigenen Bevölkerung und die Korruptionsanfälligkeit der politischen Eliten immer wieder Auslöser schwerwiegender politischer Krisen gewesen. Aufgrund dieser Entwicklung wurde dem Land zu Beginn des neuen Jahrtausends ein einsetzender Staatszerfall diagnostiziert (Grabendorf 2003: 3).
Bettina Schorr
Legitime Autorität in einer segmentären Gesellschaft: Die Igbo von Nigeria
Zusammenfassung
Aktuelle Analysen der Transformation politischer Ordnung wenden sich – zu Lasten dezentralisierter Formen – bevorzugt staatlichen Machtgebilden zu. Sie untersuchen verschiedene und allgemeingültige Formen des fundamentalen Wandels von politischen Regimes und Ordnungen (vgl. Huntington 1992, Merkel 1999). Hierbei geraten nationale Besonderheiten in den Hintergrund. Zu diesen zählen u. a. Arten von dezentralisierten Formen, wie akephale/segmentäre Gesellschaften, die eine Rolle bei der Stabilität des Staates bzw. der Transformation politischer Ordnung spielen können.
John Emeka Akude
Demokratisierung, neotraditionale Herrschaft und die lokale Ordnung in Südafrika und Namibia
Zusammenfassung
Aus der Perspektive der Demokratisierung scheint das neotraditionale Häuptlingtum ein Anachronismus zu sein: Hier wird Macht vorrangig qua Vererbung (zumeist innerhalb von Verwandtschaftsgruppen) und selten mittels Wahlen und des für sie gültigen Repräsentationsgrundsatzes auf Dauer gestellt. Aber die Stabilität des Häuptlingtums ist über alle Maßen bemerkenswert. Ungeachtet aller Umbrüche in den letzten zweihundert Jahren, trotz der vielfältigen und nicht selten gewalttätigen Anstrengungen postkolonialer Regime, das Häuptlingtum zu beseitigen, und entgegen der Einschätzung, dass Häuptlinge zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sind, sobald gewählte Repräsentanten die politische Bühne betreten, hat sich das Häuptlingtum behauptet. Mehr noch, mancher Beobachter sieht dem Häuptlingtum in der Gegenwart neue politische, kulturelle und gesellschaftliche Kraft zuwachsen (Skalník 2004) und kann hierbei auf die vielfältigen Funktionen und Kompetenzen des Häuptlingtums verweisen.
Mario Krämer
Herrschaftslegitimation in den frühhellenistischen Dynastien
Zusammenfassung
Die antiken hellenistischen Monarchien entstanden aus einem „Prisma der Macht“, einem Bruch von Herrschaftslinien, wenn „Macht diffus wird“ oder endet (Rader 2003: 60; 2000: 311–346). Der Schnitt in der Herrschaftskontinuität war bedingt durch den Zusammenbruch des riesigen Reichs Alexanders des Großen, das in nur elf Jahren (334–323 v. Chr.) durch eine wahre Tour de force erobert worden war. Als Alexander unerwartet früh – oder, bedenkt man die massive Opposition gegen sein Regime, vielmehr unerwartet spät – 323 v. Chr. in Babylon starb, hinterließ er sein noch ungeborenes Kind und seinen geistig indisponierten und wohl regierungsunfähigen Halbbruder Arrhidaios (Plutarch, Alexander: 10,2; 77,5; Justin 13,2,11). Beide waren nicht von ihm designiert worden, bekamen aber, nachdem der Sohn, Alexander IV., auf die Welt gekommen war, von der makedonischen Heeresversammlung gemeinsam eine in ihren Strukturen und Kompetenzen recht undefinierbare Samtherrschaft übertragen (Curtius 10,7,3–10; Funke 2005: 45–56). In der Folge kamen sie in den Wirren der ausbrechenden Kriege um Alexanders Erbe ums Leben. Die faktische Macht hatte ohnehin nicht bei ihnen, sondern in den Händen einer Gruppe von Alexanders einflussreichen Generälen gelegen, die als „Diadochen“ – griechisch für „Nachfolger“ – in die Geschichte eingingen.
Sabine Müller
Herrscherabsetzung, Herrschaftskonsolidierung und legitime Herrschaft im frühen Mittelalter: Childerich III, Pippin III und Karl der Große
Zusammenfassung
„Das Geschlecht der Merowinger, aus dem die Franken ihre Könige zu wählen pflegten, herrschte nach allgemeiner Ansicht bis zur Zeit Childerichs. Childerich wurde auf Befehl des römischen Papstes Stephan abgesetzt, geschoren und ins Kloster geschickt. Obwohl das Geschlecht dem Anschein nach mit ihm ausstarb, hatte es schon lange seine Bedeutung eingebüsst und besaß nur mehr den leeren Königstitel. Die wirkliche Macht und Autorität im Königreich hatten die Hofmeier des Palastes, die sogenannten Hausmeier, die an der Spitze der Regierung standen (quos summa imperii pertinebat). Dem König blieb nichts anderes übrig, als sich mit seinen Titel zu begnügen und mit wallendem Kopfhaar und ungeschnittenem Bart (crine profuso, barba sumissa) auf dem Thron zu sitzen und den Herrscher zu spielen. … Der König besass fast nichts, das er sein Eigen hätte nennen können, außer dem wertlosen Königstitel und einem unsicheren Lebensunterhalt (precarium vitae stipendium), den ihm der Hausmeier gewährte. … Wenn er eine weitere Reise machen musste, wurde er nach Bauernart (rustico more) in einem Wagen gefahren, den ein Ochsengespann zog.“ (Einhard, Vita: c. 1)
Elke Ohnacker
Reziprozität und sanfte Regulierung: Legitimität und Funktionsweise politischer Herrschaft im Raum der alten Eidgenossenschaft
Zusammenfassung
Im 17. und 18. Jahrhundert haben die absolutistisch-monarchischen Staaten Europas einen ausgeprägten Prozess der Staatsbildung durchlaufen. Sie haben die Verwaltung ihrer Territorien gestrafft, zentralisierte Bürokratien und stehende Heere aufgebaut. Sie haben die Rechtsetzung vereinheitlicht und ihr Gewaltmonopol verfestigt. Finanziert wurde der Ausbau der staatlichen Institutionen durch direkte Steuern, welche den Untertanen aufgebürdet wurden.
Daniel Schläppi
Das politische System der Region Kurdistan im Irak seit 1991
Zusammenfassung
Die Region Kurdistan im Irak besteht im Wesentlichen aus den drei Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniyya im Norden des Landes mit Teilen der angrenzenden Provinzen unter De-facto-Verwaltung der Kurden. Sie entstand nach dem Golfkrieg von 1991, als die Kurden die Verletzbarkeit der irakischen Regierung zum Aufstand gegen das Baath-Regime nutzten und aufgrund der Gegenmaßnahmen der irakischen Armee eine Schutzzone unter Überwachung der westlichen Alliierten eingerichtet wurde. Seitdem steht das Gebiet unter der Kontrolle von zwei Gruppierungen mit starker Fokussierung auf ihre Chefs: der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) unter dem Vorsitz von Massud Barzani, Sohn des legendären Kurdenführers Mustafa Barzani (1903–1979), sowie der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) mit dem Generalsekretär Jalal Talabani. Die Region Kurdistan unterscheidet sich in mindestens zwei Aspekten von anderen politischen Systemen des Vorderen Orients: Zum einen befindet sie sich seit der Trennung von der Zentralregierung in Bagdad im Zustand fortwährender Transformation, die ihren Ausdruck in der Gründung eigener kurdischer Verwaltungsstrukturen und anschließenden Kämpfen zwischen rivalisierenden Gruppen findet.
Frank Wehinger

Zusammenfassung

Frontmatter
Die Empirie der Transformation politischer Ordnungen
Zusammenfassung
Politikwissenschaftliche Transformationstheorien befassen sich mit Transformationen im Rahmen der bestehenden staatlichen Ordnung. Die Transitionsforschung der 1980er und 1990er Jahre (z.B. Linz/Stepan 1996, Merkel 1999, O‘Donnell/Schmitter 1986) suchte nach Regelmäßigkeiten im Übergang von Autokratien zu Demokratien zunächst in Südeuropa und Lateinamerika, später in Afrika und Osteuropa. So entstanden nicht gering zu schätzende Erkenntnisse über die Ursachen, den Verlauf und die Erfolgsaussichten eines Regimewechsels, die sich jedoch auf den Wandel von einem politischen System zu einem anderen beschränkten. Es gibt jedoch keinen theoretisch und logisch überzeugenden Grund, warum sich die Transformation politischer Ordnung nur innerhalb einer bestimmten Ebene untersuchen lässt. Versteht man Transformation in einem weiten Sinne als „Wandel“, wird deutlich, dass dies auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden kann bzw. dass sich Wandlungsprozesse auch über mehrere Ebenen erstrecken können. Transformationen laufen nicht nur auf der Regimeebene ab, sondern auch auf der Ebene der Regierung und auf der Ebene der politischen Gemeinschaft.
Daniel Lambach
Backmatter
Metadaten
Titel
Politische Herrschaft jenseits des Staates
herausgegeben von
Dr. John Emeka Akude
Dr. Anna Daun
Dr. David Egner
Dr. Daniel Lambach
Copyright-Jahr
2011
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-94017-5
Print ISBN
978-3-531-18289-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-94017-5