Betrachtet man die aktuellen Kampagnen der großen Parteien, soll offenbar Schluss mit politischem Einheitsbrei sein. Statt steifer Posen und leerer Phrasen bemühen sich die Politiker derzeit, ein modernes Bild ihrer Partei zu präsentieren.
So lachen die Spitzenkandidaten von "Bündnis 90/Die Grünen", Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, auf ihren Wahlwerbefotos, als hätten sie gerade einen Witz gehört, die CDU unter Kanzlerin Angela Merkel setzt auf die grafischen Innovationen der Werbeprofis von Jung von Matt und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wählt unkonventionell-deutliche Worte, die an die Medienwirksamkeit von US-Präsident Donald Trump erinnern.
Vor allem die FDP machte in den letzten Wochen mit ihrer neuen Kampagne von sich reden. Die beauftragte Werbeagentur Heimat inszenierte Spitzenkandidat Christian Lindner wie ein Model in betont lässigen, schwarz-weiß abgelichteten Posen. Neben den Fotos leuchten groß abgedruckte Slogans in den FDP-Farben Magenta und Gelb.
Politische Kommunikation zunehmend werblich
"Alle politischen Akteure müssen kampagnenfähig sein, um ihre Interessen erkennbar öffentlich anzumelden, politische Gegner oder bevorstehende Entscheidungen angreifen zu können oder um mittels einer Kampagne Entscheidungen vorzubereiten", erklären die Springer-Autoren Patrick Donges und Otfried Jahren in ihrem Buch "Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft - Eine Einführung" (Seite 173). Im Wettlauf um den Stimmenfang nimmt politische Kommunikation jedoch zunehmend werbliche Züge an: "Die Austauschbarkeit wirtschaftlicher und politischer Kampagnenformen wird oftmals kritisiert: Diese Form, politische Inhalte zu kommunizieren, werde komplexen Gegenständen nicht gerecht und verkürze Probleme auf Slogans oder Bilder. Trotz dieser Kritik können politische Akteure auf Kampagnen nicht verzichten, wenn sie Aufmerksamkeit sowohl bei den eigenen Mitgliedern wie auch bei den Bürgern erreichen wollen", so Donges und Jarren (Seite 174).
"E-Government" beabsichtigt Bürgerbeteiligung
Ohne Branding (Markenbildung), vor allem Personal Branding, scheint es auch in der Politik nicht zu funktionieren – und das mehr denn je. Die allgemeine Politikverdrossenheit, die sich in einer zunehmend schlechten Wahlbeteiligung vor allem der jüngeren Generation niederschlägt, zwingt die Politiker, näher an die potentiellen Wählerinnen und Wähler heranzurücken. Neben dem Haustürwahlkampf gewinnen deshalb auch soziale Netzwerke an akuter Relevanz. Mit "E-Government" und "Open Government", die auf den digitalen Austausch mit der Bevölkerung abzielen, haben sich in Fachkreisen dafür bereits passende Begriffe gefunden. "Gerade im Wahlkampf – erstmals in den Präsidentschaftswahlen 2008 in den USA – ist die Social-Media-Nutzung eine ausgezeichnete Option für die Kandidatinnen und Kandidaten, um "nah" bei den Wählerinnen und Wählern zu sein (…) Häufig besitzen Spitzenpolitiker (z.B. Regierungsmitglieder) ein Social-Media-Team, das für sie beispielsweise den Twitter-Account betreut", beobachten die Springer-Autoren Roland Gabriel und Heinz-Peter Röhrs im Buchkapitel "Social-Media-Anwendungen beim Staat" (Seite 108).
Mit der Präsenz und Interaktion auf Facebook, Twitter & Co. vermitteln Politikerinnen und Politiker ihrer angehenden Wählerschaft nicht nur, dass sie mit der Zeit gehen und den Meinungsaustausch begrüßen, sondern sie befinden sich auch im Zugzwang: Rechts- und linkspopulistische Inhalte und Seiten erfahren auf sozialen Netzwerken derzeit starken Zulauf. Diese bedenkliche Entwicklung sei auch ein Grund, warum sich die Agentur Jung von Matt zur Zusammenarbeit mit der etablierten Partei CDU entschieden habe, wie der CEO Peter Figge verlauten ließ.