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2023 | Buch

Politischer Wandel in der bundesdeutschen Kernenergiepolitik von 1975 bis 1997

Eine Multiple Streams Analyse

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Über dieses Buch

Im Frühjahr 2023 gingen in der Bundesrepublik Deutschland die letzten Kernkraftwerke vom Netz. Es war das politisch beschlossene Ende einer Technologie, die vor rund 50 Jahren noch als unumstrittene Zukunftshoffnung zur Sicherung von Wachstum und Wohlstand gegolten hatte und dann als Gegenstand der Kernenergiekontroverse eine ganze Generation begleitet und teilweise sogar nachhaltig geprägt hatte. Christian von Falkenhausen unternimmt in diesem Buch den Versuch, anhand einer Multiple Streams Analyse der politischen Prozesse der Jahre 1975 bis 1997 zu zeigen, dass die Grundlagen für die späteren politischen Atomausstiege in dieser Frühphase gelegt wurden.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung
Zusammenfassung
John Kingdons Kernfrage – How Does an Idea‘s Time Come? – hat nichts an ihrer Relevanz für die Politikfeldanalyse verloren. In den vergangenen Jahren lässt sich ein steigendes Interesse am Multiple Streams Ansatz erkennen. Theoretische Weiterentwicklungen stellen sicher, dass dieser auch Agenda- und Politikwandel in unterschiedlichen politischen Systemen kausal erklären kann. Ein Anwendungsfall ist die bundesdeutsche Kernenergiepolitik der Jahre 1975 bis 1997, um folgenden Forschungsfragen nachzugehen: Wie kam es, dass der Kernenergieausbau stoppte und ein Atomausstieg als politisches Ziel in den Mittelpunkt rückte (Zeitpunkt des Wandels)? Wie entwickelten sich Alternativen zur Kernenergie und wie beeinflusste das die Prozesse im Problem- und Politicalstrom (Richtung des Wandels)? Zugleich bietet dieser Anwendungsfall eine gute Gelegenheit, den Ansatz einem rigorosen Test zu unterziehen und zu dessen Weiterentwicklung beizutragen.
Christian von Falkenhausen
Kapitel 2. Der Multiple Streams Ansatz: Einführung und Erweiterungen
Zusammenfassung
Erweiterungen des Multiple Streams Ansatzes stellen sicher, dass Agenda- und Politikwandel oder dessen Ausbleiben (Nicht-Wandel) in parlamentarischen Systemen erklärt werden können: Berücksichtigung von Institutionen und Definition wesentlicher Faktoren, Einführung einer Zwei-Fenster-Logik, Spezifizierung kausaler Mechanismen sowie Ableitung falsifizierbarer Hypothesen. Es werden 19 Hypothesen auf der Ebene der drei Ströme sowie der Verkopplungen abgeleitet. Sie adressieren die Wahrscheinlichkeit von Zeitpunkt und Richtung des (Nicht-)Wandels. Dabei bleibt die Kernidee des Ansatzes unangetastet.
Christian von Falkenhausen
Kapitel 3. Von Wyhl nach Tschernobyl
Zusammenfassung
In den Siebzigerjahren begünstigten alle Ströme einen Kernenergieausbau, obwohl es Widerstand gab und Kernenergie als riskante Technologie galt. Kernenergienutzung musste erst vom Sachverhalt zum Problem werden, nachdem sie gerade zur Lösung geworden war, einen steigenden Stromverbrauch zu decken. Der Ausbau war das Ergebnis eines Atomkonsenses der energiepolitischen Policycommunity. Im Politicalstrom absorbierte der Parteienwettbewerb eine potentielle elektorale Relevanz der Proteste und begünstigte ein vorteilhaftes Umfeld kernenergiefreundlicher Politik. Anfang der Achtziger konnte man dann den Eindruck gewinnen, die Kernenergiekontroverse der späten Siebziger sei überwunden und der Ausbau werde, wenn auch verlangsamt, in geordneten Bahnen fortgesetzt. Veränderungen in den Strömen blieben weitgehend im Verborgenen. Erst das Focusing Event Tschernobyl fungierte als Stimulus, die Prozesse zu verändern: Es waren jene verborgenen Veränderungen, die Voraussetzungen geschaffen hatten, dass die Prozesse in den Strömen anders verliefen, als beispielsweise im Frühjahr 1979 nach dem Unfall von Harrisburg.
Christian von Falkenhausen
Kapitel 4. Die Energiekonsensgespräche
Zusammenfassung
In den Neunzigerjahren war es potentiell elektoral relevanten Friktionen geschuldet, dass ein forcierter Ausbau und ein forcierter Ausstieg aus der Kernenergie keine starke politische Rezeptivität fanden. Im Politicalstrom entwickelten sich jedoch parteiübergreifende Anreize, einen energiepolitischen Konsens zu verhandeln, wie er spätestens mit dem Focusing Event Tschernobyl zerbrochen war. Angesichts der parteienwettbewerblichen Aufwertung der Kernenergiekontroverse waren die Energieversorger auf eine langfristige Sicherung ihrer Investitionen bedacht. Wollte die Bundesregierung die Option auf Neubauten von Kernkraftwerken wahren, war sie auf die Zustimmung der Sozialdemokraten angewiesen; andernfalls waren die Energieversorger nicht bereit, zu investieren. So kam es zu mehreren Anläufen politischer Verhandlungen für einen energiepolitischen Konsens, der sich auch, aber nicht ausschließlich, um die Kernenergienutzung drehte. Wie sich zeigen sollte, nahmen diese Verhandlungen weitgehend den langfristigen Atomausstieg vorweg, der später von der rot-grünen Bundesregierung umgesetzt wurde.
Christian von Falkenhausen
Kapitel 5. Zusammenfassung & Ausblick
Zusammenfassung
Die Besonderheit des Multiple Streams Ansatzes ist, dass er Struktur und dynamische Prozesse vereint. Damit ist er prädestiniert, die bundesdeutsche Kernenergiekontroverse mit einem Blick auf Probleme, Alternativen und elektorale Relevanz zu erklären. Wie sich zeigt, können die Prozesse der bundesdeutschen Kernenergiepolitik umfassend erklärt werden, wenn man die Fokussierung auf die Mobilisierung gegen Kernenergienutzung überwindet. Mobilisierung allein vermag weder die Persistenz des Themas noch Zeitpunkt und Reichweite politischer Veränderungen zu erklären. Sodann lassen sich auch Lehren der Kernenergiekontroverse für die Gegenwart erkennen, die andernfalls häufig übersehen werden, beispielsweise die Bedeutung kausaler Verbindungen zu sozio-ökonomischen Core Issues beziehungsweise Kernthemen.
Christian von Falkenhausen
Backmatter
Metadaten
Titel
Politischer Wandel in der bundesdeutschen Kernenergiepolitik von 1975 bis 1997
verfasst von
Christian von Falkenhausen
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-42313-1
Print ISBN
978-3-658-42312-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42313-1