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Politisierung eines menschengemachten Risikos

Frames von Glyphosat in deutschen und US-amerikanischen Tageszeitungen

  • 2025
  • Buch
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Über dieses Buch

Der Band beinhaltet eine ländervergleichende Analyse des Framings von Glyphosat in der deutschen und us-amerikanischen Berichterstattung. Ausgehend von einer qualitativen Frameanalyse wird begründet, wann und warum es zur Politisierung von menschengemachten Risiken im Bereich der Risk Governance kommt. Für die Frameanalyse entwickelt die Autorin ein eigenes Framemodell, in dem die kommunikationswissenschaftliche um eine sprachwissenschaftliche Perspektive ergänzt wird und in dem Aspekte des Frame Sponsorings und Fragen der Deutungsmacht berücksichtigt werden. Im Ergebnis leistet der Band einen Beitrag zur Theoriebildung: er gibt eine Definition von Politisierung im Bereich der Risk Governance und beinhaltet ein kommunikationswissenschaftlichen Politisierungsmodell sowie Leitfragen zur Reflexion und Bewertung der Potenziale und Probleme von Politisierungen menschengemachter Risiken. Die Zielgruppe sind vor allem Forschende, Lehrende und Studierende der Kommunikationswissenschaft, sowie Forschende, Lehrende und Studierende im Forschungsfeld ‚Framing‘, aber auch Praktikerinnen und Praktiker aus dem Feld der Kommunikationspraxis und Risk Governance, z.B. NGOs.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung und erste Orientierung
Zusammenfassung
Der gesellschaftliche Wohlstand und das konstant breite Angebot an Lebensmitteln in der westlichen Welt fußen auf einer technisierten Landwirtschaft. In der konventionellen Landwirtschaft gehören Pestizide zum Alltagsgeschäft. Der weltweit am meisten eingesetzte herbizide Wirkstoff ist Glyphosat. Zudem wird Glyphosat zur Tilgung von Pflanzen an Bahnschienen, Strommasten oder in der Gartenpflege eingesetzt (vgl. Benbrook 2016). Gleichzeitig ist Glyphosat Gegenstand zahlreicher Debatten: Es geht um die Gefährdung der Biodiversität (vgl. Vainio 2020), um die Entstehung resistenter Beikräuter (vgl. Bain et al. 2017), um wissenschaftliche Auseinandersetzungen bezüglich der Risiko- und Gefahreneinschätzungen (vgl. Clausing 2017; Tarazona et al. 2017), um Einflussnahme von Herstellerfirmen auf Behörden und Wissenschaft (vgl. Krimsky und Gillam 2018), um sich widersprechende Einschätzungen bezüglich des Krebsrisikos durch Glyphosat (vgl. IARC 2017 vs. ECHA 2017 und U.S. EPA 2020) sowie um gerichtliche Klagen, wegen gesundheitlicher Schäden durch die Verwendung von Glyphosat (vgl. Krimsky und Gillam 2018). An den genannten Themen lässt sich erahnen, dass Glyphosat mehr als ein chemischer Stoff und menschengemachtes Risiko ist – Glyphosat hat ein vielschichtiges Konfliktpotenzial und es scheint zu einem Symbol für die industrialisierte Großlandwirtschaft geworden zu sein. Menschengemachte Risiken besitzen hohen „politischen Zündstoff“ (Beck 2016, S. 31) und damit ein hohes Potenzial der Politisierung. Im Kern ist Glyphosat ein chemischer Stoff und damit an sich ein Gegenstand der Wissenschaft (oder aus Praxissicht ein Gegenstand zur Bearbeitung von Grünflächen). Allerdings muss Glyphosat von Behörden geprüft und zugelassen werden, womit die Chemikalie zwangsläufig zum Gegenstand der Politik wird. Die behördliche und damit politische Auseinandersetzung mit Glyphosat stellt im vorliegenden Verständnis jedoch noch keine Politisierung dar. Letztere umfasst mehr Aspekte, wie später ausgeführt wird. Bestimmte Kontextfaktoren fördern die Politisierung von Glyphosat und deren Stärke. Die Modellierung dieser Bedingungen ist eine zentrale Zielsetzung dieser Arbeit. Inwiefern Glyphosat zu einem Politikum wird, soll auf Basis öffentlicher Kommunikation analysiert werden, dabei soll nicht die Kommunikation spezifischer Interessensvertretungen untersucht werden, sondern massenmediale Kommunikation, die als Arena der zentralen Akteure und Argumente fungiert. Um festzustellen, welche Bedingungen eine Politisierung von Glyphosat fördern, ist eine kontextvergleichende Perspektive produktiv, weswegen die Kontexte und damit auch die Berichterstattung zweier Länder, Deutschland und den USA, miteinander verglichen werden. Akteure, die sich und ihre Perspektiven in der Berichterstattung durchsetzen, werden als zentrale Setzer (Sponsors) von Deutungsrahmen bestimmter Themen verstanden (vgl. Carragee und Roefs 2004). Massenmediale Deutungsrahmen (Synonym: Frames) konstruieren Themen so, dass diese mit einer bestimmten Schlagseite und so implizit mit einer spezifischen Perspektive auf das Thema vermittelt werden (vgl. Gamson 1989). Daher werden für die Analyse und Modellierung der Politisierung von Glyphosat Frames als Analysezugang gewählt. Massenmedien haben in der Wissens- und Meinungsbildung zu landwirtschaftlichen Themen eine zentrale Funktion, weil die meisten Menschen keinen direkten Kontakt zur Landwirtschaft haben, sondern ihr Wissen darüber aus den Massenmedien gewinnen (vgl. Böhm et al. 2010). Zugleich ist seit geraumer Zeit ein gestiegenes Interesse und ebenso eine steigende Berichterstattung über Landwirtschaft und Ernährung zu verzeichnen (Kayser et al. 2011, S. 72). Für die kommunikationswissenschaftliche Forschung lässt sich dies nicht feststellen. Während eine solide Basis an Studien zur massenmedialen Darstellung des Klimawandels (vgl. beispielhaft Post und Ramirez 2018 oder Schäfer et al. 2012) sowie Themen der (grünen und roten) Biotechnologie (vgl. beispielhaft Bonfadelli 2012 oder Brossard und Nisbet 2007) existiert, gibt es kaum kommunikationswissenschaftliche Forschung zu ‚konservativen‘ landwirtschaftlichen Themen jenseits grüner Gentechnik (vgl. Abschn. 5.​2, Forschungsstand). Diese Arbeit richtet somit den thematischen Blick auf einen in der Kommunikationswissenschaft wenig beachteten Gegenstand menschengemachter Risiken. Nach dieser ersten Orientierung zu den Themenbereichen der Arbeit werden nun ihre Zielsetzungen, ihre Einordnung in die Risikokommunikation sowie ihr Ansatz als ländervergleichende Analyse näher vorgestellt.
Martha Kuhnhenn
2. Politisierung
Zusammenfassung
Politisierung ist zu einem Schlagwort geworden. Sobald ein Gegenstand aus einem politischen Blickwinkel betrachtet wird, findet man rasch die (oft) intuitiv einleuchtende, aber nicht immer näher begründete Feststellung, dass bzw. inwiefern eine Politisierung vorliegt. Der Ursprung des Begriffs Politisierung geht zurück auf den deutschen Historiker Karl Lamprecht, der 1907 von der Politisierung der Gesellschaft sprach, was ohne normativen Gehalt oder Unterton ein gesteigertes Interesse der Gesellschaft an Politik umschrieb (vgl. Palonen 2003, S. 181). Zahlreiche Studien widmen sich der Politisierung verschiedener Lebensbereiche, Gegenstände, Institutionen und Ereignisse. Die nachstehende Übersicht gibt einen Einblick in die Bandbreite der Forschung. Poilitisierung betrifft demnach Atomenergie (vgl. Bolsen et al. 2014; Ylönen et al. 2017), den Deutschen Bundestag und die Europäische Zentralbank (vgl. Högenauer 2019), die Europäischen Union (vgl. Becker und Schramm 2014), Fake News (vgl. Brummette et al. 2018), den FIFA World Cup (vgl. Meier et al. 2019), Impfstoffe (vgl. Fowler et al. 2022), den menschengemachten Klimawandel (vgl. Schmid-Petri 2017) oder Wissenschaft im Allgemeinen (vgl. Weingart 1983; Gauchat 2012).
Martha Kuhnhenn
3. Kontexte und Kontextfaktoren der Politisierung von Glyphosat
Zusammenfassung
Die qualitative Ausrichtung der vorliegenden Arbeit zeigt sich in der zentralen Rolle, die dem Kontext der Politisierung von Glyphosat zugesprochen wird. Theunert (vgl. 2008, S. 303) versteht solch eine Kontextsensitivität als Kernmerkmal qualitativer Sozialforschung. Ang (2008, S. 63) stellt darüber hinaus fest, dass es unmöglich sei „jedwede soziale oder textuelle Bedeutung jenseits der komplexen Situation, in der sie entsteht, zu bestimmen“. Daher nimmt die Beschreibung der relevanten Kontexte und die darauf aufbauende Erarbeitung zentraler Kontextfaktoren für das Verstehen der Politisierung von Glyphosat einen wesentlichen Umfang in Anspruch. Der kontextsensitiven Logik folgend soll ein Kontextmodell der Politisierung von Glyphosat bzw. von menschengemachten Risiken erstellt werden. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand und das Erkenntnisinteresse folgt die Arbeit vornehmlich einer Makroperspektive auf Kontext (vgl. dazu Kostiučenko und Kuhnhenn 2022, S. 291–298). Für den Bereich landwirtschaftlicher Biotechnologie stellen Brossard und Nisbet (vgl. 2007, S. 25) fest, dass ein komplexes Set an Faktoren zu sehr unterschiedlichen Mustern der Akzeptanz jener Technologien in den USA und Europa führt. Gleiches wird für die Kontextfaktoren einer potenziellen Politisierung von Pestiziden angenommen. Für das vorliegende Erkenntnisinteresse werden Merkmale des soziokulturellen Kontextes, der institutionellen Kontexte der Risk Governance sowie des Mediensystems und schließlich des Parteiensystems als wesentliche Kontextfaktoren identifiziert. Die Darstellungen münden in einen tabellarischen Vergleich von zentralen Merkmalen der beiden nationalen Kontexte in den genannten Bereichen, was die Grundlage für das Kontextmodell von Politisierung darstellt.
Martha Kuhnhenn
4. Theoretisches Kontextmodell und Forschungsfragen 1
Zusammenfassung
Im Folgenden werden die in den Kap. 2 und 3 diskutierten theoretischen Perspektiven für das vorliegende Forschungsinteresse zusammengeführt. Ziel dieses Zwischenfazits ist die Bündelung theoretischer Überlegungen und die Formulierung erster Forschungsfragen für das weitere Vorgehen.
Martha Kuhnhenn
5. Frames als Analysezugang
Zusammenfassung
Dieses Kapitel widmet sich zunächst der kommunikationswissenschaftlichen Frameforschung, im Anschluss daran wird ein Forschungsüberblick zu öffentlicher Kommunikation landwirtschaftlicher Themen gegeben. Vor diesem Hintergrund werden Forschungsdesiderata für die Frameforschung identifiziert und schließlich die theoretischen Forschungsfragen aus Kap. 4 entsprechend ergänzt. In den gleich folgenden Kapiteln bleiben die Erläuterungen zu den konkreten Framekonstituenten auf einem grundsätzlichen Niveau, weil es an dieser Stelle um die Produktivität der Frameforschung als Analysezugang geht. Im Forschungsdesign wird an diese Grundlagen angeknüpft, wobei auch die Framekonstituenten definiert und die Verbindung von Frames und Politisierung erläutert werden. Frames werden synonym zu Deutungsrahmen, Deutungsmuster und Sinnhorizonten verstanden und entsprechend werden die Begriffe im weiteren Verlauf genutzt, auch wenn beispielsweise Dahinden (vgl. 2018, S. 27) den Begriff „Deutungsrahmen“ als nicht ausreichend für das Konzept „Frame“ bemängelt.
Martha Kuhnhenn
6. Forschungsdesign
Zusammenfassung
Das vorliegende Forschungsdesign wird als Fallbeispiel eingeordnet, wobei die Berichterstattung über Glyphosat in ausgewählten Tageszeitungen den Untersuchungsgegenstand darstellt. Um ein Grundverständnis über Glyphosat als Risikogegenstand und die Kontroversen darüber zu gewinnen, widmen sich Abschn. 6.1.1, 6.1.2, 6.1.3, 6.1.4 einer Beschreibung von Glyphosat, für diese Arbeit relevanten Risikoeinschätzungen sowie den Zulassungsverfahren in der EU und den USA. Daran anschließend wird das methodische Vorgehen vorgestellt, welches aus einer qualitativen Frameanalyse (Abschn. 6.2.1) auf Basis eines Codierleitfadens (Abschn. 6.2.3) besteht. Die Frameanalyse bildet den Grundstein für die Bestimmung und Einordnung der Politisierung von Glyphosat. Mit welchem Schema die Politisierung von Glyphosat in der Berichterstattung festgestellt werden soll, erklärt Abschn. 6.3. Abschließend wird offengelegt, nach welchen Kriterien die untersuchten Tageszeitungen sowie die finalen Presseartikel ausgewählt wurden.
Martha Kuhnhenn
7. Frames von Glyphosat in deutscher und US-amerikanischer Presse
Zusammenfassung
In diesem Kapitel erfolgt zunächst ein Überblick aller identifizierten Frames und Hauptframes. Dieser Überblick gibt eine erste Orientierung über Deutungsmuster und mögliche Politikbetonungen von Glyphosat in der untersuchten Berichterstattung.
Martha Kuhnhenn
8. Zur Politisierung von Glyphosat in deutscher und US-amerikanischer Presse
Zusammenfassung
Die nun zu beantwortenden Fragen lauten, inwiefern eine Politisierung von Glyphosat in der untersuchten Presseberichterstattung festgestellt werden kann und wie diese näher charakterisiert sowie theoretisch begründet werden kann. Anschließend soll in Rückblick auf die in Kap. 4 dargestellten Kontexte der beiden Länder reflektiert werden, welche Kontextfaktoren eine Politisierung von Glyphosat begünstigen.
Martha Kuhnhenn
9. Zusammenfassende Beantwortung der Forschungsfragen und Theoriebildung
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden die Antworten auf die Forschungsfragen aufgegriffen, um sie für die Theoriebildung und weiterführende methodische Überlegungen aufzubereiten. Da die Forschungsfragen zur Politisierung von Glyphosat ausführlicher in Kap. 8 und die Forschungsfragen zum Framing von Glyphosat in Kap. 7 beantwortet wurden, sollen die Forschungsfragen hier nur noch einmal knapp beantwortet werden. Der Schwerpunkt liegt an dieser Stelle auf Überlegungen zur Verallgemeinerbarkeit der Befunde und zur Erweiterung der Theorie von Politisierung menschengemachter Risiken in der Kommunikationswissenschaft. Die hier erfolgende Theoriebildung, vor allem die Definition von Politisierung im Bereich menschengemachter Risiken (Abschn. 9.3) sowie das Politisierungsmodell (Abschn. 9.4), sind in dieser Form möglich, weil die Arbeit mit einer offenen Herangehensweise bei der Analyse und Interpretation der Analysebefunde gearbeitet hat. Im Sinne eines abduktiven Vorgehens wurden die datenbasierten Beobachtungen zur machtstrategischen Politisierung (in Abschn. 8.​2) mit zusätzlicher Theorie (in Abschn. 8.​2.​1) gestützt, um die Beobachtungen für die weiterführende Theoriebildung aufzubereiten. Auf Basis dieser Verfahrensweise wird in diesem Kapitel die weiterführende Theoriebildung geleistet. Bevor diese erfolgt, werden zunächst die Befunde zur Frameanalyse zusammengefasst.
Martha Kuhnhenn
10. Anschlussfähigkeit, kritische Reflexion und Ausblick
Zusammenfassung
Abschließend werden Anknüpfungspunkte für unterschiedliche Forschungsrichtungen der Kommunikationswissenschaft aufgezeigt, um die breitere Anschlussfähigkeit der vorliegenden Ergebnisse zu beleuchten. Daran anschließend erfolgt eine kritische Reflexion der vorliegenden Arbeit, die mit Blick auf weiterführende Fragestellungen sowie Impulse für die Kommunikationspraxis abschließt.
Martha Kuhnhenn
Backmatter
Titel
Politisierung eines menschengemachten Risikos
Verfasst von
Martha Kuhnhenn
Copyright-Jahr
2025
Electronic ISBN
978-3-658-49837-5
Print ISBN
978-3-658-49836-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-49837-5

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