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28.02.2024 | Polymerwerkstoffe | Im Fokus | Online-Artikel

Ökobilanzen im Kunststoffrecycling sollen vergleichbar werden

verfasst von: Thomas Siebel

4 Min. Lesedauer

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Welches Recyclingverfahren ist nachhaltiger? Wie schneidet Rezyklat im Vergleich zu neuem Kunststoff ab? Belastbare Antworten sind oft schwer zu finden. Fraunhofer-Forschende zeigen, worauf es ankommt.

Die Kunststoffwirtschaft ist im Wandel: Sie soll weniger fossile Rohstoffe verbrauchen, End-of-Life-Verluste vermeiden und gebrauchte Kunststoffe wiederverwenden. Dass Recycling auf dem Weg hin zur Kreislaufwirtschaft die tragende Rolle spielt, ist klar. Doch welche Ansätze im Kunststoffrecycling die nachhaltigsten sind, lässt sich oft nicht mit Sicherheit sagen. Zwar bieten Ökobilanzen eine Entscheidungsgrundlage, allerdings leidet die Arbeit mit mehreren Bilanzen an einem grundsätzlichen Problem: Die Ergebnisse zweier Ökobilanzen sind in der Regel nicht miteinander vergleichbar.

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Ökobilanzen von Kunststoffkreisläufen

Kunststoffe basieren hauptsächlich auf fossilen Ressourcen, wodurch während der aktuellen Produktion, Verarbeitung und Abfallverbrennung hohe Treibhausgasemissionen verursacht werden. Um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, wird verstärkt eine Kreislaufwirtschaft gefordert. Um die Auswirkungen der Kreislaufwirtschaft zu bewerten, werden in der Literatur Ökobilanzen für verschiedene Recycling- und Verbrennungstechnologien durchgeführt. 

Die grundlegende Vergleichsgröße in jeder Ökobilanz ist die funktionelle Einheit. Sie legt die Systemgrenze eines zu analysierenden Produkts fest, auf die Ein- und Ausgänge von Material, Energie oder Emissionen bezogen werden. Ein Abfallbehandler definiert die funktionelle Einheit für seine Umweltbilanzstudie dabei typischerweise anders als ein Anbieter von Recyclingmaterial oder als ein Unternehmen, das den Einsatz von Kunststoffen über den Lebenszyklus beispielsweise eines Fahrzeugs bewerten will.

Herausforderungen für Ökobilanzen im Kunststoffrecycling

Das Fraunhofer Cluster of Excellence Circular Plastics Economy CCPE – ein Bündnis von sechs Fraunhofer-Instituten – benennt mit einem Positionspapier nun zehn Punkte, die vergleichende Umweltbilanzen im Kunststoffrecycling erschweren, und es bietet einen Diskussionsgrundlage dafür, wie die Ökobilanzen in der Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen künftig trotzdem zu einem belastbaren Analysewerkzeug werden können. 

Herausforderungen für Ökobilanzen im Kunststoffrecycling

Vielfältige Recyclingtechnologien
Das heute vorherrschende mechanische Recycling wird künftig durch weitere, technisch noch nicht ausgereifte Verfahren wie das chemische Recycling ergänzt. Zudem kann das selbe Verfahren zu unterschiedlichen Ökobilanzen führen, da die Ergebnisse stark von Sammlung, Sortierung oder Vorbehandlung der Kunststoffabfälle sowie von der Prozessführung abhängen – beispielsweise davon, ob Ein- oder Doppelschneckenextruder zum Einsatz kommt.

Recycling erfüllt mehrere Funktionen
Das Recycling bildet die Grenze zwischen zwei Produktsystemen: einerseits zum entsorgten Altprodukt mitsamt der Abfallbehandlung und andererseits zur Bereitstellung von Recyclingmaterial für neue Produkte. Die zwei Perspektiven spiegeln sich jeweils in der Umweltbilanz wider, wodurch ihre Ergebnisse schwer miteinander vergleichbar sind.

Komplexe Materialflüsse in der Recyclingwirtschaft
Der Großteil der in Europa anfallenden Kunststoffabfälle wird nicht von einzelnen Unternehmen gesammelt, sortiert und recycelt, sondern von einer Kette unterschiedlicher Akteure. Ökobilanzstudien, die die gesamte Kunststoffrecyclingkette abdecken, sind derzeit selten.

Unterschiedliche Abfallherkunft
Kunststoffabfälle aus der Industrieproduktion (Post-Industrial Recycling, PIR) haben in der Regel geringere Umweltwirkungen als Siedlungsabfälle (Post-Consumer Recycling, PCR). Bisherige Umweltbilanzansätze setzen für Unternehmen wenig Anreize, PCR-Kunststoffe einzusetzen.

Verunreinigung und Downcycling
Kunststoffströme aus Siedlungsabfällen sind häufig verunreinigt. Recyclingkunststoffe sind zudem oft von geringere Qualität als Primärkunststoff (Downcycling).

Datengrundlage und Methodik
Daten zur Abfallbehandlung werden entlang der Verwertungskette oft nicht geteilt, wodurch sie auch für die Ökobilanzierung nicht vorliegen. Verschiedene Institutionen setzen für ihre Bilanzen zudem auf unterschiedliche Datengrundlagen und Bewertungsschemen. Häufig fehlen auch Daten mit lokalem Bezug – zwei Recyclinganlagen an zwei verschiedenen Orten weisen in der Regel abweichende Bilanzen auf.

Veränderlicher gesellschaftlicher und politischer Rahmen
Neue Technologien, Verbraucherverhalten und Trends sowie politische Entscheidungen wirken sich auf das Kunststoffrecycling aus. Beispiele sind der Trend zu papierbasierten Verpackungen, das Plastikverbot in China und die Auswirkungen der Einwegplastikrichtlinie.

Gleiche funktionelle Einheit für alle Ökobilanzen

Damit Ökobilanzen zum Kunststoffrecycling künftig robust und vor allem vergleichbar werden, stellen die Forschenden eine Reihe von nötigen Maßnahmen zusammen. Zunächst sollten Modelle auch für aufstrebende, noch nicht ausgereifte Recyclingtechnologien erstellt werden, um ihr Potenzial im Rahmen von Forschungsarbeiten frühzeitig abschätzen zu können.

Um einen gemeinsamen Bilanzrahmen für alle Ökobilanzen im Kunststoffrecycling zu finden, schlagen die Forschenden vor, bei der Sammlung von Kunststoffabfällen zu beginnen und die Bilanz fortzuführen bis zu dem Punkt, an dem recyceltes Granulat fossile Kunststoffe ersetzen kann. Ersetzt Recyclingkunststoff fossile Kunststoffe in Neuprodukten, sollten die positiven Umweltwirkungen dann auf das Sekundärprodukt angerechnet werden, und nicht auf dadurch wegfallende Abfallbehandlungen.

Vergleich von Recycling- und Neumaterial standardisieren

Zudem fordern die Wissenschaftler ein standardisiertes Vorgehen, nach dem sich die Ökobilanz von Recycling- und neuwertigem Material vergleichen lässt. In Ökobilanzen sollte außerdem die Qualität sowohl des verwerteten Abfalls sowie des erzeugten Recyclingmaterials einbezogen werden. Bei letzterem sind beispielweise mechanische Kennwerte und erzielbare Verkaufspreise von Interesse. Indem Daten an möglichst jedem Punkt in der Prozesskette gesammelt werden, sollen Ökobilanzen auf eine belastbare Grundlage gestellt werden.

Bei Kunststoffabfällen aus der Industrieproduktion mahnen die Forschenden zur Vorsicht. Diese PIR-Materialien sind zwar oft von höherer Qualität, Priorität sollten allerdings Produktionsprozesse haben, die so effizient sind, dass möglichst gar kein Abfall entsteht. Postindustrielles Material sollte aus Sicht der Forschenden deswegen auch nicht als Recyclingmaterial gekennzeichnet werden, wenn es in einem Produkt eingesetzt wird.

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