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2020 | Buch

Populismus – Staat – Demokratie

Ein interdisziplinäres Streitgespräch

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Über dieses Buch

Zwar fällt die Populismusforschung auf den ersten Blick ins Kerngebiet der Politikwissenschaft, aber keine Geistes- oder Sozialwissenschaft verschließt sich der Debatte. Dabei erfolgt eine interdisziplinäre Verknüpfung der einzelnen Diskussionsfäden bislang nur vereinzelt. Der Sammelband stößt in die Lücke, indem er erstmals Vertreterinnen und Vertreter der Kunst-geschichte, Ökonomie, Philosophie, Politikwissenschaft, Politolinguistik, Städtebau/Architektur und Theologie zum Streitgespräch versammelt.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einführung

Frontmatter
Populismus interdisziplinär denken – ein Plädoyer für den wissenschaftlichen Austausch
Zusammenfassung
Wer der Wissenschaft nicht nur die Aufgaben des Verstehens und Erklärens zuweist, sondern ihr auch die Entwicklung von Lösungsstrategien zutraut, stößt unweigerlich auf das Ideal der Interdisziplinarität. Ist diese in bestimmten Forschungsfeldern, etwa der Klimapolitik, weit vorangeschritten, neigt sie in anderen Bereichen zum bloßen Schlagwort im universitären Alltag zu verkommen. Der Beitrag argumentiert, warum interdisziplinäre Perspektiven weiterführende Erkenntnisse für die Populismusforschung versprechen. Interdisziplinarität wird dabei von Multidisziplinarität unterschieden, die im Gegensatz zu erstgenannter auf die Integration der Ergebnisse verzichtet. Multidisziplinarität gilt als erster Schritt im Austausch über Fächergrenzen hinaus.
Isabelle-Christine Panreck

Kunstgeschichte

Frontmatter
Was ist „Ästhetische Politik“?
Donald Trumps „Sanctions are coming“-Tweet als icon des neuen Populismus
Zusammenfassung
„Sanctions are coming“ twitterte US-Präsident Donald Trump am 2. November 2018 aus Anlass der von ihm im Mai 2019 verhängten und am 5. November 2018 in Kraft tretenden Sanktionen gegen den Iran. So ungewöhnlich wie diese nonkonformistische, sich von der offiziellen PR des Weißen Hauses abkoppelnde politische Kommunikation ist deren bildliche Form. In Farbigkeit und Typographie der Mittelalter-Fantasy-TV-Serie „Game of Thrones“ ähnelnd, überhöhte der Tweet eine außenpolitische Entscheidung zu einem mythischen Showdown. Der Beitrag untersucht den Tweet als Ikone des neuen Populismus und definiert als dessen Charakteristikum „ästhetische Politik“ im Unterschied zur „politischen Ästhetik“ und zur „Ästhetisierung der Politik“.
Jörg Probst

Ökonomie

Frontmatter
Informationspopulismus in der liberalen Demokratie
Digitale Echokammern und anti-pluralistische Profilierung im Medienwettbewerb
Zusammenfassung
Dieser Beitrag deutet den Populismus aus Perspektive der Wirtschaftswissenschaften. Wir diskutieren die Politische Ökonomie des linken und rechten Populismus, inklusive der Angebots- und Nachfrageseite. Ursprung des Populismus sind die fortschreitende Globalisierung und der technologische Wandel. Allerdings kommt es aktuell zu einer Überformung durch das Phänomen des Postfaktischen. Das Zusammenwirken dieser Faktoren charakterisiert eine neue Form, den Informationspopulismus. Der Informationspopulismus wird zudem durch die Digitalisierung und Plattformökonomie intensiviert. Der in diesem Beitrag entwickelte Lösungsansatz, definiert als »inklusive Kommunikation«, modelliert die Informationsverbreitung stets im Spektrum der Gesamtverteilung. Mithin sollten Nachrichten nicht nur ein binäres Informationsquantum transportieren. Wir belegen die Funktionalität inklusiver Kommunikation und diskutieren die Praktikabilitätsgrenzen im digitalen Medienzeitalter.
Bodo Herzog

Philosophie

Frontmatter
‚Wir‘ sind kein Volk
Philosophische Überlegungen zum Populismus
Zusammenfassung
Philosophische Beiträge zur Populismus-Forschung widmen sich vor allem einer Analyse und Kritik der Begrifflichkeiten. Dabei lassen sich analytische und affirmative Ansätze identifizieren, die auf unterschiedliche Weise versuchen, Antworten auf die Frage nach der Konjunktur des Populismus zu formulieren, deren theoretisch anspruchsvollste sicher Ernesto Laclaus hegemonietheoretische Ontologie des Populismus ist. Das von populistischen Akteuren und Populismustheorien zugrunde gelegte „Wir“ ist jedoch zuallererst in seiner Fiktivität und Konstruiertheit zu begreifen. Ein Bewusstsein von der Partikularität und Fluidität dieses Wir ist umso notwendiger, als es nicht nur der kollektiven Identitätsstiftung, sondern auch der Aus- und Abgrenzung dient. Eine Alternative zu populistischen Antworten auf den Populismus könnte ein kämpferischer Liberalismus sein, der sich als kontingent weiß und sich die Form eines agonal-rhetorischen Kampfes gegeben hat, der Kollektive zu mobilisieren vermag.
Thomas Bedorf, Sarah Kissler

Politikwissenschaft

Frontmatter
Populismus als Symptom und Folge einer Vertrauenskrise der heutigen Demokratien
Wie wirken ökonomische und kulturelle Konflikte zusammen?
Zusammenfassung
Die Vertrauens- und Repräsentationskrise der heutigen Demokratien lässt sich vor allem auf den rückläufigen kulturellen und sozialökonomischen Zusammenhalt der Gesellschaften zurückführen. Während die nachlassenden Verteilungsspielraume und der unter Druck geratene Wohlfahrtsstaat die Schere zwischen Arm und Reich öffnen, führen Individualisierungsprozesse sowie die Arbeits- und Flüchtlingsmigration gleichzeitig dazu, dass auch die kulturellen Konflikte zunehmen. Ihren Ausdruck findet die Krise in der Entstehung neuer rechtspopulistischer Parteien. In der politikwissenschaftlichen Parteienforschung werden deren Wahlerfolge auf die Herausbildung einer vermeintlich neuen Konfliktlinie zurückgeführt, die zwischen kosmopolitischen und kommunitaristischen Positionen bzw. Einstellungen verlaufe. Wie die ökonomischen und kulturellen Konflikte genau zusammenspielen, wird dadurch aber nicht richtig erfasst. Die in jüngster Zeit populärer gewordene ökomische Bedeutung des Populismus geht wiederum an der eigenständigen Bedeutung der wertebezogenen Konflikte vorbei.
Frank Decker
„Der Herausforderung entgegentreten“
Zum Verhältnis von politischer Bildung und Rechtspopulismus
Zusammenfassung
In zwei Punkten scheinen Vertreter/innen der politischen Bildung weitgehend einig zu sein: Der Rechtspopulismus wird erstens als eine Herausforderung und sogar Gefahr für die Demokratie und den Frieden aufgefasst, auf die es zweitens didaktische Antworten zu finden und Strategien zu entwickeln gilt. Der Beitrag rekonstruiert die dominierende Sichtweise der politischen Bildung auf den Rechtspopulismus. Dabei werden mit der therapeutischen, responsiven und konfliktorientierten Strategie drei idealtypische Wege der Reaktion politischer Bildung auf den Rechtspopulismus vorgestellt. Es zeigt sich, dass alle Strategien unter pädagogisch-didaktischen Gesichtspunkten hilfreich sein können, aber jeweils an spezifische, strukturelle Grenzen stoßen, die dem pädagogischen Handeln inhärent sind.
Michael May
Populismus und Demokratie in Europa und Lateinamerika
Zusammenfassung
Wer sich mit „Populismus“ auseinandersetzt, trifft auf eine Vielzahl an Definitionsversuchen und empirischen Studien. Der Beitrag überblickt das heterogene Forschungsfeld und erörtert definitorische Annäherungen sowie (demokratie-) theoretische Reflexionen einerseits sowie empirische Befunde über Populismus in Lateinamerika und Europa andererseits. Besonderes Augenmerk kommt den Schriften Chantal Mouffes und Ernesto Laclaus zu. Der Vergleich kontrastiert den lateinamerikanischen und europäischen Linkspopulismus sowie den lateinamerikanischen und europäischen Rechtspopulismus. Erklärungsansätze, warum der Linkspopulismus in Lateinamerika, der Rechtspopulismus in Europa reüssiert, sind rar. Ansätze aus der Ökonomie und politischen Ökonomie werden als erste Annäherungen herangezogen. Ein Umschlagen der jeweiligen Hegemonien ist derzeit nicht zu erwarten.
Isabelle-Christine Panreck
Populismus in der politischen Theorie
Zusammenfassung
Im Fokus der politiktheoretischen Debatte über Populismus steht die Frage nach dem Verhältnis von Populismus und Demokratie. Politische Theoretiker*innen beantworten diese Frage jedoch sehr unterschiedlich: Einige attestieren dem Populismus eine ambivalente normative Bedeutung, während andere in Populismus eine Gefahr für die Demokratie oder aber ein wichtiges Potenzial für eine Demokratisierung des Status Quo sehen. Der Beitrag stellt die etablierten Positionen vor und zeigt die Gründe für diese divergierenden normativen Bewertungen auf. Anschließend werden zwei Aufgaben für die zukünftige politiktheoretische Debatte über Populismus konturiert. Erstens sollte die Auseinandersetzung über Möglichkeiten eines demokratischen Populismus weiterentwickelt werden. Zweitens sollten Ergebnisse der Forschung zu Ursachen des Erfolgs populistischer Akteur*innen stärker berücksichtigt werden.
Manon Westphal

Politolinguistik

Frontmatter
Populistische Sprache, verdorbene Sprache?
Semantische Kämpfe und Moralismus
Zusammenfassung
Die Sprache der Populisten gilt als Erfolgsmodell. Zugleich ist ihre Untersuchung nicht abgeschlossen. So ergeben die vorhandenen Einzelstudien kein Gesamtbild. Ein Aspekt des Felds: Wie verhält sich der populistische Sprachgebrauch zur Demokratie? Der Beitrag zeigt die Ambivalenz populistischer Sprache auf: Da sie ohne normative Aussagen auskommt, kann sie auf der Theorieebene demokratisch wie antidemokratische Züge annehmen. Jedoch offenbaren sich in der Sprachkultur Anknüpfungspunkte für demokratiefeindliche Positionen. Das Beispiel der AfD dient zur Illustration rechtspopulistischen Sprachgebrauchs und seiner demokratischen Qualität.
Johannes Schaefer

Städtebau/Architektur

Frontmatter
Der „Mitte“ ist grundsätzlich zu misstrauen
Über „Rechte Räume“, populistische Rekonstruktionsvorhaben und die Frage der Ideologie
Zusammenfassung
Nichts scheint mehr sicher zu sein vor dem Rollback namens westlich-demokratische Gegenwart: die angenommene Unmöglichkeit einer Rückkehr von Diktatur und Faschismus, die angenommene Verurteilung von Rassismen durch breitere Gesellschaftsschichten, die angenommene Hinfälligkeit tradierter Geschlechterrollen, das angenommene Aussterben homophober Propaganda, die angenommene Marginalisierung religiöser Meinungen zu politischen Fragen etc. Bestritten werden die emanzipatorischen Errungenschaften von 1968ff. auf breiter Front von einer teilweise bereits parlamentarisch agierenden Opposition von Rechten, die das Rad der Zeit zurückdrehen wollen: zurück in eine Zeit klar konturierter Nationalstaaten mit dazu passenden „Völkern“; zurück in ein „Europa der Vaterländer“. Diese Front, die zur größten Bedrohung des europäischen Einigungsprojektes seit seiner Begründung nach dem Zweiten Weltkrieg geworden ist, verfügt trotz – oder gerade wegen – ihres Nationalismus über internationale Schlagkraft. Dass mit dem Aufschwung der Rechten auch Aussagen zur Kultur im Allgemeinen und zur Architektur im Besonderen getätigt werden, soll anhand dieses Beitrags deutlich werden.
Stephan Trüby

Theologie

Frontmatter
Theologie und Populismus: Kollisionen und Klärungen
Zusammenfassung
Das theologische Interesse am Phänomen des Rechtspopulismus erklärt sich einerseits aus der Notwendigkeit einer selbstkritischen Rekonstruktion von Querverbindungen zwischen religiösen und populistischen Mentalitäten und andererseits aus der Unvereinbarkeit rechtpopulistischer Politik mit fundamentalen Überzeugungen auf der Basis eines christlichen Menschenbildes. Aus der Sicht theologischer Sozialethik werden die repräsentative Demokratie und der Rechtstaat als Voraussetzungen von Religionsfreiheit und Pluralismus wertgeschätzt. Damit werden Kirche und Theologie nicht Teil eines elitären Establishments, sondern verstehen sich als zivilgesellschaftliche Akteure, die für die Wahrung der Menschenrechte eintreten und sich deshalb klar gegen Radikalisierungen am rechten Rand der Gesellschaft positionieren.
Walter Lesch
Metadaten
Titel
Populismus – Staat – Demokratie
herausgegeben von
Dr. Isabelle-Christine Panreck
Copyright-Jahr
2020
Electronic ISBN
978-3-658-30076-0
Print ISBN
978-3-658-30075-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-30076-0