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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Portugiesische Immigration in Luxemburg: Das Recht auf Freizügigkeit

verfasst von : Claudia Hartmann-Hirsch, Fofo Senyo Amétépé

Erschienen in: Zwischen Europäisierung und Renationalisierung der Freizügigkeit

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

In diesem Teil wenden wir uns der Europäisierung mit einem Fokus auf die Freizügigkeit zu. Dazu werden verschiedene Analyseansätze zur Interpretation von Europäisierung mit Blick auf eine Klassifizierung Luxemburgs vorgestellt. Zwei Arten von Sozialleistungen, Sozialhilfe und Kindergeld, werden in Sachen Europäisierung miteinander verglichen. Die Bedingungen für das Aufenthaltsrecht der Europäer werden in Beziehung gesetzt zur Inanspruchnahme von Sozialhilfe und Kindergeld. Dabei wird Bezug genommen auf europäisches und nationales Recht, auf europäische und nationale Rechtsprechung sowie auf nationale und kommunale Verwaltungspraktiken. Einige der bisher geltenden Parameter der Europäisierung haben sich ins Gegenteil verkehrt: Hier warteten die Mitgliedstaaten 2013 (Hartmann-Hirsch, 2013) noch auf Urteile des EuGH, dessen zentripetale Orientierung sich mehr und mehr in eine zentrifugale wandelte. Die Analyse europäischer und nationaler Urteile erlaubt es uns, die Entwicklung der Freizügigkeitsbedingungen in Luxemburg und in anderen Mitgliedstaaten zu beobachten. Unterliegen bestimmte Kategorien von Europäern, nämlich Südeuropäer, zunehmend ähnlichen Zugangsbedingungen wie Migranten aus Drittstaaten? Wird die Freizügigkeit seitens bestimmter Mitgliedstaaten eingeschränkt, ganz im Gegensatz zu den legislativen Tendenzen der Erweiterung und Konsolidierung während der zurückliegenden Jahrzehnte?

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Fußnoten
1
Das Zusammenleben zwischen Luxemburgern und Portugiesen kann nicht mit der Erfahrung anderer Mitgliedstaaten einer traditionellen Immigration verglichen werden (Jacobs et al. 2011). Allerdings hatten und haben die jungen Portugiesen meist schulische Probleme im Sinne traditioneller Migrantenkinder (Martin und Dierendonck 2008; PISA-Tests: Abschn. 3.​1.​6 und 6.​2.​4).
 
2
Nur die REMIGR-Daten berücksichtigen Personen, die sich nicht angemeldet hatten. Zensus und Arbeitskräfteerhebung befragen nur offiziell Wohnansässige.
 
3
Original: „une plus forte proportion d’immigrants qualifiés tend à atténuer l’effet anti-destribution de l’immigration“.
 
4
Bekanntlich endeten die „trentes glorieuses“ eines massiven Ausbaus unseres Sozialstaates mit einer ersten Unterbrechung und Sozialabbau durch die Öl- und Stahlkrise Mitte der 1970er Jahre.
 
5
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18./19. Februar 2016.
 
6
Sie folgten auf die „glorreichen 30 Jahre“ der Nachkriegszeit (Zahlen 2013; Abschn. 3.​1.​6).
 
7
Gemäß Art. 68 (2) der Verordnung (EG) 883/2004 hat der Freizügler Recht auf die Gesamtheit der Familienleistungen des Beschäftigungsstaates, wenn beide Eltern dort mit den Kindern leben. Wenn ein Ehegatte in einem Mitgliedstaat (der zuständige Staat) arbeitet und der andere Ehegatte mit den Kindern in einem anderen Mitgliedstaat wohnt (und/oder – nicht – arbeitet), hat der Migrant oder Grenzgänger (immer als Arbeitnehmer!) Recht
  • auf den Gesamtbetrag, wenn im Wohnmitgliedstaat der Kinder nichts gezahlt wird: Im Falle Portugals betrifft dies Familien, die (immer 2013) ein Einkommen von mehr als 8800 € erzielten (Tab. 5.1),
    Tab. 5.1
    Kindergeld in Portugal (2012)
    Anspruchsberechtigung nach Familieneinkommen pro Jahr
    1. Kind (€)
    2. Kind (€)
    3. Kind (€)
    4. Kind
    5. Kind
    Obergrenze 2009
    2.934,54
    5.869,09
    8.803,62
    14.672,70
    29.345,40
    Obergrenze seit Ende 2012
    2.934,54
    5.869,09
    8.803,62
    Kindergeld nach Alter
         
    2009:
    Kind unter 12 Monaten
    Kind über 36 Monate
    174,72
    43,68
    144,91
    36,23
    92,29
    26,54
    56,45
    22,59
    33,88
    11,29
    2012:
    Kind unter 12 Monaten
    Kind über 36 Monate
    140,76
    92,29
    116,74
    29,19
    35,19
    26,54
    Quelle: Portaria n.º 511/2009 vom 14. Mai, Gesetzesentwurf 176/2003 vom 2. August und Portaria n./2012 vom 1. November
  • auf den Unterschiedsbetrag, wenn der Betrag der Familienleistungen im Beschäftigungsstaat des Freizüglers höher ist als im Wohnstaat der Kinder und der im Wohnstaat gewährte Betrag gezahlt wurde – der Fall von Luxemburg vis-à-vis von Portugal für Jahreseinkommen unter 8800 €/Jahr und vis – à ‒ vis von allen anderen Mitgliedstaaten.
 
8
Luxemburg lag lange an zweiter Stelle in der EU hinter Dänemark, 2016 an erster Stelle (MISSOC: Vergleichende Tabellen).
 
9
Soziale Vergünstigungen gelten nur für europäische Arbeitnehmer (Art. 7 der Verordnung (EWG) 1612/68).
 
10
Gesetzentwurf n. 4229/00: www.​chd.​lu.
 
11
Punkt 9 des Urteils: Beim Zitat eines EuGH Urteils setzen wir durchgehend die Nummer des zitierten Punkts in Klammern hinter das Zitat.
 
12
Rechtsprechung C-299/01: Kommission der Europäischen Gemeinschaft gegen Großherzogtum Luxemburg.
 
13
Vgl. begründete Stellungnahme vom 26. Januar 2000, Briefwechsel zwischen der luxemburgischen Regierung (31. Mai, 15. Juni, 26. Oktober 2000) und der Kommission (24. Juli 2000). Eine genauere Analyse dazu in: Hartmann-Hirsch und Amétépé 2011.
 
14
ROMEUROPE, Rechtsprechung des EuGH über die Eigenschaft eines „Arbeitnehmers oder ihm Gleichgestellten“: https://​www.​romeurope.​org/​nos-publications/​.
 
15
Sie tagte erstmalig Anfang 2012 mit Vertretern der Immigrationsbehörde („Direction de l’Immigration“), des Nationalen Solidaritätsfonds (FNS: „Fonds national de solidarité“), der für den Zugang zum RMG verantwortlich ist, der Agentur für Arbeitsentwicklung („Agence pour le développement de l’emploi“, ADEM), und des Nationalen Dienstes für Soziale Aktion („Service national d’action sociale“, SNAS) der für die Umsetzung von Wiedereingliederungsmaßnahmen für Empfänger des RMG verantwortlich ist (vgl. FNS 2015, S. 6).
 
16
Schiltz 2003; Gespräch mit dem luxemburgischen Aufnahme- und Integrationsamt 2016 (Kap. 6).
 
17
Im Gegensatz zur Schweiz, die ebenfalls für verschiedene Personenkategorien unterschiedliche Genehmigungen ausstellte mit dem Ergebnis, dass der Migrant ‚seine‘ Position auf einem segmentieren Arbeitsmarkt erhielt, entweder oben oder unten auf der Skala (Bolzmann 2007); für die Schweiz waren die Unterschiede jedoch „de iure“ festgelegt, ohne dass implizit das „de facto-Register“ gezogen werden konnte.
 
18
Richtlinien, die nicht-erwerbstätigen Bürgern Freizügigkeit ermöglichen, z. B. 90/364/EWG.
 
19
Art. 1 der Richtlinie 1990/364/EWG. Vgl. entsprechend Art. 1 (1) 5 der großherzoglichen Verordnung vom 21. Dezember 2007.
 
20
Europaforum zu einem Runden Tisch Februar 2012: http://​www.​europaforum.​public.​lu/​fr/​index.​html.
 
21
Europaforum zur Dinglichkeitsdebatte vom 10. Mai 2012: http://​www.​europaforum.​public.​lu/​fr/​index.​html.
 
22
Vgl. dazu die Pläne zur Gesetzesänderung in Deutschland und die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18. und 19. Februar 2016, bzw. die österreichische Revision des Gesetzes zum Kindergeld betreffend des Unterschiedsbetrages im Jahr 2018.
 
23
Hinzuweisen wäre auf den Unterschied zwischen eingereichten und abgelehnten Anträgen. Leider konnten wir keine nach Nationalitäten aufgeschlüsselten Statistiken zu Anträgen und Ablehnung des RMG erhalten.
 
24
Im Abschn. 5.1.5 sehen wir, dass das Urteil von 2002 (C-299/01) angesichts der damaligen Verwaltungspraxis keine wirkliche Gleichstellung von Luxemburgern und Freizüglern zur Folge hatte, da die Aufenthaltsgenehmigung nur für die Dauer des Arbeitsvertrages erteilt wurde (Abschn. 5.1.5 a).
 
25
Sämtliche Hervorhebungen in diesem und den folgenden Urteilen des EuGH sind von den Autoren.
 
26
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18. und 19. Februar 2016.
 
27
Im Falle einer kinderreichen Familie mit einem Sozialen Mindestlohn ist der Lohn niedriger als die theoretische Leistung des RMG. Um hier keine Armutsfalle entstehen zu lassen und Leistungsempfänger des RMG nicht daran zu hindern, wieder zu arbeiten, da sie einen Teil ihres Budgets verlieren würden, wurde für Haushalte mit Erwerbstätigen das Recht auf RMG-Zuschuss („complément“) eingeführt; es handelt sich um den Unterschied zwischen dem Sozialen Mindestlohn und dem RMG, auf die dieser Haushalt wegen Familienkonstellation laut RMG Gesetzgebung Anspruch hat.
 
28
Vgl. die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 13. Februar 2014: Prozessregister Nr. AZ: 31986.
 
29
Vgl. den Entscheid des Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Juli 2014; Prozessregister Nr. AZ:34238. De facto wurde ihr das Aufenthaltsrecht nicht entzogen, da sich ihr Arbeitsstatus zwischen dem Urteil des Gerichts und dem des Gerichtshofs mit einer Vollzeitbeschäftigung veränderte hatte.
 
30
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18./19. Februar 2016.
 
31
Vgl. Art. 7 (2) des Gesetzes vom 29. August 2008 (ebenso die Richtlinie 2004/38/EG).
 
32
In Luxemburg ist das Kindergeld zu 100 % steuerfinanziert, in anderen Mitgliedstaaten gibt es verschiedene Konfigurationen, beitragsfinanzierte, steuerfinanzierte und gemischte.
 
33
Vgl. MISSOC: Vergleichende Tabellen.
 
34
Wir gehen hier nicht auf die Urteile bezüglich des 2010 eingeführten Studienstipendiums in Luxemburg ein, obgleich diese sowohl in Luxemburg als auch auf europäischer Ebene im Visier von Politik und Medien standen. Das neue Stipendium ersetzte im Rahmen der Sparpolitik seit 2010 das Kindergeld für Jugendliche über 18 Jahren. Das Stipendium war für Gebietsansässige konzipiert und schloss de iure Kinder von Grenzgängern aus. Die Rechtssache Giersch gegen Luxemburg (C-20/12) wurde von den Gewerkschaften unterstützt und ermöglichte Kindern von Grenzgängern, die seit mindestens fünf Jahren in Luxemburg arbeiten, den Anspruch auf das Stipendium geltend zu machen. Da es bei dieser Rechtssache um einen neuen Typ von Leistungen ging, war zu klären, ob dieser in die Kategorie der sozialen Vorteile einzuordnen ist (Art. 7 der Verordnung (EWG) 1612/68), wie es der EuGH bei anderen neuen Leistungen entschieden hatte, oder ob es sich dabei um ein Element der Bildungspolitik mit rein nationaler Kompetenz handelt, wie der zuständige luxemburgische Minister argumentierte. Es sei darauf verwiesen, dass der EuGH zugunsten des Freizüglers das Stipendium als sozialen Vorteil definierte.
 
35
Art. 68 der Verordnung (EG) 883/2004; auch: Batsaikhan 2016.
 
36
Vgl. Art 1, i), 1) sowie Art. 67 und 68 der Verordnung (EG) 883/2004; ebenso Sozialversicherungsrecht Art. 269 und 270.
 
37
Der Conseil supérieur de la sécurité sociale (Oberster Rat der Sozialversicherung, 2.Instanz) beschließt zugunsten der Kindergeldkasse und erklärt das Rechtsmittel als nicht begründet, da die dem Rat unterbreiteten Beweisunterlagen es nicht ermöglichen „einen rechtlich hinreichenden Beweis“ zu erbringen und Bezug genommen wurde auf die von den deutschen Behörden bezahlten Vorschüsse. Es scheint, als würden die 150 €/im Monat multipliziert für drei Kinder nicht der (Unterhalts-)Zahlung entsprechen, die der Antragsteller leistet (Conseil arbitral de la sécurité sociale – Schiedsgericht der Sozialversicherung; Beschluss vom 10. Juli 2015; Prozessregister Nr. AF 7/15).
 
38
Ombudsmann 2008, S. 51 sowie seine Empfehlung 34-2008.
 
39
Vgl. Gesetz 23. Juli 2016 „portant modification 1. du Code de la sécurité sociale; 2. de la loi modifiée du 4 décembre 1967 concernant l'impôt sur le revenu, et abrogeant la loi modifiée du 21 décembre 2007 concernant le boni pour enfant.“
 
40
Die beiden Leistungen haben unterschiedliche Bestimmungen, die erste betrifft direkt die durch das Kind verursachten Kosten, die zweite bezieht sich auf die Erziehungsleistung eines Elternteils.
 
41
Die Verordnung (EG) 883/2004 war im März 2012, als die Sache dem EuGH vorgelegt wurde, noch nicht in Kraft.
 
42
Urteil des EuGH vom 14. Juni 2016 (80).
 
43
„This should apply only to new claims made by EU workers in the host Member State. However, as from 1 January 2020, all Member States may extend indexation to existing claims to child benefits already exported by EU workers.“ (Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18. und 19. Februar 2016: 22).
 
44
Eine detailliert Auflistung der Vorgehensweisen findet man in Hartmann-Hirsch (2013).
 
45
Das Dokument, das bei der Anmeldung von der Kommunalverwaltung ausgestellt wird: „titre d’enregistrement“.
 
46
Die Antwort auf die parlamentarische Anfrage Nr. 2216 von 2012 präzisierte gewisse Bedingungen, ohne jedoch genauen Zahlen zu nennen: http://​www.​chd.​lu.
 
47
De facto acht Wochen, laut Auskunft der Behörde.
 
48
Laut parlamentarischer Anfrage Nr. 175/2014.
 
49
Die Änderung von 2016 (Gesetz vom 23. Juli 2016) betraf die Gleichstellung aller Kinder, aber nicht die Transferleistungen ins Ausland.
 
50
Vgl. Parlamentarische Anfrage Nr. 2216 von 2012 und Parlamentarische Anfrage Nr. 175 von 2014: http://​www.​chd.​lu.
 
51
„Progressive Einwanderungspolitiken (…) konnten in Europa politisch erst vorankommen, als diese Fragen entpolitisiert wurden, indem sie auf juristische und technische Ebenen verwiesen wurden, im Allgemeinen während Phasen, da die politischen Diskussionen ruhiger verliefen“ (Favell 2010, S. 44).
 
52
Es handelt sich dabei um Maßnahmen wie die Begrenzung des Bezugs von Sozialhilfe auf jene, die bereits länger als 5 Jahre im neuen Mitgliedstaat leben, oder um die Indexierung des exportierten Kindergeldes entsprechend Lebenhaltungskosten im Wohnland des Kindes: Europäischer Rat vom 18. und 19. Februar 2016.
 
Metadaten
Titel
Portugiesische Immigration in Luxemburg: Das Recht auf Freizügigkeit
verfasst von
Claudia Hartmann-Hirsch
Fofo Senyo Amétépé
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31896-3_5