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2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Postneoliberale Verschiebungen von Wohnungspolitiken in Deutschland seit 2011?

verfasst von : Sebastian Schipper

Erschienen in: Wohnraum dem Markt entziehen?

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Steigende Mieten und Wohnungspreise führen in vielen Städten Deutschlands zu einer Situation, in der es für einkommensschwache Haushalte und selbst für Mittelschichten immer schwieriger wird, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Ermöglicht wurde eine derartige Zuspitzung der Wohnungsfrage durch eine ab Mitte der 1980er Jahre einsetzende Neoliberalisierung der Wohnungspolitik auf allen staatlichen Ebenen. Ausgehend von dem jüngsten Zyklus wohnungspolitischer Proteste in Frankfurt am Main wird in Kap. 4 rekonstruiert, inwiefern sich deren Forderungen auf städtischer Ebene, auf Landesebene in Hessen sowie auf Bundesebene in staatliche Wohnungspolitiken einschreiben konnten. Das Ergebnis fällt ambivalent aus. Zweifellos hat es die Frankfurter Mieterbewegung geschafft, dass Thema Wohnungsnot auf die politische Agenda zu setzen, wohnungspolitische Reformen zu forcieren und kleinere postneoliberale Experimente anzustoßen. Die realpolitische Umsetzung erfolgt aber nur sehr bedingt im Sinne der von den Initiativen selbst hervorgebrachten Imaginationen, da wohnungspolitische Aktivist/innen in ihren Auseinandersetzungen mit staatlichen Apparaten häufig an Einfluss verlieren.

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Fußnoten
1
Der Bestand an Sozialwohnungen ist deutschlandweit seit 1990 von ca. 3 Mio. Wohnungen auf 1,5 Mio. gesunken (Bundesregierung 2015, S. 29).
 
2
Vorherige Zyklen umfassen die Häuserkämpfe im Westend und die Mietstreiks der 1970er Jahre (Häuserrat Frankfurt 1974; Stracke 1980) sowie die wohnungspolitischen Proteste Anfang der 1990er Jahre (Mullis et al. 2016, S. 53 f.; Schipper 2013a, S. 184 ff.).
 
10
Siehe z. B. die Videodokumentation zur Räumung in der Krifteler Straße am 06.09.2013 https://​vimeo.​com/​74535509 oder den Blog http://​blauer.​blogsport.​de.
 
14
Vgl. z. B. das Selbstverständnis des Netzwerkes ‚Wem gehört die Stadt?‘ unter http://​wemgehoertdiesta​dtffm.​net/​.
 
15
Bei diesem Kapitel handelt es sich um eine stark überarbeite und aktualisierte Version des Sammelbandbeitrags „Postneoliberale Strategien für bezahlbaren Wohnraum? Aktuelle wohnungspolitische Ansätze in Hamburg und Frankfurt am Main“ (Metzger und Schipper 2017) erschienen in Schönig et al. (2017).
 
16
Laut der Wanderungsbefragung der Stadt Frankfurt (2016a) haben im Jahr 2014 56.229 Menschen Frankfurt verlassen, davon ca. 13.600 ins Umland. Von letzteren gaben 79  % an, dass sie auch gerne in der Stadt geblieben wären, was 10.752 Personen entspricht. Da wiederum für 51 % dieser Befragten die Wohnkostenbelastung ausschlaggebend für ihren Umzug gewesen sei und somit „das hohe Preisniveau der Frankfurter Immobilien des entscheidende Motiv für den Wechsel ins Umland“ (Wanderungsbefragung der Stadt Frankfurt 2016a, S. 8) darstellt, lässt sich die Zahl der jährlich Verdrängten auf mindestens 5483 Menschen schätzen.
 
17
Zum Vergleich: Für die Subjektförderung (Wohngeld + Kosten der Unterkunft) muss die Stadt Frankfurt pro Jahr 200 Mio. € aufbringen, wovon der Bund 70 Mio. € übernimmt (STVV 2013, S. 35).
 
18
Eine weitere Million wurde zur Förderung von Studierendenwohnungen verausgabt.
 
19
So fallen gemäß den Angaben des Magistrats bis zum Jahr 2030 mindestens weitere 6283 Wohnungen aus den Sozialbindungen, während bis dahin laut Plan nur ca. 2200 Wohneinheiten im geförderten Neubau entstehen und 3250 Belegungsrechte im Bestand erworben werden sollen (STVV 2016, Frage 286).
 
20
Die klassischen Sozialwohnungen des 1. Förderwegs richten sich von den Einkommensgrenzen her an die unteren 41 % der Frankfurter Stadtbevölkerung; seit 2016 aufgrund der Einführung einer zweiten Förderstufe sogar an 49 % aller Haushalte (IWU 2015b, S. 13). Sie sind zudem nicht nur preis-, sondern auch belegungsgebunden, sodass das Wohnungsamt über ein Vorschlagsrecht verfügt. Vermieter/innen müssen demnach einen der drei vom Amt genannten Haushalte als Mieter/in akzeptieren. Die geförderten Wohnungen des Mittelschichtprogramms zielen dagegen auf mittlere Einkommensgruppen. Abgesehen davon, dass die Mieten dort höher sind und sich am Mietspiegel ausrichten, hat das Wohnungsamt hier keinen Einfluss auf die Belegung der Wohnungen. Aus diesen sowie weiteren Gründen tendieren Investoren ohne verbindliche Quote für den 1. Förderweg dazu, ausschließlich geförderte Wohnungen im Rahmen des Mittelschichtprogramms zu errichten.
 
21
Zu denken wäre etwa an die 18.000 einfachen Wohnungen, die in den späten 1920er Jahren im Rahmen des nicht-profitorientierten kommunalen Wohnungsbauprogramms des Neues Frankfurts entstanden sind (Tharun und Körner 2001, S. 156 ff.).
 
22
Beispielsweise hat die ABG zwischen 1997 und 2002 1321 Wohnungen gebaut, davon allerdings nur noch 230 im Rahmen von öffentlichen Förderprogrammen (ABG Frankfurt Holding 2003). In Konsequenz sinkt infolge auslaufender Bindungen der Bestand an geförderten Wohnungen von 20.238 (2005) auf 16.505 (2014).
 
23
Laut §558 BGB dürfen Vermieter/innen bei bestehenden Mietverträgen die Miete um maximal 20 % in drei Jahren erhöhen. Seit der Mietrechtsform von 2013 wurde diese Kappungsgrenze für Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten auf 15 % in drei Jahren gesenkt.
 
24
Diese marktkonforme Rationalität bringt ebenso der wohnungspolitische Sprecher der CDU im Landtag, Ulrich Caspar, auf den Punkt: „Da werden Sie doch nicht ernsthaft behaupten, dass wir das Thema so regeln können, wie Sie das in der DDR gelöst haben. Da hat der Staat nämlich die Wohnungen gebaut. Das hat auch da schon nicht funktioniert. In Hessen würde es auch nicht funktionieren. Staatliche Programme sind notwendig und sinnvoll, vor allem als Anreizsystem, um Private zu motivieren, zu investieren“ (Hessischer Landtag 2015, S. 3850).
 
25
Laut Angaben des Stadtplanungsamtes führt dies in Frankfurt beispielsweise dazu, dass zwischen 2017 und 2021 aufgrund einer bereits erfolgten frühzeitigen Tilgung der Fördermittel insgesamt 2899 Sozialwohnungen aus der Bindung fallen werden (Frankfurter Rundschau 25. Februar 2017).
 
26
In Frankfurt sind die vier Stadtteile Berkersheim, Eckenheim, Harheim und Unterliederbach jedoch von der Mietpreisbremse ausgenommen.
 
27
Neben dem Land Hessen als Mehrheitsgesellschafter sind auch zahlreiche hessische Kommunen und andere öffentliche Institutionen Anteilseigener der NH.
 
28
Im gramscianischen Verständnis sind alle Menschen potenziell Intellektuelle; der Begriff bezieht sich hier also keineswegs nur auf Wissenschaftler/innen oder Personen des öffentlichen Lebens. Entscheidend ist, ob jemand organisatorisch mit einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe (z. B. mit Mieter/innen im sozialen Wohnungsbau) verbunden ist und in den Auseinandersetzungen um Hegemonie die Funktion einer/eines Intellektuellen übernimmt; d. h. an der Ausarbeitung von Selbstverständnissen, politischen Forderungen, Normen und Werten mitwirkt (Opratko 2012, S. 48 ff.).
 
29
In der Regel finanziert von Parteien oder parteinahen Stiftungen.
 
30
Während 2013 16,5 Mrd. € für die Subjektförderung verwendet wurden, stellt der Bund bis 2016 jährlich nur 518,2 Mio. € als Darlehen für die Objektförderung bereit. Im Jahr 1986, zu Beginn der tief greifenden Neoliberalisierung der Wohnungspolitik lag das Verhältnis noch bei DM 3,45 Mrd. für Wohngeld und DM 7,71 Mrd. für den sozialen Wohnungsbau (Becker 1988, S. 96).
 
31
Der Bestand an gebundenen Wohnungen ist deutschlandweit seit 1990 von ca. 3 Mio. Wohnungen auf 1,5 Mio. (= 4 % aller Wohnungen) gesunken. Jährlich fallen aufgrund der genannten Problematik ca. 80.000 bis 100.000 Wohnungen aus der Bindung, sodass angesichts niedriger Neubauzahlen der Bestand per saldo jedes Jahr um ca. 65.000 Wohnungen abnimmt (Bundesregierung 2015, S. 29).
 
32
Der parlamentarische Staatssekretär beim Finanzministeriums von der CDU/CSU, Michael Meister, formuliert etwa: „Mit der steuerlichen Förderung wollen wir für einen Impuls auf den Märkten sorgen. […] Wir gehen davon aus, dass das tatsächlich einen Anreiz für private Investoren setzt, sich stärker im Bereich des Mietwohnungsbaus zu engagieren. […] Die einzige Vorgabe, die wir machen, ist, dass Wohnungen gebaut werden und dass diese Wohnungen tatsächlich über einen Zeitraum von zehn Jahren als Mietwohnungen genutzt werden. Aber wir machen keine Vorgabe bei der Frage: Wer zieht dort ein? Wer ist der Mieter? Ich glaube, dass das ein richtiger Ansatz ist“ (CDU, Deutscher Bundestag 2016b, S. 15.995).
 
33
Zur Verbesserung der Situation der Mieter/innen bringt das Land Berlin im Juni 2016 das Mietrechtsaktualisierungsgesetz (Drucksache 327/16) in den Bundesrat ein, um Mietpreiserhöhungen auf 15 % bzw. 20 % alle vier statt drei Jahre zu begrenzen. Bislang zeichnet sich dafür aber keine Mehrheit ab.
 
35
Bis zum Stichtag 31.12.2016 wurden allerdings bundesweit erst drei Liegenschaften der BImA (in Hameln, Hamburg und Kempten) verbilligt für den Bau von insgesamt 196 Sozialwohnungen abgegeben (Bundesregierung 2017, S. 15).
 
36
„Bundesweiten Aktionsplan für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft auflegen“ (Die LINKE 2016) bzw. „Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit – Fair, gut und günstig wohnen“ (Die GRÜNEN 2016).
 
37
So formuliert etwa Florian Pronold (SPD, parlamentarischer Staatssekretär beim BMUB): „Im Grunde ist es richtig, zu überlegen, wie wir den gemeinnützigen Sektor wieder stärken. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass wir neben den Maßnahmen, die ich beschrieben habe, auch darüber nachdenken müssen, den nicht profitorientierten Sektor auf dem Wohnungsmarkt Stück für Stück auszuweiten“ (Deutscher Bundestag 2016a, S. 16.094).
 
Metadaten
Titel
Postneoliberale Verschiebungen von Wohnungspolitiken in Deutschland seit 2011?
verfasst von
Sebastian Schipper
Copyright-Jahr
2018
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-17993-9_4